„Politik zwischen Wirklichkeit und Utopie“. Der Konferenzbericht
26. September 2018 – Von den Utopien der Gleichheit, der „Bobos“, der Politischen Korrektheit und des „3. Weges“ der Sozialen Marktwirtschaft. Bericht von der 6. Jahreskonferenz des Ludwig von Mises Instituts Deutschland
von Andreas Tiedtke.
Der herausragende Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie, Ludwig von Mises (1881 – 1973), sagte bereits am Schluss seines 1949 erschienenen Hauptwerkes voraus, dass politische Utopien, die die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie ignorieren, zwingend scheitern müssen:
„Das ökonomische Wissen ist ein Grundpfeiler der menschlichen Zivilisation; es ist das Fundament, auf dem die moderne Industrieproduktion und alle moralischen, intellektuellen, technologischen und medizinischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts errichtet wurden. Es liegt an den Menschen, ob sie von diesem Wissensschatz Gebrauch machen oder ihn ignorieren. Wenn sie jedoch scheitern, die Erkenntnisse der Ökonomie bestmöglich anzuwenden, und stattdessen ihre Lehren und Warnungen in den Wind schlagen, dann werden sie nicht die ökonomischen Gesetze umgehen, sondern sie werden die Gesellschaft und die menschliche Rasse zerstören.“[1]
Die 6. Jahreskonferenz des Ludwig von Mises Instituts Deutschland am 15. September 2018 fand im ausverkauften Festsaal des Bayerischen Hofes in München statt. Vorstand Andreas Marquart und Präsident Thorsten Polleit freuten sich in ihren Begrüßungsreden nicht nur darüber, dass die Konferenz die bestbesuchte in der Geschichte des Instituts war, sondern auch darüber, dass die Internet-Publikationen und die Leserschaft ständig zunehmen. Auf der Homepage des Instituts, misesde.org, steht mittlerweile eine Bibliothek mit über 1.100 Aufsätzen und Artikeln zur Verfügung.
Andreas Marquart bedankte sich, dass er mit Roger Köppel von der Weltwoche und Dr. Thilo Sarrazin, dem ehemaligen Finanzsenator Berlins und Bundesbank-Vorstand, zwei bundesweit bekannte Referenten begrüßen durfte. Darüber hinaus gehörten zu den Vortragenden der in Frankreich lehrende Ökonom der Österreichischen Schule für Nationalökonomie, Professor Dr. Jörg Guido Hülsmann von der Universität Angers, sowie der Präsident des Instituts, Professor Dr. Thorsten Polleit.
Einwanderung und Bildung als Vehikel politischer Utopie
Thilo Sarrazin begann seinen Vortrag mit einem Hinweis darauf, was Utopie eigentlich bedeute. Mit dem Begriff Utopia meinte Thomas Morus (1478 – 1535): Den Ort, den es nicht gibt. Heute sei die Utopie der Gleichheit zu einem vorherrschenden politischen Leitmotiv geworden, das aber in der Wirklichkeit nicht bestehen könne.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) erkannte bereits, dass Gleichheit und Freiheit miteinander unvereinbar sind. Denn die Menschen nutzen ihre Freiheit zur Unterscheidung. Die einen möchten zum Beispiel weniger arbeiten, die anderen mehr (mit entsprechenden Folgen bei den Einkommen). Und die Menschen kleiden sich auch unterschiedlich und verfolgen auch ansonsten unterschiedliche Ziele. Vor diesem Hintergrund ist eine allgemeine Gleichheit also eine Utopie, wenn man an freie Menschen denkt.
Menschen sind auch hinsichtlich ihrer Fähigkeiten unterschiedlich. „Abstraktes Denken ist nicht jedem unbegrenzt zugänglich“, meinte Thilo Sarrazin, und er fügte scherzend hinzu, dass er deshalb „nur“ Volkswirtschaft statt Mathematik studiert habe. Den Politikern heute geht es aber darum, diesen Unterschied der Menschen in den persönlichen Fähigkeiten mit utopischer Ignoranz zu verwischen. Mit Ansätzen wie zum Beispiel der Inklusion wird versucht, Unterschiede unsichtbar zu machen. Natürlich stehe es außer Frage, dass aus einer moralischen Perspektive alle Menschen als Menschen gleich sind, gleichgültig ob körperlich oder in den geistigen Fähigkeiten benachteiligt, aber sie haben eben empirisch unterschiedliche Eigenschaften.
Die heutige Ideologie: Gleichschaltung und Universalismus
Die heutige Ideologie der Gleichschaltung, die viele Politiker vertreten würden, bezeichnete Thilo Sarrazin als „Universalismus“. Diesen Politikern schwebt die Idee eines Weltstaates vor. Das ist selbstredend ein großes Problem für die Freiheit der Menschen, denn wenn es ihnen in dem Weltstaat nicht mehr passt, wohin sollten Sie dann auswandern? Und auch in der heutigen Einwanderungspolitik der Bundesrepublik ist die Gleichheitsideologie erkennbar.
Wenn die Politik meint, dass mit mehr Einwanderung automatisch der Wohlstand erhalten oder gehoben werden kann, ist dies denklogisch falsch. Durch Einwanderung wird das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (BIP pro Kopf), also der Wohlstand, nur dann gemehrt, wenn die Einwanderer überdurchschnittlich produktiv sind. Ansonsten bleibt es gleich, oder das BIP pro Kopf sinkt sogar. Das sei völlig wertfrei gemeint, eben einfache Statistik. Im Hinblick auf menschliche Arbeit ist die Produktivität entscheidend – und nicht die Arbeitszeit, so Sarrazin. Die Statistik zeigt, dass die Gastarbeiterzuwanderung bislang das BIP pro Kopf vermindert hat.
Im Hinblick auf die Produktivität von Arbeit sind Faktoren wie Arbeitsethik, Motivation, kognitive Kompetenzen und akkumuliertes Kapital maßgeblich. Und die sogenannten PISA-Tests, also die Tests zum internationalen Vergleich kognitiver Fähigkeiten von 15-jährigen Kindern, zeigten, dass empirisch Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen der Welt bestehen. Grob könnte man die Rangfolge so beschreiben: Ostasien liegt an der Spitze, gefolgt von Mitteleuropa und Amerika, Südeuropa, dem nahen und dem mittleren Osten und Afrika. Als Faustregel gilt dabei: 25 PISA-Punkte entsprechen einem Schuljahr Vorsprung. Wendet man dies an, gelangt man zu dem Ergebnis, dass Kinder aus Singapur einen Vorsprung von 2 Jahren zu Kindern aus Deutschland haben und einen Vorsprung von rund 4 ½ Jahren zu Kindern aus der Türkei.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass die utopischen Ideen der Gleichheit nur verwirklicht werden können auf Kosten der Freiheit und des Wohlstandes. Man muss nach dem Motto verfahren: Die talentierten müssen auf das Niveau der weniger talentierten herabgedrückt werden. Ergebnisgleichheit macht die Entscheidungen der Menschen, unterschiedlich zu leben, rückgängig, und wenn man das Ziel der Wohlstandsmehrung verfolgt, kann man die Menschen im Hinblick auf ihre Produktivität nicht als gleich einordnen, weil dies empirischen Tatsachen widerspricht.
Bobos: Die neue Oberklasse der Bürokraten und Manager
Professor Dr. Jörg Guido Hülsmann berichtete in seinem Vortrag über die gelebte Utopie der neuen Oberklasse, der sogenannten Bobos. Den Begriff der Bobos verwendet der amerikanische Autor David Brooks (2000) in seinem Buch Bobos in Paradise: The New Upper Class and How They Got There (Deutscher Titel: Die Bobos – der Lebensstil der neuen Elite), und der Begriff Bobo ist die Abkürzung der Wortzusammensetzung Bourgeoise-Bohemien. Damit ist eine Oberschicht gemeint, die einerseits einen bürgerlich-materialistischen Lebensstil pflegt, anderseits aber in ihrem Selbstbild auch idealistisch-künstlerische Werte pflegt, und die das politische und kulturelle Leben zunehmend prägt.
Nach Robert Michels (1876 – 1936), Autor des Buches Soziologie des Parteiwesens (1911), in welchem er das eherne Gesetz der Oligarchie beschreibt, gibt es Eliten in jeder Gesellschaft. Das Wort Elite stammt von dem französischen Wort élire, das Auswählen bedeutet. In einer freien Gesellschaft wechseln sich die Eliten nach dem Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto (1848 – 1923) ab. Freie Gesellschaften beruhen letztlich auf Privateigentum, durch das die Menschen Unabhängigkeit vom Staat erlangen können. Aber Eigentum kann verfallen, und zwar physisch wie wertmäßig. In einer freien Gesellschaft sind manche Menschen besser in der Lage, anderen zu dienen, und diese besseren Diener erzielen Eigentum und werden die Eliten. Sie tragen Risiken und Verantwortung, und eine freie Gesellschaft kann sich nur entwickeln, wenn solche Risiken getragen werden. Durch die Privatisierung der Risiken haften die Eliten mit ihrem Privatvermögen.
In der heutigen Zeit des staatlichen Interventionismus macht sich der Staat jedoch zum Miteigentümer des Privateigentums, indem er, nicht nur über Steuern, sondern auch über staatliche Preisfixierung, Inflation oder Regulierung in das Eigentum eingreift. Damit bestimmen die staatlichen Akteure über Ressourcen, die sie nicht selbst besitzen.
Bobos: Entscheider zu Lasten Dritter
Die heutige Elite der Bobos sehe sich nicht als privat haftende, andern dienende Elite, sondern die Bobos hängen der Idee einer Meritokratie an: dass also die Verdienste, die besten Qualifikationen eines Menschen ausschlaggebend für seine soziale Stellung sein sollten. Konkret ist damit das Abschneiden in gewissen standardisierten Tests von Elite-Universitäten gemeint. Dies ist vergleichbar mit dem etwa 2.000 Jahre alten Prinzip des Mandarinentums in China. Den Bobos fehlt es nun aber an einer Orientierung an den Bedürfnissen der anderen. Sie treffen Entscheidungen unter Unsicherheit, und die Zukunft ist immer ungewiss, tragen jedoch nicht die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen.
Die Bobos von heute sind Manager, Verwalter, Beamte, Bürokraten, Richter – aber eben keine Eigentümer. Wenn Deutschland durch die Politik Angela Merkels verarmt, schmälert das die Pensionsansprüche der Bundeskanzlerin nicht, so Guido Hülsmann. Durch die Nicht-Verantwortlichkeit der Bobos, also dass sie die Folgen ihrer falschen Entscheidungen nicht wirtschaftlich zu tragen haben, kommt es zum sogenannten Dunning-Kruger-Effekt: einer grotesken Selbstüberschätzung der Bobos. Der Meritokratismus verkennt, was anderen wichtig ist, er orientiert sich nicht an den Bedürfnissen anderer. In der Meritokratie heißt es nicht „jedem nach seinen Bedürfnissen“, sondern „jedem nach seinen Fähigkeiten“, wobei die Bobos eben selbst festlegen, wie diese Fähigkeiten in standardisierten Tests gemessen werden.
Bobotum und Inflationskultur
Das Bobotum führt zu einem erhöhten Kapitalverzehr und einem kurzen Zeithorizont, weil Bobos als Manager und Bürokraten nur auf Zeit im Amt sind und den Apparat, den sie verwalten, nicht vererben können. In der heutigen Inflationskultur, in der der Staat durch Gelddrucken sein Tätigkeitsfeld ausweiten und Großkonzerne unterstützen kann, floriert das Bobotum. Bobos sind heute die neue administrative Kaste im Staatsdienst und in der Finanzindustrie. Durch den von ihnen propagierten Wohlfahrtsstaat kommt es zu einer Umverteilung von unten nach oben. Der Wohlstand wird hin zu einer Oberklasse verteilt, die diesen risikolos erhält.
In seinem Ausblick wies Guido Hülsmann darauf hin, dass die Bobos zu einer neuen Aristokratie werden könnten. In den USA gebe es bereits Politikerfamilien, wie die Bushs oder die Clintons, bei denen sich hohe Staatsämter in der Familie häuften, in Deutschland seien die Weizsäckers ein Beispiel.[2] Positiv könne jedoch wirken, so Hülsmann, dass Europa im Gegensatz zum alten China oder den USA über keine nennenswerte Ressourcen verfüge, sodass der Wohlstand Europas von der Arbeit der Bevölkerung abhängt, und unter dieser Bedingung ist fraglich, ob und wie weit die Bobos im Zuge des Wohlstandstransfers von den Steuerzahlern zur neuen Elite überhaupt zugelassen werden können.
Journalismus in Zeiten der Einheitsmeinung
Der Schweizer Publizist, Journalist und SVP-Nationalrat Roger Köppel begann seinen Vortrag Die andere Sicht – in Journalismus und Politik mit zwei prägenden Erkenntnissen, die er aus den Lehren Ludwig von Mises‘ gewonnen hat: Erstens, dass ein Staat, der verspricht, die Lebenslast der Bürger zu tragen, sich notwendig übernimmt, weil jeder seine eigene Lebenslast selber zu tragen hat. Und zweitens, dass die Wurzeln des heute so verbreiteten Anti-Kapitalismus in der neuen sozialen Mobilität liegen. Man lebt heute nicht mehr in einem Schichtenstaat, in der jeder seinen festen Platz hat, sondern in der Marktwirtschaft steigt derjenige auf, der die Bedürfnisse seiner Mitmenschen am besten befriedigt. Dies stachle den Neid derjenigen an, die sich als nicht so gute Diener ihrer Mitmenschen erweisen.
Eine große Gefahr im heutigen Journalismus sieht Köppel in der Einheitsmeinung. Er erinnerte dabei an das Top-Thema der 80er Jahre, das Waldsterben. Alle schrieben den gleichen Einheitsbrei. Die These, dass in der Zukunft womöglich nicht alle Bäume kaputt gehen würde, wurde in den Medien überhaupt nicht mehr vertreten. Die Berichterstattung im Schweizer Fernsehen in dieser Zeit zeigte Bilder von Geröllfeldern, als ob das Land schon baumfrei wäre, und der oberste Schweizer Militär wurde interviewt, wie das Militär mit der Bedrohung umgehen soll. Mit diesem dramatisierenden Vorgehen wurde ein Meinungsklima erzeugt, das keine Abweichungen mehr zuließ.
Auch bei Grüner Gentechnik, der Präsidentschaftswahl von Donald Trump oder dem sogenannten Brexit gibt es in den Leitmedien nur eine Sicht der Dinge. Der ganze journalistische Berufsstand ist sozusagen Partei. Diese Entwicklung bezeichnet Köppel als eine beunruhigende Gleichschaltung.
Die Medien fürchten die Gegenthese
Roger Köppel wies darauf hin, dass die Gegenthese ein elementarer Bestandteil der Dialektik sei, nicht nur in der Familie oder in der Firma, sondern überall. Das Gefährlichste, was einem als Entscheidungsträger passieren kann, ist, dass alle Leute im Raum derselben Meinung sind. Ein Sachverhalt muss rundum, sozusagen 360 Grad, betrachtet werden. Roger Köppel verwendete das Bild von dem Helikopter in dem Film The Day after Tomorrow, der blitzgefriert und abstürzt, als der Kälteschock hereinbricht. So etwa ergeht es heute einem Meinungsabweichler oder Vertreter einer Gegenthese in einer Redaktionskonferenz. Als weiteres aktuelles Beispiel dessen, was heute passiert, wenn einer den Gottesdienst stört, nannte Köppel die Diskussion um den deutschen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, der zurücktreten musste, weil er der Bundeskanzlerin widersprochen hat, und zwar unabhängig davon, ob seine Aussage den Tatsachen entsprochen hat oder nicht.
Der begabte Redner Roger Köppel verstand es, das Publikum zu begeistern. Er forderte dazu auf, trotz allem gegen die Einheitsmeinung dagegenzuhalten und eine kritische Sicht der Dinge zu äußern, auch wenn die Inquisitoren-Gesichter rot anliefen.
Die Utopie der Sozialen Marktwirtschaft
Professor Dr. Thorsten Polleit wies zu Anfang seines Vortrages darauf hin, dass ein Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Fortschritt nicht beliebig gestaltbar sei, sondern ökonomischen Gesetzen unterliege. Die Utopie der Sozialen Marktwirtschaft oder des sogenannten Dritten Weges stünden im Widerspruch zu diesen Gesetzen.
Bei dem Begriff der Sozialen Marktwirtschaft denken viele an Ludwig Erhard (1897 – 1977) und das deutsche Wirtschaftswunder. Dieser verkündete am Tag der Einführung der D-Mark, dem 18. Juni 1948, ohne den Segen der Alliierten, eigenmächtig das Ende der staatlichen Preiskontrollen, und gab damit den Startschuss für einen rasanten Aufschwung: Jetzt, wo sich Preise für Güter wieder frei am Markt bilden können, beginnen die Unternehmen zu produzieren, Arbeit wird nachgefragt und die Ladenregale füllen sich.
Allerdings hat Ludwig Erhard den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft weder geprägt noch hat er ihn geschätzt oder für politische Zwecke verwendet. Der Begriff stammt von dem deutschen Ökonomen Alfred Müller-Armack (1901 – 1978) und meint eine Marktwirtschaft mit staatlicher Wirtschaftslenkung.
Inhaltlich verkörpert der sogenannte Ordo-Liberalismus, der auch als Freiburger Schule bekannt ist und dessen prominentester Vertreter Walter Eucken (1891 – 1950) ist, das was heute gewöhnlich als Soziale Marktwirtschaft bezeichnet wird. Es geht darum, den Staat mittels einer Verfassung zu zähmen und einen Mittelweg zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus zu finden. Die Bürger behalten zwar formal ihr Eigentum. Aber der Staat schränkt die Verfügungsrechte der Eigentümer ein, und zwar durch Interventionen in das Markt- und Gesellschaftsgeschehen.
Ludwig von Mises legte dar, dass ein solcher Interventionismus ziel- und zweckfrei ist: Weil mit den Interventionen das von den Politikern angestrebte Ziel in einer Marktwirtschaft nicht erreicht werden kann. Das Gegenteil geschieht: Selbst aus Sicht derjenigen, die die Interventionen befürworten, werden widrigere Zustände herbeigeführt als vor der Intervention. Aber anstatt einzusehen, dass dies denknotwendig so ist, fordern die Politiker ein immer aggressiveres eingreifen. Aus ihrer Sicht sind immer mehr Interventionen notwendig, was schließlich zu einer Interventionsspirale und zum Übergang von der Marktwirtschaft in eine Kommando- und Befehlswirtschaft führt.
Warum die Mietpreisbremse nicht funktionieren kann
Ein Beispiel für staatliche Intervention ist die Mietpreisbremse. Durch die Inflationierung der Geldmenge steigen die Immobilienpreise und in Folge dessen die Mieten. Verbietet der Staat nun marktgerechte Mieten (mittels Mietpreisobergrenze), werden noch weniger Wohnungen gebaut, weil die Rentabilität sinkt. In der Folge verschlimmert sich die Wohnungsnot.[3]
Um staatliche Interventionen in den Markt verstehen zu können, ist es wichtig, das Phänomen Staat selbst zu analysieren: Der Staat ist der territoriale Monopolist, der die Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte hat, die auftreten – und zwar zwischen ihm und seinen Untergebenen und den Untergebenen untereinander. Zudem besteuert der Staat die Bürger und tut damit etwas, was niemand anderem gestattet ist: Jemand wird gegen seinen Willen etwas weggenommen, ohne jeglichen Anspruch auf Gegenleistung.
Ludwig Erhards Doktorvater über das Wesen des Staates
Wie kann der Staat dann jedoch entstanden sein? Ludwig Erhards Doktorvater, der deutsche Ökonom Franz Oppenheimer (1864 – 1943) meinte hierzu: Der Staat
„ist seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach … eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hat keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger.“
Der Staat als Einrichtung des Zwanges steht somit im Gegensatz zum Markt als Einrichtung des freiwilligen Austausches und diese Prinzipien sind als Gegensätze nicht miteinander vereinbar. Ludwig von Mises hat nicht nur die Undurchführbarkeit des Sozialismus nachgewiesen, sondern auch dass die Soziale Marktwirtschaft, also der Interventionismus, nicht dauerhaft durchführbar ist. Auch die Soziale Marktwirtschaft ist eine Utopie, so Thorsten Polleit.
Die Schlussfolgerung ist, dass es nur eine mögliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gibt: die freie Marktwirtschaft, die auch als Privatrechtsgesellschaft bezeichnet werden kann. Das mag für viele ein erschütterndes Ergebnis sein. Doch wenn man sich vor Augen führe, was die freie Marktwirtschaft im Kern ausmache, sei es alles andere als überraschend.
In einer freien Marktwirtschaft kann jeder Mensch sein Selbstbestimmungsrecht ausüben. Jeder Mensch besitzt unzweifelhaft ein Selbstbestimmungsrecht, das universell gültig ist, und man kann es nicht in Abrede stellen oder es widerspruchsfrei verneinen, denn wer es verneint, setzt es schon als gültig voraus.[4] Das Selbstbestimmungsrecht ist die Bedingung der Möglichkeit für Freiheit, Frieden und Wohlstand – das lässt sich ökonomisch zweifelsfrei darlegen.
Monopole, „weltstaatliche Lösungen“, Regulierung und das Prinzip Staat
Zum Abschluss der Veranstaltung gab es eine lebhafte Diskussions- und Fragerunde mit den Referenten.
Ein Teilnehmer der Konferenz meinte, der Staat sei doch zumindest nötig, um Monopole zu verhindern. Guido Hülsmann und Thorsten Polleit erklärten hingegen, dass Monopole vielmehr die Folge staatlicher Eingriffe in den Markt sind, wie zum Beispiel Lizenzen oder Patente. Ohne staatliche Eingriffe sind Monopole kaum vorstellbar. Der Bürger hat ja immer die Möglichkeit der Substitution, also ein Produkt durch ein anderes zu ersetzen. Will einer nicht Bahn fahren, kann er mit dem Auto oder dem Fahrrad reisen.
Ein zeitweises Monopol führt in einer freien Wirtschaft zu Wettbewerb: Am Anfang hat ein Unternehmen, das ein neues Produkt als erstes herausbringt, ein Monopol. Lassen sich hiermit Monopolgewinne erzielen, kommen Nachahmer mit den gleichen oder ähnlichen Produkten auf den Markt. Zudem werden Unternehmen umso ineffizienter je größer sie relativ zum Markt werden, weil sie nicht mehr auf das (externe) Preissystem zugreifen können. Dies wirkt dem Effekt der Economy of Scale (abnehmende Fixkosten) entgegen. Zwischen diesen beiden gegenläufigen Tendenzen müssen Unternehmen das Optimum stets neu herausfinden.
Thilo Sarrazin gab sich überzeugt, dass es für manche Problemstellungen staatliche Lösungen brauche, und für manche überstaatliche Problemstellungen sogar weltstaatliche Lösungen, wie zum Beispiel in der Luftfahrt oder beim Klimawandel. Nichtsdestotrotz liegen die Universalisten falsch, die alle Probleme der Welt auf der Weltebene lösen wollen. Kleinere Einheiten wie Nationalstaaten sind hier die Lösung.
Roger Köppel sagte, er sähe in der Regulierungsflut Deutschlands ein Problem, und er bewundere die Deutschen, wie sie das aushielten: „Wenn wir in der Schweiz solche Gesetze hätten wie die Deutschen, wären wir längst ein Armenhaus.“
Zum Abschluss der Veranstaltung gab Guido Hülsmann zu bedenken, dass das „Prinzip Staat“ nicht funktionieren könne. Der eine mag der Ansicht sein, dass die Armenfürsorge nicht von den Kirchen und privaten Stiftungen zu besorgen sei, sondern durch den Staat über Steuern. Der nächste möchte den Staat instrumentalisieren, um die Aufführung von Richard Wagners Opern durch den Steuerzahler bezahlen zu lassen, wieder ein anderer möchte einen Park haben. Es gibt keine logische Grenze der Staatstätigkeit, und die Erfahrung zeigt, dass es auch in der Praxis zu einem immer weiteren Ausgreifen des Staates kommt.
Die Diskussion der Podiumsteilnehmer untereinander und auch mit dem Publikum hat zutage treten lassen, wie weit sich die Politik mit ihren Aktionen von der Wirklichkeit entfernt hat und Utopien nachjagt. Und sie hat auch deutlich gemacht, dass der Staat, wie wir ihn heute kennen, vielfach das Problem selbst und nicht die Lösung von Problemen ist.
[1] Ludwig von Mises, Human Action (1949), S. 881.
[2] In Deutschland können hier des Weiteren genannt werden: Die Schäubles: Christine Strobl, Wolfgang Schäubles Tochter, ist Chefin eines sehr großen und einflussreichen Tochterunternehmens des staatlichen Rundfunks ARD. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist die Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Der Cousin des ehemaligen Innenministers im letzten Kabinett Merkel, Thomas de Maizière, war Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR. Darüber hinaus können zum Beispiel die Vogel-Brüder (Bernhard und Hans-Joachim) oder die Familie Franz-Josef Strauß‘ genannt werden.
[3] Die nächsten Interventionsschritte sind dann z. B. staatlicher Wohnungsbau oder Subventionen für den Wohnungskauf. Damit werden Mittel aus anderen Bereichen der Wirtschaft abgezogen, wo sie nach den Präferenzen der Konsumenten dringender gebraucht würden.
[4] Wer das Selbstbestimmungsrecht verneint, nimmt es ja bereits für sich in Anspruch. Die Verneinung des Selbstbestimmungsrechtes ist also ein performativer Widerspruch.
Dr. Andreas Tiedtke ist Rechtsanwalt und Unternehmer.
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Fotos: Ralph Malisch (Smart Investor) und Andreas Marquart