Privatisiert die Polizei

18.7.2016 – von Murray N. Rothbard.

Murray N. Rothbard (1926 – 1995)

Die Abschaffung des öffentlichen Sektors beinhaltet selbstredend, dass alle Grundstücke einschließlich der Straßen in privates Eigentum übergehen. Sie würden Individuen, Gesellschaften, Kooperativen und anderen freiwilligen Gruppierungen von Individuen und Kapital gehören. Die Tatsache, dass alle Straßen und alle Grundstücke sich in Privateigentum befänden, würde allein viele scheinbar unlösbare Probleme privater Handlungen lösen. Wir müssen unser Denken neu orientieren und uns eine Welt vorstellen, in der alles Land privat besessen wird.

Betrachten wir zum Beispiel den Polizeischutz. Wie wäre der Schutz durch Ordnungshüter in einer vollkommen privaten Wirtschaft gesichert? Ein Teil der Antwort wird offensichtlich, wenn wir uns eine derartige Welt vorstellen, in der alles Land und alle Straßen Privateigentum sind. Betrachten wir den Times Square in New York City, ein berüchtigtes Zentrum der Kriminalität, wo es nur wenig Schutz durch die Polizei gibt. Jeder New Yorker weiß, dass er die Straßen in New York und nicht nur den Times Square praktisch in einem Zustand der »Anarchie« benutzt und nur von der normalen Friedfertigkeit und dem guten Willen seiner Mitbürger abhängig ist. Die Schutzpolizei von New York City ist minimal präsent. Das erwies sich in drastischer Weise während eines Ausstandes der Streifenbeamten, als die Kriminalität nicht höher war als zu Zeiten, in denen die Polizei angeblich wachsam ist und ihrem Job nachgeht.

Stellen wir uns jetzt vor, dass das gesamte Gebiet des Times Square einschließlich der Straßen sich im Privateigentum beispielsweise der »Vereinigung der Kaufleute des Times Square« befände. Die Kaufleute wissen sicher sehr genau, dass, wenn in ihrem Gebiet das Verbrechen wuchert, wenn Diebstahl und Überfälle an der Tagesordnung sind, Kunden wegbleiben und in andere Gebiete ausweichen werden. Es wäre somit von wirtschaftlichem Interesse für die Kaufleute, einen effizienten und ausreichenden Ordnungsschutz anzubieten, damit die Kunden wieder angezogen werden. Private Unternehmen versuchen immer, ihre Kunden anzuziehen und dann zu halten. Was nützen allerdings attraktive Schaufenster, gute Beleuchtung und freundlicher Service, wenn die Kunden auf ihrem Weg durch das Gebiet überfallen und vergewaltigt werden?

Die Vereinigung der Kaufleute wird durch ihr Streben nach Gewinn und nach der Vermeidung von Verlusten überdies gezwungen sein, nicht nur ausreichende, sondern mehr noch freundliche und angenehme Schutzdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Die staatliche Polizei hat nicht nur keinen Anreiz, effizient zu sein und sich um ihre »Kunden« zu kümmern, sie hat auch immer die Tendenz, ihre Zwangsgewalt in brutalster Weise zu zeigen. »Polizeibrutalität« ist ein bekanntes Merkmal des Polizeisystems, das nur durch die Klagen der betroffenen Bevölkerung unter Kontrolle gehalten wird. Wenn aber die Wachmannschaft der privaten Kaufleute sich Kunden dieser Kaufleute gegenüber brutal verhalten sollte, dann werden sie schnell verschwinden und woanders hingehen. Deshalb wird die Vereinigung der Kaufleute darauf achten, dass ihre »Polizei« freundlich und aufmerksam ist.

Dieser effiziente und hochwertige Ordnungsschutz wird sich über das ganze Land ausbreiten, alle privaten Straßen und Grundstücke. Fabriken werden ihre Gelände schützen, Kaufleute ihre Straßen. Straßenbetreiber werden für ihre kostenpflichtigen Straßen und für andere private Straßen effizienten Ordnungsschutz garantieren. Das gleiche würde für die Wohnviertel gelten. Wir können uns dort  zwei Typen des Eigentums an den Straßen vorstellen. Beim ersten Typ würden die Grundstückseigentümer eines Blocks gemeinsam Eigentümer dieses Blocks, etwa als die »Gesellschaft 85. Straße«. Diese Gesellschaft würde den Ordnungsschutz garantieren, die Kosten würden entweder von den Hauseigentümern direkt oder aus den Mieten bezahlt, wenn es in der Straße Mietwohnungen gibt. Hauseigentümer haben ihrerseits ein Interesse daran, dass ihre Straßen sicher sind, weil sie Mieter damit anziehen wollen, dass sie zusätzlich zu den üblichen Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Heizung und Hausmeisterdiensten auch noch eine sichere Umgebung bieten.

Die Frage, warum die Hauseigentümer in einer libertären, vollkommen privaten Gesellschaft sichere Straßen garantieren sollten, ist genauso unsinnig wie die Frage, warum sie denn heute ihre Mieter mit Heizung und warmem Wasser versorgen. Die Macht des Wettbewerbes und der Wünsche der Verbraucher bringt sie dazu, diese Dienste anzubieten. Sowohl bei Einfamilienhäusern als auch bei Mietshäusern wird außerdem ihr Wert genauso eine Funktion der Sicherheit der Straßen sein wie eine Funktion anderer bekannter Merkmale des Hauses und der Nachbarschaft.

Sichere und gut bewachte Straßen werden den Wert der Grundstücke und der Häuser genauso erhöhen wie gut gepflegte Häuser. Mit Kriminalität belastete Straßen senken den Wert der Grundstücke und der Häuser genauso wie vernachlässigte Häuser das tun. Weil die Hauseigentümer immer höhere gegenüber niedrigen Marktpreisen für ihr Eigentum bevorzugen, gibt es einen eingebauten Anreiz, gut geschützte und sichere Straßen zur Verfügung zu stellen.

Der Markt und private Unternehmen existieren bereits, und so können sich die meisten Menschen für die meisten Waren und Dienstleistungen leicht einen freien Markt vorstellen. Der vielleicht dabei am schwierigsten zu verstehende Bereich ist die Abschaffung der staatlichen Tätigkeitsfelder, die den Schutz von Person und Eigentum gegen Angriffe und Eingriffe betreffen, also der Polizei, der Gerichte usw.

Wie können private Unternehmen und der freie Markt derartige Dienstleistungen zur Verfügung stellen? Wie können Polizei, gerichtliche Dienstleistungen, Strafverfolgung und Gefängnisse via freiem Markt gewährleistet werden? Dass zumindest ein großer Teil des Polizeischutzes von den verschiedenen Straßen- und Grundstückseigentümern angeboten werden kann, haben wir bereits gesehen. Aber untersuchen wir jetzt das gesamte Thema systematisch.

An erster Stelle bleibt festzuhalten, dass es ein allgemeiner Irrtum ist, der sogar von vielen Verteidigern des laissez-faire geteilt wird, nur der Staat könne »Polizeischutz« liefern, als ob Polizeischutz eine einzige, absolute Entität wäre, eine bestimmte Menge von etwas, das der Staat allen liefert. Tatsächlich gibt es keinen absoluten Stoff, der »Polizeischutz« heißt, genauso wenig wie es einen einheitlichen Stoff mit dem Namen »Nahrung« oder mit dem Namen »Unterkunft« gibt. Wie wahr, dass jeder Steuern für eine scheinbar bestimmte Menge an Schutz zahlt, diese aber ist eine Illusion. Denn was für einen konkreten Schutz stellt die Polizei einer konkreten Privatperson oder einem konkreten Geschäftsmann zur Verfügung: einen Polizisten auf seiner Runde, der einmal in der Nacht vorbeikommt, oder zwei Polizisten, die ständig um den Block patrouillieren, oder Streifenfahrzeuge oder mehrere Leibwächter, die rund um die Uhr da sind?

Es gibt viele weitere Entscheidungen, die die Polizei treffen muss und deren Komplexität offensichtlich wird, wenn wir den Schleier der Illusion vom absoluten »Schutz« lüften.Wie soll die Polizei ihre Mittel, die natürlich wie die Mittel aller anderen Individuen und Organisationen immer begrenzt sind, verteilen? Wieviel nun soll die Polizei in elektronische Ausrüstungen investieren? Wieviel in Ausrüstungen für Fingerabdrücke? Wieviel in Kriminalbeamte und wieviel in Uniformierte? Wieviel in Streifenwagen im Vergleich zu Polizisten zu Fuß?

Der Staat hat keine rationale Methode, diese Verteilungen vorzunehmen. Der Staat weiß nur, dass er über begrenzte Mittel verfügt. Die Verteilung dieser Mittel ist dann Gegenstand der Politik, der Vetternwirtschaft und der bürokratischen Ineffizienz. Dabei wird keine Rücksicht darauf genommen, ob die Leistungen der Polizei für die Bevölkerung deren Wünschen entsprechen oder nicht oder ob sie diese effizient erbringt. Die Situation wäre anders, wenn Polizeileistungen auf einem freien Wettbewerbsmarkt angeboten werden würden. In diesem Fall würden die Verbraucher für genau jene Schutzleistungen bezahlen, die sie wünschen.

Wer nur ab und zu einmal einen Polizisten sehen will, würde nicht so viel bezahlen wie der, der ständige Streifen wünscht und viel weniger als der, der einen Leibwächter rund um die Uhr meint zu brauchen. Auf dem freien Markt wird Schutz zu jedem Preis und in jedem Umfang angeboten, den die Verbraucher nachfragen. Mehr Effizienz wäre wie immer auf dem Markt garantiert durch den Druck, Gewinn zu machen und keinen Verlust, und dafür, die Kosten niedrig zu halten und die Nachfrage zu befriedigen. Eine Wachdienstfirma, die ineffizient arbeitet, würde schnell bankrott gehen und verschwinden.

Ein großes Problem, vor dem die staatliche Polizei immer wieder steht, ist die Frage: Welches Gesetz soll durchgesetzt werden und welches nicht? Die Polizei unterliegt theoretisch der absoluten Forderung, »alle Gesetze durchzusetzen«. Aber in der Praxis zwingen die begrenzten Mittel sie dazu, ihr Personal und ihre Ausrüstung auf die dringendsten Verbrechen zu konzentrieren. Die absolute Forderung verfolgt sie aber und wirkt gegen die rationale Verteilung der Ressourcen.

Auf einem freien Markt würde alles durchgesetzt, für dessen Durchsetzung jemand zu zahlen bereit ist. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Mr. Jones einen wertvollen Juwel besitzt und glaubt, dass dieser bald gestohlen werden könnte. Er kann eine Schutzleistung in jeder gewünschten Stärke, die er mit der Wachdienstfirma vereinbart, und rund um die Uhr verlangen und dafür bezahlen. Er könnte außerdem eine private Straße auf seinem Grundstück haben und nicht wünschen, dass allzu viele Menschen auf ihr fahren, aber der Verkehr könnte ihn genauso gut nicht weiter kümmern. In diesem Fall würde er keine wachdienstlichen Ressourcen nachfragen, um die Straße zu schützen.Wie auf jedem Markt liegt die Entscheidung beim Verbraucher. Weil wir alle Verbraucher sind, entscheidet jede Person individuell, wieviel und welche Art Schutz sie haben und bezahlen will.

Alles, was wir über die Ordnungshüter der Grundbesitzer gesagt haben, lässt sich auch über die private »Polizei« im Allgemeinen sagen. Die Schutzdienstleistung auf dem freien Markt wäre nicht nur effizient, sie hätte auch einen starken Anreiz, aufmerksam zu sein und jede Brutalität gegen ihre Kunden und deren Freunde oder Kunden zu vermeiden.

Ein privater Central Park würde effizient geschützt werden, um den Gewinn des Parks zu erhöhen. Es würde kein Zugangsverbot für unschuldige und zahlende Besucher geben. Ein freier Markt für »polizeiliche« Dienstleistungen würde effiziente und aufmerksame Ordnungshüter belohnen und jedes Abweichen von diesem Standard bestrafen. Es gäbe nicht mehr die Trennung zwischen Leistung und Bezahlung, die allen staatlichen Tätigkeiten innewohnt. Diese Trennung bedeutet, dass die Polizei wie alle Behörden ihr Einkommen nicht durch freiwillige Zahlungen der Verbraucher im Wettbewerb erhält, sondern zwangsweise vom Steuerzahler. Tatsächlich sind die  Verbraucher, da die staatliche Polizei immer ineffizienter wurde, mehr und mehr zu privaten Formen des Schutzes abgewandert. Wir haben schon den Schutz des Blocks oder der Nachbarschaft erwähnt. Es gibt auch private Wachdienste, Versicherungsgesellschaften, Privatdetektive und immer kompliziertere Ausrüstungen wie Safes, Schlösser, Rundum-Kameras und Alarmanlagen. Die »President’s Commission of Law Enforcement and Administration of Justice« schätzte 1969, dass die staatliche Polizei die Bevölkerung im Jahr 2,8 Milliarden Dollar kostet, während für private Schutzdienste 1,35 Milliarden und in Ausrüstungen noch einmal rund 200 Millionen Dollar gesteckt werden. Damit sind die privaten Aufwendungen mehr als halb so groß wie die staatlichen Ausgaben. Das sollte die Leichtgläubigen beruhigen, die immer noch glauben, dass der Polizeischutz durch irgendein mystisches »Recht« notwendigerweise und auf ewige Zeiten ein Attribut staatlicher Souveränität sei.

Entnommen aus „Für eine neue Freiheit“, Band 2: Soziale Funktionen, herausgegeben von Stefan Blankertz.

*****

Dieser Beitrag könnte Sie auch interessieren … ebenfalls von Murray N. Rothbard: Der Mythos “öffentlichen” Eigentums

Wenn Sie mehr über unsere Arbeit erfahren möchten, hier können Sie unseren Jahresreport 2015 herunterladen.

————————————————————————————————————————————————————————

Murray N. Rothbard wurde 1926 in New York geboren, wo er an der dortigen Universität Schüler von Ludwig von Mises wurde. Rothbard, der 1962 in seinem Werk Man, Economy, and State die Misesianische Theorie noch einmal grundlegend zusammenfasste, hat selbst diese letzte Aufgabe, die Mises dem Staat zubilligt, einer mehr als kritischen Überprüfung unterzogen.

*****

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto Startseite: © animaflora – Fotolia.com

 

Soziale Medien:
+ posts
Kontaktieren Sie uns

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Nicht lesbar? Text ändern. captcha txt

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen