Das Ressentiment der Intellektuellen gegen den Kapitalismus

4.1.2016 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Der kleine Mann hat meist keine Gelegenheit, sich in den Kreisen derjenigen zu bewegen, die erfolgreicher waren als er selbst. Er bewegt sich in dem Kreis der anderen kleinen Leute. Er trifft seinen Vorgesetzten nie „gesellschaftlich“. Er kann nie aus eigener Erfahrung lernen, wie verschieden von ihm ein Unternehmer oder ein leitender Angestellter ist in bezug auf jene Fähigkeiten und Gaben, die erforderlich sind, um die Verbraucher erfolgreich zu befriedigen. Sein Neid und das Ressentiment, das durch ihn erzeugt wird, richten sich nicht gegen ein lebendiges Wesen aus Fleisch und Blut, sondern gegen blasse Abstraktionen, wie z. B. „Management“, „Kapital“ und „Wall Street“. Es ist unmöglich, einen solchen schwachen Schatten mit der gleichen Bitterkeit der Gefühle zu verabscheuen, die man gegen einen Mitmenschen hegen kann, dem man täglich begegnet.

Die Sache sieht anders aus vom Standpunkt der Leute, die dank besonderer Umstände ihrer Beschäftigung oder Familienverbindungen einen persönlichen Kontakt haben mit den Erwerbern der Belohnungen, die, wie sie glauben, von Rechts wegen ihnen selbst zukommen. In ihrem Fall nehmen die durch enttäuschten Ehrgeiz hervorgerufenen Gefühle einen besonders giftigen Charakter an, da sich ihr Haß gegen konkrete Lebewesen richtet. Sie verabscheuen den Kapitalismus, weil er die Stellung, die sie selbst gerne haben möchten, einem anderen Menschen zugewiesen hat.

So sieht es bei den Leuten aus, die man Intellektuelle zu nennen pflegt. Betrachten wir zum Beispiel den praktischen Arzt. Die tägliche Routine und Erfahrung hält jedem Arzt die Tatsache vor Augen, daß es eine Hierarchie gibt, in der alle Ärzte nach ihren Verdiensten und Leistungen abgestuft werden. Diejenigen, die mehr leisten als er, diejenigen, deren Methoden und Erfindungen er lernen und praktizieren muß, um auf dem laufenden zu sein, waren seine Kommilitonen in der medizinischen Fakultät, sie haben während ihrer Ausbildung mit ihm im Hospital gearbeitet, und sie nehmen an den gleichen Sitzungen des medizinischen Verbandes teil. Er trifft sie am Krankenbett seiner Patienten sowohl wie bei gesellschaftlichen Veranstaltungen. Einige unter ihnen sind seine persönlichen Freunde oder sind mit ihm verwandt – und sie alle behandeln ihn mit der größten Höflichkeit und sprechen ihn an als ihren „lieben Kollegen“. Aber dennoch übertreffen sie ihn weit in der allgemeinen Wertschätzung – und oft auch in der Höhe ihres Einkommens. Sie haben ihn überflügelt und gehören nun zu einer anderen Klasse. Wenn er sich mit ihnen vergleicht, so fühlt er sich gedemütigt. Aber er muß vorsichtig darauf achten, daß niemand sein Ressentiment und seinen Neid bemerkt. Selbst das kleinste Anzeichen solcher Gefühle würde als sehr schlechtes Benehmen betrachtet werden und ihn in den Augen aller herabsetzen. Er muß seine Demütigung herunterschlucken und seinen Zorn auf ein stellvertretendes Ziel ablenken. Er klagt die wirtschaftliche Organisation an, das ruchlose System des Kapitalismus. Bestände dieses ungerechte System nicht, so würden seine Fähigkeiten und Talente, sein Eifer und seine Leistungen ihm den reichen Lohn gebracht haben, den sie verdienen.

Das gleiche gilt für viele Juristen und Lehrer, Künstler und Schauspieler, Autoren und Journalisten, Architekten und Wissenschaftler, Ingenieure und Chemiker. Sie fühlen sich ebenso in ihren Hoffnungen getäuscht, weil sie der Aufstieg ihrer erfolgreichen Kollegen, ihrer früheren Schulkameraden und alten Bekannten quält. Ihr Ressentiment ist vertieft eben durch diesen beruflichen und ethischen Kodex, der einen Schleier der Kameradschaft und Kollegialität über die Realität des Wettbewerbs wirft.

Um den Abscheu des Intellektuellen vor dem Kapitalismus zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß dieses System sich seiner Ansicht nach in einer bestimmten Anzahl von Standesgenossen verkörpert, deren Erfolg er übelnimmt, und die er für die Vereitelung seines eigenen übergroßen Ehrgeizes verantwortlich macht. Sein leidenschaftlicher Widerwille gegen den Kapitalismus ist lediglich eine Tarnkappe für den Haß gegen einige seiner erfolgreichen „Kollegen“.

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[Entnommen aus „Die Wurzeln des Antikapitalismus“, 1958; Titel der amerikanischen Originalausgabe: “The Anti-Capitalistic Mentality“, 1956]

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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