Der Staat – schlimmer als ein Schlitzohr

25.3.2015 – Interview mit Professor Dr. David Dürr über das staatliche Gewaltmonopol. David Dürr ist Wirtschaftsanwalt sowie Professor für Privatrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich. Er spricht am 23. Mai 2015 bei der »Ludwig von Mises Institut Deutschland Konferenz 2015« in München. Weitere Informationen zur Konferenz finden Sie hier.

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Herr Dürr, das staatliche Gewaltmonopol ist nach Ihrer Einschätzung gefährlich, schlitzohrig, ineffizient und zudem unnötig. Vielleicht der Reihe nach, warum gefährlich? Der Staat gibt doch vor, uns zu schützen…

David Dürr

Ja, das gibt er in der Tat vor. Und selbst sogenannte Liberale halten dies nicht selten für eine legitime Funktion des Staates. Gegen einen kraftvollen, notfalls gewaltbewehrten Schutz vor Angriffen auf unser Leben, unsere Freiheit, unser Eigentum etc., ist ja auch gar nichts einzuwenden.

Das Problem ist bloß das Monopol, das gerade im Metier der Gewaltanwendung besonders gefährlich ist und eigentlich gar nicht anders als zur Katastrophe führen kann. Denn was tun Sie, wenn der Angriff auf unser Leben, unsere Freiheit, unser Eigentum gerade von dem kommt, der das Monopol darauf hat, Angriffe gewaltsam abzuwehren? Dann können Sie, ja dann dürfen Sie sich gar nicht wehren. Und was tut eine Organisation, gegen deren Angriffe man sich von Rechts wegen nicht wehren darf? Sie greift an, immer wieder, immer mehr und aus immer egoistischeren Motiven, rein zum Erhalt und zur Steigerung der eigenen Macht. Wenn man bedenkt, zu welchen Exzessen dies in der Geschichte etwa des 20. Jahrhunderts schon geführt hat, dann bin ich immer wieder verblüfft, dass es noch immer Leute gibt, die dem Gewaltmonopol das Wort reden.

Deshalb bedarf es ja auch der Schlitzohrigkeit, damit es keiner merkt …

Genau. Und dafür lässt sich der Staat auch einiges einfallen. So behauptet er ziemlich großspurig, er sei nicht einfach ein Staat, sondern ein „Rechtsstaat“. Wenn man mit ihm nicht einverstanden sei, dann könne man sich an ein Gericht wenden, welches dann unvoreingenommen die gegenteiligen Positionen abwäge und beurteile. Doch wer stellt denn dieses Gericht? Nur wieder der Staat selbst! Die Richter sind auf seiner Lohnliste, gekaufte Richter!

Als geschmeidige Ausrede kommt dann das Argument der „Gewaltentrennung“. Doch stellen Sie sich vor, Sie stünden im Streit mit einer großen Privatfirma, diese stelle und bezahle das Gericht und wolle Sie nun damit beruhigen, dass sie firmenintern großen Wert auf sogenannte „Gewaltentrennung“ lege; die Gerichtsabteilung sei strikt vom Rest der Firma getrennt. Würden Sie da nicht laut herauslachen?

Und noch eine Schlitzohrigkeit: Die Gesetze, die das alles vorsehen, seien ja gar nicht von oben dekretiert, sondern von unten, vom Volk, demokratisch geschaffen. Letztendlich sei es das Volk selbst, das sich diese Gesetze gegeben habe und immer wieder neu gebe. Haben Sie schon einmal nachgerechnet, in welchem Umfang es zutrifft, dass die Gesamtheit des Volkes die Gesamtheit der Gesetze geschaffen hat? In der Schweiz – der Vorzeigedemokratie par excellence – beträgt die Quote ein knappes Promille.

Ein knappes Promille? Rechnen Sie bitte mal vor…

Die Zahl bezieht sich auf die Bundesebene, wobei sie auf kantonaler Ebene nicht grundsätzlich anders aussieht. Etwa 75% aller in Bundesbern produzierten Normen stammen gar nicht von der gewählten Legislative, sondern von der Exekutive, sogenannte Verordnungen. Einen gewissen Bezug zum Volk haben also bloß 25% der Normen. Vom Volk direkt beschlossen – unsere vielgepriesene direkte Demokratie – werden aber nur knapp 3% dieser 25%, also ungefähr 0,8% aller Normen. Abgesehen davon ist dieses „Volk“ nicht etwa die gesamte Landesbevölkerung, die ja diesen Normen unterworfen ist, sondern im langfristigen Durchschnitt etwa 10% davon, während die restlichen 90% entweder nicht stimmberechtigt sind, nicht zur Abstimmung gehen oder dagegen stimmen. Das ergibt dann eine direktdemokratische Quote von etwa 0,08%.

Bei der indirektdemokratischen Quote, also dort wo die gewählten Parlamentarier am Werk sind, stellt sich die Frage, wie weit diese überhaupt Volksvertreter sind. „Vertretung“ heißt, dass ich dem Vertreter verbindliche Instruktionen erteilen und ihm die Vertretungsmacht auch wieder entziehen kann. Beides ist bei den Parlamentariern von Verfassungs wegen ausgeschlossen. Und zudem muss man seinen „Vertreter“ mit 30‘000 anderen „Vertretenen“ teilen. Das ist eine reine Zwangsdelegation, die mit Vertretung wenig zu tun hat; oder wenn schon, dann höchstens im Verhältnis 1 zu 30‘000. Unter Berücksichtigung auch einiger weiterer Elemente ergibt dies dann eine indirektdemokratische Quote von 0,00003%.

0,08% plus 0,00003% ergibt einen Wert unter einem Promille. Quod erat demonstrandum.

In Ihrer Kolumne in der Basler Zeitung haben Sie seinerzeit den Prozess gegen Uli Hoeneß als Beispiel herangezogen und ebenfalls von »gekauften Richtern« gesprochen und sogar den Begriff »Bestechung« gebraucht. Welche Reaktionen gab es daraufhin? Empörung? Zustimmung?

Da gab es recht viele Reaktionen, und zwar größtenteils zustimmende. Natürlich auch einige empörte, kopfschüttelnde und solche, die zwar Verständnis zeigten, aber behaupteten, es gebe keine Alternative zum Steuerstaat. Die meisten jedoch waren geradezu begeistert: „Den Nagel auf den Kopf getroffen“, „Treffer, versenkt“ etc. Das zeigt, dass anarchistisches Denken auch in anderen Gehirnen stattfindet, dass etatistisches Denken nicht naturwendig ist und dass die Prognose einer anarchistischen Wende vielleicht doch nicht so unrealistisch ist.

Auf die anarchistische Wende müssen wir gleich noch zu sprechen kommen. Klären wir aber zuvor noch den Punkt mit der »Ineffizienz« des staatlichen Gewaltmonopols …

Nebst den Ineffizienzen, die allen Monopolbetrieben eigen sind – Bürokratisierung, Wucherung des Personaletats, Behäbigkeit, fehlendes Kundenbewusstsein etc. – birgt das staatliche Gewaltmonopol noch eine sehr spezifische Ineffizienz: Die Polizei muss immer als Sieger vom Platz. Eine Gewaltsituation dadurch zu beruhigen, dass man sich selbst zurücknimmt, ist bei der Polizei höchst unbeliebt, um nicht zu sagen tabu. Leib, Leben und Eigentum zu schützen, genügt nicht. Mitzuschützen und mitzuverteidigen ist immer auch der Respekt des absoluten Machtinhabers. Das führt in aller Regel zu unnötig hypertrophierten Aufrüstungen der Sicherheitskorps, die schon rein kostenmäßig in keinem Verhältnis zur Bedrohungslage stehen. Und mit einhergehen viel zu martialische Auftritte, welche die angeblich zu bekämpfenden Gewaltausbrüche erst provozieren.

Wie wollen Sie die Menschen von deren Staatsgläubigkeit befreien und davon überzeugen, dass das staatliche Gewaltmonopol unnötig ist? Keine leichte Aufgabe …

Wir haben es in der Tat mit einem Gläubigkeitsproblem zu tun. Das bedeutet zunächst, dass man diesen Staatsgläubigen ihren Glauben eigentlich gar nicht wegnehmen sollte. Es soll ja jeder nach seiner Fasson selig werden. Was hingegen nicht angeht, ist, dass Nichtgläubige dazu gezwungen werden, sich den Normen dieser Glaubensgemeinschaft zu unterwerfen oder gar Mitglied zu werden. Ich sage den Staatsgläubigen also nicht, sie sollen ihren Glauben an das Gewaltmonopol ablegen, sondern bloß aufhören, es auch denen aufzunötigen, die nicht daran glauben – so wenig ich den Katholiken oder den Muslimen verbieten kann, an ihren Gott und Papst oder Allah und Mohammed zu glauben; und so wenig ich gezwungen werden darf, an diese Götter, Propheten oder Prälaten zu glauben.

Wenn es auf diese Weise gelingt, zu zeigen, dass ich keinem seinen Staat wegnehmen will, und auch nicht seine Lust, sich einem Gewaltmonopol zu unterwerfen, so hilft dies vielleicht. Leicht wird es aber nicht sein, da haben Sie recht.

Hat die Finanzkrise die »anarchistische Wende« noch weiter erschwert, weil die Menschen die wahre Krisenursache nicht erkennen und noch mehr Staat verlangen?

Sie sprechen ein Phänomen an, das mich immer wieder in Staunen versetzt: Wenn der Markt (angeblich) versagt, wird nach seiner Beschränkung gerufen; wenn dagegen der Staat (typischerweise) versagt, wird nach dessen Ausweitung gerufen. Und so könnte es in der Tat sein – Fachleute prognostizieren es – dass die Finanz- und aktuell die Griechenlandkrise nun nicht zum heilsamen Konkurs dieser maroden Strukturen, sondern zu nur noch mehr Bürokratie führt. Jedenfalls im kurz- und mittelfristigen Zeithorizont.

Anderseits darf man zuversichtlich sein, dass sich die natürlichen wirtschaftlichen Gesetze langfristig trotz allem durchsetzen. So kommt vielleicht doch noch der Tag, an dem der griechische Staat seine Angestellten nicht mehr bezahlen kann, der Staatsbetrieb damit faktisch zum Erliegen kommt, die Beamten sich noch mehr in der schon heute florierende Schattenwirtschaft einrichten und damit so etwas wie eine faktische Abwicklung bzw. Privatisierung des Staates eintritt. Geht man davon aus, dass ein gewisser Dominoeffekt auch noch andere Länder erfasst, so eröffnen sich mittelfristig doch noch hoffnungsvolle Aussichten.

Vielen Dank, Herr Dürr.

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Dr. David Dürr ist Wirtschaftsanwalt und Professor für Privatrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich.

Das Interview wurde im März 2015 per email geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

 

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