„QE“ – das Delirium der Milliarden
14.4.2014 – von Thorsten Polleit.
Liebäugeln mit „QE“
Am 4. April 2014 berichtete die F.A.Z., der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) liebäugele mit Anleihekäufen in Höhe von 1 Billion Euro (das ist eine 1 mit zwölf Nullen: 1.000.000.000.000) innerhalb eines Jahres. Es wäre eine Maßnahme, wie sie bereits in anderen Währungsräumen (Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Japan) praktiziert wird. Im nebulösen Fachjargon wird sie als „Quantitative Easing“ („QE“) bezeichnet. Mit dem QE werden vor allem drei Ziele verfolgt.
Erstens: Anleihekäufe der Zentralbank erhöhen die Nachfrage nach Anleihen, heben deren Kurse künstlich an und senken die Anleiherenditen ab. Durch niedrig gedrückte Zinsen soll die Euro-Kreditgeldpyramide vor dem Einsturz bewahrt werden.
Zweitens: Das QE soll eine drohende Deflation abwehren. Zur Deflation kommt es dann, wenn die Bankenkredit- und Bankengeldmenge fortgesetzt schrumpfen und einen Rückgang der Preise auf breiter Front auslösen. Durch QE kann die Zentralbank die Geldmenge vor dem Schrumpfen bewahren – und sie sogar nach politischem Belieben ausweiten (siehe hierzu die weiter untenstehenden Ausführungen).
Drittens: Durch EZB-Anleihekäufe soll die Inflation hochgehalten, vermutlich sogar in die Höhe getrieben werden, um die Kaufkraft des Euro herabzusetzen. Wenn gleichzeitig die Marktzinsen künstlich niedrig gehalten werden, wird die Anleiherendite nach Abzug der Inflation negativ. Schuldner entledigen sich so ihrer Schulden auf Kosten der Gläubiger.
Ein EZB-Aufkaufvolumen in Höhe von 1 Billion Euro innerhalb eines Jahres wäre kein kleiner Betrag. Er beliefe sich auf ungefähr 11 Prozent der Kreditmarktschulden aller Euro-Staaten; oder, sollte die EZB Wertpapiere von Nichtbanken kaufen, einer etwa 18 prozentigen Erhöhung der Geldmenge M1 und einer etwa 10 prozentigen Erhöhung der Geldmenge M3.
Von wem gekauft wird
Derzeit steht die Idee im Vordergrund, dass die EZB den Euro-Banken Kredite abkauft. Dadurch können die Bankbilanzen saniert und die Kreditvergabefähigkeit der Geldhäuser wiederhergestellt werden. Doch Bankkredite sind meist Buchkredite. Sie müssten erst verbrieft werden und könnten dann als gedeckte Anleihen (als „Asset Backed Securities“ kurz: „ABS“) gehandelt und von der EZB zum „Marktpreis“ aufgekauft werden.
Es ist übrigens weniger wichtig, was die EZB kauft, sondern vielmehr von wem sie es kauft: von Euro-Banken oder Nichtbanken. Im Januar 2014 wiesen die Euro-Banken Staatskredite (Buchkredite und Anleihen) von etwa 3.451 Mrd. Euro in ihren Bilanzen aus. Der Rest der Euro-Staatsschulden (es dürfte sich schätzungsweise um 5.391 Mrd. Euro handeln) liegt bei inländischen Nichtbanken sowie ausländischen Banken und Nichtbanken.
Wenn die EZB Anleihen von Euro-Banken kauft, kommt es „nur“ zu einer Erhöhung der Basisgeldmenge in den Bilanzen der Banken („Aktivtausch“). Die Überschussreserven der Banken steigen, und die Banken können sie nachfolgend zur zusätzlichen Kredit- und Geldschöpfung verwenden.
Kauft die EZB hingegen Nichtbanken (Versicherungen, Pensionskassen und privaten Sparern) Anleihen ab, so überweist sie den Kaufpreis direkt auf die Konten der Verkäufer. Dadurch steigen die nachfragewirksamen Geldmengen M1 und M3 an; durch die Überweisung steigt auch die Basisgeldmenge in den Händen der Banken. Was wären die Preiswirkungen?
Preiswirkungen
Vermutlich zielt der EZB-Rat vor allem auch darauf ab, die Geldmenge M1 bis M3 vor dem Schrumpfen zu bewahren beziehungsweise weiter anwachsen zu lassen. Würde die EZB beispielsweise Nichtbanken Staatsanleihen in Höhe von 1 Billion Euro abkaufen, so würde dadurch die Geldmenge M3 um etwa 10 Prozent ansteigen. Das wiederum könnte die Endverbraucherpreise stark anheben; denkbar wäre dabei ein Anstieg von etwa sieben Prozentpunkten (siehe hierzu die nachstehende Box).
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Geldmenge M3 und Preise im Euroraum
Die Wirkung, die ein Ausweiten der Geldmenge auf die Endverbraucherpreise hat, lässt sich nicht mit Exaktheit prognostizieren. Allerdings könnten die folgenden Überlegungen helfen, die Wirkung abzuschätzen. – Ursprünglich sollte die Geldmenge M3 im Euroraum um jährlich 4,5 Prozent ansteigen (gemäß dem sogenannten „Referenzwert“). Diese Geldmengenwachstumsrate errechnete sich wie folgt:
Δm = Δy + Δp – Δv.
Dabei steht Δm für das Geldmengenwachstum, Δy für das Trendwachstum, Δp für die Inflation der Endverbraucherpreise und Δv für die Änderung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Das angestrebte Wachstum der Geldmenge im Euroraum wurde auf 4,5 Prozent beziffert. Damit sollte ein Wirtschaftswachstum von ungefähr 2,0 Prozent, ein Preisanstieg von etwa 1,75 bis 2,0 Prozent sowie eine (abnehmende) Trendänderung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (in Höhe von etwa 0,75 Prozent) „finanziert“ werden.
In den letzten Jahren ist jedoch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes deutlich gefallen. Dies dürfte die Wirkung, die eine Ausweitung der Geldmenge M3 auf die Endverbraucherpreise hat, tendenziell schmälern. Allerdings spräche ein Ansteigen der Geldmenge M3 um 10 Prozent pro Jahr – auch unter Einrechnung eines stärkeren Rückgangs der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes – für einen immer noch beträchtlichen Geldentwertungseffekt von ungefähr sieben Prozent.
Der Grund, warum die Wirkung der Geldmengenausweitung auf die Inflation der Endverbraucherpreise in der jüngeren Vergangenheit abgenommen hat, mag vor allem auch daran liegen, dass die Geldmengenausweitung verstärkt in den Vermögenspreissteigerungen zutage getreten ist (man spricht hier von „Vermögenspreisinflation“), die aber nicht durch die Endverbraucherpreise erfasst werden. Der Kaufkraftverlust des Geldes wird jedoch nicht allein durch die Veränderung der Konsumentenpreise, sondern ebenso auch durch die Veränderung der Vermögenspreise (mit-)bestimmt.
Der Zusammenlauf von Geldmengenausweitung und Aktienkursen war bislang positiv im Euroraum: Ein Ansteigen der Geldmenge um 10 Prozent ging einher mit einem Ansteigen der Aktienkurse um durchschnittlich gut 6 Prozent. Die Aussicht auf eine QE-Politik, die die Geldmenge M3 ausweitet, könnte demnach für Kursauftrieb auf den Euro-Aktienmärkten sprechen. Vermutlich könnte schon die Ausweitung der Basisgeldmenge ausreichen, um die Aktienkurse in die Höhe zu treiben – so ist zumindest die Erfahrung, die mit der QE-Politik in den Vereinigten Staaten von Amerika und jüngst in Japan gemacht wurde (siehe die beiden folgenden Graphiken).
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Mittel- und längerfristige Folgen
(1) Schon die Ankündigung, die EZB werde Anleihen aufkaufen, wenn sie es für nötig hält, wirkt zinssenkend: Angesichts der Marktmacht der EZB, die sie als Geldmonopolist hat, wird sie die Marktakteure abhalten, auf steigende Zinsen zu wetten.
(2) Die Politik der niedrigen Zinsen verringert die Chancen, dass strauchelnde Staaten und Banken zahlungsunfähig werden. Misswirtschaftende Regierungen und Banken werden künstlich über Wasser gehalten. Korrigierende Marktkräfte werden außer Kraft gesetzt. Das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft wird dadurch schwer geschädigt.
(3) Die Politik der tiefen Zinsen beraubt die Volkswirtschaften ihres Kompasses: dem Zinssignal. Sparen, Konsum und Investieren geraten so zum Blindflug. Es kommt zu Fehleinschätzungen („Spekulationsblasen“) und Fehlinvestitionen auf breiter Front. Künstlich tief gedrückte Zinsen gaukeln eine „falsche Prosperität“ vor, schaffen bestenfalls einen konjunkturellen „Scheinaufschwung“, der früher oder später in sich zusammenbricht.
(3) EZB-Anleihekäufe würden beträchtliche Umverteilungswirkungen nach sich ziehen. Nehmen wir an, die EZB kauft Staatsanleihen von Peripherie-Staaten. Dadurch erspart sie es den Steuerbürgern in diesen Ländern, für die Misswirtschaft, die sie verantworten, geradezustehen: Die Zinslasten, die sie mit ihren Steuermitteln eigentlich tragen müssten, werden künstlich vermindert. Zudem werden die Käufer von Anleihen, die diese Länder begeben haben, vor Verlusten bewahrt (zudem noch mit Kursgewinnen belohnt). Die Steuerbürger in den Ländern, die besser gewirtschaftet haben, zahlen die Zeche, wenn die EZB die Staatsanleihen ihres Landes nicht kauft. Die Zinslast, für die sie mit ihren Steuerzahlungen aufzukommen haben, wird nicht künstlich gesenkt. Zudem müssen sie auch die Kosten tragen, die aus der Verminderung der Kaufkraft des Geldes folgt (und die sich notwendigerweise einstellt, wenn die EZB durch Anleihekäufe die Geldmenge ausweitet).
Schrecken ohne baldiges Ende
Nehmen wir an, die EZB kauft Anleihen von Italien und Frankreich. Dadurch steigt die Basisgeldmenge im Bankensektor, und die Zinsen französischer und italienischer Anleihen sinken. Die beiden Länder werden fortan ihre Zins- und Tilgungsleistungen an die EZB überweisen müssen. Durch diese Überweisungen sinkt aber die Geldmenge wieder (Basisgeld, aber auch M1 und M3), und auch der anfängliche Zinssenkungseffekt dürfte sich umkehren in einen Zinssteigerungseffekt.
Die EZB muss folglich – wenn sie verhindern will, dass die Geldmenge wieder schrumpft und die Zinsen steigen – die empfangenen Zins- und Tilgungszahlungen reinvestieren: Sie muss fortgesetzt Anleihen oder andere Aktiva kaufen. Mit anderen Worten: Die EZB könnte ihre Politik des Anleiheaufkaufens und des Zinsniederdrückens, wenn sie sie erst einmal begonnen hat, nicht ohne weiteres wieder beenden.
Ein Ausstieg aus dem Anleihekaufen erscheint politisch nur möglich, wenn (i) die Euro-Geschäftsbanken beginnen, ihre Kredit- und Geldschöpfung wieder aufzunehmen; oder wenn (ii) die EZB dazu übergeht, den Emittenten der Anleihen, die sie gekauft hat, die Zins- und Tilgungsleistungen zu stunden beziehungsweise zu erlassen. Die gekauften Anleihen würden dazu entweder zu den Anschaffungskursen in der EZB-Bilanz ausgewiesen, aber nicht mehr bedient, oder aber gegen das EZB-Eigenkapital abgeschrieben.
Wenn die Anleihen gegen das EZB-Eigenkapital abgeschrieben werden, erfolgt eine Sozialisierung nationaler Kreditschulden. Das Eigenkapital der EZB sinkt. Dadurch können keine Gewinne an die Anteilseigener der EZB ausgeschüttet werden, beziehungsweise das Eigenkapital der EZB müsste wieder eingezahlt werden – und dafür haben die Steuerbürger in den Euro-Ländern geradezustehen.
Die EZB würde zusehends Gläubiger von (schlechten) staatlichen Schuldnern. Je größer der Anteil von schlechten Schuldnern am EZB-Portfolio ist, desto stärker wird die EZB ihre Politik an den Wünschen der schlechten Schuldner ausrichten müssen: und die haben – der Blick in die leidvolle Geschichte des Papiergeldes legt das nahe – meist nichts dagegen, wenn die Schulden mit inflationärem Geld entwertet werden.
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Thorsten Polleit, 46, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Zuvor war er 12 Jahre als Ökonom im internationalen Investment-Banking in London, Amsterdam und Frankfurt tätig. Seit 2003 ist Thorsten Polleit Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance, Frankfurt, Interessen- und Forschungsschwerpunkt Kapitalmarkttheorie, Geldpolitik und –theorie und insbesondere auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“. Er ist zudem Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, und Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME). Seit Oktober 2012 ist Thorsten Polleit Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungsmitglied und Partner von „Polleit & Riechert Investment Management LLP“. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.