Heute vor 90 Jahren: das Ende der deutschen Hyperinflation

15.11.2013 – von Thorsten Polleit.

Thorsten Polleit

Heute vor 90 Jahren, am 15. November 1923, wurden die entscheidenden Schritte eingeleitet, um den Alptraum der Weimarer Hyperinflation zu beenden: Die Reichsbank hörte auf, Schuldpapiere des Kaiserreiches aufzukaufen, und der Papiermark wurde die neu geschaffene „Rentenmark“ mit einem festem Wechselkurs zur Seite gestellt. Die Hyperinflation wurde so zwar erfolgreich gestoppt, die Kaufkraft der Papiermark war und blieb jedoch völlig ruiniert. Um verstehen zu können, was sich damals zutrug, und wie es überhaupt so weit kommen konnte, muss man zurückblicken auf die Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Im deutschen Kaiserreich wurde die Mark mit dem Münzgesetz vom 4. Dezember 1871 gesetzliches Zahlungsmittel mit dem Wert 1/1393 eines Pfundes Feingold; ein Gramm Gold entsprach damit drei Mark. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Goldeinlösepflicht der Reichsmark jedoch am 4. August 1914 aufgehoben. Aus der goldgeckten Mark (man sprach nachfolgend von der „Goldmark“) wurde die ungedeckte Papiermark.

Das Kaiserreich finanzierte die Kriegsausgaben zunächst vor allem durch Kredit; schließlich hoffte man auf einen „schnellen Sieg“; und dass Frankreich die Kriegskosten letztlich tragen würde. Die Staatsschulden stiegen von 5,2 Mrd. in 1914 auf 105,3 Mrd. Papiermark in 1918. Aber auch die Papiermarkmenge wuchs. Denn weil es ab 1916 immer schwieriger wurde, Abnehmer für die Kriegsschulden zu finden, sprang die Reichsbank ein. Sie kaufte die Papiere und bezahlte mit neu gedrucktem Geld. 1914 betrug die Papiermarkgeldmenge knapp 5,9 Mrd. Papiermark, 1918 war sie bereits auf 32,9 Mrd. Papiermark angewachsen. In der Zeit von August 1914 bis November 1918 stiegen die Großhandelspreise um 115 Prozent, die Kaufkraft der Papiermark wurde also mehr als halbiert. In der gleichen Zeit wertete die Papiermark (an der Berliner Börse) um etwa 84 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab.

Das furchterregend-beklemmende „Delirium der Milliarden“ nahm in der Nachkriegszeit seinen unheilvollen Lauf. Die neue Weimarer Republik sah sich gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen gegenüber. 1920 betrug die Industrieproduktion nur 61 Prozent des Niveaus von 1913, 1923 war sie auf 54 Prozent gefallen. Die durch den Versailler-Vertrag erzwungenen Landabtretungen hatten die Leistungsfähigkeit des Reiches geschwächt. Hinzu kamen Reparationsleistungen (im Mai 1921 wurden sie auf 132 Mrd. Goldmark festgesetzt), die in Fremdwährung und Naturalien zu leisten waren. Vor allem aber wollten die neuen demokratischen Regierungen der Weimarer Republik den Ansprüchen ihrer Wähler so umfassend wie möglich nachkommen. Weil die Steuereinnahmen dazu nicht ausreichten, begann die Reichsbank, die Notenpresse laufen zu lassen.

Bereits Ende 1919 war die Geldmenge auf knapp 51 Mrd. Papiermark angewachsen. Der Staatshaushalt blieb chronisch defizitär. Von April 1920 bis März 1921 betrug der Steueranteil an allen Staatsausgaben im Durchschnitt weniger als 37 Prozent, der Rest wurde mit Reichsbankkrediten, durch die neue Papiermark in Umlauf gebracht wurden, finanziert. Zwar besserte sich die Lage bis etwa Mitte 1922. Der Steueranteil aller Staatsausgaben erreichte sogar im Juni kurzzeitig 75 Prozent. Doch dann brach sich das Unheil Bahn: Die Auseinandersetzung um den angeblichen Rückstand der deutschen Reparationszahlungen, die bereits gegen Ende 1922 begann, ebnete den Weg in das deutsche Währungsdesaster.

Französische und belgische Truppen besetzten zwischen dem 11. und 16. Januar 1923 das Ruhrgebiet, das industrielle Herzstück des Reiches. Die deutsche Regierung unter Reichskanzler Wilhelm Kuno (1876 – 1933) rief am 13. Januar 1923 zum „passiven Widerstand“ auf: Belegschaften und Betriebe in den besetzten Gebieten sollten sich den Befehlen der Besatzer widersetzen. Die Reichsregierung sicherte die Lohnfortzahlungen für das Nicht-Arbeiten zu. Der deutsche Staatshaushalt wurde durch die Verpflichtungen, die der „Ruhrkampf“ mit sich brachte, nun völlig überfordert. Die Reichsbank begann, die staatlichen Zahlungen durch das Drucken von immer neuem Geld bedingungslos zu finanzieren: Steuerausfälle, Auszahlungen für Löhne, Sozialleistungen und Subventionen für defizitäre Staatsbetriebe.

Im Mai 1923 geriet die Papiermarkgeldmenge außer Rand und Band. Im Mai 1923 stieg sie auf 8.610 Mrd., im April waren es bereits 17.340 Mrd., im August 669.703 Mrd. und im November 1923 waren es dann 400 Trillionen (also 400 x 1018) Mrd. Die Großhandelspreise stiegen mit astronomischen Raten, von Ende 1919 bis November 1923 um 1,813 Prozent. Am Ende des Krieges 1918 hätte man theoretisch fünfhundert Milliarden Eier für das gleiche Geld erwerben können, für das man fünf Jahre später ein einziges Ei kaufen konnte. Der Außenwert der Papiermark fiel ins bodenlose. Im Juli 1914 entsprachen 4,2 Reichsmark einem US-Dollar; und ein US-Dollar entsprach damals 1/20,67 Feinunzen Gold. Bis November 1923 hatte sich der Papiermarkpreis (an der Berliner Börse) für einen goldgedeckten Greenback um 8,912 Prozent verteuert. Die Papiermark hatte im Grunde nur noch „Brennwert“.

Mit dem Zusammenbruch des Geldes explodierte die Arbeitslosigkeit. Seit Kriegsende war sie stets sehr niedrig gewesen – weil die Wirtschaft durch Staatsausgaben, finanziert durch Kreditaufnahmen und Geldmengenausweitungen, künstlich in Gang gehalten worden war. Die Arbeitslosenquote war Ende 1919 bei 2,9 Prozent, 1920 bei 4,1 Prozent, 1921 bei 1,6 Prozent und 1922 bei 2,8 Prozent. Mit dem herannahenden „Tod des Geldes“ änderte sich das. Im August 1923 war sie bereits bei 6,3 Prozent angelangt, dann stieg sie auf 19,1 Prozent im Oktober, 23,4 Prozent im November und erreichte 28,2 Prozent im Dezember. Weite Teile der Bevölkerung, vor allem der Mittelstand, verarmten. Die Hyperinflation zerstörte die bürgerliche Gesellschaft. Die Deutschen litten an Hunger und Kälte. Es gab kommunistisch angetriebene Unruhen in Sachsen und Thüringen von Januar bis September 1923. Adolf Hitler (1889 – 1945) versuchte am 8. und 9. November 1923 in München durch einen bewaffneten Putsch die Regierung in Berlin abzusetzen und die Macht zu erlangen. Die neue Republik stand am Rande des Bürgerkrieges.

Reichskanzler Gustav Stresemann (1878 – 1929) hatte den „Ruhrkampf“ bereits am 26. September 1923 beendet. Angesichts der untragbaren Situation begann die Regierung mit der „Stabilisierung“ der Währung. Am 15. Oktober 1923 wurde die „Deutsche Rentenbank“ gegründet. Sie sollte Rentenmark ausgeben, die durch (im Grunde fiktive) Hypotheken- und Grundschulden auf Immobilien von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe im deutschen Reich gedeckt war. Die Rentenmark hatte, anders als die Papiermark, eine sachliche Deckung. Die Rentenmark war kein gesetzliches Zahlungsmittel, sie war eine Inhaberschuldverschreibung. Ihr wurde der Wert einer Goldmark zugewiesen. Dieser Wert rührte aus dem Versprechen der Rentenbank, dass der Halter von 500 Rentenmark sie jederzeit in eine Anleihe mit einem Wert von 500 Goldmark eintauschen könne.

Das zentrale Problem war nun die Reichsbank. Ihr unkündbarer Präsident Rudolf E. A. Havenstein (1857 – 1923) war im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu stoppen: Er ließ angesichts der Finanzierungsprobleme des Reiches die Reichsbank immer mehr Papiermark in Umlauf bringen. Endlich, am 15. November 1923, hörte die Reichsbank auf, Staatsschulden aufzukaufen und dadurch die Geldmenge auszuweiten. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass eine Billion Papiermark einer Rentenmark entsprachen. Am 20. November 1923 verstarb Havenstein plötzlich an Herzversagen. Und an genau diesem Tag schreitet Hjalmar Schacht (1877 – 1970), der bereits am 12. November 1923 von Stresemann zum Währungskommissar bestellt worden war und am 22. Dezember 1923 zum Reichsbankpräsidenten ernannt werden sollte, zur Tat. Er stabilisierte die Papiermark gegenüber dem US-Dollar: Die Reichsbank intervenierte in den Devisenmärkten, setzte durch, dass 4,2 Billionen Papiermark einem US-Dollar entsprachen. Und da eine Billion Papiermark einer Rentenmark gleichgesetzt waren, betrug nun das Austauschverhältnis zwischen Rentenmark zu US-Dollar 4,2. Also galt genau die Wertrelation wieder, die vor Ausbruch des Krieges zwischen Reichsmark und US-Dollar gegolten hatte. Das „Wunder der Rentenmark“ ist zugleich das Ende der Hyperinflation. Um die internationale Glaubwürdigkeit des deutschen Geldes wiederherzustellen, waren allerdings weitere Maßnahmen notwendig wie zum Beispiel die Gründung der „Golddiskontbank“ mit Hilfe britischer Kredite im April 1924.

Wie konnte es dazu kommen, dass das Geld eines hoch entwickelten und kultivierten Gemeinwesens vollends zerstört wurde? Viele Erklärungen sind vorgebracht worden. So seien es die Reparationszahlungen gewesen, die dem Deutsche Reich auferlegt wurden; auch wird häufig auf die Zahlungsbilanzdefizite der Weimarer Republik verwiesen oder auf die Abwertung der Reichsmark gegenüber anderen Währungen, die die Importpreise für die Deutschen und damit auch die heimischen Preise in die Höhe getrieben und den Geldwert zerstört hätten. Doch all diese Erklärungen laufen ins Leere, wie der deutsche Ökonom Hans F. Sennholz (1922 – 2007) unmissverständlich aufzeigt. Denn jede Papiermark, so Sennholz, wurde von Deutschen gedruckt und ausgegeben, und zwar von einer Zentralbank, die geführt wurde von Deutschen, und die unter der Aufsicht einer Regierung von deutschen Politikern stand. Die Hyperinflation, die Zerstörung des deutschen Geldes, war das Werk deutscher Politiker und Technokraten. Sie war die Folge einer bewusst, von Menschenhand herbeigeführten grenzenlosen Geldmengenvermehrung.

Was sind die Lehren, die aus der deutschen Hyperinflation zu ziehen sind? Die erste Lehre ist, dass selbst eine politisch unabhängige Zentralbank keinen verlässlichen Schutz vor Geldwertzerstörung bietet. Die Reichsbank wurde per Gesetz bereits im Jahr 1922 – und zwar auf Drängen der Alliierten, quasi als Gegenleistung für eine vorübergehende Aussetzung der Reparationszahlungen – politisch unabhängig gemacht. Und dennoch wählte die Reichsbankführung den Weg in die Hyperinflation. Als die Geldpolitiker der Reichsbank nämlich sahen, dass die junge demokratische Republik immer stärker auf Reichsbankkredite zurückgreifen musste, um nicht zahlungsunfähig zu werden, gab sie, weil es sich aus Sicht der Zentralbankführung um eine Existenzfrage des deutschen Reiches handelte, immer mehr Geld aus, um die letztlich leider unstillbaren Finanzansprüche der (Tages-)Politiker zu erfüllen. Das Ergebnis der Staatstreue der Zentralbankräte war die totale Zerstörung der Reichs- beziehungsweis Papiermark.

Die zweite Lehre ist, dass ungedecktes Papiergeld nicht funktionieren kann. Hjalmar Schacht, in seiner 1953 erschienen Autobiographie, deutet diese Erkenntnis an: „Die Banknote oder das Staatspapiergeld haben sich nur dadurch einführen können, daß der Staat oder die Notenbank versprachen, den ausgegebenen Papiergeldschein jederzeit in Gold umzutauschen. Diese Möglichkeit der Einlösung in Gold jederzeit sicherzustellen, muss also das Bestreben aller Papiergeldherausgeber sein. Ein Staat oder eine Notenbank, die diese Möglichkeit durch Fahrlässigkeit oder Willkür verscherzen, versündigen sich gegen die Staatsbürger.“ Hinter Schachts Worten versteckt sich letztlich jedoch eine zentrale ökonomische Einsicht: ungedecktes (Papier-)Geld ist politisches Geld, das sich als ein Störfaktor im System der freien Märkte erweist. Die Vertreter der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ hatten das bereits frühzeitig, im Grunde bereits 1912, abschließend erkannt und erklärt.

Das Papiergeld, das durch Bankkreditvergabe aus dem Nichts geschaffen wird, ist nicht nur chronisch inflationär, es führt vor allem auch zu Fehlentwicklungen, „Boom-und-Bust“-Zyklen und vor allem einer Überschuldung der Volkswirtschaft. Und ist eine solche Situation erst einmal entstanden, vor allem eine Überschuldung von Staaten und Banken, erscheint das Ausweiten der Geldmenge als die Politik des vergleichbar kleinsten Übels um den aufgelaufenen Problemen zu entkommen. Im Grunde ist der Problemaufriss, denen sich die entwickelten Volkswirtschaften gegenübersehen, nicht viel anders als der in der Weimarer Republik: Heute, angesichts der Überschuldung von Staaten und Banken, ist die Versuchung wieder groß, dass die Drehzahl der – diesmal elektronischen – Notenpresse immer weiter erhöht wird, um den Problemen, die das Papiergeld gebracht hat, zu entkommen.

Dieser Beitrag wurde in ähnlicher Form in der Börsen-Zeitung bereits am 14. November 2013 veröffentlicht.

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Thorsten Polleit, 45, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Zuvor war er 12 Jahre als Ökonom im internationalen Investment-Banking in London, Amsterdam und Frankfurt tätig. Seit 2003 ist Thorsten Polleit Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance, Frankfurt, Interessen- und Forschungsschwerpunkt Kapitalmarkttheorie, Geldpolitik und –theorie und insbesondere auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“. Er ist zudem Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, und Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME). Seit Oktober 2012 ist Thorsten Polleit Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungsmitglied und Partner von „Polleit & Riechert Investment Management LLP“. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

 

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