Gewinner und Verlierer des Euro

8. April 2019 – Die kumulierten Wohlstandswirkungen der Währungsunion seit 1999 – Die größten Leidtragenden sind Italien, Frankreich und Portugal – Auch nach 20 Jahren ist der Euro umstrittener denn je – In Griechenland anfangs erst Wohlstandsgewinne, seit 2011 immer mehr Einbußen – Deutschland an der Spitze, aber seine Haftungsrisiken sind unberücksichtigt – Kritische Äußerungen zur CEP-Untersuchung – Nicht Abkehr vom Euro ist das Ziel der Untersuchung, sondern Reform – Aber dazu fehlen politisch der Wille und die Fähigkeit

von Klaus Peter Krause

Klaus Peter Krause

Alle wissen: Der Euro und die Euro-Währungsunion sind nicht das geworden, was sie werden sollten. Die kundigen Ökonomen wussten es schon vorher und haben gewarnt: Die Euro-Währungsunion kann nichts werden; sie eint die beteiligten EU-Staaten nicht, sondern spaltet sie. Die Politiker wollten die Warnung nicht wahrhaben, setzten sich über sie hinweg, die unkundigen EU-Bürger haben die Einheitswährung bejubelt, nur die meisten Deutschen wollten sie nicht, wurden aber nicht gefragt. Daher kam, was kommen musste. Die unterschiedlichen Auffassungen von politischer und finanzieller Stabilitätspolitik in den Euro-Staaten, unterschiedliche Konjunkturzyklen mit unterschiedlichen Reaktionen darauf und eine für sie alle einheitliche Geld- und Zinspolitik der EZB schweißen die Währungsunion nicht zusammen, sondern treiben sie auseinander.

Je nach konjunktureller Lage ist das Zinsniveau für die einen zu hoch, für die anderen zu niedrig. Mit den nationalen Währungen ist auch das mögliche Korrektiv individueller Ab- oder Aufwertung der Währung verschwunden. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Euro-Staaten im Norden und denen im Süden ist ein tiefer Graben geworden.[1] Die leichtlebigen, leichtsinnigeren Euro-Südländer, die sich als Gewinner der Währungsunion wähnten und (wegen der EZB-Nullzinspolitik) vielleicht immer noch wähnen, sind letztlich die Wohlstandsverlierer. Die relativ soliden Nordstaaten erscheinen – von Nebenfolgen wie den Target-Salden einmal abgesehen – als die Wohlstandsgewinner. Eine Untersuchung aus Freiburg analysiert, welche Staaten seit 1999 vom Euro profitiert und welche Einbußen erlitten haben, und hat dazu auch Zahlen geliefert.

Die größten Leidtragenden sind Italien, Frankreich und Portugal

Wer vermutet haben mag, das Euro-Abenteuer habe vor allem Griechenland erhebliche Wohlstandsverluste beschert, und es hätte daher besonders gut daran getan, dem Euro nicht  beizutreten, hat sich geirrt. Die größten Leidtragenden sind Italien, Frankreich und Portugal (siehe Tabelle).

Für sie (und andere) hätte der Euro abwerten und für ein Land wie Deutschland aufwerten müssen, was aber in der Währungsunion nicht geht. Deutschland profitierte davon, dass es innerhalb dieser Union nicht jenem Aufwertungsdruck ausgesetzt war, dem es sonst ohne diese Union ausgesetzt gewesen wäre. Besonders stark unter Druck steht Italien. Gerade dieses Land also müsste seinen Austritt aus dem Euro eigentlich vorbereiten, was in der Studie selbst aber nicht gefordert wird, im Gegenteil.

Auch nach 20 Jahren ist der Euro umstrittener denn je

Die Untersuchung stammt vom Centrum für Europäische Politik (CEP), das sich als „europapolitischen Think Tank“ der gemeinnützigen Stiftung Ordnungspolitik in Freiburg versteht und sich beschreibt als „unabhängiges Kompetenzzentrum zur Recherche, Analyse und Bewertung von EU-Politik“. In der Einleitung schreiben die beiden Autoren (Alessandro Gasparotti und Matthias Kullas), zwanzig Jahre nach seiner Einführung sei der Euro umstrittener denn je.  Die Bevölkerung in den problembehafteten Euro-Staaten beklage das geringe Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit, in anderen werde die EZB-Politik unter Draghi und die Haftungsfolgen für sie kritisiert, die mit den Finanzhilfen einhergingen. Diese Entwicklung habe in nahezu allen Euro-Staaten zu einer Diskussion über die Vor- und Nachteile der Gemeinschaftswährung geführt.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Maßstab

Ihre Untersuchung begründen die Autoren damit, dass nach wie vor belastbare empirische Untersuchungen fehlen, in welchen Euro-Staaten die Euro-Einführung zu Wohlstandsvorteilen und in welchen sie zu Wohlstandsnachteilen geführt habe: „Zwar ist untersucht worden, ob der Euro den Handel zwischen den Euro-Staaten befördert hat. Doch die Ergebnisse hierzu sind nicht eindeutig. Hinzu kommt, dass die Fokussierung auf den Handel nur einen kleinen Aspekt der Euro-Einführung beleuchtet. Nachteile der Euro-Einführung, die damit einhergehen können, dass die Euro-Staaten ihre Währung nicht mehr abwerten können, bleiben unberücksichtigt.“ Ob der Euro für die einzelnen Euro-Staaten per saldo zu einem Wohlstandszuwachs oder zu einer Wohlstandseinbuße geführt hat, untersuchen die Autoren daran, wie sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung während der bisherigen Euro-Zeit entwickelt hat. Das ist für sie ein aussagekräftiges Maß. Sie erläutern:

Warum die Untersuchung nur auf einige Euro-Länder beschränkt ist

„Hierbei wird mit Hilfe der synthetischen Kontrollmethode für ausgewählte Euro-Staaten ermittelt, wie sich das BIP-pro-Kopf entwickelt hätte, wenn sie der Euro-Zone nicht beigetreten wären. Ein Vergleich mit der tatsächlichen BIP-pro-Kopf-Entwicklung ermöglicht es dann, die Wohlstandswirkungen des Euro-Beitritts zu bestimmen. Die Untersuchung kann nur für Euro-Staaten durchgeführt werden, bei denen ein langer Zeitraum zwischen EU-Beitritt und Euro-Einführung liegt. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass das Ergebnis der Untersuchung nicht durch den Beitritt zur EU und ihrem Binnenmarkt verzerrt wird. Aus diesem Grund wird die Untersuchung nur für Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Portugal und Spanien durchgeführt. Auch Luxemburg und Irland weisen als EU-Gründungsmitglieder zwar einen ausreichend großen Abstand zwischen EU-Beitritt und Euro-Einführung auf, allerdings lässt das vorhandene Datenmaterial eine belastbare Aussage für diese beiden Länder nicht zu.“  Warum Griechenland hier nicht erwähnt ist, wohl aber in der Tabelle auftaucht und unter Ziffer 4.4 mit dem Untersuchungsergebnis ebenso erscheint wie die anderen sieben Ländern, bleibt offen.  Die ausführlichen weiteren Erläuterungen sind in der Untersuchung selbst nachzulesen (hier).

In Griechenland anfangs erst Wohlstandsgewinne, seit 2011 immer mehr Einbußen

Das Fazit zu Griechenland lautet: „In Griechenland hat der Beitritt zur Euro-Zone zwischen 2001 und 2010 zu sehr großen Wohlstandsgewinnen geführt. Dies änderte sich 2011, nachdem 2009 die in den Vorjahren entstandene Blase geplatzt war. Seither führt der Euro zu Wohlstandsverlusten. Aufgrund der Wohlstandsgewinne in den ersten Jahren nach der Euro-Einführung war die Gesamtbilanz mit 2 Mrd. Euro bzw. 190 Euro pro Einwohner Ende 2017 gerade noch positiv. Damit dies mittelfristig so bleibt, muss die griechische Regierung dringend Reformen zur Steigerung des BIP pro Kopf durchführen. Hierzu zählen Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Verbesserung des Investitionsklimas. Das Beispiel Spanien zeigt, dass Strukturreformen den negativen Trend immer größerer Wohlstandseinbußen umkehren können.“

Deutschland an der Spitze, aber seine Haftungsrisiken sind unberücksichtigt

Das Fazit zu Deutschland: „Deutschland hat mit Ausnahme von 2004 und 2005 jedes Jahr von der Euro-Einführung profitiert, besonders seit der Euro-Krise ab 2011. Kumuliert von 1999 bis 2017 hat der Euro in Deutschland zu Wohlstandsgewinnen von 1,9 Billionen Euro bzw. 23.116 Euro pro Einwohner geführt. Von den untersuchten Staaten hat Deutschland damit am meisten vom Euro profitiert.“ Maßstab ist hier wie bei allen untersuchten Euro-Ländern, wie gesagt, immer nur das Bruttoinlandsprodukt. Die Haftungsrisiken für den Fall, dass der Euro scheitert und die Währungsunion zerbricht, bleiben also gänzlich unberücksichtigt.

Kritische Äußerungen zur CEP-Untersuchung 

Kritische Äußerungen zur CEP-Untersuchung hat das Magazin Focus gebracht.[2] Zitiert sind dort die Ökonomen Clemens Fuest, Jörg Krämer und Ulrich Kater. Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts in München, Krämer Chefvolkswirt der Commerzbank und Kater Chefvolkswirt der Deka-Bank. Laut Fuest haben Thesen darüber, welche Länder Gewinner oder Verlierer der gemeinsamen Währung sind, in der Regel keine seriöse Grundlage. Seriös beantworten könne man lediglich die Frage nach der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Länder seit der Euro-Einführung. Fuest warnt vor falschen Schlüssen: „Weder kann das gute Pro-Kopf-Wachstum in Deutschland als Folge der Euro-Einführung angesehen werden noch sollte man das geringe Wachstum in Italien dem Euro in die Schuhe schieben.“

Was zwei Bank-Chefvolkswirte einwenden

Krämer hält es nicht für sinnvoll, die Mitgliedsländer in Verlierer und Gewinner aufzuteilen. „Wenn die Währungsunion das Stabilitätsversprechen des Maastricht-Vertrags erfüllte, wären alle Länder Gewinner.“  Allerdings wurde der Maastricht-Vertrag gebrochen, und die Währungsunion war letztlich dafür die Ursache. Für Kater haben sich Länder, die vor der Euro-Einführung schon wirtschaftlich stark gewesen sind, auch danach weiterhin sehr gut entwickelt. Er nennt Länder wie Deutschland, die Niederlande und Österreich. Dagegen seien für Länder wie Spanien, Griechenland oder Italien die alten Probleme von Ineffizienz und hoher Verschuldung auch im Euro bestehen geblieben. Beide Chefvolkswirte bagatellisieren. Als Bankangestellte sind sie ohnehin befangen, denn die Banken, denen sie dienen, sind wie alle Banken nicht gegen, sondern für den Euro – was immer das kostet.

Was Clemens Fuest entgegenzuhalten ist

Insofern kann nur Fuest als unabhängig gelten. Doch ihm lässt sich entgegenhalten, dass ein Land wie Italien, wenn es nicht Euro-Mitglied wäre, seine Lira in schwerer Wirtschaftslage hätte abwerten können, was es jetzt im Euro nicht kann. Abwertungen beleben zugunsten der italienischen Exportwirtschaft üblicherweise die Ausfuhr, und erschweren zugunsten des Absatzes italienischer Güter im Inland die Einfuhr. Italienische Güter werden im Inland und Ausland preislich wettbewerbsfähiger. Folglich steigt Italiens Bruttosozialprodukt (BSP) mit positiven Wirkungen auf die Beschäftigung und das Steueraufkommen. Wirklich unentbehrlich sind für Italiener im Notfall wohl nur sehr wenige Importgüter – wenn überhaupt. Es kann allerdings sein, dass Produktionskapazitäten italienischer Hersteller anfänglich bei der Abwertung nicht ausgelastet sind. Aber bei steigender Nachfrage wird die Auslastung erreicht. Dann würden die Fixkosten dieser Produkte sinken. Je nach Konkurrenzlage und wenn die Preiselastizität der Nachfrage hoch ist, würde es für die Produkte zu Preissenkungen kommen. Die schlagen sich dämpfend auf das BSP nieder. Das aber nur vorübergehend. Sind die Kapazitäten längere Zeit voll ausgelastet, kehrt sich das wieder um. Blieben dagegen die Preise nach der Abwertung unverändert, würden die Produzenten höhere Gewinne erzielen. Mit ihnen könnten sie Ersatz- und Erneuerungsinvestitionen finanzieren. Die Wirtschaft würde sich beleben.

Die ungelöste, unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Staaten

In der Einleitung weisen die beiden CEP-Autoren darauf hin, dass vor allem  die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Staaten ungelöst ist, zurückzuführen darauf, dass einzelne Euro-Staaten ihre Währung nicht mehr abwerten können, um international wettbewerbsfähig zu bleiben oder es wieder zu werden. In der Zeit vor der Euro-Einführung sei dies ein übliches Mittel gewesen. Doch seit der Euro-Einführung führe eine Erosion der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu einem geringeren Wirtschaftswachstum, einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und zu sinkenden Steuereinnahmen. Gegenwärtig litten besonders Griechenland und Italien darunter, dass sie ihre Währung nicht mehr abwerten könnten. Das, wenn auch nicht nur das, spricht dafür, dass solche Länder zur nationalen Währung zurückkehren.

Nicht Abkehr vom Euro ist das Ziel Untersuchung, sondern Reform

Ebendies wollen die CEP-Autoren allerdings nicht. In einer Erklärung zu den Reaktionen auf ihre Untersuchung schreiben sie: „Die Studie ist auf ein hochsensibles politisches Umfeld gestoßen und hat daher zu zahlreichen Reaktionen geführt. Hierzu stellen wir fest: Die Ergebnisse der Studie zeigen nicht, dass es für einen Euro-Staat besser wäre, aus dem Euro auszutreten. Vielmehr müssen die Euro-Staaten, die bisher nicht vom Euro profitieren, Reformen insbesondere zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durchführen, um vom Euro zu profitieren. Hierauf wurde in der Studie mehrfach hingewiesen. Zudem würde ein Austritt aus dem Euro mit nicht zu beherrschenden Risiken einhergehen und daher für kein Land zu einer Wohlstandsverbesserung gegenüber dem Status quo führen. An Reformen führt daher kein Weg vorbei.

Aber zu den nötigen Reformen fehlen politisch der Wille und die Fähigkeit

Gewiss. Aber dagegensteht, dass sich nach wie vor zeigt, dass die Staaten und ihre Politiker zu solchen grundlegenden Reformen weder willens noch fähig sind. Folglich wird eine Rückkehr zu nationalen Währungen zwangsläufig stattfinden, nämlich erst dann, wenn die Euro-Währungsunion auseinandergebrochen ist.

[1] Einen Beitrag aus jüngster Zeit dazu gibt es von Gunter Schnabl: „Die tiefen Euro-Gräben“ (FAZ vom 28. März 2019, Seite 20). Schnabl ist Pro­fes­sor für Wirt­schafts­po­li­tik an der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Sein Artikel beginnt mit dem Satz „Zwei Jahr­zehn­te nach Ge­burt des Eu­ros ist ei­ne Dis­kus­si­on über Ge­win­ner- und Ver­lierer­län­der auf­ge­flammt“ und endet mit diesem Fazit: „Die Pro­phe­zei­un­gen ha­ben sich al­so nicht er­füllt. Statt mehr Wett­be­werb gibt es Kon­zen­tra­ti­on. Statt Fis­kal­dis­zi­plin ist die Staats­ver­schul­dung deut­lich an­ge­stie­gen. Die Wachs­tums­aus­sich­ten sind trü­be, die po­li­ti­sche In­sta­bi­li­tät nimmt sicht­lich zu. Die In­fla­ti­on im Eu­ro­raum ist nur ge­ring, weil die Kauf­kraft der Bür­ger sinkt und das bil­li­ge Geld in die Ver­mö­gens­märk­te strömt. Weil der Eu­ro schwach und in­sta­bil ist, hat er, wie die EZB selbst be­rich­tet, deut­lich an in­ter­na­tio­na­ler Be­deu­tung ver­lo­ren. All das soll­te An­lass ge­nug sein, sich rasch von der ul­tra­lo­cke­ren Geld­po­li­tik zu ver­ab­schie­den und die Fis­kal­dis­zi­plin im Eu­ro­land end­lich ernst zu neh­men.“

[2] Focus Online am 27. Februar 2019  (hier).

Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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