Die Unwissenheit der Intellektuellen in Wirtschaftsfragen

4.10.2017 – von Friedrich A. von Hayek.

Friedrich August von Hayek (1899 – 1992)

Um die Ordnung begreifen zu können, von der der Lebensunterhalt der heute auf der Welt lebenden Menschenmassen abhängt, muss man unbedingt zuvor den Tausch und die grenznutzentheoretischen Erklärungen der Bestimmung relativer Werte verstehen. Mit derlei Fragen sollte jeder Gebildete vertraut sein. Aber das Verständnis dafür wurde verhindert durch die allgemeine Verachtung, die Intellektuelle diesem ganzen Thema gern entgegenbringen.

Denn die Tatsache, die die Grenznutzentheorie klarmachte – dass es nämlich spezifische Aufgabe jedes einzelnen werden könnte, mit seinen jeweiligen Kenntnissen und Fertigkeiten einen Beitrag seiner eigenen Wahl zur Deckung der Bedarfe des Gemeinwesens zu leisten -, ist dem primitiven Denken und dem herrschenden Konstruktivismus ebenso fremd wie dem deklarierten Sozialismus.

Es ist keine Übertreibung, zu behaupten, diese Vorstellung sei das Kennzeichen der Emanzipation des Individuums. Der Entwicklung einer individualistischen Gesinnung verdanken wir jene Spezialisierung von Fertigkeiten und Wissen und jene Arbeitsteilung, auf denen eine hochentwickelte Zivilisation beruht. Wie zeitgenössische Historiker, z.B. Braudel (1981-84), allmählich erfassen, ermöglichte der verachtete Mittelsmann mit seinem Gewinnstreben die moderne erweiterte Ordnung, die moderne Technik und unsere gegenwärtige Bevölkerungsgröße.

Die Fähigkeit, nicht weniger als die Freiheit, sich von eigenem Wissen und eigenen Entscheidungen leiten statt sich vom Geist der Gruppe mitreißen zu lassen, ist eine Entwicklung des Intellekts, der unsere Gefühle nur teilweise gefolgt sind. Obwohl auch hier wiederum die Mitglieder der primitiven Gruppe bereitwillig einem hochgeachteten Anführer überlegenes Wissen zugestehen, akzeptieren sie es nicht bei demjenigen, der weiß, wie man durch geringe sichtbare Anstrengung etwas erreichen kann, was andere sich nur durch schwere Arbeit verschaffen können. Überlegens Wissen geheim zu halten und zur persönlichen oder privaten Bereicherung zu benützen, gilt immer noch als irgendwie unanständig – zumindest unnachbarlich. Und diese primitiven Reaktionen halten sich auch dann noch, wenn die Spezialisierung schon längst die einzige Methode geworden ist, die Beschaffbarkeit von Informationen in ihrer großen Vielfalt zu nützen.

Solche Reaktionen beeinflussen auch heute weiterhin politisches Meinen und Handeln, verhindern die Entwicklung der effizientesten Organisation der Produktion und bestärken die falschen Hoffnungen des Sozialismus. Die Tendenz der Menschen – die die Güter, von denen sie leben, ebenso sehr dem Handel wie der Produktion verdanken -, jenen zu unter-, diese aber zu überschätzen, muss sich in der Folge unweigerlich verzerrend auf die politischen Einstellungen auswirken.

Die Unwissenheit in bezug auf die Funktion des Handels, die zunächst Furcht auslöste und im Mittelalter verständnislose Regulierung zur Folge hatte und die erst vor relativ kurzer Zeit einer gewissen Informiertheit wich, ist also inzwischen in neuer, pseudowissenschaftlicher Form wieder auferstanden. In dieser Form eignet sie sich für Versuche technokratischer ökonomischer Manipulation, deren unvermeidliches Fehlschlagen eine moderne Form von Misstrauen gegenüber dem „Kapitalismus“ schürt. Noch schlimmer sieht es aus, wenn wir unsere Aufmerksamkeit bestimmten weiteren Ordnungsprozessen zuwenden, die noch schwieriger zu verstehen sind als der Handel, nämlich denjenigen im Geld- und Finanzwesen.

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Aus „Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus“ (1988), Seite 108-109.

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Friedrich A. Hayek absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften sowie der Staatswissenschaften. 1929 erfolgte seine Habilitation an der Universität Wien. Sein Lebensweg führte ihn an verschiedene Universitäten in London, New York, Chicago, Freiburg sowie Salzburg. In den Dreißigerjahren wurde Hayek zu einem Hauptkritiker des Sozialismus. 1974 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Als sein berühmtestes Werk gilt das 1944 zunächst in englischer Sprache erschienene “The Road to Serfdom” – “Der Weg zur Knechtschaft”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

 

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