Mindestlohn schafft Arbeitslosigkeit

4.4.2014 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Die preispolitischen Eingriffe gehen darauf aus, Preise von Gütern oder Dienstleistungen anders festzusetzen, als der unbehinderte Markt sie bilden würde.

Bei dem Preisstande, der sich auf dem unbehinderten Markte bildet oder, falls nicht die Obrigkeit die Freiheit der Preisbildung unterbunden hätte, bilden würde, werden die Produktionskosten durch den Erlös gedeckt. Wird von der Obrigkeit ein niedrigerer Preis anbefohlen, dann bleibt der Erlös hinter den Kosten zurück. Die Händler und Erzeuger werden daher, wenn es sich nicht um Waren handelt, die durch die Aufbewahrung eine schnelle Wertverminderung erleiden, vom Verkauf absehen, um die Ware für günstigere Zeiten aufzubewahren, etwa in der Erwartung, daß die obrigkeitliche Verfügung bald wieder rückgängig gemacht wird. Will die Obrigkeit nicht, daß der Erfolg ihrer Verfügung der sei, daß die betroffene Ware überhaupt aus dem Verkehr verschwindet, dann kann sie sich nicht darauf beschränken, den Preis festzusetzen; sie muß gleichzeitig auch schon verfügen, daß alle vorhandenen Vorräte zum vorgeschriebenen Preis verkauft werden.

Aber auch das genügt nicht. Zu dem ideellen Marktpreis hätten Angebot und Nachfrage sich gedeckt. Nun da durch obrigkeitliche Verfügung der Preis niedriger festgelegt wurde, ist die Nachfrage gestiegen, während das Angebot unverändert blieb. Die vorhandenen Vorräte reichen nicht aus, um alle, die den vorgeschriebenen Preis aufzuwenden bereit sind, voll zu befriedigen. Ein Teil der Nachfrage wird unbefriedigt bleiben. Der Marktmechanismus, der sonst Nachfrage und Angebot durch Veränderung des Preisstandes zur Deckung bringt, spielt nicht mehr. Nun müssen Personen, die bereit wären, den von der Obrigkeit vorgeschriebenen Preis auszulegen, unverrichteter Dinge den Markt verlassen. Diejenigen, die früher am Platze waren oder irgendwelche persönliche Beziehungen zu den Verkäufern auszunützen verstehen, haben bereits den ganzen Vorrat erworben; die anderen haben das Nachsehen.

Will die Obrigkeit diese Folge ihres Eingriffes, die doch ihren Absichten zuwiderläuft, vermeiden, dann muß sie zur Preistaxe und zum Verkaufszwang auch noch die Rationierung hinzufügen. Eine obrigkeitliche Vorschrift bestimmt, wieviel Ware an jeden einzelnen Bewerber zum vorgeschriebenen Preis abgegeben werden darf.

Doch sind die im Augenblick des Eingriffs der Obrigkeit schon vorhandenen Vorräte einmal aufgebraucht, dann ergibt sich ein ungleich schwierigeres Problem. Da die Erzeugung bei Verkauf zu dem von der Obrigkeit vorgeschriebenen Preis nicht mehr rentabel ist, wird sie eingeschränkt oder ganz eingestellt. Will die Obrigkeit die Erzeugung weiter fortsetzen lassen, dann muß sie die Produzenten verpflichten, zu erzeugen, sie muß zu diesem Zwecke auch die Preise der Rohstoffe und der Halbfabrikate und die Arbeitslöhne festlegen.

Diese Verfügungen dürfen sich aber nicht nur auf den einen oder die wenigen Produktionszweige beschränken, die man regeln will, weil man ihre Produkte für besonders wichtig erachtet. Sie müssen alle Produktionszweige umfassen, sie müssen die Preise aller Güter und jeglichen Arbeitslohn, das Verhalten aller Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeiter regeln. Würden sie einige Produktionszweige freilassen, so würden Kapital und Arbeit in sie abströmen und das Ziel, das die Obrigkeit mit ihrem ersten Eingriff erreichen wollte, würde verfehlt werden. Die Obrigkeit will doch, daß gerade der Produktionszweig, den sie wegen der Wichtigkeit, die sie seinen Erzeugnissen beilegt, mit der besonderen Regelung bedacht hat, auch reichlich besetzt werde. Es läuft ihrer Absicht durchaus zuwider, daß man ihn – gerade infolge des Eingriffes – vernachlässigen sollte .

Das Ergebnis unserer Untersuchungen zeigt also deutlich: der isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebe der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsordnung verfehlt den Zweck, den seine Urheber durch ihn erreichen wollen; er ist – im Sinne seiner Urheber – nicht nur zwecklos, sondern geradezu zweckwidrig, weil er das »Übel«, das durch ihn bekämpft werden soll, noch ganz gewaltig vermehrt.

Ehe die Preistaxe erlassen wurde, war die Ware – nach der Meinung der Obrigkeit – zu teuer; nun verschwindet sie vom Markte. Das aber hat die Obrigkeit, die die Ware dem Verbraucher billiger zugänglich machen wollte, nicht beabsichtigt. Im Gegenteil: von ihrem Standpunkt muß der Mangel, die Unmöglichkeit, sich die Ware zu beschaffen, als das größere, als das weitaus größere Übel erscheinen. In diesem Sinne kann man von dem isolierten Eingriff sagen, daß er sinn- und zweckwidrig ist, und von dem System der Wirtschaftspolitik, das mit solchen Eingriffen arbeiten will, daß es undurchführbar und undenkbar ist, daß es der wirtschaftlichen Logik widerspricht.

Will die Obrigkeit die Dinge nicht dadurch wieder ins Geleise bringen, daß sie von ihrem isolierten Eingriff absteht, indem sie die Preistaxen wieder aufhebt, dann muß sie dem ersten Schritt weitere folgen lassen. Zum Befehl, keinen höheren Preis als den vorgeschriebenen zu fordern, müssen nicht nur der Befehl, die Vorräte zu verkaufen, und die Rationierung hinzutreten, sondern auch Preistaxen für die Güter höherer Ordnung und Lohntarife und schließlich Arbeitszwang für Unternehmer und Arbeiter. Und diese Vorschriften dürfen sich nicht auf einen oder einige wenige Produktionszweige beschränken, sondern sie müssen alle Zweige der Produktion umfassen.

Es gibt eben keine andere Wahl als die: entweder von isolierten Eingriffen in das Spiel des Marktes abzusehen oder aber die gesamte Leitung der Produktion und der Verteilung an die Obrigkeit zu übertragen. Entweder Kapitalismus oder Sozialismus; ein Mittelding gibt es nicht.

Nehmen wir noch ein Beispiel: den Mindestlohn, die Lohntaxe. Es ist dabei ohne Belang, ob die Obrigkeit selbst die Lohntaxe unmittelbar verfügt oder ob sie duldet, daß die Gewerkschaften unter Androhung oder Anwendung von physischem Zwang es dem Unternehmer unmöglich machen, Arbeiter einzustellen, die für einen niedrigeren Lohn arbeiten wollten. Mit den Löhnen müssen die Produktionskosten und damit auch die Preise steigen. Würden als Verbraucher (als Käufer der Endprodukte) nur Lohnempfänger in Betracht kommen, dann würden auf diesem Wege Erhöhungen des Reallohnes undenkbar sein. Was die Arbeiter als Lohnempfänger gewinnen, müßten sie als Konsumenten verlieren.

Nun gibt es aber neben den Konsumenten, die Lohnempfänger sind, auch solche, deren Einkommen aus Besitz und aus Unternehmertätigkeit fließt. Deren Einkommen wird durch die Lohnerhöhung nicht erhöht; sie können die erhöhten Preise nicht bezahlen und müssen ihren Verbrauch einschränken. Der Rückgang des Absatzes führt zu Arbeiterentlassungen. Wäre der Zwang der Gewerkschaften nicht wirksam, dann müßte der Druck, den die Arbeitslosen auf den Markt ausüben, den künstlich in die Höhe getriebenen Lohn wieder auf den natürlichen Marktsatz herabdrücken. Nun aber gibt es diesen Ausweg nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit – in der unbehinderten kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine Friktionserscheinung, die immer wieder verschwindet – wird im Interventionismus zur ständigen Einrichtung.

Die Obrigkeit, die diesen Zustand ja nicht wollte, muß also wieder eingreifen. Sie zwingt die Unternehmer, entweder die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen und zu dem vorgeschriebenen Satz zu entlohnen oder Abgaben zu leisten, von deren Ertrag an die Arbeitslosen Unterstützungen gezahlt werden. Durch diese Belastung wird das Einkommen der Besitzer und der Unternehmer aufgezehrt oder doch stark vermindert; es ist sogar nicht unberechtigt, anzunehmen, daß die Last von den Unternehmern und Besitzern nicht mehr aus dem Einkommen getragen werden kann, sondern nur aus dem Vermögensstamm. Aber selbst wenn wir nur damit rechnen wollten, daß das nicht aus Lohnarbeit herrührende Einkommen durch diese Lasten erschöpft wird, ohne daß schon zu ihrer Bestreitung Kapital angegriffen werden müßte, erkennen wir, daß es zu Kapitalsaufzehrung kommen muß. Kapitalisten und Unternehmer wollen auch leben und konsumieren, wenn sie kein Einkommen erzielt haben; sie werden dann Kapital aufzehren.

Es ist eben – in dem Sinne, von dem wir oben sprachen – zweck- und sinnwidrig, den Unternehmern, Kapitalisten und Grundbesitzern das Einkommen zu nehmen und ihnen die Verfügung über die Produktionsmittel zu belassen; daß Kapitalsaufzehrung schließlich die Löhne wieder herabdrücken muß, ist klar. Will man die Lohnbildung des Marktes nicht hinnehmen, dann muß man das ganze System des Sondereigentums beseitigen; durch Lohntaxen kann man das Lohnniveau nur vorübergehend und nur um den Preis künftiger Lohnreduktionen heben.

Das Problem der Lohntaxen hat für die Gegenwart so ungeheure Bedeutung, daß wir es noch an einem zweiten Schema erörtern müssen, das die Verhältnisse des internationalen Güteraustausches berücksichtigt. Zwei Länder, Atlantis und Thule, stehen im wechselseitigen Güteraustausch. Atlantis liefert Industrieerzeugnisse, Thule Bodenfrüchte. Nun findet Thule – man verehrt dort List – es für notwendig, eine eigene Industrie durch Schutzzölle ins Leben zu rufen. Der Enderfolg der (durch den Schutzzoll künstlich bewirkten) Industrialisierung Thules muß der sein, daß nun weniger Industrieprodukte aus Atlantis bezogen, dagegen aber auch weniger Bodenerzeugnisse nach Atlantis geliefert werden. Beide Länder befriedigen ihre Bedürfnisse nun in höherem Maße unmittelbar durch die inländische Erzeugung, wobei freilich, weil nun unter weniger günstigen Bedingungen produziert wird, das Sozialprodukt kleiner ist als früher.

Zu diesem Endergebnis kommt es auf folgendem Wege: Auf die Zollbelastung ihrer Produkte in Thule antwortet die atlantische Industrie durch Herabsetzung der Löhne. Doch es ist nicht möglich, die ganze Zollbelastung durch Lohnreduktion wettzumachen. Denn in dem Augenblicke, in dem die Löhne zu sinken beginnen, wird für die Urproduktion die Erweiterung des Anbaus rentabel. Anderseits wird der Rückgang des Absatzes der thuleanischen Bodenerzeugnisse in Atlantis den Lohn in der Urproduktion in Thule senken und der Industrie Thules die Möglichkeit bieten, mit Hilfe der verbilligten Arbeitskraft der atlantischen Industrie Konkurrenz zu machen. Daß – neben dem Rückgange des Ertrages der in der Industrie von Atlantis investierten Kapitalien und der Grundrente in Thule – in beiden Ländern auch der Arbeitslohn sinken muß, leuchtet ohne weiteres ein. Dem Rückgang des Sozialprodukts entspricht die Schmälerung des Einkommens.

Nun aber ist Atlantis ein »sozialer« Staat. Die Gewerkschaften verhindern die Ermäßigung der Löhne. Die Produktionskosten der atlantischen Industrie bleiben daher so hoch, wie sie vor Einführung des Zolles in Thule waren. Doch da der Absatz in Thule zurückgeht, muß es in Atlantis zu Arbeiterentlassungen in der Industrie kommen. Das Abströmen der Entlassenen in die Landwirtschaft wird durch Arbeitslosenunterstützungen verhindert. So wird die Arbeitslosigkeit zu einer dauernden Einrichtung.

Englands ausländischer Kohlenabsatz ist zurückgegangen. Soweit die dadurch überzählig gewordenen Bergleute nicht abwandern dürfen, weil man sie in anderen Ländern nicht aufnehmen will, müssen sie in jene englischen Produktionszweige übergeleitet werden, die ihre Produktion erweitern, um den Ausfall, der durch den Rückgang der Ausfuhr in der Einfuhr entstehen muß, zu bedecken. Der Weg, auf dem es zu diesem Ergebnis kommt, ist die Lohnsenkung im Kohlenbergbau. Gewerkschaftliche Lohnbildung und Arbeitslosenunterstützung hemmen diesen unausweichlichen Prozeß wenn auch für Jahre, so doch nur vorübergehend. Denn endlich muß das Ergebnis der Rückbildung der internationalen Arbeitsteilung eine Senkung der Lebenshaltung der Massen sein, und diese Senkung wird um so größer sein, je mehr Kapital in der Zwischenzeit durch die »soziale« Intervention aufgezehrt wurde.

Die Industrie Österreichs leidet darunter, daß in den Ländern, die ihr Absatzgebiet bilden, immerfort die Zölle erhöht und andere Hindernisse (z. B. durch die Devisenpolitik) der Einfuhr neu entgegengestellt werden. Sie kann auf Zollerhöhungen – wenn ihr nicht die Steuern ermäßigt werden – nur durch Herabsetzung der Löhne antworten. Alle anderen Produktionsfaktoren sind unbeweglich. Rohstoffe und Halbfabrikate müssen auf dem Weltmarkte eingekauft werden, Unternehmergewinn und Kapitalzins müssen – in Österreich ist ausländisches Kapital in stärkerem Maße investiert als österreichisches Kapital im Auslande – den Verhältnissen des Weltmarktes entsprechen. Nur der Lohn ist national bedingt, weil Abwanderung der Arbeiter in größerem Umfang – infolge der »sozialen« Politik des Auslandes – unmöglich ist. Nur der Lohn könnte daher sinken. Die Politik, die den Lohn künstlich hoch hält und Arbeitslosenunterstützungen gewährt, schafft nur Arbeitslosigkeit.

Es ist unsinnig, aus der Tatsache, daß die Löhne in den Vereinigten Staaten höher sind als in Europa, zu folgern, daß man die europäischen Löhne erhöhen muß. Würden die Einwanderungsbeschränkungen in den Vereinigten Staaten, in Australien usf. fallen, dann könnten europäische Arbeiter abwandern, wodurch dann allmählich eine internationale Angleichung des Lohnniveaus angebahnt werden könnte.

Die Arbeitslosigkeit von Hunderttausenden und Millionen als Dauererscheinung auf der einen Seite und die Kapitalaufzehrung auf der andern Seite sind die Folgen des Interventionismus: der künstlichen Hochhaltung der Löhne durch die Gewerkschaften und der Arbeitslosenunterstützung.

Auszug aus “Kritik des Interventionismus” (1929) von Ludwig von Mises, S. 31 – 39, AKSTON Verlag.

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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