„Mises‘ Buch Liberalismus war für mich eine Art Damaskuserlebnis“

1. April 2019 – Wir haben eine großartige Neuigkeit für Sie: Der Philosophie-Professor Rolf W. Puster von der Universität Hamburg wird neues Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Ludwig von Mises Institut Deutschland! Mit Professor Puster gewinnen wir einen sehr umsichtigen, besonnenen und zugleich freiheitlich-denkenden Philosophen, der sich vor allem auch sehr intensiv mit den erkenntnistheoretischen Aspekten von Mises’ Theorie des Handelns auseinandersetzt. Professor Puster ist eine sehr große, ja eine ideale Bereicherung für unser Institut! Thorsten Polleit hat die Gunst der Stunde genutzt und mit Professor Puster ein kurzes Interview geführt. Viel Vergnügen beim Lesen!  

Professor Rolf W. Puster ist Referent bei der diesjährigen „Ludwig von Mises Institut Deutschland Konferenz“ – weitere Informationen finden Sie hier!

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Sehr geehrter Herr Professor Puster: Ich darf mit größter Freude unseren Lesern verkünden, dass wir Sie als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Ludwig von Mises Institut Deutschland gewinnen konnten! Wir freuen uns sehr darüber! Sie haben uns ja bereits seit geraumer Zeit großzügig unterstützt – mit Schriftbeiträgen und auch als Vortragender beim Ludwig von Mises Seminar 2018. Vielen Dank dafür!

Für mich ist es stets bereichernd, Ihre philosophische, Ihre erkenntnistheoretische Expertise anzuzapfen. Eine Frage, die ich Ihnen immer schon stellen wollte, und die vermutlich auch viele Leser interessiert, ist: Wie sind Sie als Philosoph eigentlich auf Ludwig von Mises gestoßen?

Rolf W. Puster

In einem Seminar über die Moralphilosophie von David Hume vor gut zehn Jahren erwähnte eine Studentin mehrfach Mises‘ Namen. Die Gedankengänge, die sie mit diesem mir Unbekannten verband, fand ich zwar ungewohnt, aber so interessant, dass ich sie fragte, durch welches Buch ich diesen Autor ihrer Meinung nach am besten kennenlernen könnte. Sie empfahl mir „Liberalismus“, und dessen Lektüre war für mich eine Art Damaskuserlebnis, das mir eine ganz neue Perspektive auf die Welt eröffnet und meine philosophische Perspektive auf viele Problemstellungen meines Faches grundlegend verändert hat. Selbstverständlich war „Liberalismus“ nur die Initialzündung für die Beschäftigung mit weiteren freiheitsorientierten Autoren wie Bastiat, Hayek, Hazlitt, Ayn Rand, Rothbard, Nozick und Hoppe, um nur einige zu nennen. Doch von allen Autoren sprach Mises den Philosophen in mir am meisten an, und das hat sich inzwischen nicht geändert, sondern eher noch verstärkt. Spätestens seit der eingehenderen Befassung mit der „Nationalökonomie“ – insbesondere mit den Teilen, in denen er seine Theorie des Handelns, die Praxeologie, entwickelt – sehe ich es als eine noch nicht geleistete Aufgabe an, die philosophische Substanz von Mises‘ Denken ans Licht zu heben und zu entfalten.

Höre ich da etwa heraus, dass Sie Mises‘ Theorie des Handelns, richtig verstanden und konsequent angewendet, gewissermaßen eine Sprengkraft beilegen, die wohlmöglich noch den Philosophen, Ökonomen und anderen Sozialwissenschaftlern ebenfalls ein „Damaskuserlebnis“ bescheren könnte? Oder überdramatisiere ich da?

Sie hören genau das Richtige heraus: Das argumentative Potential der Praxeologie ist ohne Übertreibung revolutionär. Dass ich mit diesem Urteil vom realen Wissenschaftsbetrieb und seinem hochetatistischen Anreizsystem abstrahiere, liegt auf der Hand. Denn wo es einträglich und karrierefördernd ist, staatliche Interventionen in alle Lebensbereiche zu rechtfertigen, werden Damaskuserlebnisse der von mir beschriebenen Art seltene Ausnahmen bleiben.

Gerade in der Hamburger Deutung, d.h. in der von meinem Kollegen Oliva Córdoba inaugurierten und von mir und einigen Mitstreitern mitgetragenen philosophischen Interpretation der Mises’schen Praxeologie, wird deutlich, dass eine Theorie der Freiheit und die Skizzierung der Grundlagen einer freien Gesellschaft nicht auf umstrittene Glaubenssätze angewiesen sind, sondern auf begrifflichen Wahrheiten gründen, die jedem unverbildeten Kopf einleuchten und die zu bestreiten in Absurditäten führt.

Mises‘ kühne These, dass Liberalismus „mit Weltanschauung, Metaphysik und Wertung nichts zu tun“ hat, wird von seinen Anhängern und Schülern zwar nur selten wiederholt oder betont; sie ist aber gleichwohl vollkommen zutreffend. Und da Mises mit dieser These goldrichtig liegt, beruhen ungezählte Freiheitseinschränkungen auf fehlerhaften Argumenten oder auf der willkürlichen Parteinahme zugunsten von Partialinteressen; solche Freiheitseinschränkungen entbehren daher so oder so der Legitimation, die man ihnen anzudichten pflegt. Es ist mithin alles andere als eine „Überdramatisierung“, wenn man in der Praxeologie nicht nur eine faszinierende sozialwissenschaftliche Theorie von hoher Erklärungskraft sieht, sondern auch ein philosophisches Werkzeug, mit dessen Hilfe man die Haltlosigkeit der gängigen Rechtfertigungsnarrative für interventionsfreudiges Staatshandeln aufdecken kann.

Wer heutzutage in der Ökonomik Mises‘ Theorie des Handelns auffährt, wird geradezu zum Pariah. Denn das entzieht dem geltenden Verständnis, in der Volkswirtschaftslehre ließe sich der Wahrheitswert von Theorien durch Datentests, also Erfahrungen, beurteilen, den Boden. Das stößt auf Unverständnis, nicht selten auf heftigsten Widerstand – denn nicht zuletzt wird die kuschelige Symbiose zwischen Ökonomen und Staat arg gestört. Gibt es im Philosophiebetrieb ein ähnliches konkretes Beispiel für die disruptive Kraft von Mises‘ Theorie des Handelns?

In der Philosophie kommt Mises noch nicht einmal als Pariah vor – Handbücher und Lexika des Faches erwähnen ihn nicht. Mises‘ Werk muss philosophisch erst noch entdeckt und so aufbereitet werden, dass seine Relevanz unübersehbar wird. Als aussichtsreiches Beispiel wähle ich die konsequente Ausbuchstabierung des Subjektivismus, mit der Mises (wie sich etwa in seinen „Erinnerungen“ S. 75 zeigt) weit über Carl Mengers subjektive Wertlehre hinausgeht.

Im Kern dieses Subjektivismus steht die Einsicht, dass alle evaluativen Aspekte, die wir der Welt beilegen bzw. in ihr zu „sehen“ meinen, in der subjektiven Einstellung des Wollens gründen. Dass ein Zustand A gegenüber einem Zustand B  in moralischer, ästhetischer, ökonomischer oder sonstiger Hinsicht wertvoller bzw. vorzugswürdiger ist, ist nichts, was sich im Rekurs auf eine reine, tatenlose Kontemplation der Welt begreifen ließe. Werthaftigkeit ist vielmehr etwas, was nur Akteure durch ihr absichtsvolles Tun in die Welt tragen können. Denn das bloße Angaffen der Welt begründet erstens keine Wertunterschiede und macht uns zweitens die Natur von Wertunterschieden auch nicht verständlich. Nur das Handeln, das einen bestehenden Zustand durch einen subjektiv präferierten Zustand zu verdrängen sucht, lässt uns verstehen, was Wertunterschiede sind und wie sie in eine von Hause aus wert-lose Welt Eingang finden.

Aus dem so verstandenen Subjektivismus geht hervor, dass jegliche Werthaftigkeit aus dem Handeln (und den darin eingegangenen subjektiven Ingredienzen) zu verstehen ist – und nicht umgekehrt. Aus diesem Grund ist der jahrtausendealte und immer wieder erneuerte Versuch, das menschliche Handeln von objektiver Wertwarte her zu normieren, theoretisch hohl. Aber da der marode Wertobjektivismus in der Ethik und in der politischen Philosophie nach wie vor dominiert, ist das disruptive Potential des Mises’schen Denkens noch längst nicht ausgereizt. (Nur erwähnt sei, dass ein solcher Subjektivismus nicht nur die skizzierte destruktive Seite hat: Er erlaubt durchaus, so etwas wie echte Verbindlichkeit, an der uns aus moralischen und juristischen Gründen liegt, theoretisch zu fundieren; aber wir werden uns daran gewöhnen müssen, Verbindlichkeit nicht mehr objektivistisch zu denken – hier liegt noch ein reiches philosophisches Betätigungsfeld.)

Sie werden es mir verzeihen, wenn ich sage: Ich war wirklich sehr beeindruckt von Ihrem Vorwort zur deutschen Übersetzung von Mises’s Buch „Theorie und Geschichte. Eine Interpretation sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung“, das 2014 erschienen ist; ich habe es mehrere Male genau studiert. Es steht da nun auf der zweiten Seite des Buches „Mit einer Hinführung von Rolf W. Puster“, und Ihr Vorwort haben Sie bescheiden benannt „Dualismen und ihre Hintergründe“. Als ich Ihre Ausführungen gelesen habe, habe ich verstanden: Ja richtig, Mises hat die vielgesuchte, die unumstößliche theoretische Grundlage der Freiheit des Menschen rationalisiert, hat sie klipp und klar formuliert. Überhöhe ich damit Mises oder Ihre Schrift?

In jenem Vorwort habe ich mich darum bemüht, dem Mises’schen Werk aus philosophischer Warte einige bislang wenig beachtete Aspekte abzugewinnen und es auch stärker als üblich wissenschaftsgeschichtlich einzuordnen. Wenn ausgewiesene Mises-Kenner wie Sie das instruktiv finden, freut mich das natürlich. Dabei profitiere ich allerdings davon, dass die wissenschaftliche Arbeitsteilung in der Mises-Exegese etwas ökonomielastig ist und dass die philosophische Durchdringung seiner Schriften noch am Anfang steht. Ich habe also allen Grund, meine eigenen Verdienste nur sehr bescheiden zu veranschlagen.

Ganz anders bei Mises. Seine Verdienste für eine umfassende und tragfähige Theorie der Freiheit sind als Pionierarbeit kaum zu überschätzen. Das heißt freilich weder, dass Mises unfehlbar war, noch, dass es ihm vergönnt war, seine Pionierarbeit abzuschließen. Ich habe in mein Vorwort ja einige durchaus kritische Hinweise darauf eingestreut, dass er uns sowohl unverlierbare, epochale Einsichten als auch (vermehrt in seinen Arbeiten nach der „Nationalökonomie“) einige Wegweiser hinterlassen hat, denen wir besser nicht folgen. Dessen ungeachtet würde ich Mises selbst nach den Maßstäben der europäischen Philosophiegeschichte zu den wirklich großen Denkern zählen, wohl wissend, dass von ihnen keiner vor Irrtümern gefeit war.

Mein Verhältnis zu Mises möchte ich mit einem schon im Mittelalter verwendeten Bild zusammenfassend veranschaulichen: Wer auf den Schultern eines Riesen steht, kann weiter sehen als dieser. Doch ich muss hinzufügen: Es ist keine triviale Aufgabe, diese Schultern zu erklimmen.

Sehr geehrter Herr Puster, vielen Dank für das Interview!

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Das Interview mit Professor Dr. Rolf W. Puster hat Thorsten Polleit in der letzten Märzwoche 2019 per e-mail geführt.

Professor Dr. Rolf W. Puster ist Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Dort hat er zusammen mit seinem Kollegen Dr. Michael Oliva Córdoba das „Theory of Freedom Research Project“ gegründet, auf dessen Agenda eine neuartige, nämlich philosophische Erschließung des Werks von Ludwig von Mises einen herausragenden Platz einnimmt. Diese – maßgeblich von Oliva Córdoba entwickelte – „Hamburger Deutung“ der Mises’schen Praxeologie ist in den letzten Jahren zu einer zentralen Inspirationsquelle für Pusters philosophische Arbeit geworden.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Mises Institut

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