Freihandel schützt vor Misswirtschaft: Beispiel Kenia

3. Mai 2019 – von Mary Lucia Darst

Am 21. März 2019 meldete die BBC, dass „chinesische Importe die Fischer zur Verzweiflung treiben“. Vom Titel her könnte man meinen, es würde einmal mehr um den Handelskrieg zwischen den USA und China gehen – der Artikel handelt jedoch von den Beziehungen zwischen Kenia und China. Die Situation, die dort beschrieben wird, ist beispielhaft für die Verquickung von Umweltschutz, Wirtschaft, Bevölkerungsentwicklung und den Reaktionen der Gesellschaft.

Die Wurzel des Problems ist der Viktoriasee – Kenias Hauptquelle für Süßwasserfisch. Jahrzehntelange rücksichtslose Nutzung und Raubbau an der Natur haben dazu geführt, dass die Fischbestände stark zurückgegangen sind und der See so verschmutzt ist, dass die übriggebliebenen Fische ungenießbar sind. Die wachsende Bevölkerung lässt sich aus örtlichen Quellen nicht mehr versorgen – also sind die Fischhändler auf Zuchtfisch aus China ausgewichen.

Anhand der Situation kann man lehrbuchhaft sowohl für als auch gegen Freihandel argumentieren. Ein von der BBC interviewter Lkw-Fahrer meint dazu: „Dank chinesischem Tilapia können auch arme Menschen nun nahrhaften, proteinreichen Fisch essen.“ Außerdem wird erwähnt, dass der Fahrer 300 USD am Tag verdient, was weit mehr ist als der durchschnittliche Monatsverdienst dort. Dies sind die Vorteile des Freihandels – billiges, gesundes Essen, und Arbeit für Niedrigqualifizierte.

Aber es gibt auch eine Schattenseite in Form der kenianischen Fischer. Es stimmt zwar nicht, dass sie von der chinesischen Konkurrenz vollständig verdrängt werden. Der Reportage zufolge bevorzugen die Menschen zwar örtlichen Fisch, allerdings haben sich die Menschen schon lange Sorgen wegen der Verschmutzung des Viktoriasees gemacht. Und vernünftige Menschen essen keine kontaminierten Lebensmittel. Die Nachfrage nach örtlichem Fisch sank bereits lange bevor gezüchteter, unverseuchter Fisch auf dem Markt angeboten wurde.

Mit zunehmender Verschärfung des Problems, für das sie direkt verantwortlich waren – nämlich der Überfischung – stiegen auch die Kosten der örtlichen Fischer. So erzählt zum Beispiel ein Mann der BBC, dass das Fischen in den küstennahen Fischgründen nun von der Regierung verboten worden sei, die so die Fischbestände wieder aufbauen möchte. Die Fischer müssen nun mehr Geld für Kraftstoff ausgeben, um weiter auf den See hinaus zu fahren, oder Geld für Strafen, wenn sie zu nahe an der Küste bleiben. Außerdem beschwert sich der Mann, dass die Fischer Schwierigkeiten haben, ihren Fang zu verkaufen, wenn sie doch welchen machen. Die Fischer geben der chinesischen Konkurrenz die Schuld, was genau so verständlich wie kurzsichtig ist. Die Fischerlobby schaffte es sogar einmal für kurze Zeit, dass Importhürden sie vor der chinesischen Konkurrenz schützten. Diese wurden jedoch schnell wieder aufgehoben.

Die Moral dieser armseligen Geschichte lautet, dass der Freihandel die unangenehme Eigenschaft hat, dass sich Inkompetenz oder Mangel an Weitsicht von Einzelnen oder Gruppen nicht länger verbergen lassen. Noch deutlicher formuliert: Er entlarvt die Menschen gegenüber unvoreingenommenen Betrachtern als die Schuldigen ihres eigenen Scheiterns. Zwar sind bei unserem Beispiel die Fischer nicht an der chemischen Verunreinigung des Sees schuld, aber sie und ihre Vorgänger sind an der Überfischung sehr wohl schuld, die nicht mit der Verschmutzung zusammenhängt. Überfischung ist nichts anderes als Kapitalverzehr bei einem Investment – irgendwann ist nichts mehr übrig.

Auf kleinster Ebene, in einem Dorf zum Beispiel, mag man zwar Mitgefühl, nicht jedoch Mitverantwortung empfinden, wenn man zusehen muss, wie Eltern die Substanz der Familie aufbrauchen und wenig oder nichts für die Kinder lassen. Der Rest der Gemeinschaft kann schließlich nichts für die Kurzsichtigkeit einer einzelnen Familie, oder in unserem Fall einer Gruppe von Menschen. Dies ist noch weniger der Fall, wenn dieselben Fehler über Generationen wiederholt werden – zum Beispiel, eine Ladung Fisch zu fangen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, sie zu verkaufen, gering ist, und der Fischbestand stetig zurückgeht.

Und doch ist Handelsprotektionismus genau das: Man bestraft die Gesellschaft für die Fehler einer kleinen Gruppe. Im Fall der kenianischen Fischer wurden deren besondere Privilegien nicht wieder abgeschafft, weil die Regierung plötzlich anfing, an den freien Markt zu glauben (dem Report nach hatte sie anscheinend nicht das geringste Problem damit, den Menschen nur die Wahl zwischen keinem Fisch oder vergiftetem Fisch zu lassen), sondern weil die Chinesen auf dem diplomatischen Weg intervenierten.

Für manche Fischer ist die Situation wohl noch schwieriger zu ertragen, weil sie denken, sie seien qualifizierte Arbeiter, während der Lkw-Fahrer ein ungelernter Niemand sei, dessen Wohlstand nicht im Verhältnis zu seiner Qualifikation stehe. Fairerweise muss man sagen, dass davon in der Reportage über die kenianischen Fischer nichts zu spüren ist, aber in Industrieländern sieht das schon anders aus. Um zum Beispiel der Fischer zurückzukehren: Wir sollten uns nicht von emotionaler Rhetorik wie „zur Verzweiflung getrieben“ beeinflussen lassen, und uns fragen, was daran qualifiziert ist, einfach eine Ressource bis zur Erschöpfung auszubeuten.

Wenn wir statt des Wortes „Fisch“ ein Wort für eine beliebige andere Branche in vergleichbaren Situationen verwenden, ergibt sich die Formel für die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Freihandel. Die Widersprüche und das Scheitern kleiner Gruppen werden für alle sichtbar. Und der Rest der Gesellschaft wird kein besonderes Mitleid haben, insbesondere wenn ihr Geldbeutel oder ihre Gesundheit davon betroffen sind. Es stimmt zwar, dass Freihandel in diesem Sinne die Gesellschaft spalten kann. Aber auch nicht mehr als der Protektionismus, da vor der Verfügbarkeit des chinesischen Zuchtfischs Fisch ein Luxus war, und nicht Teil einer normalen ausgewogenen Ernährung. Vielleicht ist es ja auch eine Ironie des Freihandels, dass er Ländern die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, woran sich die Gesellschaft spalten soll – in diesem Fall am Wohlstand oder an der Gesundheit.

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Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne. Der Originalbeitrag mit dem Titel Kenya’s Fishing Crisis Reminds Us of the Benefits of Free Trade ist am 23.4.2019 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

Mary Lucia Darst schloss ihr Studium an der Columbia University mit einem MA in Geschichte und Literatur ab. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin und Forscherin ist sie auch als klassische Musikerin tätig.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: © jarek106 – Fotolia.com

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