Der Ökonom: Nur Beruf oder Berufung? – Teil 2

26. August 2019 – Teil 1 des Beitrages finden Sie hier.

von Joseph T. Salerno

Joseph T. Salerno

Berufliche Ambitionen und die damit verbundene Kultur sind jedoch der Wahrheitssuche in der Ökonomie nicht nur abträglich – die beiden sind schlicht unvereinbar. Die Professionalisierung einer wissenschaftlichen Disziplin, insbesondere in den Sozialwissenschaften, geht fast immer einher mit zunehmendem staatlichem Interventionismus.

So fand Mises: „Die Entwicklung der Ökonomie zum Beruf ist ein Ableger des Interventionismus.“ Diese unvermeidliche Verbindung besteht aus zwei Gründen. Einerseits braucht der Staat eine Klasse von Intellektuellen und Spezialisten, die sich für ihn die vielfältigen Eingriffe in den Markt einfallen lassen, sie ausführen, und Begründungen dafür liefern. Andererseits sind die Intellektuellen, die nach dem regelmäßigen Einkommen und dem Prestige der Professionalisierung ihrer Disziplin streben, nur allzu bereit, all dies zur Verfügung zu stellen, da es für Intellektuelle stets sehr mühsam ist, mit Forschung und Veröffentlichung am freien Markt ein Einkommen zu finden.

Während sich der interventionistische Staat immer stärker entwickelt, schafft er gleichzeitig neuen Bedarf an ausgebildeten Experten, und die Universitäten erhalten mehr und mehr Subventionen vom Staat, um dieses Personal auszubilden. Die lukrativsten Positionen in diesem System erhalten natürlich zuerst diejenigen Ökonomen, die an vorderster Spitze der Professionalisierung ihrer Disziplin stehen, und deshalb am aktivsten den staatlichen Interventionismus befürworten.

Die Zeit während der zwei Weltkriege war sicher der Höhepunkt des staatlichen Interventionismus in den USA. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass der Trend der Professionalisierung der Ökonomie in den USA, der während der 1880er Jahre begonnen hatte, während dieser Zeit rasant Fahrt aufnahm. Wenn ein Staat in den Krieg zieht, braucht er professionelle Unterstützung bei der Planung und Lenkung der gewaltigen Ressourcen, die dafür nötig sind. Dabei entstehen massenhaft einträgliche und prestigeträchtige Arbeitsplätze für Wirtschaftsexperten und Spezialisten in den Büros und Planungskommissionen, die die Kriegswirtschaft zentral lenken.

In seinem brillanten Buch über die Professionalisierung der amerikanischen Ökonomie identifiziert Michael Bernstein klar die zentrale Rolle, die der Zweite Weltkrieg für den letztendlichen Erfolg dieser Bewegung gespielt hat:

Die neuartigen und pausenlosen Forderungen der nationalen Mobilmachung gaben der ökonomischen Theorie Gelegenheit, ihren Wert unter Beweis zu stellen. … Nicht Individualismus, sondern Etatismus sorgte für die besonderen Umstände, die es Generationen von Professionalisierern schließlich ermöglichten, ihre Träume in die Tat umzusetzen. … Es handelt sich um eine große Ironie der Geschichte, dass eine Disziplin, die für ihre systematische Darstellung der Vorzüge des freien, uneingeschränkten Marktes bekannt ist, ihre einzigartige Handlungsfähigkeit zuerst in der regulierten und kontrollierten Kriegsökonomie unter Beweis stellte.

Ihre Erfahrungen während des Krieges führten dazu, dass die Ökonomen die großartigen materiellen Möglichkeiten erahnen konnten, die eine dauerhafte Allianz zwischen ihrer Disziplin und dem amerikanischen Zentralstaat bieten würde. Ihre Antwort war eine formale Reorganisation der Disziplin und ihrer Ausbildungsmethoden und Anforderungen, um den Bedürfnissen des sich abzeichnenden „nationalen Sicherheitsstaates“ der Nachkriegszeit gerecht zu werden. Bernstein legt präzise dar, wie der Beruf des amerikanischen Ökonomen sich schließlich im Dienste des zentralisierten und interventionistischen, leviathanhaften Staates etablierte:

Der Zweite Weltkrieg bot die Gelegenheit einer ersten Demonstration der Vorzüge des zentralstaatlichen Füllhorns. … So ging man entschieden an die Neubewertung und Reorganisation der Ausbildung in der Disziplin, und legte die verschiedenen Unterdisziplinen und Methoden ausführlicher fest, und versuchte, einen Konsens bezüglich zentraler Prinzipien und politischer Empfehlungen zu erreichen. Der Hexenkessel der nationalen Mobilmachung sorgte also für die beginnende Entstehung einer professionellen Identität und eines professionellen Selbstbewusstseins, welches man zwar seit dem späten 19. Jahrhundert angestrebt hatte, das aber nicht wirklich erreichbar schien.

Weiter erwähnt Bernstein einige der obskuren Unterdisziplinen der professionalisierten Ökonomie, die als Antwort auf die Bedürfnisse des entstehenden amerikanischen Superstaates während der Zeit des Kalten Krieges entwickelt wurden, der für einen Zustand der permanenten Kriegsbereitschaft sorgte.

Die „Entscheidungsfindungs-Wissenschaften“ wie lineare Programmierung und operative Forschung wurden während des Zweiten Weltkriegs als Antwort auf die logistischen Herausforderungen der Versorgung von Truppen in den unterschiedlichen Übersee-Kriegsschauplätzen entwickelt. Die Spieltheorie wurde umgewidmet und verfeinert, um dabei zu helfen, Lösungen für typische strategische Militärfragestellungen des Kalten Krieges zu finden – mit großzügiger Finanzierung des Verteidigungsministeriums und insbesondere des Amtes für Marineforschung.

Und die Entwicklung sowohl der mathematischen Wachstumstheorie als auch der praktischen Anwendung der keynesianischen Makroökonomie, die typisch für die Neue Ökonomie der Kennedy-Zeit war, ließen sich größtenteils auf die Anforderungen des Kalten Krieges zurückführen. So schreibt Bernstein (2001, Seite 108) über die keynesianische Neue Ökonomie:

Die amerikanischen Ökonomen sahen sich nur allzu bereit, bei der Verwirklichung einiger der ambitioniertesten staatlichen Ziele des Kalten Krieges mitzuhelfen. … Eine vitale nationale Ökonomie war sehr wichtig, um sowohl Ressourcen für die Streitkräfte bereitzustellen, als auch um die Überlegenheit des amerikanischen Kapitalismus zu beweisen.

Die bemerkenswerte Verbreitung extrem spezialisierter Unterdisziplinen während und nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer Zersplitterung der ökonomischen Theorie – ein Anzeichen dafür war das Verschwinden der allgemeinen ökonomischen Abhandlung. Es gab kein zusammenhängendes System allgemeiner ökonomischer Prinzipien mehr, welches allgemein akzeptiert gewesen wäre und bei der Analyse aller politischen Entscheidungen und Probleme Anwendung von jedem gefunden hätte, der sich selbst als Ökonom bezeichnet. Nun hatte jede Unterdisziplin ihre eigenen Theorien, die mit der allgemeinen Theorie nicht mehr viel zu tun hatten. Selbst die allgemeine Theorie wurde nun in die Bereiche der Mikroökonomie und der Makroökonomie unterteilt.

Diese Spezialisierung, oder genauer Zersplitterung der Ökonomie wurde durch den Trend zu einem positivistischen Ansatz der ökonomischen Theorie, sei es der Samuelsons oder der Friedmans, in der Nachkriegszeit noch verstärkt, und zerstörte so die gesunde Schranke, die professionelle Ökonomen ohne Talent oder Motivation zu theoretischer Arbeit einst in der Wirtschaftsgeschichte und der beschreibenden Ökonomie gehalten hatte. Sie fingen nun an, diese Randbereiche zu verlassen, und drangen in den Bereich ein, der einst die Kernsphäre der Ökonomie gewesen war. Sie waren zwar nicht in der Lage, das große praxeologische System der ökonomischen Theorie zu begreifen, das sich in der Zwischenkriegszeit gebildet hatte, aber sie konnten nun in den zersplitterten, hyper-spezialisierten Bereichen der Wachstumstheorie, der Arbeitsökonomie, der industriellen Organisation, der Oligopol-Theorie (und so ging es unendlich weiter) forschen.

Die unrealistischen, theoretischen Modelle der professionellen Ökonomen von damals und von heute sind jedoch nicht in der Lage, die grundlegenden Gesetze zu erklären, die die tatsächlichen Marktphänomene beschreiben, die sich in ihren abgekapselten Forschungsfeldern beobachten lassen. So wies Mises darauf hin:

Der Ökonom darf nie ein Spezialist sein. Egal welches Problem er behandelt – er muss immer das ganze System im Blick haben. … Die Ökonomie erlaubt es nicht, dass sie in Spezialgebiete unterteilt wird. Sie behandelt unweigerlich die Vernetzung aller Phänomene menschlichen Handelns.

Ein Fiat-Beruf

Unsere Diskussion hat uns zu einem wichtigen allgemeinen Punkt geführt. Der Beruf des Ökonomen ist ein Fiat-Beruf, genau wie nicht eintauschbares Papiergeld Fiat-Geld ist. Weder das eine noch das andere könnte am einem Markt existieren, der frei ist von gewissen Formen staatlicher Eingriffe, wie Gesetzen zu Zahlungsmitteln, das wiederholte Aussetzen der Eintauschbarkeit von Papiergeld in das sie deckende Goldgeld, die Weigerung, Goldklauseln in privaten Verträgen durchzusetzen, oder Verbot des Goldbesitzes, und so weiter. Diese Eingriffe verzerren den Markt und bereiten nach und nach dem Papiergeld den Weg.

Das selbe gilt für das Entstehen der Berufsökonomie. Der Staat besitzt nicht die Macht, einen Beruf mit seinen komplizierten Gepflogenheiten, Konventionen, seiner Forschungskultur und seiner institutionellen Infrastruktur direkt zu planen und einzuführen. Trotzdem lässt sich eine natürliche Berufung wie die Ökonomie in einen Beruf verwandeln, und zwar als Ergebnis von verzerrten Marktprozessen und gestörten Eigentumsstrukturen infolge von Krieg, politischer Usurpation und Subventionierung der höheren Bildung, und der Schaffung einer zentralisierten Bürokratie, die die Eingriffe in die Wirtschaft durchführt.

Die medizinischen Berufe sind deshalb natürliche Berufe, die es auch am freien Markt geben würde, weil es eine natürliche Kundschaft gibt. Der Beruf des Ökonomen dagegen ist, so wie fast alle anderen Sozialwissenschaften auch, ein Fiat-Beruf, für den es am freien Markt keine Kundschaft gibt, und der nur als wahrheitssuchende Berufung existieren würde, wenn ein bestimmtes historisches Muster staatlicher Eingriffe nicht existieren würde.[1]

Um es zusammenzufassen: Der Ökonom aus Berufung strebt danach, das System der ökonomischen Theorie zu begreifen, wie es die Schöpfer der großen Systeme und Innovatoren der Vergangenheit geschaffen haben. Wenn er dies erreicht hat, wird er es, abhängig von seinen Fähigkeiten, anwenden und erweitern, um ein paar wichtige Neuerungen hinzuzufügen, oder eine gründliche Neuformulierung präsentieren, einige bedeutende Fortschritte eingeschlossen.

Es gibt nur sehr wenige Menschen, die auch nur zu ersterem in der Lage wären. Außerdem wird der Ökonom aus Berufung von seinem unstillbaren Hunger nach Wahrheit angetrieben. Er strebt danach, stets sein Wissen über das, was Rothbard als „die Struktur der Realität, wiedergespiegelt im ökonomischen Gesetz“ bezeichnet, zu erweitern.

Außerdem ist die nach außen gerichtete Arbeit, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient, egal in welchem Beruf, nur Mittel zum Zweck für ihn. Ihm ist eine akademische Position nicht wichtig, abgesehen von dem Nutzen, den sie ihm bei der Verfolgung seiner Berufung bietet. Ruhm und Ansehen bei seinesgleichen sucht er nicht, sonder sie sind höchstens geschätztes Nebenprodukt seiner Tätigkeiten. Und letztendlich misst der Ökonom aus Berufung seinen Erfolg in seiner Disziplin daran, wie viele Menschen die ökonomische Theorie wie gut verstanden haben, weil es seiner eigenen Suche nach der Wahrheit dienlich ist, wenn seine Arbeit von anderen kritisch untersucht wird, die der selben Berufung folgen.

Dagegen strebt der professionelle Ökonom bei seiner Forschungstätigkeit nach einer Reihe von nach außen gerichteten Zielen. Diese sind Anerkennung der Kollegen, Ruhm, Einfluss auf die Politik, berufliches Vorankommen und Prestige, und, natürlich, Macht und Geld an sich. Diese Ziele lassen sich größtenteils nur mit staatlichen Subventionen erreichen, weshalb er ganz eigennützig die immer weitere Vergrößerung des interventionistischen Staates befürwortet. Sein natürlicher Lebensraum, in den er nach lukrativen Abstechern in den Staatsdienst, in Denkfabriken und in internationale Behörden immer wieder zurückkehrt, sind die großen Universitäten, die vom Staat entweder subventioniert oder direkt kontrolliert werden. Er betrachtet es als Erfolge der Ökonomie, wenn immer weitere Unterdisziplinen und spezialisierte Theoriegebäude entstehen, wenn es mehr Themenbereiche an den Universitäten gibt, und insbesondere wenn mehr Möglichkeiten entstehen, als Berater des interventionistischen Wohlfahrts- und Kriegsstaates  an Geld und Macht zu gelangen.

So hat Mises in weiser Voraussicht schon 1949 bemerkt, dass professionelle Ökonomen „den Rechtswissenschaften in ihrer politischen Tätigkeit Konkurrenz machen. Ihre bedeutende Rolle ist ein prägendes Merkmal unserer Zeit des Interventionismus.

[1] Ich bin Guido Hülsmann sehr dankbar dafür, dass er mich auf diese allgemeine logische Konsequenz meines Argumentes hingewiesen hat.

Literatur:

_____. [1969] 1984. The Historical Setting of the Austrian School of Economics. Auburn Ala.: Ludwig von Mises Institute.

_____. 1998. Human Action: A Treatise on Economics. Scholar’s ed. Ed. Jeffrey M. Herbener, Hans-Hermann Hoppe, and Joseph T. Salerno. Auburn, AL: Ludwig von Mises Institute.

_____. 1990b. “A Conversation with Murray N. Rothbard.” Austrian Economics Newsletter 11 (Summer).

_____. 2004. Man, Economy, and State: A Treatise on Economic Principles with Power and Market: Government and the Economy. Scholar’s ed. Auburn, Ala.: Ludwig von Mises Institute.

Salerno, Joseph T. 2002. “The Rebirth of Austrian Economics—In Light of Austrian Economics.” The Quarterly Journal of Austrian Economics 5 (Winter): 111–28.

Samuelson, Paul A. [1949] 1968. “International Factor-Price Equalisation Once Again.” In Richard E. Caves and Harry G. Johnson, eds., Readings in International Economics. Homewood, Ill.: Richard D. Irwin. Pp. 58–71.

_____. [1962] 1970. “Economists and the History of Ideas.” In Ingrid H. Rima, ed., Readings in the History of Economic Theory. New York: Holt, Rinehart and Winston. Pp. 282-95.

_____. 1988. “Economics in My Time.” In William Breit and Roger W. Spencer, eds., Lives of the Laureates: Seven Nobel Economists. Cambridge, MA: The MIT Press. Pp. 59-76.

_____. 1993. “My Life Philosophy: Policy Credos and Working Ways.” In Michael Szenberg, Eminent Economists: Their Life Philosophies. New York: Cambridge University Press. Pp. 236-47.

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Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne. Der Originalbeitrag mit dem Titel Economics: Vocation or Profession? ist am 16.7.2019 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

Dr. Joseph T. Salerno ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Pace Universtity, New York. Er ist zudem Academic Vice President des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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