Ludwig von Mises war pro Feminismus, bevor es „cool“ wurde

8.2.2016 – von Jeffrey Tucker und Cathy Reisenwitz.

Jeffrey Tucker

Während Ludwig von Mises vor allem als Ökonom bekannt ist, sind seine Bemühungen, die Zusammensetzung der Ökonomen zu verändern, den meisten nicht bekannt. Er versuchte ein Verständnis zu vermitteln, dass Frauen – gleichwohl aus dem akademischen Leben ausgeschlossen und ferngehalten – enorm zum Studium der Knappheit beitragen könnten.

Mises war im Mittelpunkt der akademischen Welt Wiens zwischen den Weltkriegen, einer der lebendigsten und revolutionärsten der Welt. Aus dieser kulturellen Mischung entstammen einige der brillantesten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts und die intellektuellen Bewegungen, die noch heute unsere Welt beeinflussen. Freud, Mahler, Spann, Machlup, Wittgenstein, Neurath, Schumpeter, Morgenstern, Mises, Hayek, Weber, Weiser, Popper. . . Ihre Namen und Vermächtnisse haben Auswirkungen bis zum heutigen Tag.

Diesem interdisziplinären Mix aus Ideen und Einflüssen verdanken wir den Marginalismus in der Wirtschaftswissenschaft, Mathematik in den Sozialwissenschaften, Modernismus in der Musik, Positivismus in der Methodologie, Psychotherapie in den Geisteswissenschaften. Er bewahrte den Geist des Liberalismus in einer Zeit, in der er sich fast überall auflöste. Der Liberalismus war ein zentrales Thema in allen Bereichen: Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft, Politik und den Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Kein Bereich blieb unberührt, und Fortschritte in einem Bereich hatten Auswirkungen auf alle anderen Disziplinen.

Aber eine bemerkenswerte Tatsache entsprach nicht der offenen Gesellschaft Wiens: Frauen wurden nicht in der Akademie geduldet. Erst 1897 wurden Frauen für das Studium der Philosophie an der Universität Wien zugelassen. Medizin und Recht kamen später. Fortgeschrittene Studien waren immer noch tabu. Und Professor zu sein: unmöglich.

Cathy Reisenwitz

Während Frauen in der Literatur und in der populären Schrift und Musik aufblühten, blieben die Hürden in den offiziellen Institutionen hoch. Damals wie heute ebnet der Markt den Weg zu einer integrativen Gesellschaft, während die Akademie hinter der Kultur hinterherhinkt. Dies bedeutete, dass Frauen wirksam daran gehindert wurden, sich Wissen anzueignen. Dadurch wurde verhindert, dass sie als ernsthafte Mitwirkende in der akademischen Welt betrachtet wurden.

Der große intellektuelle Entrepreneur Ludwig von Mises wollte dies ändern. Er wusste, wie es war, Ausgrenzung zu erfahren. Trotz enormer akademischer Leistungen und des Zugangs zu den klügsten Köpfen seiner Zeit, konnte Mises niemals eine Stelle an einer Universität gewinnen – und er war mit dieser Notlage kaum allein. Es brauchte eine vollständige Abhandlung über das monetäre System im Jahre 1912, um eine unbezahlte Stelle an der Universität zu bekommen. Währenddessen musste er seine Rechnungen bezahlen und arbeitete daher zuerst bei einer Kanzlei und dann später bei der Handelskammer.

Noch bevor Frauen 1919 in das Programm aufgenommen wurden, hielt Mises einen Kurs über das Bankwesen an der Universität, in der die meisten Studenten Frauen aus dem Bereich der Philosophie waren. Es war der ausgeschlossene Professor, der die ausgeschlossen Studenten lehrte. Dieses Erlebnis hatte großen Einfluss auf ihn: Er begann zu diesem Zeitpunkt, sein Buch Die Gemeinwirtschaft zu schreiben, in dem er unter anderem darauf hinwies, wie der Kapitalismus zur treibenden Kraft der Geschichte wurde, indem er Frauen von Gewalt befreite. Ebenso setzte er sich mit dem Anspruch der Sozialisten auseinander, dass der Kollektivismus der einzig glaubwürdige Weg zur Befreiung der Frauen wäre

Anstatt die Deutungshoheit über die Überwindung des kulturellen und institutionalisierten Sexismus an die Kollektivisten abzutreten, nahm Mises das Problem ernst und bot eigene Lösungen an. Und das Argument von Mises zur Gleichstellung der Geschlechter klingt auch heute noch revolutionär.

Der Kampf der Frau um die Behauptung ihrer Persönlichkeit in der Ehe ist ein Stück des Ringens um Persönlichkeit, das für die rationalistische Gesellschaft der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Wirtschaftsverfassung charakteristisch ist. … Die ganze Menschheit müßte leiden, wenn es den Frauen nicht gelingen sollte, ihr Ich so zu entwickeln, daß sie sich als ebenbürtige freie Gefährtinnen und Genossinnen mit dem Mann vereinigen können.

Seine Rekonstruktion der Geschichte der sexuellen Beziehungen markiert einen wichtigen Punkt, bezüglich dem Prinzip der Gewalttätigkeit für den Status der Frau. Hier klingt er wie Friedan (siehe Betty Friedan’s 1963 Buch The Feminine Mystique, geschrieben vor einem halben Jahrhundert):

Unbegrenzte Herrschaft des Mannes charakterisiert familiäre Beziehungen, wenn das Prinzip der Gewalt dominiert. Die männliche Aggressivität, die in der Natur der sexuellen Beziehungen impliziert ist, wird hier zum Extrem getrieben. Der Mann erfasst den Besitz der Frau und hält diesen Sexualgegenstand in demselben Sinne, in dem er andere Güter der Außenwelt besitzt. Hier wird die Frau ein Objekt. Sie wird gestohlen und gekauft; sie wird weggegeben, verkauft, bestellt; kurz, sie ist wie ein Sklave im Haus. Im Leben ist der Mann ihr Richter; wenn er stirbt, wird sie in seinem Grab zusammen mit seinem anderen Besitz begraben. Mit fast absoluter Einstimmigkeit zeigen die älteren Rechtsquellen fast aller Nationen, dass dies einst der anerkannte Sachverhalt war.

Nach dem Gesetz der Gewalt, schreibt Mises, ist das Ergebnis Unterwerfung.

Das Prinzip der Gewalt kennt nur der Mann. Er allein besitzt Macht, daher hat er allein Rechte. Die Frau ist nur ein sexuelles Objekt. Keine Frau ist ohne einen Herrn, sei es Vater oder Vormund, Ehemann oder Arbeitgeber. Auch die Prostituierten sind nicht frei; sie gehören dem Besitzer des Bordells. Die Gäste machen mit ihm Verträge, nicht mit ihr. Die Prostituierte ist wie ein freies Spiel, das jeder nach seinem Vergnügen benutzen kann. Das Recht, einen Mann selbst zu wählen, gehört nicht zur Frau. Sie wird dem Mann gegeben und von ihm genommen. Dass sie ihn liebt, ist ihre Pflicht, vielleicht auch ihre Tugend; die Empfindung wird die Freude schärfen, die ein Mann aus der Ehe hervorbringt. Aber die Frau wird nicht nach ihrer Meinung gefragt. Der Mann hat das Recht, sie zurückzuweisen oder zu scheiden; sie selbst hat kein solches Recht.

Das ist eine verheerende Kritik an allen Formen der Staatsgewalt, vor allem am Sozialismus. In der Praxis bedeutet Sozialismus nicht die Ermächtigung der Arbeiter oder das kollektive Eigentum an den Produktionsmitteln. Es bedeutet die zentrale Rolle des Staates in der Organisation aller wirtschaftlichen und sozialen Bereiche der Gesellschaft. Und wie Mises oft erklärte, hat der Staat nur ein Mittel zur Verfügung: Gewalt über Person und Eigentum. Daher baut der Sozialismus immer auf Gewalt und bringt damit indirekt die Beziehungen zwischen Männern und Frauen auf eine präkapitalistische Position zurück, in der Gewalt (und nicht ein Vertrag) die Grundlage für das Zusammenleben sind.

Mit anderen Worten, gerade weil der Kapitalismus Frauen aus gewalttätigen Beziehungen befreite, war es für Mises das beste System. Der Kapitalismus ist der Weg, die Vision des Feminismus in der Praxis umzusetzen. In diesem Sinne sagt Mises dazu, „solange der Feminismus versucht, die rechtliche Stellung der Frau auf die des Mannes anzupassen, solange er danach strebt, ihre juristische und wirtschaftliche Freiheit zu entwickeln und in der Übereinstimmung mit ihren Neigungen, Wünschen wirtschaftliche Verhältnisse handelt – so weit ist er nichts weiter als ein Zweig der großen liberalen Bewegung, der die friedliche und freie Entwicklung befürwortet.“ Mises setzte diese tiefe Überzeugung nicht nur in der Theorie, sondern auch in die Tat um. Mises hat die Interessen der Frauen in der akademischen Welt aktiv gefördert, soweit er dazu in der Lage war. Biograf Jörg Guido Hülsmann erklärt:

Mises war einer der wenigen Männer in einer Führungsposition, die sich aktiv für junge Intellektuelle einsetzten. Lene Lieser, Marianne Herzfeld und andere schrieben ihre Dissertationen unter seiner Aufsicht. Lieser, Herzfeld, Ilse Mintz, Martha Stephanie Braun, Elisabeth Ephrussi und andere waren regelmäßige Mitglieder seines privaten Seminars. Es ist wahr, dass sie von ihm keine Professur bekommen konnten – er konnte dies auch nicht für seine männlichen Studenten oder sogar für sich selbst tun. Aber er konnte einigen von ihnen helfen, einen jener begehrten Jobs zu erhalten, die ein Leben ermöglichten, das einem die Verfolgung der intellektuellen Interessen erlaubte. Auch dies war bei Herzfeld und Lieser der Fall, die beide im Verband der österreichischen Banken und Bankiers beschäftigt waren.

Jede dieser Frauen war wichtig für die Weiterentwicklung ihres Fachgebietes (Ökonomie, Übersetzung, Kunstgeschichte) – gefördert und ausgebildet von Mises, im tiefen Widerspruch zur damals vorherrschenden, öffentlichen Meinung.

Man beachte diese Ironie. Wenn man irgendjemand der Linken nach Ludwig von Mises fragt, bekommt man eine schnelle Antwort, das sei dieser reaktionäre Alte aus Wien, der nach dem Krieg die kapitalistische Ideologie in die Vereinigten Staaten importierte, ein Mann, mit dem Wunsch, die Institutionen und Kulturen des 19. Jahrhunderts zurückzubringen. Aber die Realität ist anders. Im globalen Hotspot der progressiven Ideen der zwanziger Jahre war er progressiv in Bezug auf Frauenrechte: „Einer der wenigen Männer in einer Führungsposition, die die weiblichen Intellektuellen aktiv gefördert haben.“

Natürlich verstehen Mitglieder der FEE (Foundation of Economic Eduaction) Mises‘ Förderung von Frauen. Besonders intensiv arbeitete er mit Bettina Bien Greaves zusammen, die eine Reihe bahnbrechender Bücher herausgab, darunter mehrere Ausgaben von Mises’ „Human Action“ und einen Großteil ihrer langen Karriere bei der FEE arbeitete.

Betrachten wir nun die anhaltende Kontroverse über das Nichtdiskriminierungsrecht und über so genannte affirmative Aktionen, die die Interessen der Frauen über Männer zu stellen scheinen, eine wichtige Quelle für die Antifeministische Reaktionen und Futter für konservative Aktivisten. Handelte nun Mises selbst, wie häufig behauptet, affirmativ? Nein, denn er förderte die Interessen von Frauen nicht aus Gründen des Geschlechts. Vielmehr sah er in den intellektuellen Frauen Wiens eine unterbewertete, menschliche Ressource. Dies ist keine „bevorzugte Behandlung“, sondern ein Akt des Unternehmertums: Entdecke Wert, wo es die Gesellschaft übersieht. Das ist, was Unternehmer jeden Tag in der Welt der physischen Ressourcen tun. Mises wandte dasselbe Prinzip bei Menschen an.

Hier sehen wir ein zeitgenössisches Beispiel dafür, was es heißt, Feministin zu sein: die vom Zeitalter der Gewalt ausgehende historischen Tendenzen zu überwinden und die freie Assoziation und den Vertrag als Grundsatz der gesellschaftlichen Ordnung voranzutreiben. Benötigt dies Unternehmertum – das heißt, Wert sehen, wo er sonst übersehen wird? Ja, und nicht nur in Bezug auf materielle Ressourcen, sondern auch in Bezug auf Humankapital, welches traditionell als Ressource unterbewertet wird – also als Mitarbeiter, die in produktiven Partnerschaften zu gemeinsamen Zwecken arbeiten könnten.

Dass sich Mises mit der Frage beschäftigte, wie Frauen durch Sexismus aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, ist wichtig für heutige Individualisten. Mises kritisierte nicht nur die staatliche Beschneidung der Freiheit der Frau, sondern auch die der Kultur. Er nannte zu Recht die sexuelle Objektivierung von Frauen, gefördert sowohl von staatlich als auch nichtstaatlicher Stelle und eingebettet in kulturelle Annahmen und traditionelle Gesetze, als ein Haupthindernis zur Gleichstellung der Frau.

Sein Beispiel weist den Weg zu einem korrekten Verständnis des Feminismus. Wie können wir als freie Marktteilnehmer argumentieren, dass der Markt die Quelle des Wohlstands durch Innovation ist und dann untätig dasitzen, wenn er durch geschlechtsspezifische Erwartungen, vor allem jener, die in der Gewalt des Staates liegen oder die von kultureller und sozialer Neigung ausgehen, behindert wird?

Das Zeitalter freier Verträge ist noch nicht gekommen, nicht für alle. Es gibt noch viel zu tun. Wie viel haben wir noch zu tun, um Hindernisse für den freien Markt zu beseitigen und historische Vorurteile zu überwinden? Und wer wird am ehesten dieses große Ziel erreichen, Bürokraten oder Unternehmer?

Mises wusste, dass die Methode der Sozialisten zur Bekämpfung des Sexismus ein tödlicher Fehler für den freien Markt sein würde. So ist es immer noch. Aber er war auch persönlich von der Unterrepräsentation der Frauen in der akademischen Welt betroffen, so dass er sie so weit wie möglich bekämpfte.

Nehmen wir seinen Aufruf, die Situation der Frauen zu verbessern, ernst. Mises war feministisch, bevor es cool wurde. Als Befürworter des freien Marktes sollten wir es auch sein.

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Aus dem Englischen übersetzt von Martin Ziegner. Der Originalbeitrag mit dem Titel The Feminism of Ludwig von Mises ist am 6.1.2014 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.

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Jeffrey Tucker ist verantwortlicher Director of Content für the Foundation for Economic Education and CLO des Startups Liberty.me. Er ist Autor von fünf Büchern und tausender Artikel. Er spricht regelmäßig beim FEE Sommer Seminar. Sein neustes Buch ist Bit by Bit: How P2P Is Freeing the World.

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Cathy Reisenwitz ist Autorin und Chefredakteurin des Blogs Sex and the State. Ihre Artikel erschienen in The Week, Forbes, Chicago Tribune, The Daily Beast, VICE Motherboard, Reason magazine, Talking Points Memo und weitere.

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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