Die Waffe der Gewerkschaften ist der Streik

22.10.2014 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Das wichtigste Mittel der Politik des Destruktionismus ist der Arbeiterverein, die Gewerkschaft. Der sozialistischen Ideologie ist es gelungen, das eigentliche Wesen und die Besonderheit der gewerkschaftlichen Bewegung so sehr zu verdunkeln, daß es nicht leicht ist, sich ein klares Bild von dem zu machen, was die Gewerkschaften sind und was sie leisten.

Noch immer pflegt man die Probleme des Arbeitervereinswesens unter dem Gesichtspunkte der Koalitionsfreiheit und des Streikrechtes zu behandeln. Doch seit Jahrzehnten handelt es sich nicht mehr darum, ob den Arbeitern die Freiheit, Vereine zu bilden, zugestanden werden soll, und ob sie das Recht haben sollen, die Arbeit auch unter Verletzung des Arbeitsvertrages niederzulegen. Keine Gesetzgebung macht ihnen dieses Recht streitig; denn daß die vertragswidrige Arbeitseinstellung zivilrechtliche Folgen für den einzelnen Arbeiter nach sich ziehen kann, ist praktisch ohne jede Bedeutung, so daß auch die extremsten Anwälte des Destruktionismus kaum auf den Gedanken verfallen sind, für den Arbeiter das Vorrecht zu fordern, übernommene Vertragspflichten nach Belieben verletzen zu dürfen.

Das, was das Wesen des gewerkschaftlichen Problems heute ausmacht, ist der Koalitionszwang und der Streikzwang. Die Arbeitervereine nehmen für sich das Recht in Anspruch, alle Arbeiter, die sich ihnen nicht anschließen wollen oder denen sie die Aufnahme verweigern, aus der Arbeit zu drängen, nach Belieben die Arbeit einzustellen und jedermann zu hindern, an Stelle der Streikenden die Arbeit zu verrichten. Sie nehmen für sich das Recht in Anspruch, Zuwiderhandlungen gegen ihre Beschlüsse durch unmittelbare Gewaltanwendung zu verhindern und zu bestrafen und alle Vorkehrungen zu treffen, um diese Gewaltanwendung so zu organisieren, daß ihr voller Erfolg sichergestellt wird. Die Gewerkschaft hat sich zu einer Gewaltorganisation ausgebildet, die durch den Schrecken die ganze Gesellschaft in Schach hält und vor deren Machtwort alle Gesetze und alle Rechte verblassen. […]

Die Waffe der Gewerkschaften ist der Streik. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß jeder Streik ein Akt des Landzwanges ist, eine gewaltsame Erpressung, die sich gegen alle richtet, die den Absichten der Streikenden zuwiderzuhandeln bereit wären. Aller und jeder Streik ist Terrorismus. Denn der Zweck der Arbeitseinstellung würde gänzlich vereitelt werden, wenn es dem Unternehmer möglich wäre, an Stelle der streikenden Arbeiter andere einzustellen, oder wenn sich nur ein Teil der Arbeiter dem Streik anschließen würde. Das Um und Auf des Gewerkschaftsrechtes ist daher die von den Arbeitern mit Erfolg behauptete Möglichkeit, gegen den Streikbrecher mit Brachialgewalt vorzugehen. Es ist nicht notwendig, darzulegen, auf welche Weise die Gewerkschaften in den verschiedenen Staaten dieses Recht an sich zu reißen gewußt haben.

Es genügt festzustellen, daß sie es in den letzten Jahrzehnten überall errungen haben, weniger durch ausdrückliche gesetzliche Zustimmung als durch stillschweigende Duldung der Behörden und Gerichte. Es gibt seit Jahren in Europa kaum die Möglichkeit, einen Streik durch Einstellung von Streikbrechern unwirksam zu machen. Lange Zeit ist es wenigstens möglich gewesen, von den Eisenbahnen, den Beleuchtungswerken, den Wasserwerken und von den wichtigsten Unternehmungen der städtischen Lebensmittelversorgung den Streik fernzuhalten. Aber auch hier hat endlich der Destruktionismus voll gesiegt.

Wenn es den Gewerkschaften beliebt, können sie Städte und Länder durch Hunger und Durst, durch Kälte und Dunkelheit zur Gefügigkeit zwingen. Sie können Schriften, die ihnen nicht genehm sind, von der Drucklegung ausschließen; sie können die Postbeförderung von Druckschriften und Briefen, die sie nicht gutheißen, unterbinden. Wenn sie wollen, dürfen die Arbeiter ungestört Sabotage treiben, die Arbeitswerkzeuge und Arbeitsstoffe beschädigen und die Arbeit so langsam oder so schlecht verrichten, daß sie wertlos wird.

Die destruktionistische Funktion des Gewerkschaftswesens ist niemals ernstlich bestritten worden. Es ist nie gelungen, eine Lohntheorie aufzustellen, aus der man die Folgerung ableiten könnte, daß durch den gewerkschaftlichen Zusammenschluß eine dauernde Erhöhung des Realeinkommens der Arbeiter erzielt werden könnte.[…]

Die gewerkschaftliche Politik der Arbeitseinstellung, der Gewalt und der Sabotage hat an der Besserung der Lage der Arbeiter nicht das geringste Verdienst gehabt. Sie hat ihren Teil dazu beigetragen, daß das kunstvolle Gebäude der kapitalistischen Wirtschaft, in der sich das Los aller, auch das des ärmsten Arbeiters, von Tag zu Tag gebessert hat in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Sie hat aber auch nicht dem Sozialismus vorgearbeitet, sondern dem Syndikalismus.[…]

Denn das ist wohl klar: Sollte es einmal zu einer grundsätzlichen Erörterung des Streikrechtes der Arbeiter lebenswichtiger Betriebe kommen, dann wird es bald um die ganze Lehre vom Gewerkschaftswesen und vom Streikzwang geschehen sein, dann werden Streikbruchverbände wie die „Technische Nothilfe“ jenes Beifalls teilhaftig werden, den heute noch die Streikenden erhalten. Es mag sein, daß in Kämpfen, die daraus erwachsen können, die Gesellschaft zugrunde geht. Doch sicher ist, daß eine Gesellschaft, die das Arbeitervereinswesen so durchführen will, wie es die herrschenden Anschauungen verlangen, in der kürzesten Zeit der Auflösung entgegengehen muß.

aus Die Gemeinwirtschaft – Untersuchungen über den Sozialismus, Verlag Lucius & Lucius, S. 468 – 474.

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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