Die Natur des wirtschaftlichen Wachstums

19. März 2021 – Die Geburtsstunde der Umweltbewegung – Die politische Instrumentalisierung des Umweltschutzes und ihr ideologischer Rigorismus mit totalitären Ambitionen – Aber ganz ohne Wirtschaftswachstum geht es offenbar nicht – Es scheitert an der menschlichen Natur – Wenn die Wirtschaft wächst, fällt es leichter, Verlangen zu stillen – Der Wunsch nach mehr ist immer vorhanden – Die Grundlage des Wachstums ist das Streben nach Wohlstand – Wachstum als das Wahrnehmen von Wohlstandszunahme – Wachstum bringt die Menschen wirtschaftlich voran und vermindert dabei auch die Armut – Wachstum ist ein natürlicher Vorgang – Aber die Politik muss sich mit dem natürlichen Wachstum durch die freien Marktkräfte bescheiden

von Klaus Peter Krause

Klaus Peter Krause

So mancher Leserbrief rückt etwas gerade, gibt Anstöße, regt zum Nachdenken an, ist stets eine notwendige oder zumindest wertvolle Ergänzung dessen, was Redaktionen ihrem Publikum liefern. In so einem Brief[1] war jüngst dies zu lesen: „Ich halte mich für einen norma­len Staats­bür­ger, aber ich bin von der auch hier­zu­lan­de gepfleg­ten Vorstel­lung befrem­det, dass ein Wirt­schafts­le­ben nur zufrie­den­stel­le, wenn es stets wächst, dass ein nied­ri­ges Wachs­tum oder gar ein Schrump­fen so viel wie ein Absin­ken in Armut sei. Wo bleibt da die Logik? Sind wir wie Kinder, die krank sind, wenn sie nicht wach­sen? Warum müssen wir immer nur mehr verbrau­chen – auch mehr von unse­ren nur beschränkt zur Verfü­gung stehen­den natür­li­chen Ressour­cen? Die Parole des immer Mehr und Mehr ist Ungeist.“

Fragen über Fragen

Ja, warum Wachstum? Muss das sein? Geht’s nicht auch ohne? Können sich die Unternehmen und die Menschen nicht mit dem zufrieden geben, was sie schon erreicht haben? Können die Staaten und ihre politischen Führungen nicht wenigstens die Finger davon lassen, ihrer Wirtschaft (mit Programmen und schuldenfinanzierten Subventionen) immer wieder künstliche Wachstumsstöße zu verpassen, statt dies der natürlichen, der staatlich unbeeinflussten Entwicklung zu überlassen, also den Menschen allein oder, wie der Ökonom sagt, den freien Marktkräften? Genügt es nicht, die Wirtschaft ungestört und still vor sich hin arbeiten zu lassen, woraus sich ohnehin Wachstum ergibt? Doch für Politik, Unternehmen, Finanzwelt ist wirtschaftliches Wachstum gleichsam ein Fetisch mit übernatürlichen Eigenschaften, mit magischen Kräften. Sie verehren und beten es an wie ein Götzenbild, tragen es vor sich her wie eine Monstranz. Mit Wachstum läuft der Laden. Schwächelt es, ist das Verlangen nach staatlichem Anstoß schnell zur Hand.

Die Geburtsstunde der Umweltbewegung

Der eine und andere wird sich an den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 erinnern (hier), ein Auftragswerk des 1968 gegründeten Club of Rome (hier). Der Bericht gilt als die Geburtsstunde der modernen Umweltbewegung.[2] Er hat die umweltpolitischen Debatten angestoßen und prägt sie bis heute. Seine Warnungen waren alles andere als abwegig und haben das Bewusstsein für den Schutz der Lebensgrundlagen geweckt oder, soweit schon vorhanden, zusätzlich legitimiert. Daraus entstanden ist die Bewegung der „Grünen“, die jedenfalls in Deutschland zu einer bestimmenden politischen Kraft  geworden ist, inzwischen aber sehr stark sozialistische und totalitäre Ziele verfolgt.

Die Instrumentalisierung des Umweltschutzes und ihr ideologischer Rigorismus mit totalitären Ambitionen

Auch die Politiker anderer Parteien haben den Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz als Instrument schätzen gelernt. Mittels Angstmache konnten sie Gesetze ohne mehrheitlichen Widerstand durchdrücken, zusätzliche Institutionen schaffen und Posten an Gleichgesinnte verteilen, die Bürokratie aufblähen, auf diese Weise ihre Macht ausweiten und den Bürgern Freiheiten rauben. Und treiben dies munter weiter. Zugleich hat sich seit 1972 ein ideologischer Rigorismus mit totalitären Ambitionen entwickelt sowie das Geschäft mit der Katastrophe, mit der professionelle Apokalypse-Prophetie und mit Weltrettungsprogrammen (siehe die kurze Beschreibung hier).

Aber ganz ohne Wirtschaftswachstum geht es offenbar nicht

Der Bericht des Club of Rome ist jetzt fast fünfzig Jahre her. In einer Nachbetrachtung von heute heißt es: „Seitdem hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt und der globale Konsum verzehnfacht. Selbst umweltbewegte Ökonomen halten Nullwachstum und freiwillige Selbstbeschränkung inzwischen nicht mehr für sinnvoll und plädieren stattdessen für grünes, nachhaltiges Wachstum.“ (Quelle hier). Aber was immer man unter „grün“ und „nachhaltig“ verstehen mag, ganz ohne wirtschaftliches Wachstum geht es offenbar nicht. Warum ist das so?

Es scheitert an der menschlichen Natur

Geht es uns denn noch immer nicht gut genug? Muss es denn immer noch mehr sein? Offenbar muss es das. Brauchen wir Wirtschaftswachstum überhaupt? Nein, an sich nicht. Aber dann müsste sich jeder bescheiden mit dem, was er hat. Das werden die meisten nicht wollen. Aber warum ist das so? Warum ist der Wunsch, warum das Streben nach Wachstum geradezu unausweichlich? Und warum vielleicht sogar notwendig? Können wir Wirtschaftswachstum überhaupt verhindern? Und sollten wir es verhindern? Nein, es wird nicht funktionieren. Das Sozialprodukt auf seinem heutigen Stand „einfrieren“ zu wollen, Wachstum zu unterbinden, scheitert an der menschlichen Natur. Und damit an der Natur selbst. Das gehört zu den Gesetzmäßigkeiten, in denen wir leben.

Wenn die Wirtschaft wächst, fällt es leichter, Verlangen zu stillen

Wir brauchen Wachstum sogar. Solange sich die Bevölkerung auf der Erde vermehrt, sind zusätzliche Mäuler zu stopfen. Vermehrte sie sich nicht, wären zumindest zusätzliche Wünsche zu befriedigen. Wenn es uns in den hochentwickelten Ländern einigermaßen gut geht, aber vielen Menschen in unterentwickelten Ländern noch nicht, werden sie haben wollen, was wir haben. Und wieviel wir an allem schon haben und damit zeigen, was alles möglich ist, bekommen diese anderen Menschen heute allerorten mit: Die Medien und die Möglichkeiten des Internet sorgen dafür, haben die einstige Abgeschlossenheit unterentwickelter Gesellschaften von Informationen aus „der anderen Welt“ beseitigt. Jenen Menschen, die bei uns und in der „Dritten Welt“ nach mehr verlangen, mehr zu geben, fällt leichter, wenn die Wirtschaft wächst, wenn zur Verteilung ein Sozialprodukt zur Verfügung steht, das steigt.

Der Wunsch nach mehr ist immer vorhanden

Es liegt in der Natur der Menschen, sich mit dem Erreichten nicht zu begnügen. Der Wunsch nach mehr schwelt stets, ist immer vorhanden. Wohl gibt es Ausnahmen, doch fallen sie nicht ins Gewicht. Der Reiche mag sich begnügen können, aber kann es der Arme? Soll man dem Armen, sich zu begnügen, zumuten dürfen? Ihm das Streben nach mehr versagen? Natürlich nicht. Dem Armen die Aussicht zu nehmen, der Armut zu entkommen, verbietet sich von selbst. Solange es Wohlstandsunterschiede gibt, wird es dieses Streben geben. Es muss es auch geben dürfen. Politiker pflegen, diese Wünsche zu bedienen, ausgerichtet an ihrer jeweiligen Wähler-Klientel. Mit wirtschaftlichem Wachstum lässt sich das leichter bewerkstelligen – ob auch am besten zu aller Wohl, sei dahingestellt.

Die Grundlage des Wachstums ist das Streben nach Wohlstand

Zurück zu dem eingangs zitierten Leserbrief. Dessen Beweggrund und Kritik an immer mehr Verbrauch in allen Ehren, aber die Grundlage für dieses Wachstum ist das den Menschen immanente Wohlstandsstreben. Wie wollte man es aus der Welt schaffen? Menschen entdecken etwas, Menschen erfinden etwas. Entdecker- und Erfindungsgeist sind ein wesentlicher Teil der menschlichen Eigenschaften, auch wenn die Menschen damit unterschiedlich ausgestattet sind und unterschiedlich damit umgehen. Sollte man die Anwendung des Entdeckten und Erfundenen verbieten? Lieber nicht.

Wachstum als das Wahrnehmen von Wohlstandszunahme

Entdeckungen wie Erfindungen ermöglichen zumeist, mehr oder neue Güter mit weniger Energieeinsatz und auch weniger menschlicher Arbeitskraft herzustellen. Daraus entsteht zusätzliche wirtschaftliche Tätigkeit. Es gibt mehr Arbeitsplätze. Die Produktion steigt, die verfügbare Gütermenge nimmt zu. Langlebige Güter werden genutzt, kurzlebige konsumiert. Mehr Arbeitsplätze, mehr Produktion führen zu mehr Einkommen. Können Menschen über Güter und Einkommen verfügen, verbinden sie das mit dem Begriff Wohlstand. Können Sie über mehr Güter und mehr Einkommen verfügen, nehmen sie das als Wohlstandszunahme wahr.

Wachstum bringt die Menschen wirtschaftlich voran und vermindert dabei auch die Armut

Eine offene Frage ist, ob sich die Menschheit immer weiteres Wachstum erlauben kann – wie lange das auch immer sein mag. Aber wenn die Wirtschaft wächst, geht es vielen besser: Unternehmen prosperieren, die Beschäftigten verdienen mehr Geld, die Menschen können sich mehr leisten (zum Beispiel besseres Essen, bessere Autos, besseres Wohnen, mehr Gesundheit), die Steuereinahmen steigen, der Staat hat mehr Geld für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Wachstum bringt die Menschen wirtschaftlich voran, es hat den Menschen Wohlstand gebracht, zwar noch nicht allen, aber hat für viele die Armut wenigstens vermindert. Was die Wachstumsbefürworter, zumal wenn sie Politiker sind, meist nicht sagen, sondern nur denken: Wachstum erleichtert das Umverteilen an Wählergruppen, Unzufriedene und Bedürftige und damit Politikern und Regierungen das politische Leben und Überleben.

Wachstum ist ein natürlicher Vorgang

„Die Parole des immer Mehr und Mehr ist Ungeist“, schreibt der zitierte Leser. Das mag für jene gelten, die schon genug haben. Aber was ist genug? Und deren Verlangen nach mehr sowie sein Befriedigen verbieten? Das beantwortet sich mit einem Nein von selbst. Und was ist mit denen, die wirklich und objektiv noch nicht genug haben? Ihnen den Zugang zu mehr verwehren? Erst recht nein. Wachstum ist ein natürlicher Vorgang und Bestandteil des Lebens. Pflanzen wachsen, Tiere wachsen, Menschen wachsen. Aber nicht ewig. Zu einer bestimmten Zeit sind sie ausgewachsen, dann altern sie und vergehen. Blüht das Schicksal des Pflanzen-, Tier und Menschenlebens eines sehr fernen Tages auch dem Wirtschaftswachstum? Schwer vorstellbar, aber wir wissen es nicht.

Die Politik muss sich mit dem natürlichen Wachstum durch die freien Marktkräfte bescheiden

Doch eines muss nicht sein: dass Politiker der Wirtschaft immer wieder Wachstumsspritzen verabreichen, diese Subventionen mit Kreditaufnahme finanzieren und den Staat damit in unnötige Verschuldung treiben. Setzen sie mit dem Spritzen aus, treten Entzugserscheinungen auf, es kommt zu Wachstumseinbrüchen oder mehr, und schon folgt der nächste Griff zur Spritze. Es kommt zu einem künstlichen, einem interventionistischen Auf und Ab. Statt den Wirtschaftsablauf zu verstetigen, wird Unstetigkeit bewirkt. Also sollten sich Politiker mit dem natürlichen Wachstum durch die freien Marktkräfte bescheiden und auf Finanzierungen der öffentlichen Infrastruktur beschränken. Damit wäre für die Verstetigung und den Verlass auf diese Beständigkeit schon viel gewonnen. Doch vertrauen Politiker dem natürlichen Wachstum nicht, oder es ist ihnen für die Umverteilung und Wählerbestechung zu gering. Also wird alles weitergehen wie bisher.

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[1] Hans Meis­ter, Düssel­dorf, in der FAZ vom 19. Februar 2021, Seite 21, mit Bezug auf den Kommentar „Spiel mit der Infla­ti­on“ von Gerald Braun­ber­ger in der F.A.Z. vom 8. Febru­ar.

[2] Untersucht worden sind fünf Tendenzen mit globaler Wirkung: die Industrialisierung, das Bevölkerungswachstum, die Unterernährung in armen Ländern, das Ausbeuten von Rohstoffreserven und die Zerstörung von Lebensraum. Einer der Schlussfolgerungen lautet: „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen. Sie erfordern ein außergewöhnliches Maß von Verständnis, Vorstellungskraft und politischen und moralischen Mut. Wir glauben aber, dass diese Anstrengungen geleistet werden können, und hoffen, daß diese Veröffentlichung dazu beiträgt, die hierfür notwendigen Kräfte zu mobilisieren.“

Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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