Auch auf dem Wohnungsmarkt gilt: Politik ist das Problem, nicht die Lösung
20. Mai 2019 – Helfen Drosselung oder Enteignung gegen hohe Mieten? – Staatswohnung versus Wohnungsmarkt – 11 Thesen
von Stefan Blankertz
1.
Die Interventionsspirale, generelle Verlaufsform der Interventionismus:[1] »Der isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebe der Marktwirtschaft verfehlt den Zweck, den seine Urheber durch ihn erreichen wollen; er ist – im Sinne seiner Urheber – nicht nur zwecklos, sondern zweckwidrig, weil er das ›Übel‹, das durch ihn bekämpft werden soll, noch steigert. Ehe die Preistaxe erlassen wurde, war die Ware – nach der Meinung der Obrigkeit – zu teuer; nun verschwindet sie vom Markte. Das aber hat die Obrigkeit, die die Ware dem Verbraucher billiger zugänglich machen wollte, nicht beabsichtigt. Im Gegenteil, von ihrem Standpunkt muss der Mangel, die Unmöglichkeit, die Ware zu beschaffen, als das größere Übel erscheinen; sie wollte doch die Versorgung des Verbrauches verbessern, nicht verschlechtern. Man kann somit von dem isolierten preispolitischen Eingriff sagen, dass er zweckwidrig ist, und von einem System der Wirtschaftspolitik, das mit solchen Eingriffen arbeiten will, dass es widerspruchsvoll und unsinnig ist. Will die Obrigkeit die Dinge nicht dadurch wieder ins Geleise bringen, dass sie von ihrem isolierten Eingriff absteht, indem sie die Preistaxen wieder beseitigt, dann muss sie dem ersten Schritt weitere folgen lassen. Zum Befehl, keinen höheren Preis als den vorgeschriebenen zu fordern, müssen weitere Befehle hinzugefügt werden: der Befehl, die vorhandenen Vorräte zu verkaufen, und Weisungen, an wen und in welchen Mengen verkauft werden darf; Preistaxen für die komplementären Güter, Lohntarife und Arbeitszwang für die Arbeiter, Zinstaxen, schließlich Produktionszwang und Weisungen über die Wahl der Anlagemöglichkeiten für die Eigentümer der Produktionsmittel, für die Kapitalisten. Diese Vorschriften dürfen nicht auf einen oder einige wenige Produktionszweige beschränkt bleiben, sie müssen alle Zweige der Produktion umfassen. Sie müssen die Preise aller Güter und jeglichen Arbeitslohn, das Handeln aller Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeiter regeln. Damit aber wird die Leitung der ganzen Produktion und Verteilung an die Obrigkeit übertragen. Aus der Marktwirtschaft ist [staats-] sozialistische Gemeinwirtschaft geworden« Ludwig von Mises, Nationalökonomie (1940), München 1980, S. 673f.
2.
Zwei verblüffende Statements von eher der »Linken« zugerechneten Ökonomen: »Mietpreisbindung stellten in gewissen westlichen Ländern vielleicht die übelsten Beispiele für armselige Planungen durch Regierungen dar, denen es an Mut und Vision fehlt« Gunnar Myrdal, Opening Address to the Council of International Building Research in Copenhagen, in: Dagens Nyheter, 1965. — »Tatsächlich scheint die Mietpreisbindung in vielen Fällen nächst einer Bombardierung die effizienteste derzeit bekannte Technik zu sein, eine Stadt zu zerstören« Assar Lindbeck, The Political Economy of the New Left, New York 1971, S. 39.
3.
Wohnraum zu mieten, sei ein Grundrecht, so argumentiert die etatistische Linke[2] seit langem und gegenwärtig verstärkt wieder. Darum müsse das Zurverfügungstellen von Wohnraum aus der Sphäre des Marktes herausgenommen werden, der auf der Basis des Profits agiere. Mit Grundbedürfnissen dürfe eben kein Profit gemacht werden. Dies allgemeine Prinzip würde allerdings auch bedeuten, dass etwa die Produktion von Nahrungsmitteln der gleichen Logik folgend nicht dem Markt überlassen bleiben dürfte. Gegen steigende Mieten, die als für eine bestimmte Gruppe von Mietern bzw. Mietwilligen als »nicht leistbar« angesehen werden, wird von dieser Seite immer wieder und so erneut auch gegenwärtig vorgeschlagen, Mieten unter das Marktniveau zu drosseln. Der Kennzeichnung »nicht leistbar« kann übrigens kein objektives Kriterium zugrunde liegen, da das, was bei einem gegebenen Haushaltseinkommen als für die Miete zu erübrigen möglich erscheint, von anderweitigen Ausgaben abhängt, die wenigstens zum Teil ihrerseits nicht unflexibel sind.
Die gewünschte Fixierung der Mieten unter dem Marktniveau geschieht entweder durch Preisregulierung (Mietpreisbindung, Mietpreisstopp bzw. Mietpreisbremse) oder durch die Übernahme von Mietwohnungen in Staatshand (Enteignung bzw. Sozialer Wohnungsbau), wobei die staatliche Verwaltung dann eine politische Miethöhe statt eines ökonomischen Preises festlegt, die unter dem vermuteten Marktniveau liegt. Das Marktniveau ist »vermutet«, sobald der Staat die Mieten reguliert oder Vermietungen komplett in eigene Hand nimmt; denn dann gibt es keine Möglichkeit mehr, überhaupt zu wissen, was das Marktniveau der Mieten auf einem freien Markt wäre, weil ja definitionsgemäß kein freier Markt mehr existiert.
Ein ökonomisches Gut, also ein Produkt von Arbeitsleistung, zum »Grundrecht« zu erklären, bedeutet allerdings leider nicht, dass es augenblicklich in ausreichender Menge für die Deckung der Nachfrage zur Verfügung steht.[3] Es ist nicht nur sinnvoll, sondern im Interesse der Betroffenen absolut notwendig, danach zu fragen, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen wirklich das Ziel erreichen, das sie versprechen: ausreichend Wohnung zu einer »leistbaren« Miete.
4.
Warum sind die Mieten so (bzw. »zu«) hoch? — Die erste Antwort der Befürworter von Interventionen in den Immobilienmarkt verweist auf die (1.) Profitgier der Eigentümer des Wohnraums. Aber der gierigste aller Hausbesitzer könnte seinen Wucherpreis auf dem Markt nicht durchsetzen, wenn ihm keine Nachfrage gegenüberstünde. Damit ein hoher Preis auf dem Markt durchsetzbar ist, muss die Nachfrage das Angebot übersteigen.
Als zweites wird auf (2.) Leerstände verwiesen, die dem Angebot entzogen seien und damit die Mieten in die Höhe treiben. Leerstände haben allerdings Gründe; zu ihnen zählt, dass bestimmte Räume nicht ohne Weiteres als Wohnungen geeignet sind, oder dass ihr Standard nicht den Wünschen der Nachfrager entspricht, zu ihnen zählt, dass es irgendwelchen Ärger mit Behörden gibt, zu ihnen zählt, dass Sanierungen erst dann möglich sind, wenn kein Altmieter mehr im Haus wohnt. Hier schließt sich die Kritik der Regulierer und Enteigner an, dass Sanierungen ja im Dienst der Erzielung höherer Mieteinnahmen und damit größerer Profite ständen: Warum muss überhaupt saniert werden? Andererseits werden nicht-sanierte Wohnungen selbst für diejenigen als unzumutbar eingestuft, die Transfergelder beziehen. Hier liegt die Antwort: Kaum einer wohnt gern in einer Bruchbude. Und wer es gern tut, der findet auch recht leicht entsprechende billige Angebote. Aber selbst wenn es Reserven an Wohnraum in Form von Leerständen gibt: Wären die Leerstände verteilt, würde sich vermutlich am Mietspiegel kaum etwas ändern. Die Menge an zur Verfügung stehenden und zur Miete geeigneten Leerständen ist in der Fantasie der Regulierer und Enteigner immens, in der Realität meist minimal, denn mit Leerständen macht niemand Profit. Somit beißt sich das Argument der Leerstände mit dem der unterstellten Profitgier.
Neben dem Hinweis auf Leerstände wird angeführt, dass Mieter Wohnungen halten, die sie nicht bewohnen, etwa als (3.) Zweitwohnung, auch wenn sie sich nur gelegentlich in der betreffenden Stadt aufhalten. Es gibt Städte, die mit der Besteuerung gegen das Mieten von Zweitwohnungen vorgehen; eine effektive und dauerhafte Entlastung des Wohnmarktes hat sich daraus nirgends entwickelt. Vor allem aber beweist das Halten einer nur zeitweise genutzten Zweitwohnung, dass die Miete zu gering ist, als dass sich ein Anreiz ergäbe, statt eine Zweitwohnung das ganze Jahr über zu bezahlen, sich bloß für die jeweils tatsächlichen Aufenthalte in der fraglichen Stadt eine vorübergehende Bleibe zu suchen.
Schließlich ist das Thema der (4.) Zweckentfremdung anzusprechen. Zweckentfremdung ist in sich selber ein Begriff der Bevormundung, da er impliziert, es gäbe einen durch Staatsgewalt festzulegenden Zweck einer Sache, in diesem Fall einer Immobilie. Besonders in den Fokus der Kritik gekommen ist die Vermietung von Zimmern zum Ferienaufenthalt, sei es über Plattformen wie AirBnB, sei es auf eigene Faust. Hier machen sich die Kritiker, meist der Linken zuzurechnen,[4] zum Handlanger der etablierten Hotelbesitzer gegen eine selbstorganisierte Form der Ökonomie, in der die einen Menschen sich durch Nutzung etwa von ehemaligen Kinderzimmern etwas hinzuverdienen und die anderen Menschen günstig einen Aufenthalt in einer teuren Großstadt erhalten. Bei beiden, den Nutzern wie den Vermietern, handelt es sich meist um weniger Verdienende, die auf den Zusatzverdienst bzw. die geringen Übernachtungskosten angewiesen sind. Ob sich unter diesen über die entsprechenden Plattformen zeitweilig angebotenen Zimmern oder Couchen in nennenswertem Umfang für die Dauervermietung geeigneter Wohnraum befindet, ist äußerst fraglich. Das Verbot der privaten Ferienvermietung macht übrigens einen Überwachungsapparat nötig und begünstigt Denunziantentum. Es führt dann auch dazu, dass es für Personen mit regelmäßigem Aufenthalt in der in Frage stehenden Stadt einen Anreiz gibt, statt sich vorübergehend eine Unterkunft zu suchen, ganzjährig eine Zweitwohnung zu mieten.
Bei dem Thema Zweckentfremdung darf die gefürchtete (5.) gewerbliche Nutzung[5] nicht fehlen. Sobald mit der gewerblichen Nutzung mehr Profit zu erzielen ist als mit der Vermietung als Wohnraum, kann das unter anderem Folge von Mietpreisdrosselung (neben der Problematik des Mieterschutzes) sein. Darüber hinaus: Wenn es kein Gewerbe gäbe, wo sollen die Bewohner arbeiten? Wovon leben (falls nicht von Transfergeldern)? Wo finden sie einen Arzt, Frisör, Rechtsanwalt, Therapeuten? Wo kaufen sie, was sie brauchen oder was ihr Leben verschönert? Die Feindschaft gegen Gewerbe treibt üble Blüten.
Nebenbemerkung zu sogenannten »Bedarfsgemeinschaften«: Die an sich verständliche und nachvollziehbare Regel, dass im Falle eines Paares, bei dem einer der Partner Transfergeld bezieht, zunächst der verdienende Partner für den Unterhalt zuständig sei (der Bezieher von Transfergeld also seinen Anspruch verliert oder sich sein Anspruch verringert), führt dazu, dass Paare zwei Wohnungen mieten und nicht zusammen ziehen, da die Bedarfsgemeinschaft praktischerweise am Führen eines gemeinsamen Haushalts bemessen wird. Dies mündet in die absurde Situation, dass gerade besonders günstige Wohnungen vermietet bleiben, obwohl das Paar überwiegend oder ständig in einer der Wohnungen lebt (und nur bei Prüfung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft die Existenz zweier Haushalte vortäuscht). Eine Änderung dieser Regelung könnte möglicherweise den Wohnungsmarkt für günstige Wohnungen entspannen, würde allerdings an anderen Stellen neue Probleme schaffen.[6] Dies ist ein weiteres trauriges Beispiel für die Existenz der »Interventionsspirale«. Zumindest aber würde die Aufhebung des Anreizes, zur Vermeidung der amtlichen Aufdeckung einer »Bedarfsgemeinschaft« eine doppelte Haushaltsführung vorzutäuschen, den Abbau und nicht die Erweiterung von Kontrolle und Überwachung bedeuten.
5.
Es gibt einen einzigen wirklichen Grund für steigende Mieten, nämlich den, dass nicht genügend geeigneter bzw. gewünschter Wohnraum vorhanden ist, um die Nachfrage zu decken. Die Nachfrage kann steigen, weil mehr Menschen in eine bestimmte (urbane) Region ziehen, was wiederum auf Landflucht oder auf Migration zurückgeht; sie kann ebenfalls steigen, weil Familien nicht mehr so eng aufeinander hocken wollen oder weil der gewünschte Wohnstandard steigt (und damit minderwertiger Wohnraum leer stehen bleibt).
Nebenbemerkung zur Konzentration auf die urbanen Zentren und Hauptstädte: Diese Konzentration folgt einer Reihe von soziologischen und ökonomischen Faktoren, auf die ich hier nicht im Detail eingehen will, um den Rahmen zu wahren. Doch ein oft übersehener Faktor muss in diesem Zusammenhang benannt werden und das ist die Konzentration der Leistungen und der Infrastrukturen, die die Staatsgewalt meist in ihrer unmittelbaren Umgebung, also der Hauptstadt vornimmt. Ohne diesen Faktor werden (Haupt-) Städte sicherlich trotzdem wachsen bzw. groß bleiben, doch die Konzentration würde sehr viel moderater ausfallen und die Landflucht nicht mehr so stark sein.
6.
Zu den Behinderungen des Neubaus oder der Behinderung von Sanierung des Wohnraums, der nicht mehr der Nachfrage entspricht, zählen vor allem Steuern[7] sowie Abgaben, die Bebauungsplanung und staatliche Auflagen. All diese Maßnahmen und Effekte bedürfen einer gesonderten Untersuchung.
Die seit langem niedrigen Zinsen sollten eigentlich die Investitionstätigkeit insgesamt steigern. Warum tritt dieser Effekt generell und auch bei Neubau nicht ein? Die Inflation (d.h. per Staatsgewalt herbeigeführte Geldmengenausweitung), mit der die niedrigen Zinsen geldpolitisch erzeugt werden, lenkt die Geldströme aus der Investition in den ökonomischen Konsum über (zum ökonomischen Konsum zählen wohlgemerkt auch Rüstungsgüter und alle anderen unproduktiven Ausgaben der Staatsgewalt).
Nebenbemerkung zum Argument, es würden eh nur Luxuswohnungen für »die Reichen« neu gebaut: Wenn »die Reichen« in die neu erbauten Luxuswohnungen ziehen, räumen sie eine andere Wohnung.[8] Diese ist dann frei. Und weil »die Reichen« nun ihre neuen Wohnungen haben, stehen sie als Nachfrager für ihre bisherigen Wohnungen nicht mehr zur Verfügung, sodass deren Preis notwendigerweise fallen muss und sie somit für weniger Begüterte »leistbar« sind: Die Preise fallen, der Wohnstandard dagegen steigt.
7.
Effekte der Mietpreissenkung durch Staatsgewalt. — Wie bei jeder Fixierung eines Preises unter dem Marktwert verschwinden auch bei der gewaltsamen Mietpreissenkung Angebote. Das sinkende Angebot führt notgedrungen zu einer Steigerung der Mieten. Wenn diese Steigerung verboten ist, nehmen Korruption und Diskriminierung unweigerlich zu. Das Sinken des Angebots hat verschiedene Formen:
- Private Anbieter nehmen Angebote vom Markt, weil Aufwand und Ertrag in keiner Relation mehr stehen. Eine Gegenmaßnahme müsste eine Kontrolle und ein Zwang zur Vermietung sein; dennoch wird es selbst bei scharfer Überwachung oft kaum möglich sein festzustellen, ob etwa ein ehemaliges Kinderzimmer des nun erwachsenen Nachwuchses noch in Benutzung ist oder nicht. Weitere Folge: Nur noch große Wohnbaugesellschaften vermieten (das ist staatlich forcierte Monopolisierung); zu dieser Tendenz trägt auch die Komplexität und die Problematik des Mietrechts bzw. des Mieterschutzes bei.
- Mieter ziehen nicht aus, wenn der Mietpreis nur bei Neuvermietung steigen darf. Sie nehmen nun längere Wege zur Arbeit in Kauf. Hier ist eine Kontrolle kaum sinnvoll möglich. Oder der Mieter hält den Mietvertrag pro forma aufrecht und überlässt die Wohnung unter der Hand einem Anderen (dabei teilen sie sich die Differenz zwischen möglicher Steigerung bei Neuvermietung in Relation zur alten Miete). Um diese Entwicklung zu verhindern, bedürfte es wiederum der Kontrolle und Überwachung, ebenso wie das Denunziantentum gefördert werden würde. Langsam aber sicher bewegen wir uns nun auf den Polizeistaat zu.
- Wohnungen werden nicht saniert. Sie verkommen, bis sie unbewohnbar werden. Je länger die Drosselung der erlaubten Miete unter den Marktpreis anhält, um so fataler wirkt sich genau dieser Effekt aus. In Lissabon und Porto hatte der faschistische portugiesische Diktator Salazar 1947 ein Einfrieren des Mietpreises verfügt, das mehr als vier Jahrzehnte in Kraft blieb. Der Zustand der Bausubstanz in den beiden Innenstädten entwickelte sich so katastrophal, dass in den 1990er Jahren etliche Häuser einstürzten.
- Neue Wohnungen werden nicht gebaut. (Zu dem Argument, es würden eh ja nur »Luxuswohnungen« neu gebaut, siehe oben These #7.)
Die große Illusion ist dagegen, dass die gut verdienende Maria, die jetzt bei der Suche den gering verdienenden Xavier mit ihrer höheren Zahlungsfähigkeit die schöne Wohnung in begehrter Lage vor der Nase wegschnappt, nach der Drosselung ihren unfairen Vorteil verliert und Xavier »die gleiche Chance« erhalte, nein, dass es sogar sicher sei, Xavier werde eine der günstigen Wohnungen ergattern können. Die Realität sieht anders aus. Auch nach der Mietpreisdrosselung kriegt Maria die Wohnung.[9]
Nebenbemerkung zu Transferleistungen (wie zum Beispiel Wohngeld oder Bedingungsloses Grundeinkommen). An der großen Illusion würde auch der umgekehrte Weg nicht viel ändern, wenn zwar die Mieten frei blieben, die Geringverdiener jedoch in irgendeiner Weise Transfergeld beziehen, um sich die hohen Mieten »leisten« zu können. Solange der Umfang des zur Verfügung stehenden Wohnraums nicht zunimmt, würde das nur einen Anstieg der Mieten mit sich bringen. Die einzige nachhaltige Lösung bestünde darin, die institutionellen Hemmungen des Wohnungsbaus aufzuheben. Da die Mietpreisdrosselung eine dieser Hemmungen darstellt, hätten direkte Transferzahlungen tatsächlich die für den Wohnungssektor weniger fatalen Konsequenzen. Die Auswirkung der Transferzahlungen, dass sie die Mieten in die Höhe treiben, ist allerdings gerade für die untere Mittelschicht, die teils in direkter Konkurrenz zur Unterschicht um Wohnraum steht, besonders wenig angenehm, wenn sie sich in der ökonomischen Position befindet, dass sie keinen Anspruch auf Transferleistungen hat. Beim BGE ist diese Auswirkung zwar versteckt, an dem Faktum selber ändert sich nichts. Die Personen, bei denen das Arbeitseinkommen in der Steuerbilanz so gerade eben die Region oberhalb des BGE-Niveaus erreicht, haben dann das Nachsehen.
8.
Der Effekt von Enteignung. — Die Effekte von Mietpreisstopp, Mietpreisbindung oder Mietpreisbremse ist manchen Kritikern der zu hohen Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt durchaus geläufig, und darum plädieren sie für die Enteignung von großen Wohnbaugesellschaften (darunter befinden sich ironischerweise oft auch Genossenschaften). Manche der genannten Effekte ließen sich hiermit tatsächlich vermeiden; so würde eine staatliche Wohnungsverwaltung gehalten sein, möglichst alle Einheiten auch zu vermieten und keine leer stehen zu lassen. Andere Effekte jedoch würden sich verstärken, sowohl laut theoretischer Vorhersage als auch nach Erfahrungen, wenn die Staatsgewalt die Wohnraumbewirtschaftung ganz in die eigene Hand übernimmt. Zu diesen Effekten gehört die Verschlechterung des Wohnraums sowie der Bau von Wohnungen, die nicht bedarfsgerecht sind. Da geradezu der Sinn des staatlichen Wohnbaus darin bestände, die Mieten unter Marktniveau zu fixieren, wäre eine permanent zu hohe Nachfrage zu erwarten, die eine Zuteilungspolitik notwendig macht (falls der Preis nicht entscheiden darf). Dies wird unweigerlich zu einer Quelle von Korruption und Diskriminierung.
Und genau das bestätigt die Erfahrung aus der planwirtschaftlichen Wohnbaulandschaft in der DDR: Politische Zuteilung. Wohnen ist zwar billig, aber nach West-Standard war die Hinterlassenschaft aus der DDR-Zeit 1989 selbst für Sozialhilfeempfänger unzumutbar. Erhaltung historischer Bausubstanz: Fehlanzeige.
Nebenbemerkung zum erkenntnistheoretischen Stellenwert der Empirie. Ob nun DDR, Portugal oder eins der weiteren zahlreichen Beispiele für das Versagen von Mietpreisdrosselung oder vollständiger staatlicher Bewirtschaftung des Wohnraums angeführt werden, der Einwand lautet, die jeweils aktuell vorgeschlagene Maßnahme sei anders und jedenfalls in der Lage die Fehler der historischen Fälle zu vermeiden. Dieser Einwand hat dann und nur dann Beweiskraft, wenn der, der ihn vorbringt, bezeichnen kann, durch was die von ihm vorgeschlagene Maßnahme die Fehler vermeidet und inwiefern sie strukturell (und nicht nur in verwaltungstechnischen Details) anders ist. Ich selber bringe die Beispiele als Illustration, nicht als Beweise an sich vor. Der Beweis ist die ökonomische Theorie, nicht die historische Empirie.
9.
Sinkender Preis der Diskriminierung (Diskriminierung nimmt zu). — Alle Maßnahmen zur Fixierung des Mietpreises unter das Marktniveau haben vor allem einen Effekt, sie drosseln nämlich den Preis auf Diskriminierung. Diskriminierung hat auf dem Markt einen Preis und darum wirkt der Markt anti-diskriminierend: Wer auf dem freien Markt diskriminieren will, muss in Kauf nehmen, dass er zahlungswillige und zahlungsfähige Personen ablehnt aufgrund des Kriteriums, nach dem er diskriminiert (sei das Kriterium Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle oder politische Orientierung, Religionszugehörigkeit, Herkunft oder Haarfarbe usw.). Sobald für das in Frage stehende Gut, das jemand verkaufen möchte, die Nachfrage größer ist als das Angebot, der Preis jedoch nicht entsprechend steigen darf, gerät der Verkäufer in die vorteilhafte Position, unter all den Anwärtern sich einen herauspicken zu können – und dies wird er gemäß seinen Vorurteilen tun; denn welches Kriterium hätte er sonst, wenn Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit ausfallen? Familien (besonders kinderreiche Familien), Menschen in prekären Situationen oder mit nicht gradlinigem Lebenslauf werden es auf einem regulierten oder staatlichen Wohnungsmarkt immer schwerer haben ebenso wie Ausländer, Flüchtlinge und Migranten (zu diesem Effekt trägt auch das Mietrecht bei). Maria wird nicht nur Xavier, sondern insbesondere Ali bei der Wohnungssuche ausstechen.[10]
10.
Soziologie der Aktionen pro Eingreifen der Staatsgewalt in den Wohnungsmarkt. — Den Protest gegen Mietpreise und die Agitation für Preisbindung oder Enteignung führen nicht ohne Grund Aktivisten aus der Mittelschicht an, denn sie wird von diesen Maßnahmen der Staatsgewalt profitieren: Der Preis der Diskriminierung sinkt, d.h. diejenigen mit großem »kulturellen Kapital«[11] – oder nicht-soziologisch ausgedrückt: mit viel Vitamin B – erhalten dann leichter billigen Wohnraum. Für die Armen wird es mühseliger und mühseliger, teurer und teurer. Denken wir an das Beispiel von Maria in der Konkurrenz mit Xavier und Ali um Wohnraum: Wenn es zutrifft, dass Maria den Zuschlag kriegt, egal ob auf dem freien oder auf dem regulierten Markt, so ist sie es und sie allein es, die von der Mietpreisdrosselung profitiert. Ihre Agitation, um diesen Vorteil durch Staatsgewalt zu erlangen, wird sie mit »sozialem Engagement« begründen. Pierre Bourdieu nannte dies ein »alchemistisches Kunststück«, mit dem Partikularinteressen in Allgemeininteressen verwandelt werden.
Je weiter und je länger die politisch festgelegten Mieten unter dem (vermuteten) Marktniveau liegen, um so schwieriger ist es, die Regulierung der Mieten wieder aufzuheben: Die gegenwärtigen Mieter würden einen Schock erleben und verständlicherweise politisch viel dafür tun, diesem Schock zu entgehen. Damit aber festigen sie die unvorteilhafte Situation für die vom innerstädtischen Markt ausgeschlossenen, diskriminierten Personen und Familien. Man kann getrost davon ausgehen, dass auch jene Wähler, die sich gegen eine Aufhebung der Mietpreisbegrenzung stemmen, eher der Mittelschicht angehören, da genau die es ist, die von ihr profitiert.
11.
Wider die Privilegienmärkte. — »Der Interventionismus wird zu einem Wettlauf der einzelnen Interessenten und Interessensgruppen um Privilegien. Die Regierung wird zu einem Weihnachtsmann, der Geschenke verteilt. Doch die Beschenkten müssen die Gabe, die sie empfangen, doppelt bezahlen. Dem Staate stehen keine anderen Mittel zum Schenken zur Verfügung als solche, die dem Einkommen und dem Vermögen der Untertanen entnimmt. Unter dem Einfluß des Interventionismus haben sich Parlamente zu Privilegienmärkten entwickelt. Die parlamentarische Korruption ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Interventionismus. Der einzelne Abgeordnete und die einzelnen Parteien werden von den Wählern nach dem Erfolg beurteilt, den sie in der Jagd nach Privilegien erzielen. In der Lobby, in der Vorhalle des Parlaments, drängen sich die Petenten. Im Wahlkampf siegt, wer mehr verspricht und wem man eher zutraut, daß er fähig sein werde, sein Versprechen zu halten« Ludwig von Mises, Ominipotent Government, 1944; dt. Im Namen des Staats, Bonn 1978, S. 93.
[1] »Interventionismus« ist in der Begrifflichkeit Ludwig von Mises’ die Theorie und Praxis des Eingriffs der Staatsgewalt, um ein missliebiges Ergebnis freiwilligen wirtschaftlichen Handelns zu korrigieren. Damit ist der Interventionismus eine Form der sogenannten gemischten Wirtschaft (gemischt aus Markt und Staat) und noch nicht eine voll ausgeprägte reine Staatshandelsgesellschaft.
[2] Ich schreibe »etatistische Linke«, um anzudeuten, dass es auch eine nicht-etatistische Linke zumindest vorübergehend gab und wieder geben könnte, wie Christian Sigrist es sich erträumte.
[3] Auch in anderen Bereichen wird dies magische Denken, die Erklärung eines Gutes zum Grundrecht würde automatisch dessen gerechte Verteilung garantieren, zelebriert, etwa bei reinem Trinkwasser (als »Argument« gegen die Privatisierung der Versorgung mit diesem lebenswichtigen Gut).
[4] Wohlgemerkt, Mietpreisstopp gehörte auch zu den Aktionen des nationalsozialistischen Staats.
5] Von ihr ist, ökonomisch (also nicht verwaltungs- und finanztechnisch) gesehen, die (Unter- bzw. Weiter-) Vermietung als Ferienwohnung nur ein Sonderfall.
[6] Beispielsweise könnte dann in jeder Paarkonstellation, in der nur einer der Partner Geld verdient, der jeweils andere Transferzahlungen einfordern.
[7] Neben den direkten nicht die indirekten Steuern vergessen, sowie die Inflation hinzuzählen (da Inflation die Erstbesitzer der Geldmengenausweitung, Banken und Staat, gegenüber allen anderen Wirtschaftssubjekten bevorzugt und ihnen arbeitsloses Einkommen beschert).
[8] … sofern sie nicht aus der Obdachlosigkeit kommen. Nicht ganz ernst gemeinte Präzisierung.
[9] … sofern wir von Berlin sprechen, jedenfalls. Nicht ganz ernst gemeinte Präzisierung.
[10] … sofern wir von Sachsen sprechen, jedenfalls. Nicht ganz ernst gemeinte Präzisierung.
[11] Den Begriff des »kulturellen Kapitals« (als Ergänzung zum ökonomischen Kapital) hat Pierre Bourdieu geprägt, der bis Anfang der 1990er Jahre die Soziologen warnte, in »Staatsdenken« zu verfallen, um dann Ende der 1990er Jahre die Staatsgewalt zum Sachwalter des Allgemeininteresses zu erklären, wogegen in der selbstbestimmten Handlung freiwilliger Gruppen alles Böse lauere.
Stefan Blankertz, 1956, Wortmetz, Lyrik und Politik für Toleranz und gegen Gewalt. Rothbardero seit 1980 – www.murray-rothbard-institut.de.
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