Brasiliens Plage: die Staatsmisswirtschaft

13.4.2015 – Interview mit Antony P. Mueller, Professor der Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS und Mitglied des  Mises Institutes Brasilien.

Herr Mueller, steigende Defizite im Staatshaushalt und Leistungsbilanz, der brasilianische Real wertet seit Monaten drastisch ab. Was ist los in Brasilien?

Antony P. Mueller

Tatsächlich war der Absturz schon seit längerem abzusehen. Das internationale Umfeld, von dem Brasilien in den Jahren von 2004 bis 2010 stark profitieren konnte, begann sich zu verändern. Das Wachstum in China verlangsamt sich seitdem, der Rohstoffboom ebbte ab und weder die USA noch Europa haben sich seit der letzten Finanzkrise wieder voll erholt. Aber das sind nur die äußeren Umstände. Entscheidend für die gegenwärtige Lage ist, dass die brasilianische Regierung das temporär günstige weltwirtschaftliche Umfeld zum Anlass nahm, eine Konsumorgie zu stimulieren: durch großzügige Umverteilung mit der Einführung einer sogenannten „Familienpension“ und einer massiven Ausweitung des Staatssektors mit steigenden Löhnen, vor allem im öffentlichen Dienst. Die seit 2003 regierende Arbeiterpartei verfolgt das Wirtschaftsmodell, dass man durch mehr Konsum und steigende Staatsausgaben ein höheres Wirtschaftswachstum erzielen könne. In diesem Modell steht, um es zugespitzt auszudrücken, allein die Nachfrageseite im Vordergrund, und das gesamtwirtschaftliche Angebot wird vernachlässigt. Das führt auch dazu, dass die Regierung der Kostenseite von Programmen wenig Aufmerksamkeit schenkt, nach dem Motto: hauptsächlich die Konjunktur wird angekurbelt. So kommt es dann zum Beispiel zu den nun weitgehend ungenutzten Stadien, die für die Fußballweltmeisterschaft gebaut wurden. Die Stimulanz wirkte kurz, die Kosten bleiben.

Von Konjunktur ankurbeln kann aber keine Rede sein, Brasilien steuert auf eine Rezession zu…

Ja, die Wachstumsraten gehen seit Jahren zurück, und für 2015 ist Rezession angesagt. Gleichzeitig steigt die Inflationsrate. Bekanntlich sind angesichts von Stagflation die Keynesianer mit ihrem Latein am Ende. Politisch brisant wird die Lage nun, wenn die Arbeitslosenquote, die bislang eher niedrig war, steigen wird. Gleichzeitig gärt es in weiten Teilen der Bevölkerung. Es ist eine starke soziale Bewegung entstanden, deren millionenfache Anhänger mit dem Motto „Fora Dilma“ – was so viel heißt wie „Raus mit Dilma“ – auf die Straße gehen und eine Amtsenthebung der Präsidentin fordern. Allerdings nutzt ein Rücktritt der Regierungschefin wenig, wenn ihre Stellvertreter dieselben Denkmuster vertreten, was wohl der Fall ist.

Welche Rolle spielt Brasiliens Verschuldung im Ausland?

Das war früher, vor allem in den 80er Jahren, ein Riesenproblem für das Land. Augenblicklich ist es weniger brisant, da die Devisenreserven der brasilianischen Notenbank – Stand Ende Februar 2015 – noch bei 362,5 Mrd. US Dollar liegen und die Auslandsverschuldung 347,6 Mrd. Dollar beträgt. Der Trend deutet jedoch auf sinkende Reserven hin, während die Auslandsverschuldung steigt. Allerdings hat die Präsidentin verkündet, dass sie nicht die Reserven verbraten will, um den Kurs der brasilianischen Währung zu stützen. Aber warten wir ab.

In einer Fernsehansprache vor wenigen Wochen hat Dilma Rousseff um ‘Geduld und Verständnis’ für die von ihr geplanten Einsparungen gebeten, von ‘vorübergehenden Opfern für alle’ gesprochen. Was ist davon zu halten?

Das Problem ist, dass diese Präsidentin gänzlich unglaubwürdig geworden ist. Sie hat 2014 einen Wahlkampf geführt, wonach Brasilien glanzvoll dasteht, was ihrer Regierung und der ihres Vorgängers allein zu verdanken wäre. Nichts von dem stimmte. Die Presse schwieg weitgehend zur Lügenkampagne, ebenso wie die TV Stationen. Beide Medien sind finanziell von der Regierung und den Staatsunternehmen abhängig, die immense Ausgaben für Werbung tätigen. Tagtäglich prasselt auf den Fernsehkonsumenten pure Staats- und Regierungspropaganda ein. Selbst mitten im Korruptionsskandal feuerte der Staatskonzern Petrobras eine Werbesalve nach der anderen im Fernsehen ab. Jedes Ministerium, jede Staatsagentur besitzt enorme Werbeetats. Inzwischen gibt es Meldungen über einen noch größeren Korruptionsskandal, der die Bundessteuerbehörde betrifft und dunkle Geschäfte, die die staatliche Entwicklungsbank BNDES abgewickelt haben soll.

Und Sie hat gesagt ‘Wir sind in der zweiten Etappe des Kampfes gegen die schlimmste internationale Krise seit der Großen Depression 1929’…

Zum Hinweis auf die „schlimmste international Krise seit der Großen Depression“ kann man nur den Kopf schütteln, ob der Unverfrorenheit dieser Dame. Brasilien hat eine Volkswirtschaft, die weitgehend geschlossen ist. Der so genannte Offenheitsgrad der Volkswirtschaft, Export und Import zusammen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, umfasst in Brasilien lediglich 20 %, gegenüber dem Weltdurchschnitt von 50 % und 95 % für Deutschland. Das hindert aber die brasilianische Regierung nicht daran, fast alle heimischen Übel auf das Ausland zu schieben. Dabei sind die Probleme des Landes durchweg hausgemacht. An erster Stelle stehen hier die immense Verschwendung bei den Staatsausgaben und die extrem hohen Personalkosten des öffentlichen Dienstes. Aber an die durch starke Gewerkschaften vertretenen Beamten mit ihren Mega-Gehältern und den großzügigen Pensionen traut sich die Präsidentin nicht heran. Bei den Staatsausgaben für Infrastruktur wird der Teil, der nicht durch Ineffizienz verschwendet wird, von der Korruption aufgefressen. Die „Opfer“, von denen die Präsidentin spricht, sind vornehmlich neue Verbrauchssteuern, die eh schon extrem hoch sind und bekanntlich regressiven Umverteilungscharakter haben.

Welche Rolle spielt die Opposition im Brasilien? Gibt es Kräfte, die sich für weniger Staat und mehr Markt aussprechen?

Das ist einer der interessantesten Aspekte der brasilianischen Realität. Nach dem Ende der Militärdiktatur, die von 1964-1985 herrschte, steht das politische Leben ganz unter dem Signum der Demokratie als Gegenpol. Demokratisch heißt demnach „links“ und dementsprechend gibt es im Kongress keine konservative Partei oder überhaupt eine, die sich offen zur Marktwirtschaft bekennt. Auch keine extrem rechten Parteien gibt es, aber sehr wohl eine sogar in der Regierung vertretene Kommunistische Partei (PCdoB). Das Schul- und Universitätssystem ist von linksideologischer Indoktrination beherrscht. Der öffentliche Diskurs wimmelt nur so von linken und pseudoprogressiven Parolen. Eine offene rationale Debatte ist kaum möglich, da alles, was nicht „links“ ist, automatisch als „rechts“ verteufelt wird, als ob es darüber hinaus nichts anderes gebe.

Seit einigen Jahren formiert sich jedoch eine breite „Außerparlamentarische Opposition“, die bereits letztes Jahres und dieses Jahr eine Protestbewegung in Gang setzte. Weitere landesweite Proteste sind auch für den Verlauf von 2015 schon geplant. Darüber hinaus gibt es Anstrengungen, neue Parteien mit liberalem Gedankengut für die kommenden Wahlen zu bilden. Außerdem gärt es in der akademischen Jugend, unter denen sich immer mehr für libertäres Gedankengut interessieren. Brasilien geht auch politisch interessanten Zeiten entgegen.

Einmal angenommen, Sie würden Dilma Rousseff in ihrem Amt beerben. Welche (Sofort-) Maßnahmen würden Sie ergreifen?

Ludwig von Mises soll auf eine ähnliche Frage geantwortet haben „Sofort Rücktritt einreichen“…

Gute Antwort. Aber wir könnten aber doch mal so tun, als ob…

Ich würde vielleicht in Erwägung ziehen, vor dem Rücktritt bzw. bevor ich aus dem Amt gejagt würde, noch eine landesweite Rede zu halten. Was wäre zu sagen? Eigentlich nicht viel mehr als das, worüber sich fast alle neutralen Beobachter einig sind. Das Kernproblem Brasiliens ist der Staatskapitalismus, eine Staatsform, die viel zu wenig untersucht worden ist. Demnach gibt es zwar grundsätzlich Marktwirtschaft, aber der Staat ist an allen Ecken und Enden aktiv. Nicht nur in dem Sinne von Ordnungspolitik, also in der Form von sozialen Sicherungssystemen, beispielsweise, die idealerweise so konstruiert sind, dass sie nicht allzu sehr in die Marktdynamik eingreifen. Nein, nichts davon, hier in Brasilien manifestiert sich der Staatskapitalismus als purer, kruder ad hoc-Interventionismus verbunden mit der Kontrolle des Staates über weite Teile des Bankensystems und über eine ganze Reihe von staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen.

Klingt nach Interventionismus pur …

Ja, genau, es gibt den Markt, aber was herrscht, ist nicht Marktwirtschaft, sondern unbedachter Staatseingriff. Und das an allen Ecken und Enden. Zusammen mit der Justiz, die sich in Brasilien als dritte Staatsgewalt neben Exekutive und Legislative in voller Pracht breit macht, mit einer Rechtsprechung, die keinerlei „judicial restraint“ kennt. Wie ein Blitz aus dem heiteren Himmel sind dann Unternehmen und Bürger mit juristischen Entscheidungen konfrontiert, die kaum Sinn ergeben und wirtschaftlich schädlich sind. Es herrscht somit permanente Unsicherheit. Keinerlei „Konstanz“ der Rahmenbedingungen im Sinne Walter Euckens.

Damit verbunden ist eine Bürokratie, die als Ausgeburt der Irrationalität sich manifestiert und die die einfachsten amtlichen Vorgänge in Alpträume verwandelt. Schließlich das Arbeitsrecht. Das heute in Brasilien noch gültige Arbeitsrecht wurde von der semi-faschistischen Diktatur des Getúlio Vargas, der als Diktator von 1930 bis 1945 und demokratisch gewählt von 1951 bis 1955 das Land regierte, mehr oder weniger direkt von Mussolini kopiert. Die Vorstellung einer korporativen Gesellschaft, die die Klassengesellschaft überwinden sollte durch die durchgängige Gliederung von Gesellschaft und Wirtschaft in Körperschaften, ist heute noch vielfach virulent. Dies stellt sich derzeit so dar, dass es äußerst schwierig ist, Arbeitnehmer zu entlassen und wenn, dann nur unter hohen Kosten.

Die großen Reformaufgaben nimmt hier kaum eine Partei in Angriff, und sie werden auch nicht breit diskutiert. Zu sehr sind die Interessen verankert und werden von starken Verbänden, vor allem den Gewerkschaften, rücksichtslos vertreten. Als Sofortmaßnahme, die Sie ansprachen, bleibt eigentlich nur die Kürzung der vielen völlig unnötigen Staatsausgaben, angefangen bei der Werbung der staatlichen Stellen, die ich schon erwähnt habe und den zahlreichen Subventionen, die diverse Gruppen – im Falle der gegenwärtigen Regierung vor allem linksradikale Gruppen – erhalten. Ich würde auch die Ausgaben für das Universitätssystem kürzen oder zumindest umschichten. Hier in Brasilien liegen die Staatsausgaben für Bildung über dem OECD-Durchschnitt, aber fast alles fließt in die so genannte „höhere Bildung“ und wenig, beziehungsweise nichts in die vorschulische Erziehung oder in den sekundären Bereich. Einige der populärsten Studiengänge sind nutzlos oder sogar dem Wirtschaftswachstum abträglich. Technische Fächer hingegen führen ein Schattendasein.

Das hört sich nicht gerade ermutigend an. Sie erwähnten aber, dass es in der akademischen Jugend gärt. Gibt es Hoffnung, dass sich mit der jüngeren Generation etwas ändern kann? Welche Erfahrungen machen Sie hier beim Mises Institut Brasilien?

Auch in der Politik scheint es so etwas zu geben, was Schumpeter für die wirtschaftliche Innovation als „kreative Zerstörung“ bezeichnet hat. Ich habe den Eindruck, dass das in Brasilien derzeit stattfindet. Die Leute haben die Korruption satt. Was noch fehlt ist die geistige Brücke zu schlagen, dass die Korruption mit dem Staatskapitalismus aufs Engste zusammen hängt. Um die Korruption loszuwerden, was die Bevölkerung nun heiß erwünscht, muss man den Interventionsstaat loswerden. Bei dieser Aufklärung leistet das Mises Institut Brasilien beste Arbeit. Man kann es nur als phänomenal bezeichnen, welchen Einfluss das Institut, das erst vor einigen Jahren gegründet wurde, heute schon erreicht hat. Bereits die erste Konferenz, die 2010 abgehalten wurde, war ein Riesenerfolg und hat Interessierte aus dem ganzen Land angelockt. Die Website des Instituts hat jeden Tag tausende von Besuchern. Diese finden dort nicht nur täglich einen neuen Beitrag, sondern auch zahlreiche links zu weiterführender Literatur und zu anderen Quellen, wie die aufgezeichneten Vorträge, die im Rahmen der Veranstaltungen des Instituts gehalten wurden. Vor einem Jahr wurde eine halbjährlich erscheinende akademische Zeitschrift ins Leben gerufen und ein Verlagsprogramm lanciert. Man kann ohne Übertreibung jetzt schon sagen, dass dem Mises Institut Brasilien für die intellektuelle Entwicklung des Landes eine historische Rolle zukommt, in Zukunft vielleicht sogar für die politische und wirtschaftliche.

Vielen Dank, Herr Mueller. Wir wünschen Ihnen für Ihre Arbeit weiter viel Erfolg.

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Das Interview wurde im April 2015 per e-mail geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

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Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung und an deren Konjunkturbericht mitarbeitet und im Doktoratsprogramm für Wirtschaftssoziologie mitwirkt. Dr. Müller ist außerdem Mitglied des Ludwig von Mises Institut USA und des Mises Institut Brasilien und leitet das Webportal Continental Economics (www.continentaleconomics.com).

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