Ein ungezügelter Kapitalismus führt ins Chaos? Stimmt nicht!

29. Juli 2020 – Im Juni ist das Buch „64 Klischees der Politik. Klarsicht ohne rosarote Brille“ von Pierre Bessard und Olivier Kessler erschienen. Wegweisende politische Entscheidungen werden heute oftmals auf der Basis von Klischees und Binsenweisheiten getroffen, die nicht mehr hinterfragt werden. Die Autoren widerlegen diese weitverbreiteten Klischees der Politik und regen zu einem gründlichen Hinterfragen an – mit dem Ziel, von beschrittenen Irrwegen abzukommen. Bestellbar ist das Buch für Leser in der Schweiz und Liechtenstein direkt beim Liberalen Institut, außerhalb der Schweiz und Liechtenstein ist das Buch hier bestellbar.

Nachfolgend veröffentlichen wir das Kapitel «Ein ungezügelter Kapitalismus führt ins Chaos».

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Der reine Kapitalismus würde nicht funktionieren. Es braucht den Staat, der die Wirtschaft in die richtigen Bahnen lenkt und öffentliche Güter zur Verfügung stellt. Ein planloser Markt würde die Gesellschaft aufgrund von «Marktversagen» nicht ausreichend mit diesen wichtigen Gütern versorgen.

Olivier Kessler

Der Kapitalismus ist nicht gleichzusetzen mit einem chaotischen Zustand der Gesetzlosigkeit. «Kapitalismus» ist vielmehr die Bezeichnung für eine Ordnung, in der das Privateigentum geschützt ist, die Produktionsmittel sich in privater Hand befinden und in der Menschen mit ihren Eigentumstiteln auf Märkten frei handeln dürfen. Es gibt also im Kapitalismus durchaus Regeln – wenn auch mitnichten so viele wie im heutigen überregulierten Mischsystem, das sich irgendwo zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewegt.

Auch wenn es auf der ganzen Welt kein rein kapitalistisches System gibt, kann man sagen, dass unter den Bedingungen des vollständig geschützten Privateigentums eine grosse Rechtssicherheit herrschen würde: Man muss sich als Bürger nicht dauernd davor fürchten, dass der Staat einem sein rechtmässiges Eigentum willkürlich enteignet – etwa durch Inflationierung oder Besteuerung – und durch Überregulierung in seiner Nutzung übermässig beschränkt. Man muss sich im reinen Kapitalismus auch nicht sorgen, dass die Spielregeln laufend einseitig durch den Staat angepasst werden: Das Tätigkeitsfeld der Politik wäre klar begrenzt und eng umrissen. Die Aufgabe des Staates besteht in einem solchen System darin, die Eigentumsrechte der Bürger zu schützen – wobei unter «Eigentum» nicht nur die rechtmässig erworbenen materiellen Besitztümer zu verstehen sind, sondern auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit. Aus dieser Regel erwachsen eine höhere Rechtssicherheit, eine bessere individuelle Planbarkeit und mehr Stabilität.

Je besser das Privateigentum geschützt wird, desto stärker prosperiert das entsprechende Land und desto stabiler ist es. Jahr für Jahr wird dieser Befund vom Index der Eigentumsrechte aufs Neue bestätigt. Weltweit führen besser geschützte Eigentumsrechte zu einem höheren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, verstärken die Direktinvestitionen und führen auch zu einem höheren Wirtschaftswachstum. Im Fünftel der Staaten mit den am besten gesichertsten Eigentumsrechten ist das Pro-Kopf-Einkommen 2019 mit durchschnittlich 57.343 US-Dollar mehr als 15 Mal höher als im letzten Fünftel des Index, wo das Durchschnittseinkommen pro Kopf durchschnittlich nur 3.646 US-Dollar beträgt und das Potenzial für chaotische Unruhen weitaus grösser ist.

Pierre Bessard

Wer Kapitalismus mit Chaos gleichsetzt, hat sich nie die Mühe gemacht, historische Fakten zu untersuchen. Chaos entstand geschichtlich betrachtet vor allem in jenen Ländern, in denen der Kapitalismus hätte abgeschafft oder überwunden werden sollen. In solchen revolutionären oder demokratisch beschlossenen Angriffen auf die freie Marktwirtschaft entstand jeweils grosses Leid, Elend und Massenarmut – oftmals begleitet von schrecklicher Gewalt, Verfolgung von Minderheiten und Massenmorden. Anschauungsbeispiele für solche sozialistischen Unrechtsregimes gibt es zuhauf: Von der Sowjetunion und der DDR, über Maos China und Pol Pots Kambodscha, bis hin zum heutigen Venezuela und Nordkorea. Chaos entsteht also gerade dann, wenn man sich vom Kapitalismus wegbewegt und sich einem höheren Grad an staatlicher Planung, Kontrolle und Macht zuwendet.

Freie Märkte funktionieren wunderbar, solange das Eigentum der Bürger geschützt und damit die Vertragsfreiheit für alle gewährleistet ist. Wichtige Leistungen wie Bildung, Medien oder Vorsorge bedürfen keines Zwangs oder staatlicher Initiative, damit diese angeboten werden. Sie werden ganz natürlich und freiwillig von den Marktteilnehmern nachgefragt, weil sie nachvollziehbare menschliche Bedürfnisse befriedigen. Wo es eine Nachfrage gibt, entstehen in der Regel auch Angebote. Auch dies zeigt die Geschichte: Heute unhinterfragt als «öffentliche Güter» klassifizierte Leistungen – von den Schulen bis hin zur Hilfe für die Armen, Alten und Kranken – sind sämtliche Leistungen historisch oft von privaten Unternehmen oder privaten Hilfswerken angeboten worden. Die Behauptung, solche Güter würden vom freien Markt nicht bereitgestellt, wurde also längst von der Geschichte entkräftet.

Die besten Lösungen aus Sicht der Verbraucher entstehen dann, wenn sich die Anbieter miteinander im Wettbewerb befinden und um die Gunst der Kunden buhlen müssen – indem sie attraktivere Preise, eine höhere Qualität, einen besseren Kundenservice und umweltfreundlichere Produktionsmethoden als die Konkurrenz anbieten. Die schlechtesten Angebote aus Sicht der Konsumenten entstehen erfahrungsgemäss dann, wenn ein staatlicher Monopolist sich für die Erbringung der entsprechenden Dienstleistung alleinverantwortlich erklärt. Bleibt der Wettbewerb mit möglichen Konkurrenten aus und – das ist entscheidend – ermöglicht man es einem Anbieter durch staatliche Hilfe, sich von der kapitalistischen Notwendigkeit zu entkoppeln, Gewinne zu machen, beginnt dieser über kurz oder lang, an den wahren Bedürfnissen der Konsumenten vorbeizuproduzieren. Dies kann er sich problemlos leisten, weil er seine Einnahme vom Staat garantiert bekommt und «lästiges Kundenfeedback» nicht mehr ernst nehmen muss. Die Kunden können so die Anbieter mit ihren Kaufentscheidungen nicht mehr dazu bewegen, unpassende Angebote zu verbessern, weil sie den Anbieter ohnehin über ihre Steuerrechnung entschädigen müssen – ob sie das wollen oder nicht.

Die staatlich verschuldete Ressourcenverschwendung aufgrund des Fehlens der Preissignale und des Profitmassstabs führt dazu, dass menschliche Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, was zunehmend zu leeren Regalen in den Geschäften, Unzufriedenheit und Chaos führt.

Märkte, die das freiwillige Zusammenkommen von Anbietern und Nachfragern ermöglichen, können per se nicht versagen. Vielmehr versagt aufgrund der unmöglichen wirtschaftlichen Kalkulation die Planwirtschaft – also das Gegenteil freier Märkte. Dies bedeutet nicht, dass Menschen keine Fehler machen und sich nicht irren könnten. Gerade weil Menschen Fehler machen, sollte niemand mit der Macht ausgestattet werden – kein Diktator, kein Parlament und auch keine Volksmehrheit –, anderen eine gewisse Lebensart oder Entscheidungen aufzwingen zu können. Sie alle könnten sich ja irren – und fehlerhaftes Handeln dadurch zur Pflicht erheben. Freie Märkte zu haben bedeutet, dass Entscheide dezentral gefällt werden. Die Auswirkungen fehlerhafter Handlungen bleiben so überschaubar und auf jene begrenzt, die falsch entscheiden. Das «Chaos» hält sich deshalb in Grenzen – ganz im Gegensatz zu einer verpolitisierten Gesellschaft, in der die Fehler einzelner gravierende Auswirkungen für alle haben.

«Marktversagen» ist vielmehr eine unbelegte Behauptung aus Sicht derer, die sich persönlich andere Ergebnisse wünschen, als der Markt hervorbringt. Jedoch kann das Ergebnis des Marktes – also des freien Zusammenspiels aller Individuen ohne staatliche Manipulation –, am ehesten als Ausfluss des «Allgemeinwohls» gedeutet werden. Denn es ist das Ergebnis, zu dem die Gesellschaft gelangt, wenn sämtliche Austauschprozesse auf freiwilliger Basis ablaufen. Wer sich auf ein systemisches «Marktversagen» im Kapitalismus beruft, hat entweder die Marktwirtschaft nicht begriffen oder verfolgt damit den unrühmlichen Zweck, das staatliche Gewaltmonopol im Namen des Gemeinwohls für seine ganz persönliche Interessensdurchsetzung zu instrumentalisieren.

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Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich und Mitherausgeber des Buchs «Explosive Geldpolitik. Wie Zentralbanken wiederkehrende Krisen verursachen».

Pierre Bessard ist Ökonom und Publizist. Er ist Vizepräsident des Stiftungsrates und war von 2008 bis 2020 Direktor des Liberalen Instituts. Er ist Mitglied der Mont Pèlerin Society sowie der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Fotos: Liberales Institut

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