Das Zerstörungswerk der Zentralbankpolitik

23.7.2014 – von Thorsten Polleit.

„Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit
den überlieferten Eigentumsverhältnissen … . Für die fortgeschrittensten
Länder werden … die folgenden [Maßnahmen, a. d. V.] ziemlich
allgemein in Anwendung kommen können:

5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates durch eine
Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.“

Karl Marx, Friedrich Engels,
Manifest der Kommunistischen Partei, Anaconda, 2009, S. 47 und S. 48.

 

Thorsten Polleit

Man nennt sie „Level-3-Assets“: Wertpapiere und Kreditstrukturen, für die es keinen Marktpreis gibt. Banken wurde es in der Finanz- und Wirtschaftskrise gestattet, Level-3-Assets in Eigenleistung, anhand von selbstgebauten Modellen zu bewerten und in ihren Bilanzen auszuweisen. Mit diesen Beliebigkeitsbewertungen ließ sich ein Verlustausweis umgehen.

Die Sache mit den Level-3-Assets ist nur ein vergleichsweise kleines Problem für die Bilanzwahrheit und -klarheit des Bankensektors. Die Tiefzinspolitik der Zentralbanken sorgt für eine noch sehr viel größere und folgenreichere Vernebelung der Tatsachen.

Weil der Zins letztlich für alle Preise Relevanz hat, werden die Preissignale in der gesamten Volkswirtschaft verzerrt. Zum Beispiel inflationieren die extrem niedrig gedrückten Zinsen die Preise auf den Finanzmärkten.

Wenn die Zinsen künstlich herabgesenkt werden, werden die Barwerte von Kreditpapieren wie Staats-, Unternehmens- und Bankschuldverschreibungen aufgebläht – im Vergleich zu einer Situation, in der die Zentralbanken die Zinsen nicht künstlich heruntermanipuliert hätten.

Gleiches gilt auch für die Marktpreise von Häusern, Grundstücken, Aktien und Aktien- und Rentenderivativen. Auch diese Preise werden durch künstlich herabgesenkte Zinsen in die Höhe getrieben.

Wird das Vermögen in Bilanzen der Marktakteure zu laufenden Marktpreisen eingestellt, kommt es zum Ausweis von Scheingewinnen, von Eigenkapital, das es nur gibt, weil die Zinsen von der Zentralbank künstlich tief gedrückt wurden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was den einen nutzt, schadet den anderen. Bei der Altersvorsorge der Sparer etwa reißen die tiefen Zinsen tiefe Versorgungslücken. Die unnatürlich niedrigen Zinsen machen einen Ersparnisaufbau über traditionelle Spar- und Anlageanlagen unmöglich.

Aber auch Unternehmen, die ihren Angestellten Pensionen in Aussicht gestellt haben, geraten in arge Probleme: Die niedrigen Zinsen erhöhen den Barwert ihrer Pensionsverbindlichkeiten und reduzieren dadurch die Eigenkapitaldecke der Firmen und verteuern ihre Kreditkosten.

Vor allem aber macht die Tiefzinspolitik der Zentralbanken die Wirtschaftlichkeitsrechnung aller zu einem Gang durchs Spiegellabyrinth: Sie gaukelt Investoren eine Wirtschafts- und Finanzlage vor, für die es bei unverfälschter Darstellung der Tatsachen keine Entsprechung gibt.

Mit den heruntermanipulierten Zinsen wird alles, was auf den Finanzmärkten gehandelt wird, zu Level-3-Assets: Die Preise sind nun nicht Ergebnis von willkürlichen Bewertungsannahmen, sie sind jetzt das Ergebnis von willkürlich tiefgedrückten Marktzinsen.

Die Volkswirtschaften geraten in einen Blindflug. Die Signalfunktion der Preise ist dahin, nicht nur die auf den Finanzmärkten, sondern in der gesamten Volkswirtschaft. Die verzerrten Preise machen es für Investoren unmöglich, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Der eine oder andere mag der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken etwas Gutes abgewinnen wollen. Sie hätte immerhin, so wird zuweilen argumentiert, einen völligen Zusammenbruch des Finanz- und Wirtschaftsgeschehens abgewehrt.

Ein solches Argument verkennt natürlich die Kernursache des Debakels: das Ausgeben von ungedecktem Papiergeld durch die Zentralbanken, Geld, das durch Bankkredite „aus dem Nichts“ geschaffen wird, denen keine echte Ersparnis zugrunde liegt.

Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken wird keine Besserung bringen. Sie ist Zerstörungswerk. Sie führt zu Scheinverbesserungen, zu Kapitalverzehr, sie wird die Probleme, denen man zu entkommen sucht, noch weiter verschärfen. Ludwig von Mises fasste diese Einsicht wie folgt:

„[D]ie Vermehrung der Menge des Geldes und der Umlaufsmittel wird die Welt nicht reicher machen und da nicht wieder aufbauen, was der Destruktivismus niedergerissen hat. Ausdehnung des Zirkulationskredits führt zwar zunächst zum Aufschwung, zur Konjunktur; doch diese Konjunktur muß notwendigerweise früher oder später zusammenbrechen und in eine neue Depression einmünden. Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muß. Denn der Schaden, der durch die Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist um so größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch fortschreitende Schaffung zusätzlichem Kredits vorzutäuschen.“[1]

Diese Einsicht muss Zweifel an den jüngsten konjunkturellen Besserungszeichen wecken. Sie stehen nicht für die Rückkehr zu gesundem Wachstum, sondern für eine weitere wirtschaftliche Scheinblüte, für eine Blasenwirtschaft, die wieder in sich zusammenfallen wird.

Je länger die Zentralbanken die Zinsen tief halten, desto wuchtiger wird die künftige Erschütterung auf den Finanzmärkten und in den Wirtschaften ausfallen. Nicht dass sie kommt, sondern nur wann sie kommt, liegt im Ungewissen.

Dieser Beitrag wurde in ähnlicher Form am 7. April 2014 in der F.A.Z. veröffentlicht.

[1] Mises, L. v. (1932, 1922), Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, S. 461-462.

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Thorsten Polleit, 47, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem Gründungsmitglied und Partner von Polleit & Riechert Investment Management LLP. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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