Der Fall Kevin Kühnert zeigt: Der Sozialismus lebt

13. Mai 2019 – von Thorsten Polleit

Thorsten Polleit

Nein, aus Erfahrung wird man nicht klug, jedenfalls nicht notwendigerweise. Das zeigen die jüngsten Vorschläge des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert nur allzu deutlich. Er hat in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit unter anderem gefordert, den Automobilbauer BMW zu kollektivieren und allen Immobilienbesitz, der über die private Nutzung hinausgeht, zu enteignen und die Bewirtschaftung von Wohnraum dem Staat anheimzustellen.

 

“Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.”

Kevin Kühnert

Das sind sozialistische Enteignungsphantasien, über die man erschreckt sein kann angesichts der furchtbaren Erfahrungen, die mit sozialistischen Experimenten und kollektivistischen Eifereien immer wieder gemacht wurden. Gerade auch in Deutschland: Man denke nur an den Nationalsozialismus im Dritten Reich oder das sozialistische Regime in der Deutschen Demokratischen Republik. Gleichzeitig sollte man nicht verwundert darüber sein, dass all diese schlimmen Geschehnisse die kollektivistischen-sozialistischen Ideen noch immer nicht vollends diskreditiert und zu Grabe getragen haben. Das hat vor allem einen Grund.

Er lautet: Im Bereich des menschlichen Handelns, der menschlichen Geschichte, kann die Erfahrung niemals den überzeugenden und abschließenden Beweis dafür liefern, dass etwas so verlaufen musste, wie es verlaufen ist. Die Geschichte des menschlichen Handelns bildet stets einen Komplex vieler Einzelerscheinungen, deren jeweiliger Einfluss auf das Endresultat niemals gesondert bestimmt werden kann. Daher lassen sich aus der menschlichen Geschichte auch keine Gesetzmäßigkeiten entnehmen, wie man es aus naturwissenschaftlichen Untersuchungen kennt (Hier lässt sich in der Regel mittels Laborexperiment der isolierte Einfluss eines Faktors auf das Endergebnis herausfiltern. Nach dem Motto: „Wenn A, dann B“). Eine das menschliche Handeln betreffende Theorie wie zum Beispiel der Sozialismus kann folglich durch Erfahrung weder als wahr bestätigt noch als falsch widerlegt werden.

Von eben dieser Einsicht machen die Sozialisten regen Gebrauch. Dass der Sozialismus, wo und wann er in die Tat umgesetzt wurde, nicht die erhofften Ergebnisse gebracht hat, erklären sie regelmäßig wie folgt: Der Sozialismus sei nicht konsequent genug umgesetzt worden. Beim nächsten Versuch müsse man nur beherzter und geschickter vorgehen – und dann werde sich schon zeigen, dass der Sozialismus funktioniert; oder beim nächsten Mal müssen nur bessere, wohlmeinendere und fähigere Personen an den Schaltstellen des Sozialismus platziert werden, und sie werden den Sozialismus schon zum Sieg führen und wie versprochen eine gerechtere und friedvollere Welt erschaffen. Viele weitere Ausflüchte und Rechtfertigungsversuche ließen sich anführen, mit denen das Scheitern des Sozialismus und die Schrecken, die er den Menschen bringt, entschuldigt werden.

Die Einsicht, dass der Sozialismus und alle seine Spielarten nicht funktionieren, dass sie nicht funktionieren können, lässt sich nun zwar nicht aus der Erfahrung ableiten, sie lässt sich aber mit ökonomischem Denken zweifelsfrei gewinnen. Die abschließende und endgültige Widerlegung des Sozialismus mit wissenschaftlichen Mitteln hat der Ökonom Ludwig von Mises (1881–1973) bereits im Jahr 1919 vorgelegt und 1920 als Aufsatz mit dem Titel „Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen“ veröffentlicht.

Kurz gefasst lautet Mises‘ Erklärung wie folgt: Im Sozialismus gibt es kein Eigentum an den Produktionsmitteln. Daher gibt es auch keine Marktpreise für die knappen Produktionsgüter. Ohne deren Marktpreise aber kann eine Wirtschaftsrechnung nicht durchgeführt werden; man kann nicht wissen, wie mit den knappen Mitteln umzugehen ist: man weiß nicht, wann was wo und in welcher Menge gebraucht wird; und man weiß auch nicht, was am dringlichsten und was weniger dringlich ist. Das Wirtschaften ist daher im Sozialismus unmöglich, nicht durchführbar. Armut und Verelendung sind die unweigerlichen Folgen, verbunden mit Gewalt- und Willkürherrschaft. Der materielle Bankrott und der furchtbare Blutzoll des Sozialismus unter Stalin, Hitler, Mao Zedong und Pol Pot waren so gesehen alles andere als „zufällig“.

Doch muss man die Kirche nicht im Dorf lassen? Die Vorschläge von Kühnert sehen ja nicht vor, dass man alle Produktionsmittel verstaatlichen soll. Es geht ihm ja „nur“ um ausgewähltes Eigentum. Und genau darin – in der Politik der kleinen Schritte – kommt die Strategie des demokratischen Sozialismus zum Ausdruck. Der demokratische Sozialismus will einen anderen Weg gehen als der Marxismus. Die Marxisten wollen mit gewaltsamer Revolution und Umsturz zu ihrem Ziel – zum Sozialismus-Kommunismus – gelangen. Die demokratischen Sozialisten wollen hingegen das Ziel mit parlamentarischen Mehrheiten erreichen. Zwischen beiden besteht jedoch – und das ist wichtig zu erkennen – kein kategorischer Unterschied.

Der demokratische Sozialismus behauptet zwar, das Privateigentum belassen zu wollen. Gleichzeitig erhebt er jedoch die Forderung, dass dem Eigentümer die Erträge, die er mit seinem Eigentum erwirtschaftet (Arbeits- und Kapitaleinkommen), nicht zu 100 Prozent zustehen. Vielmehr gehöre ein Teil davon der Gemeinschaft – und dieser Teil sei in Form von Steuern an den Staat abzuführen, der es dann nach politischen Erwägungen an seine Repräsentanten auszahlt und den Rest an andere politisch „Auserkorene“ weiterreicht.

Finden die demokratischen Sozialisten erst einmal Zustimmung für ihre Forderung, ist der weitere Gang der Dinge vorprogrammiert. Wenn man es erst einmal als richtig und gut angesehen hat, dass eine Einkommenssteuer in Höhe von, sagen wir, 20 Prozent erhoben wird, dann werden daraus im Zeitablauf absehbar bald 25, 30, 35, 40 und mehr Prozent. Es kommt – quasi im Zuge einer „Salamitaktik“ – zu einer voranschreitenden Enteignung der Einkommensverdiener, zu einer anwachsenden, nach politischen Erwägungen betriebenen Umverteilung von Eigentum, durch die vor allem der Staat und von ihm Begünstigten Gruppen immer machtvoller werden. Das Eigentum besteht dann de facto nur noch formal.

Es ist daher verständlich, dass Kühnerts Vorschlag, Großunternehmen und Wohnraum verstaatlichen zu wollen, den ein oder anderen demokratischen Sozialisten empört. Schließlich wollen sie mit dem marxistischen Umsturzbestrebungen nicht in Verbindung gebracht werden. Doch, und das sei hier betont: Die grundsätzliche Position der Marxisten ist nicht anders als die der demokratischen Sozialisten.

Bemerkenswert ist nun allerdings, mit welchen Argumenten Kühnerts Enteignungsvorschläge öffentlich zurückgewiesen werden. Es wird meist gesagt, Enteignung sei nicht „nützlich“ oder „hilfreich“ oder „praktikabel“, um diese oder jene Ziele (das Schaffen von Arbeitsplätzen oder das Verbilligen von Wohnraum) zu erreichen. Grundsätzliche, prinzipielle Argumente gegen Enteignung sind eher rar gesät. Man gewinnt eher den Eindruck, viele Menschen betrachten das Eigentum bestenfalls als so etwas wie eine „sinnvolle Übereinkunft“.

Doch das Eigentum lässt sich dauerhaft nur gegen Anfeindungen und Relativierungen verteidigen, wenn es kategorisch verstanden und begründet wird, ohne Wenn und Aber. Und es gibt das überzeugende, das „nicht hintergehbare“ Argument für das Eigentum (verstanden als das Eigentum am eigenen Körper und Eigentum an den Gütern, die man sich auf friedvollem Wege angeeignet hat). Das Eigentum ist eine Kategorie des menschlichen Handelns. Und daher kann man das Eigentum nicht verneinen, ohne seine Geltung bereits vorauszusetzen. Wenn jemand sagt „So ein Unsinn, Eigentum ist Willkür, keiner hat ein Recht darauf“, dann setzt derjenige, der das sagt, Eigentum an sich selbst (Selbsteigentum) und den Gütern, die er zum Erhalt seines Körpers bedarf, stillschweigend voraus: Ohne die Verfügung über zum Beispiel seine Stimmbänder, die er einsetzen muss, um sein Argument sprachlich vorzubringen, könnte er die Aussage, die er macht, gar nicht treffen. (Genau dasselbe setzt er übrigens auch bei seinem Gesprächspartner stillschweigend voraus.)

Man kann das Eigentum nicht verneinen, ohne dadurch einen logischen Widerspruch zu verursachen, also Unsinn zu reden. Mit Vernunftgründen lässt sich folglich das Eigentum nicht relativieren, geschweige denn abschaffen, nicht in Teilen, schon gar nicht vollständig. Und weil man sich dieser Einsicht mit Vernunftgründen nicht verschließen kann, gehen die Enteignungssympathisanten auch einen anderen Weg. Sie führen vor allem Neid und Missgunst ins Feld: Die, die zu viel haben, können und sollen abgeben; dass jemand Vermögen hat, ist schließlich nur möglich, weil er es anderen abgepresst hat; und so weiter.

So findet sich bei Kühnert, wenig überraschend, der Ruf zur Kollektivierung von „Großunternehmen“ und nicht etwa zur Kollektivierung von mittelständischen Firmen oder Handwerksbetrieben. Und natürlich sollen auch „nur“ solche Immobilien enteignet werden, in denen der Eigner nicht selbst wohnt – eine Maßnahme, die nicht die Mehrheit der Menschen treffen würde, sondern „nur“ die wenigen, die Mietwohnungen haben. (Das ist natürlich ein Irrtum: Die vielen Mieter werden die Geschädigten sein, sie werden mit knappem und schlechtem Wohnraum vorlieb nehmen müssen.) Alles Steilvorlagen, um Neid und Missgunst zu schüren und sie dann politisch auszubeuten.

Die Idee, Eigentum in der einen oder anderen Form enteignen zu wollen, ist nicht zuletzt auch deswegen gegen jede Vernunft, weil das Eigentum der Grundpfeiler ist, der erst verantwortliches Handeln der Menschen in der Gemeinschaft möglich macht, das Eigentum ist die unverzichtbare Grundlage für eine produktive und friedvolle Arbeitsteilung zwischen den Menschen, national wie auch international. Wenn sich diese Erkenntnis durchsetzt und tief verankert, dann hätte die hitzige Diskussion, die Kevin Kühnert ausgelöst hat, letztlich sogar noch etwas Gutes.

Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungspartner und volkswirtschaftlicher Berater eines Alternative Investment Funds (AIF). Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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