Der Neoliberalismus ist nichts weiter als ein Rückfall in den Merkantilismus

18. Januar 2019 – von Ryan McMaken

Ryan McMaken

In den letzten Jahren wurde sehr viel über die verschiedenen Verwendungen des Wortes „Neoliberalismus“ geschrieben. Es ist kaum zu übersehen, dass der Begriff überwiegend von strammen Linken sowohl gemäßigten Linken als auch Befürwortern freier Märkte als Verspottung angeheftet wird.

Diejenigen, die den Begriff abwertend verwenden (also fast jeder), machen den Neoliberalismus für die gesamte Armut und Ungleichheit auf der Welt verantwortlich. Meistens bedeutet neoliberal dabei einfach „kapitalistisch“, wenn auch unterschiedliche Fachgelehrte unterschiedliche Schattierungen verwenden. In einem jüngst veröffentlichen Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Steven Pearlstein beispielsweise ist der Neoliberalismus offenbar eine Art radikaler Libertarismus und nicht weniger als „eine radikale Weltanschauung vom freien Markt“.

Der Neoliberalismus wird jedoch nicht nur von ein paar wenigen Exzentrikern getragen. Zu den Neoliberalen zählt fast jeder rechts von Bernie Sanders, einschließlich Donald Trump, Bill Clinton, Tony Blair, Theresa May, Rand Paul und Emmanuel Macron.

Neoliberal und stolz drauf?

Da der Begriff einen dumpfen Beigeschmack hat, verwenden ihn nur wenige als Selbstbeschreibung. Dennoch ist in den letzten Monaten bei Organisationen und Autoren, die von sich selbst behaupten, freiheitliche Werte und freie Märkte zu unterstützen, eine unglückliche Entwicklung zu beobachten, sich selbst als „neoliberal“ zu bezeichnen.

Eine Erklärung dafür mag darin liegen, dass viele, die den Begriff ‚neoliberal‘ in abwertender Form gebrauchen, scharfe Marktkritiker sind. Sie lehnen den Kapitalismus ab und möchten ihn – lieber heute als morgen – nach sozialistischen und sozialdemokratischen Vorstellungen umgestalten.

In Anbetracht dessen kann man schnell zu dem Schluss gelangen, dass – wenn diese Leute den Neoliberalismus hassen – er keine so schlechte Sache sein kann.

So entstehen Artikel wie dieser mit dem Titel „Actually, ‚Neoliberalism‘ Is Awesome“ [Eigentlich ist ‚Neoliberalismus‘ fantastisch; Anm. d. Ü.], der von einem Mitarbeiter des marktwirtschaftlichfreundlichen Mercatus Center verfasst wurde. Bekannter noch war der Artikel „Coming Out as Neoliberals“ [Ich bekenne mich als Neoliberaler; Anm. d. Ü.] des Adam Smith Institutes, in dem der Autor, Sam Bowman, jeden, der mehr oder weniger ein Befürworter von Eigentumsrechten ist, dazu ermuntert, sich selbst als „neoliberal“ zu bekennen.

Es folgten weitere Nachahmerartikel, wie zum Beispiel einer von Jordan Williams von der New Zealand Taxpayers Union.

Der Kerngedanke ist wie folgt: „Sind Sie ein anständiger Mensch, der die Freiheit unterstützt und zu hohe Steuersätze ablehnt? Nun, mein Freund, dann sind Sie ein Neoliberaler!“

Diese Herangehensweise ist aus drei Gründen falsch.

1. Der Begriff „Neoliberalismus“ ist schwammig

Sowohl Hillary Clinton als auch Ron Paul wurden von Kritikern des Neoliberalismus als Neoliberale bezeichnet – ebenso wie Tony Blair und Donald Trump. Wenn in einer weltanschaulichen Begrifflichkeit alle diese Personen derselben Kategorie zugerechnet werden, ist die Begrifflichkeit unnütz.

Aus der Sicht eines überzeugten Leninisten mögen Clinton und Paul als Mitglieder einer dekadenten Bourgeoisie gelten, die sich dem kapitalistischen Imperialismus verschrieben haben.

Da weder Bill Clinton noch Ron Paul die venezolanische Wirtschaftspolitik unterstützen, werden sie beide von den linksradikalen Befürwortern der „Gleichheit“ als Neoliberale verunglimpft.

Dabei unterscheiden sich viele sogenannte Neoliberale so sehr in ihren Politikansätzen, dass es eigentlich nutzlos ist, sie unter demselben Begriff zusammenzufassen. Wenn die Definition von Neoliberal kaum mehr als „kein Kommunist“ ist, muss ein besserer Begriff gefunden werden.

2. „Liberalismus“ (ohne „Neo“) ist besser

Während Amerikaner – und in einem geringeren Umfang auch Kanadier – oft nicht über die tiefere Bedeutung des Ausdrucks „liberal“ Bescheid wissen, kennen viele gebildete Personen rund um den Erdball immer noch den Begriff und die von ihm beschriebene weltanschauliche Bewegung.

In den meisten Teilen der Welt war Liberalismus immer die Weltanschauung, die man weithin mit den amerikanischen Freiheitskämpfern, dem Manchester-Liberalismus mit seinen auf Handel und Frieden basierenden Werten und den französischen Liberalen wie Frédéric Bastiat in Verbindung bringt. Das waren natürlich auch die ideengeschichtlichen Überzeugungen der österreichischen Nationalökonomen wie Ludwig von Mises und Carl Menger.

Vom Historiker Ralph Raico stammt folgende Beschreibung dieser Bewegung:

„Klassischer Liberalismus“ ist die Bezeichnung für eine Weltanschauung, die für Privateigentum, eine ungestörte Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, verfassungsmäßige Garantien für Religions- und Pressefreiheit und ein auf Freihandel basierender internationaler Frieden steht. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese ideengeschichtliche Überzeugung gemeinhin Liberalismus genannt.

Jene Bewegung, die man in einer erkennbaren Form „Libertarismus“ nennen könnte, reicht mindestens bis zu den Levellers des 17. Jahrhunderts in England zurück. Diese Bewegung trug wesentlich dazu bei, viele der politischen Rechte einzubringen, die dann in der Unabhängigkeitserklärung der USA und der Bill of Rights umgesetzt wurden.

Dieselbe ideengeschichtliche Überzeugung beeinflusste auch die Liberalen in Frankreich, der Schweiz, England und sogar in Polen. Die Veränderungen hin zu Marktwirtschaft, Freihandel und Personenfreizügigkeit, die sich im 19. Jahrhundert über ganz Europa verbreiteten, waren das Ergebnis eines sich rasch liberalisierenden Europas.

Wie bei so vielen anderen ideengeschichtlichen Bewegungen schwankte der Einfluss des Liberalismus über die Zeit. Er ist jedoch nie ganz verschwunden, zum Teil deshalb, weil er so ungemein erfolgreich darin ist, dort, wo er zur Anwendung kommt, wirtschaftlichen Wohlstand zu schaffen..

Obwohl heutzutage viele Liberalismus mit verschiedenen Formen von Konservatismus verwechseln, hat der Liberalismus sich immer dahingehend unterschieden, dass er Einzelpersonen und die Zivilgesellschaft als fähig erachtet, zu gedeihen, ohne eine staatlich geschaffene oder staatlich unterstützte Führungsschicht zu benötigen.

Liberale lehnen Gesellschaftsordnungen ab, die von oben geformt, geplant, geführt oder erzwungen werden. Sie sind vielmehr von einer spontanen Ordnung überzeugt, die aus unzähligen dezentralisierten Gruppen von Haushalten, Einzelpersonen, Unternehmen und Gemeinschaften entsteht. Während der Konservatismus (wie die meisten autoritären Weltanschauungen) der Ansicht ist, dass den Menschen von Natur aus die Fähigkeit fehlt, für sich selbst zu sorgen – und daher der „Führung“ durch Politikern bedürfen – sind Liberale davon überzeugt, dass die Menschen in Ruhe gelassen werden können, um ihr Leben in Frieden zu leben. Aus dieser Sicht sind die einzigen Menschen, die staatlichen Zwang benötigen, gewalttätige Verbrecher.

3. Neoliberalismus ist oft das Gegenteil von Liberalismus

Seltsamerweise werden moderne Liberale mit dem Beinamen „Neoliberal“ beschimpft, obwohl der Neoliberalismus so viel von dem gut heißt, was der Liberalismus zurückweist.

Schließlich wird gesagt, Organisationen wie die Europäische Union, die Weltbank und die Welthandelsorganisation seien alle Teil der „radikalen Freier-Markt-Weltanschauung“ des Neoliberalismus – um Pearlsteins Begrifflichkeit zu verwenden.

In Wahrheit stehen diese am engsten mit dem Neoliberalismus verbundenen Institutionen, zu denen auch Zentralbanken wie die Federal Reserve gehören, in krassem Gegensatz zu der von Liberalen und Befürwortern des freien Marktes angedachten Welt des Laissez-faire.

Alle diese globalen, „neoliberalen“ Organisationen sind entweder von Steuereinnahmen oder von staatlich gewährten Monopolen abhängig. Sie sind auf verschiedene Arten von staatlicher Einmischung, Beeinflussungen und Zwang angewiesen, um ihre Aufgaben zu erfüllen.

Dies steht im klaren Widerspruch zu allem, wofür Liberale eingetreten sind.

Ludwig von Mises lehnte zu seiner Zeit solche Organisationen ab, gerade weil sie nicht liberal waren. Wie David Gordon bemerkt:

Für Mises waren die Pläne für eine internationale Organisation nur als Mittel zur Förderung des freien Marktes gedacht. Als Mises erkannte, dass diese Pläne im staatsgläubischen Klima seiner Zeit nicht funktionieren konnten, gab er sie größtenteils auf. In Omnipotent Government schreibt er beispielsweise: „Unter den gegenwärtigen Bedingungen wäre eine internationale Organisation für Außenhandelsplanung eine Ansammlung von staatlichen Vertretern, die von den Ideen des Hyperprotektionismus überzeugt sind. Es ist Wunschdenken anzunehmen, dass eine solche Behörde in der Lage ist, zur Förderung des Außenhandels einen gewinnbringenden oder dauerhaften Beitrag zu leisten.“

Mises widmete auch einen beträchtlichen Teil seiner Laufbahn der Bekämpfung von Zentralbanken.

Wenn Kritiker des Neoliberalismus nun behaupten, Neoliberalismus sei die Weltanschauung von einem radikalen Laissez-faire, und dass Mises selbst ein Neoliberaler war, – wie oft behauptet wurde – missachten sie, was echter ideengeschichtlicher Laissez-faire schon immer war. Der Neoliberalismus ist nichts weiter als ein Rückfall zum altbekannten Merkantilismus, in dem staatlich kontrollierte Monopole allen anderen staatlich geförderte Programme aufzwingen. Mit anderen Worten, der Neoliberalismus ist genau das, was der Liberalismus immer versucht hat, zu überwinden.

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Aus dem Englischen übersetzt von Arno Stöcker. Der Originalbeitrag mit dem Titel We Don’t Need Neoliberalism – We Already Have Liberalism ist am 7.1.2019 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

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Ryan McMaken ist Editor von Mises Daily und The Free Man. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der University of Colorado.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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