Keine Angst vor Deflation

27.5.2016 – Interview mit Philipp Bagus zu seinem Buch In Defense of Deflation. Das Interview wurde zuerst in The Austrian (Ausgabe März/April 2016), einer Publikation des Mises-Institute, Auburn, US Alabama, veröffentlicht.

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Mises Institute: Warum haben Sie In Defense of Deflation geschrieben?

Philipp Bagus

Philipp Bagus: Ein Grund war, dass es keine umfassende Abhandlung zu dem Thema gab. Ein weiterer Grund war, dass die Furcht vor der Deflation desaströse Folgen für unsere Volkswirtschaften gehabt hat und noch hat. Denn die irrationale Deflationsangst wird benutzt, um die Produktion neuen Geldes zu rechtfertigen. Heute argumentieren Zentralbanker, dass es ohne die von ihnen durchgeführte quantitative Lockerung und anderen unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen wie Negativzinsen, zu einem Rutsch in die Rezession und die Preisdeflation käme. Und implizit wird diese Preisdeflation als ein Horrorszenario dargestellt. Dieses Szenario ist derart schrecklich, dass die Deflationsgegner es noch nicht einmal für nötig halten, ihre Behauptungen zu beweisen und das Phänomen der Deflation systematisch zu analysieren. Daher dachte ich, es sei ganz nützlich, die Deflation zu analysieren.

MI: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Deflation in den ökonomischen Lehrbüchern stiefmütterlich behandelt wird. Worauf ist dies zurückzuführen und was ist das größte Missverständnis hinsichtlich der Deflation?

PB: Ein Grund für die Vernachlässigung ist, dass wir nach dem zweiten Weltkrieg in einer Welt kontinuierlicher Preisinflation gelebt haben. Daher verwenden die Lehrbücher viel Zeit darauf, die Preisinflation zu analysieren, aber nicht die Preisdeflation. Deflation war einfach nicht auf dem Schirm in den letzten Jahrzehnten. Und dann kommt noch hinzu, dass man irgendwie glaubt, dass es unmittelbar einsichtig ist, dass Deflation schlecht ist, sodass es keiner größeren Erklärung bedarf.

Was bei der Deflation im Allgemeinen nicht verstanden wird, ist, dass sie kein gesamtwirtschaftliches Problem darstellt. Fallende Preise führen lediglich zu einer Umverteilung. Verkäufer verlieren und Käufer gewinnen. Wir sind jedoch alle Käufer (von Gütern und Dienstleistungen) und Verkäufer (von Güter und vor allem Arbeitsleistungen). Unternehmen kaufen auch Produktionsfaktoren und verkaufen Produkte. Damit ist eine Preisdeflation an sich nicht für alle schädlich, sondern nur für jene, deren Verkaufspreise schneller fallen als ihre Kaufpreise. Die Verkaufspreise der einen sind jedoch die Kaufpreise der anderen Seite des Tausches. Wenn es also Leute gibt, die verlieren, dann gibt es notwendigerweise auch Leute, die gewinnen, weil ihre Verkaufspreise langsamer als ihre Kaufpreise fallen.

Es stimmt natürlich auch, dass Schuldner in einer Preisdeflation verlieren. Aber die Kaufkraft, die die Schuldner verlieren, gewinnen die Gläubiger. Und wenn ein Unternehmen Konkurs geht, weil es hohe nominale fixe Schulden hat, dann werden die Gläubiger die Vermögenswerte übernehmen und möglicherweise die Produktion auch fortsetzen, wenn das Unternehmen im Prinzip ein tragfähiges Geschäftsmodell hat und nur wegen seiner Überschuldung gescheitert ist. Dieser Wandel in den Besitzverhältnissen beeinträchtig das Produktionspotential einer Volkswirtschaft nicht (die Fabriken und Maschinen verschwinden durch den Eigentumswechsel nicht). Daher ist die Preisdeflation kein gesamtwirtschaftliches Problem, sondern impliziert einfach eine Umverteilung.

Eine Preisdeflation, welche vom Staat verursacht wurde, kann natürlich aus moralischer Sicht verurteilt werden. Aber das ist nicht der Fall, wenn die Preisdeflation auf dem freien Markt geschieht oder eine Marktreaktion auf einen Regierungseingriff ist.

MI: Was sind die Implikation für die Politik? Warum fürchten bei diesem Mix aus Gewinnern und Verlierern die Politiker und Zentralbanker die Deflation so sehr?

PB: Die Politikimplikation ist, dass man nicht auf diejenigen hören sollte, die behaupten, man bräuchte eine expansive Geldpolitik, um, koste es, was es wolle, eine Preisdeflation zu verhindern, die das Ende der Welt bedeute. Denn dieses Argument ist einfach falsch.

Die verordnete expansive Geldpolitik, die Inflation, verursacht selbst eine Umverteilung zugunsten der Erstempfänger des neuen Geldes, verzerrt relative Preise, bevorteilt Schuldner, erhält künstlich Fehlinvestitionen am Leben und kann neue Verzerrungen und Blasen finanzieren. Es ist vollkommen verständlich, dass jene, die von der Inflation profitieren, Mythen über die Gefahren der Deflation verbreiten.

MI: Wer profitiert von der Inflation?

PB: Die politischen und unternehmerischen Eliten. Das Establishment. Der größte Schuldner in unseren Volkswirtschaften ist der Staat. Auch Geschäftseliten sind hoch verschuldet. Sie würden in einer Preisdeflation verlieren. Daher stellen sie die Deflation als ein gesamtwirtschaftliches Problem dar, obwohl die Gläubiger von der Preisdeflation profitieren würden. Und als ein Heilmittel argumentieren die Deflationsgegner für die Produktion neuen Geldes, das zufälligerweise sie selbst – also der Staat, die Finanzindustrie und andere Geschäftseliten – als erste erhalten werden. Es sind diese Eliten, die von der Schaffung neuen Geldes profitieren, welches sie ausgeben können, bevor die Preise sich nach oben anpassen, zum Schaden jener, die nicht in den Genuss fallender Preise kommen und das neue Geld erst erhalten, wenn die Preise schon wieder gestiegen sind.

MI: Warum machen aber so viele Ökonomen die Deflation für die Wirtschaftskrisen der Vergangenheit verantwortlich?

PB: Viele Ökonomen sind Empiriker. Sie schauen auf die Daten und ziehen daraus ihre Schlüsse. Sie sehen, dass es während der Weltwirtschaftskrise zu einer Preisdeflation kam. Daraus schließen sie dann, dass es die Deflation war, welche den Abschwung verursacht oder zumindest verstärkt hat.

Keynesianer glauben, dass eine Rezession auf einen Zusammenbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zurückzuführen ist. Sie verstehen nicht, dass die Menschen etwas produzieren, um etwas anderes nachzufragen. Es kann also keine allgemeine Überproduktion geben. Wenn nicht alles, was produziert wird, auch nachgefragt wird, dann muss sich die Struktur des Angebots der Struktur der Nachfrage anpassen. Und hier kann die Preis- und Gelddeflation die Anpassung der Produktionsstruktur entscheidend beschleunigen, in dem sie Liquidierung der Fehlinvestitionen und die Umleitung der Ressourcen in Projekte, die dringender nachgefragte Güter und Dienstleistungen produzieren, vorantreibt.

MI: Gibt es Deflationsperioden, in denen der Lebensstandard stieg?

PB: Natürlich. Während des 19. Jahrhunderts konnte man in vielen Ländern beobachten, wie Preisdeflation und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gingen. In meinem Buch analysiere ich detailliert die Preisdeflation in den Vereinigten Staaten von 1865 bis 1896. Die Preise fielen über 30 Jahre lang und gleichzeitig gab es einen enormen Anstieg im Lebensstandard. Die natürliche Folge von Wirtschaftswachstum sind einfach fallende Preise. Die Bevölkerung kommt in den Genuss dieses Wachstums in Form von niedrigeren Preisen. Etwas ähnliches können wir heute noch im Technologiesektor beobachten.

MI: In Ihrem Buch zitieren sie den einflussreichen Ökonomen Brad DeLong, der fallende Preise als recht unwahrscheinlich einstufte. Aber heute erscheinen sie wahrscheinlicher. Warum ist das so? Oder anders gesagt, warum sind die Inflationsraten heute so viel tiefer als die 2-Prozent-Zielmarken, die sich die Zentralbanken gesetzt haben?

PB: Es gab ein großes Deleveraging im Finanzsektor. Die Kreditrestriktion hat einen starken Druck auf die Preise ausgeübt. Aber es gibt auch Wirtschaftswachstum, nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in westlichen Ländern, in denen Unternehmer in der Krise unter großen Mühen die Produktionsstruktur anpassen. Ohne die großen expansiven Maßnahmen der Zentralbanken würden wir fallende Preise erleben.

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Hier ein Vortrag von Philipp Bagus zum Thema „Deflation“ (2. Ludwig von Mises Seminar im Februar diesen Jahres):

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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai vergangenen Jahres ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

 

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