„Die Briten sollten sich unilateral der ganzen Welt öffnen“
7.11.2016 – Interview mit Philipp Bagus zum Thema „Freihandel“.
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Herr Bagus, vor einer Woche wurde das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada unterzeichnet. Ist jetzt alles gut?
Nein, es wurden zwar Handels- und Zollerleichterungen vereinbart, aber die Schranken wurden nicht vollständig beseitigt. Einzelne Beschränkungen und Zölle werden weiter bestehen. Auch soll das Privileg der Ideenmonopole („Geistiges Eigentum“) besser durchgesetzt werden, was einen Angriff auf das Privateigentum darstellt. Niemand darf sein Eigentum frei nutzen, wenn jemand anderes auf diese Verwendungsart ein Patent angemeldet hat. Aber im Großen und Ganzen würde ich CETA als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnen.
Worin unterscheidet sich CETA – gleiches gilt für TTIP – im Wesentlichen von wirklichem Freihandel?
Für Freihandel sind nicht riesige Vertragswerke nötig. Es braucht nur einen Satz: „Alles was eingeführt wird, darf rein, und alles was ausgeführt wird, darf raus.“ Fertig. Es handelt sich aber bei CETA eben nicht um reinen Freihandel, daher die langen Verhandlungen und das große Vertragswerk. Wirklicher Freihandel erfolgt auch unilateral. Nicht nach dem Motto, wenn ihr eure Zölle abbaut, nur dann senken wir auch die unseren. Nein, wirklicher Freihandel wird aus der Einsicht ermöglicht, dass Zölle allen schaden, dem exportierenden wie dem importierenden Land. Und wenn das Ausland Zölle erhebt und uns schädigt, warum sollen wir Zölle erheben, die zwar dem Ausland Schaden zufügen, uns selbst aber auch. Am besten ist es also, einseitig die Handelsbarrieren aufzuheben und durch das Beispiel die anderen dazu veranlassen, es uns gleich zu tun. Da braucht es keine langen Verhandlungen.
Was können wir zu diesem Thema von dem britischen Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo (1772 – 1823) lernen?
Ludwig von Mises taufte sein Assoziationsgesetz nach David Ricardo. Dessen Konzept der komparativen Vorteile erklärt, warum alle an Spezialisierung, Freihandel und Tausch ein Interesse haben. Selbst wenn eine Person oder ein Land in allen Aktivitäten absolut besser ist als alle anderen Personen oder Länder, lohnt sich die Spezialisierung und der Tausch. Denn in einigen Aktivitäten wird das Land oder die Person viel besser sein als die anderen Personen und Länder, und bei anderen Aktivitäten nur ein wenig besser. Dann lohnt es sich auf die Aktivitäten zu spezialisieren, bei der der Vorteil größer ist und die anderen Aktivitäten dem Tauschpartner zu überlassen. Es profitieren beide.
Wenn die Menschen „Freihandel“ hören, fürchten Sie Nachteile für sich, u.a. sehen sie den Verbraucherschutz in Gefahr. Was würden Sie ihnen entgegnen?
Die Verbraucher sind mündige Bürger und können selbst entscheiden, welche Produkte sie kaufen und zu konsumieren wünschen und welche nicht. Jeder sollte die Freiheit haben zu entscheiden, ob er ein Produkt kaufen will oder nicht. Diese Freiheit gilt es zu schützen. Und gerade das tut ja der Freihandel, er ermöglicht also erst den Verbraucherschutz. Er schützt den Verbraucher vor Zöllen und anderen Handelsbarrieren.
Wie könnte man sich Lösungen vorstellen, die ein lupenreiner Freihandel hinsichtlich der Qualitätssicherung von Produkten hervorbringt? Also beispielsweise, dass sich in Produkten keine Giftstoffe oder ähnliches befinden …
Wettbewerb und Eigentumsrechte sind – national und international – die besten Garanten für Qualitätssicherung. Wer garantiert beispielsweise, dass in einem Liter Milch mit 3,5% Fett auch wirklich dieses Produkt drin ist? Zum einen werden Wettbewerber, wenn sie feststellen, dass Konkurrenten nur 0,9 Liter mit 2% Fett in ihre Milchflaschen füllen, eine massive Werbekampagne lancieren, um die Konsumenten über die schlechte Qualität aufzuklären. Das Unternehmen, das nur nur 0,9 Liter oder gar Giftstoffe in der Milch hat, ist dann vom Markt verschwunden. Auch werden die Supermärkte, die im Wettbewerb stehen, genaue Tests machen, bevor sie Milchprodukte verkaufen, bzw. nur bekannte Marken ins Programm nehmen. Denn wenn sie Schummelprodukte schlechter Qualität verkaufen, fällt das auch auf sie zurück. Zum anderen gibt es dann natürlich noch den Weg über das Rechtssystem. Denn es liegt hier ja ein Betrug vor. Der Verkäufer hat gelogen und 0,9 Liter mit 2% Fett statt 1 Liter mit 3,5% Fett verkauft. Ob das verkaufte Produkt ausländischer oder inländischer Herkunft ist (die Milch aus Holland oder Deutschland kommt) spielt bei der Qualitätssicherung durch den Wettbewerb keine Rolle.
Worin liegt vor allem die Ursache für die Angst der Menschen vor freiem Handel?
In dem fehlenden ökonomischen Verständnis, das von politischen Interessen geschürt und ausgenutzt wird.
Welchen Rat würden Sie der EU mit auf den Weg geben, wenn es im Zusammenhang mit dem Brexit um künftige Handelsvereinbarungen mit den Briten geht?
Es sollte der Freihandel aufrecht erhalten werden mit der EU und die Briten sollten wie die Norweger, Isländer und Liechtensteiner in den Europäischen Wirtschaftsraum, den Europäischen Binnenmarkt, einbezogen werden. Den Briten sollte ihr Wunsch nach „Freihandel ohne Brüssel“ ermöglicht werden.
Vielfach hört man ja bezüglich des Brexits folgendes Argument: „Die Briten wollen nicht ihre Pflichten in der EU einhalten. Sie wollen nicht die Nachteile der EU, also die Regulierungen aus Brüssel und die Abgaben. Dann sollen sie auch nicht in den Genuss der Vorteile der EU kommen, nämlich freien Zugang zum Binnenmarkt. Wenn sie rausgehen, dann sollen die Briten Zölle zahlen. Wer raus geht, hat auch keine Privilegien mehr.“ Diese beleidigte und kindliche Reaktion auf den Brexit ist weitverbreitet. Sie geht in dem Punkt falsch, dass sie unterstellt, dass die normale, natürliche und für uns gute Situation, die des Protektionismus sei. Und wenn das normale und für uns vorteilhafte der Protektionismus ist, dann wird der Freihandel plötzlich zum Privileg, das im Fall der Briten nun unverdient sei.
Genau diese Annahme ist falsch. Die natürliche Situation ist die, dass ein Deutscher sich ein britisches Produkt, das ihm zusagt, kaufen kann. Dem Deutschen diesen Kauf zu untersagen, oder dem Briten den Verkauf zu untersagen, wenn er sich nicht durch einen Zoll freikauft, das ist eine unnatürliche und asoziale Situation. Das Einreißen der durch staatliche Gewaltandrohung errichteten Schranken für den internationalen Handel ist ebenso wenig ein Privileg, wie eine Steuererleichterung eine Subvention ist. Oder gewähre ich ein Privileg, wenn ich von meiner Gewohnheit abgehe, meinen Nachbarn regelmäßig zu schlagen? Wenn die EU mit den Briten Freihandel beibehält, ist das nur die Anerkennung des natürlichen und normalen Zustands.
Außerdem schaden Zölle und Handelsbarrieren beiden Seiten. Wenn wir unilateral Zölle auf britische Waren erheben, schaden wir nicht nur den Briten, sondern vor allem uns selbst. Britische Waren werden dann für uns teurer. Und warum sollten wir uns selbst schaden, nur weil die Briten nicht so gestimmt haben, wie die Politeliten in Brüssel das gerne gehabt hätten? Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir uns durch Zölle ins eigene Knie schießen sollten.
Die Briten ihrerseits sollten mit gutem Beispiel vorangehen, sich unilateral der ganzen Welt öffnen und eine neue Episode des Freihandels anstoßen. Genauso wie sie es schon einmal gemacht haben, als sie Mitte des 19. Jahrhunderts unilateral ihre Lebensmittelzölle aufhoben. Neutralität und Freundschaft gegenüber aller Welt sollten das Ziel sein. Singapur und Hongkong haben mit ihrem unilateralen Freihandel in der heutigen Zeit vorgemacht, wie es geht.
Vielen Dank, Herr Bagus.
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Weitere Informationen erhalten Sie im Vortrag Freihandel und „TTIP“, Ludwig von Mises Seminar 2016.
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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai 2014 ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”erschienen.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.