Die richtige Idee für Europa: Markt statt Macht

24. Juli 2020 – von Rainer Fassnacht

Rainer Fassnacht

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, der deutschen Medienberichterstattung über den Stand der Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien (GB) zu folgen. Demnach weigern sich die Briten nach ihrem Austritt, die EU-Standards weiterhin zu übernehmen. Dies wurde als etwas Negatives dargestellt, obwohl genau dies – die Beibehaltung nationaler Besonderheiten – ein Treiber für den Austritt war.

Wie dem auch sei, die Berichterstattung schien mich in den Schlaf verfolgt zu haben. Ich träumte davon und konnte mich am nächsten Morgen sogar noch daran erinnern. Gerne möchte ich diesen Traum mit Ihnen teilen:

Der neue britische Premier Johnson nutzte seine Mehrheit, um in kurzer Zeit – trotz Widerstand lautstarker und gewaltbereiter Gruppen – einschneidende Veränderungen durchzusetzen. Großbritannien wurde konsequent liberalisiert. Inspiriert durch die Erkenntnisse von Hayek, Mises und anderen Vertretern der österreichischen Schule wurden zahlreiche Regelungen aus der EU-Zeit abgeschafft und der Staatsapparat deutlich verkleinert. Freiheit und Eigenverantwortung wurden so gestärkt. 

Die größten Wellen schlugen jedoch nicht diese innenpolitischen Maßnahmen, sondern Johnsons außenpolitische Initiativen. Ihm war klar, dass ein möglichst freier Handel mit vielen Ländern entscheidend für das Wohlergehen Großbritanniens sein würde. Parallel zu den Gesprächen mit der EU-Kommission startete er die Initiative „Freies Europa“. 

Er wandte sich mit einem revolutionären Vorschlag an alle europäischen Länder, die nicht Mitglied der EU sind, aber ganz oder teilweise dem Kontinent Europa angehören – darunter auch die Türkei und Russland – und schlug eine Freihandelszone neuer Ausprägung vor. Anders als bei den bisher üblichen Vereinbarungen sollte weder die Vereinheitlichung unterschiedlicher Standards noch die Abschaffung nationaler Eigenheiten Teil dieser Vereinbarung sein. 

Auch die Einführung übergeordneter internationaler Institutionen mit eigenen Rechten oder eine einheitliche Währung gehörten nicht zu seinem Vorschlag. Daher war das Geburtsdokument der Initiative „Freies Europa“ auch kein umfangreicher Vertragstext, über den jahrelang verhandelt werden musste. 

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Es war ein Schriftstück mit nur wenigen Seiten, welche die Welt veränderten. Jedes Mitgliedsland des neuen Handelsraums sicherte allen anderen Ländern des freien Europas zu, dass dessen Waren und Dienstleistungen frei gehandelt werden dürfen. Jedes Mitgliedsland verzichtete auf Zölle und andere Formen der Handelsbeschränkung. Kein Land verlangte mehr die Einhaltung eigener nationaler Normen vom anderen. 

Über die Zuwanderung und andere Fragen, die über den gegenseitigen Handel hinausgingen, entschied jedes Land im freien Europa unabhängig und ohne Einfluss übergeordneter Institutionen. 

Im Gegenzug wurde umfangreiche Transparenz gewährleistet. Streitpunkte aus früheren Handelskonflikten – wie Schimmelkäse oder Chlorhühnchen – waren keine mehr. Schimmelkäse konnte ebenso wie Chlorhühnchen im gesamten freien Europa angeboten werden. Die Verbraucher konnten aufgrund transparenter Kennzeichnung klar erkennen, um welches Produkt es sich handelt und frei entscheiden. Keine übergeordnete Institution erlaubte oder verbot Produkte oder Dienstleistungen aus einem anderen Land, der Kunde war König. 

Während die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien noch andauerten, zeigten sich bereits die Erfolge der Initiative „Freies Europa“. Der Handel zwischen den Ländern des freien Europas legte deutlich zu, es gab ein breiteres Warenangebot und die Preise sanken. Eine erstaunliche wirtschaftliche Dynamik schuf neue Arbeitsplätze. 

Während der von der EU-Kommission etablierte Green Deal mit seinen planwirtschaftlichen Ansätzen scheiterte, entstanden im freien Europa zahlreiche Umweltinnovationen, die international großen Anklang fanden. Freier Wettbewerb belebte auch hier das Geschäft. 

Währenddessen wurde die EU immer bürokratischer und versuchte, Druck auf Länder außerhalb der Union auszuüben, damit diese sich den eigenen Regeln unterordnen. Dies gelang jedoch immer schlechter, so wie auch die Konflikte zwischen den Ländern im Währungsraum immer schwieriger in den Griff zu bekommen waren. 

Bald begannen erste Länder, aus der EU auszutreten und sich dem freien Europa anzuschließen. Es kam eine Entwicklung ins Rollen, die binnen weniger Jahre zum Ende der EU in der heutigen Form führte. Eine neue europäische Idee setzte sich durch und überwand bald auch die Grenzen des Kontinents. 

Schließlich meldeten erste Nationen außerhalb Europas ihr Interesse an, sich der Initiative anzuschließen. Den Anfang machen die Länder des britischen Commonwealth. Aus der Initiative „Freies Europa“ wurde eine offene „Free-Trade-Kooperation“, der sich Länder aus allen Kontinenten anschlossen. 

Jedes Land bewahrte seine Eigenheiten und alle blühten sie auf – durch freien Handel und intensiven Wettbewerb.

Dann wachte ich auf. Ein wenig grübelte ich noch. Als „Austrian“ ist mir die positive Wirkung von Wettbewerb vertraut und die Konzentration von Macht suspekt. Der britischen Entscheidung, nationale Besonderheiten wie beispielsweise das Common Law beibehalten zu wollen und auf Markt statt auf Macht zu setzen, kann ich daher vieles abgewinnen.

Aber anders als in meinem Traum ist im echten Leben wohl nicht auszuschließen, dass zumindest auf kurze Sicht Macht statt Markt die Oberhand gewinnt. Es wäre schön, wenn es anders käme, doch noch ist das Ergebnis nicht ausgemacht. Und es wird wohl einige Jahre brauchen, um die wahren Gewinner erkennen zu können.

Es ist Zeit, aufzustehen.

Rainer Fassnacht ist gelernter Kaufmann, Diplom-Ökonom und Wirtschaftspraktiker. Er lebt in Berlin und ist familiengeschichtlich mit Österreich verbunden, genau wie als Vertreter der von Carl Menger begründeten Österreichischen Schule. Mit seinem Buch „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“ möchte er, auch Social-Media-geprägten Lesern, die Ideen der österreichischen Schule näherbringen. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten Texten, setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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