Zivilisation, Eigentum und Freiheit

11. September 2020 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

Nicht erst seit den Aktivitäten im Zusammenhang mit der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie ist ein europaweit von den Regierungen vorangetriebener, alle Lebensbereiche umfassender Kollektivismus auf dem Vormarsch. Schon zu Beginn der 1970er-Jahre waren Parolen wie „Mehr Demokratie wagen“ (Willy Brandt) oder „Alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten“ (Bruno Kreisky) en vogue. Die klingen zwar harmlos, ja für viele sogar ansprechend, führen aber letztlich unweigerlich zum Sieg kollektiver Interessen über die des einzelnen Bürgers. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ – die Nationalsozialisten schrieben dieses Motto in ihr Parteiprogramm.

Wie in den dunkelsten Stunden der Vergangenheit werden auch heute wieder private Rechte zugunsten des „Gemeinwohls“ (was auch immer das sein mag) zurückgedrängt. Privates Eigentum wird längst nicht mehr vom Staat geschützt; es wird inzwischen vielmehr zum bevorzugten Angriffsziel staatlicher Aktivitäten.

Seit der 68-Revolte ist viel geschehen und Europa ist auf dem Weg zum Sozialismus und in die Knechtschaft ein gutes Stück vorangekommen. Das politische Spektrum hat sich in atemberaubendem Ausmaß nach links verschoben. Weltanschauliche Positionen, die vor ein paar Jahrzehnten noch als „middle of the road“ galten, werden von den meinungsführenden Tugendwächtern dieser Tage als erzreaktionär, rechtsradikal, faschistisch oder, je nach Bedarf auch als homophob, islamophob, frauenfeindlich oder rassistisch gebrandmarkt.

Wie der russische Mathematiker Igor Schafarewitsch (1923-2017) in seinem höchst lesenswerten Buch Der Todestrieb in der Geschichte: Erscheinungsformen des Sozialismus elaboriert darstellt, war und ist neben Familie und Religion stets das Privateigentum eines der Hauptziele aller sozialistischen Umtriebe. Das darf auch nicht verwundern, denn privates Eigentum liefert die Basis individueller Unabhängigkeit und Freiheit, und die ist allen totalitären Kollektivisten, die menschliche Gesellschaften in der Art von Ameisen- oder Termitenkolonien organisiert sehen wollen, naturgemäß ein Gräuel.

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Persönliches Eigentum gewinnt mit der neolithischen Revolution – mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht und einer damit verbundenen sesshaften Lebensweise -, dramatisch an Bedeutung. Während nomadisch lebende Menschen aus Gründen fehlender Transportmöglichkeiten naturgemäß über keine größeren Mengen an Eigentum verfügen, ändert sich das, sobald dazu übergegangen wird, an fixen Standorten zu verweilen. Ab diesem Moment wird es möglich, Vermögen in nennenswertem Ausmaß zu bilden. Insbesondere nach der „Erfindung“ unverderblicher Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel (Geld) steht einer Akkumulation von Eigentum, und einer damit verbunden Abkehr vom materiellen Egalitarismus wie er bei nomadisch lebenden Gesellschaften vorherrscht nichts mehr im Wege.

Über das Wesen, die Entstehung und den Erwerb von Eigentum zerbrechen sich seit dem Altertum viele große Geister ihre Köpfe. Für die klassischen griechischen Philosophen hat Eigentum nur insofern Bedeutung, als es ein „gutes Leben“ zu ermöglichen oder zu begünstigten vermag. Für sie ist Eigentum nicht naturrechtlich begründet, sondern entsteht als Ergebnis vernunftgetriebener Überlegungen und Handlungen.

Auch das römische Recht kennt keine formale Definition des Eigentumsbegriffes, wiewohl eine Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz existiert. Der römische Politiker und Philosoph Marcus Tullius Cicero beschäftigt sich mit der Begründung von Eigentum und geht – ähnlich wie viele Jahrhunderte später der britische Arzt und Philosoph John Locke (1632-1704) – von einer ursprünglichen „Okkupation“ von in der Natur vorhandenen Ressourcen aus.

Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit entwickeln die Theoretiker der spanischen Spätscholastik ihre auf den Gedanken des Kirchenvaters Thomas von Aquin (1225-1274) aufbauenden Vorstellungen, die im Kern schon die Überlegungen rezenter Libertärer vorwegnehmen. Eigentum bildet demnach die Voraussetzung für ein konfliktfreies, friedliches Zusammenleben.

Dann kommt das Jahr 1689, in dem John Locke in seiner anonym veröffentlichten „Zweiten Abhandlung über die Regierung“ den Grundstein für alle eigentumsbezogenen Ideen der neuzeitlichen Liberalen und Libertären setzt und die erste konsistente Eigentumstheorie  vorlegt. Nachdem er zunächst den Natur- und Kriegszustand erklärt (den er völlig anders definiert als sein Zeitgenosse Thomas Hobbes) und das Wesen der Sklaverei darstellt, widmet Locke sich dem Phänomen Eigentum. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die Vorstellung vom Eigentum an der eigenen Person. „Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein“ (alles andere liefe auf die von ihm zuvor behandelte Sklaverei hinaus). Im nächsten Schritt erklärt Locke, dass alles, was der Mensch „ … dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht.“

Den in der Natur vorgefundenen Zustand durch Arbeit zu verändern, begründet demnach Eigentum. Nicht das Einzäunen eines Grundstücks; nicht die bloße Behauptung, etwas gehöre jemandem begründet es, sondern die Bearbeitung und Nutzbarbarmachung. „…die Bedingung des menschlichen Lebens, das Arbeit und Stoff, der bearbeitet werden kann, erfordert, führt notwendigerweise zum Privatbesitz.“

In weiterer Folge beschreibt Locke die Entstehung des Geldes und die damit einhergehende Möglichkeit zur Kapitalakkumulation. Die stellt für Locke deshalb kein Problem dar, weil sie keinen anderen in seinen Möglichkeiten zum Broterwerb beschränkt. Für ihn liegt es auf der Hand, dass die durch das Geld (Gold und Silber) gegebene Möglichkeit zur Ansammlung von Vermögen von den Menschen selbstverständlich auch genutzt wird.

An die Stelle der Aneignung natürlicher Ressourcen durch das „Vermischen mit Arbeit“ tritt, sobald es keine weißen Flecken auf der Landkarte und keine herrenlosen Güter mehr gibt, der vertraglich geregelte Tausch von Ware oder Arbeit gegen Geld. Nur durch Produktion oder Tausch (oder durch freiwillige unentgeltliche Überlassung) kann auf rechtmäßige Weise Eigentum erworben werden. Alle Menschenrechte sind logisch auf das von Locke formulierte „Recht an der eigenen Person“, das „Selbsteigentum“, zurückzuführen.

Die von rezenten Theoretikern wie Hans-Hermann Hoppe vertretene und im Grunde auf Lockes Gedanken aufbauende These, wonach Eigentum die Voraussetzung für ein konfliktfreies Zusammenleben bildet, ist logisch unangreifbar. Nur die klare Unterscheidung von Mein und Dein ermöglicht gute Nachbarschaft. Nur privates Eigentum macht von der Willkür Dritter – insbesondere von einer übermütigen und anmaßenden Staatsbürokratie – unabhängig. Gemeineigentum dagegen ist eine stete Quelle von Konflikten, die unter dem Stichwort „Tragik der Allmende“ viele Bände füllt.

Eingedenk dessen ist es deprimierend zu erleben, wie das zivilisationsbegründende Institut des Privateigentums – zum Schaden der gesamten Gesellschaft – im Zuge des immer stärker nach links wehenden Zeitgeistes systematisch schlechtgeredet, marginalisiert, kollektiviert oder zerstört wird.

Der Klimawandel, die Energiewende, der unentwegte Kampf für oder gegen was auch immer (Drogen, Diskriminierung, soziale Ungleichheit, Waffenmissbrauch, „Hass im Netz“, usw. usf.) sind allesamt Vehikel für nicht enden wollende Eingriffe in private Eigentumsrechte. Das alles unter tatkräftiger Unterstützung einer linkslastigen Medienszene, die kein Print- oder Sendeformat auslässt, um publikumswirksam rollende Angriffe auf den vermeintlich herrschenden Raubtierkapitalismus und Neoliberalismus zu führen.

Dass bei einer rund 50-prozentigen Staatsquote, bei einer gegen zwei Drittel des Einkommens gehenden Steuerbelastung von „Besserverdienern“, bei vollständiger Beherrschung oder Kontrolle zentraler Lebensbereiche durch den Staat, wie Geldwesen, Bildung, Hochschulen, Gesundheitswesen, Pensionsversicherung, etc., von Kapitalismus überhaupt keine Rede sein kann, ist der Mehrheit der tagaus tagein gehirngewaschenen Untertanen kaum noch zu vermitteln.

Der libertäre Erfolgsautor Roland Baader (1940-2012) formuliert es in seinem Buch „Freiheitsfunken, aphoristische Impfungen“ so:

Sobald mehr als die Hälfte der Bevölkerung eines Landes ihr Einkommen ganz oder teilweise vom Staat bezieht, ist eine Umkehr auf dem Weg in die Knechtschaft nicht mehr möglich.“

Diesen Punkt haben die europäischen Wohlfahrtsstaaten indes längst überschritten. Baader setzt fort:

Die Stallgefütterten wollen und können auf ihren Futtermeister nicht mehr verzichten. Ihr Schicksal ist dann vorgezeichnet: Füttern, melken, schlachten.

Fazit: ohne privates Eigentum keine Unabhängigkeit, keine Freiheit und keine vom Wohlwollen einer allmächtigen Bürokratie unabhängige Sicherheit. Dem unablässigen, durch die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus erneut beschleunigten Staats- und Regulierungswachstum muss unbedingt Einhalt geboten werden, wenn die düstere Vision Roland Baaders nicht in Erfüllung gehen soll.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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