Aller Anfang ist schwer

27.1.2014 – von Michael von Prollius.

Michael von Prollius

Bundespräsident Gauck hat zum 60. Jubiläum des Walter Eucken Instituts in Freiburg am 16. Januar 2014 eine leider mäßig beachtete Rede gehalten. In die Schlagzeilen schaffte es vor allem seine Richtigstellung des Begriffs Neoliberalismus, die als Verteidigung und Lob bewertet wurde. Dabei bietet die Rede mehr als öffentlich wahrgenommen und diskutiert wurde, zugleich aber auch zu wenig, um als „Ruck-Rede“ öffentliche Wirkung zu entfalten.

Zunächst würdigte der Bundespräsident das Wirtschaftswunder als Freiheitswunder: „Es war nicht nur ein Wirtschaftswunder, sondern auch ein Freiheitswunder, was da passierte“. Passend zum Anlass folgte ein ordoliberaler Tenor, der die gesamte Rede prägte: „Wer eine freiheitliche Gesellschaft möchte, möge sich einsetzen für Markt und Wettbewerb und gegen zu viel Macht in den Händen weniger.“ Und Gauck fügte ganz im Sinne von Wilhelm Röpke hinzu: „Er muss aber auch wissen: Eine freiheitliche Gesellschaft ruht auf Voraussetzungen, die Markt und Wettbewerb allein nicht herstellen.“ Eine Würdigung der Freiburger Schule, ein Plädoyer für Freiheit und Marktwirtschaft und für eine Ordnung der Freiheit – das besitzt in Deutschland Seltenheitswert. In den vergangenen Jahren hat wohl kaum ein Bundespräsident ein derart freiheitliches Plädoyer gehalten.

Angesichts der ordnungspolitisch schlechten Verfassung, in der sich Deutschland und Europa befinden – nicht zuletzt geistig –, lohnt es sich, eine Reihe von Formulierungen der Rede zu vergegenwärtigen.

1. Grundlegende Bedeutung besitzt Joachim Gaucks Forderung nach mehr intellektueller Redlichkeit, mehr historischem Bewusstsein und mehr Anerkennung für unterschiedliche Spielarten des Liberalismus: „In unseren öffentlichen Debatten aber wünsche ich mir mehr intellektuelle Redlichkeit und auch etwas mehr historisches Bewusstsein und Anerkennung für das breite Spektrum des Liberalismus in unserem Land, das von Eucken und seiner Vorstellung von einem ordnenden Staat bis hin zu Friedrich August von Hayek reicht, der ‚spontanen Ordnungen’ mehr zutraute als dem Staat.“ Der Bundespräsident fordert dazu auf, dem Liberalismus von Eucken bis Hayek öffentlich Anerkennung zukommen zu lassen! Das ist, selbst für das Ludwig von Mises Institut, eine frohe Botschaft. Das Staatsoberhaupt als Anwalt der liberalen Sache in einer Zeit, in der, Meinungsumfragen zu Folge, die Freiheit einen schweren Stand hat – das ist überraschend, überfällig und ungemein hilfreich. Das gilt umso mehr als Joachim Gauck um den “gefühlsbetonten Antikapitalismus” der Deutschen und ihren “unreflektierten Antiliberalismus” weiß.

2. Der Bundespräsident hat eine Freiheitsrede gehalten, eine Rede für die Freiheit und eine freie Gesellschaft. Freiheit ist für ihn unteilbar: „.. Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft gehören zusammen.“ Das Wirtschaftswunder sieht der Bundespräsident auch als Freiheitswunder. Markt und Wettbewerb sind für ihn elementare Bestandteile einer Ordnung der Freiheit. Und er warnte vor Freiheitszerstörung durch private Macht und den totalen Staat, indem er Walter Eucken zitiert, der von „absurden Plänen und Mangelwirtschaft“ des Staates sprach und vor allem „an willkürliche Zuteilung von Lebensschancen“ erinnerte. Zugleich hat er differenziert Facetten von Freiheit betrachtet und Freiheit als wahrgenommene Bedrohung von Teilen der Bevölkerung thematisiert, der begegnet werden solle: „Das Wort ‚Freiheit’ klingt bedrohlich für jemanden, der sich nicht nach Offenheit, sondern nach Überschaubarkeit sehnt.“ und weiter: „Aber es gibt durchaus Grund zu fragen, woran so viele so konstant zweifeln – nicht, um den Zweifeln zu folgen, sondern um ihnen zu begegnen!“ Für Freiheitsfreunde liegt eine wichtige Herausforderung darin, überzeugende Argumente und Fürsprachen zu entwickeln, die Freiheitsskeptiker überzeugen.

3. Schließlich hat der Bundespräsident ein kraftvolles Plädoyer für den Wettbewerb, das Kernstück einer (ordo)liberalen Ordnung, vorgetragen: „Erst die Begrenzung von Macht durch freien, fairen Wettbewerb ermöglicht den Vielen die Teilhabe.“ Darum sei es so wichtig, dafür zu sorgen, dass „Wettbewerb nicht einigen wenigen Mächtigen nutzt, sondern möglichst vielen Menschen Chancen bietet. Und darum muss er im Zweifel gegen all jene wirtschaftlichen Kräfte verteidigt werden, die einseitig Spielregeln zu verändern oder unter dem Deckmantel der Freiheit Privilegien zu etablieren suchen.“ Zugleich lässt der Bundespräsident den Staat nicht aus: „Und ebenso müssen wir wachsam sein, damit der Staat den Wettbewerb nicht verfälscht – in der manchmal verständlichen Absicht, einzelne Gruppen oder Bereiche in ihrer Entwicklung zu unterstützen.“ Im Verlauf der Rede kritisiert Joachim Gauck zurecht den Ordnungsrahmen der Banken, die Trennung von Handlung und Haftung, und antifreiheitliche Verhaltensweisen auf staatlicher Ebene. Zugleich hebt er den Binnenmarkt als erfolgreiches Ergebnis der europäischen Einigung hervor, als Macht begrenzender Wettbewerbsmarkt. Ein solcher Blick auf Europa ist von Staatsbediensteten kaum zu hören. Klasse!

Schließlich sind es die weichen, intellektuellen, aber fundamentalen Aspekte öffentlicher Debatten, die Joachim Gauck beschwört, etwa die von ihm einforderte „Bereitschaft zur ‚Radikalität des Fragens’”, wozu für ihn auch unbequem sein und Widerspruch wagen gehört. Wer möchte kann das als Unterstützung für die sogenannten Euro-Rebellen verstehen. Zur Diskussion um die Wirtschaftswissenschaft und die Arbeit von Ökonomen gehört das Plädoyer: „Ökonomen sollten Politik und Gesellschaft eine ‚Sehhilfe’ sein. Das können sie nicht, wenn sie die Klarheit und Ästhetik ihrer theoretischen Modelle den Realitäten und Zusammenhängen in der Gesellschaft vorziehen“. Schließlich versteht der Bundespräsident, ganz in der Tradition seines persönlichen Freiheits- und Knechtschaftserlebens, Politik als Aufgabe von jedermann an: „Am Ende aber ist es an der Politik – und damit an uns allen –, die Verantwortung für die Ordnung zu übernehmen, in der wir leben.“ Sein Schlusssatz lässt sich sogar so deuten, dass Politik eine Politik der Freiheit sein soll: „Walter Eucken und seine Mitstreiter haben … sich .. in die Freiheitsgeschichte unseres Landes eingeschrieben. Schreiben wir sie fort!“

Warum hat die Rede des Bundespräsidenten nicht mehr Echo gefunden? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, die an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden sollen. Ein Grund dürfte aber darin liegen, dass es sich um eine Festrede und nicht um eine dezidiert politische Richtungsrede gehandelt hat. Hinzu kommt, dass der Bundespräsident sich schon kräftiger für die Freiheit eingesetzt hat. So bezeichnet er sich in seinem Westentaschenplädoyer in Buchform „Freiheit. Ein Plädoyer“ als „Liebhaber der Freiheit“ und schreibt gleich auf der ersten Seite: „Es ist vielmehr meine tiefe Überzeugung, dass die Freiheit das Allerwichtigste im Zusammenleben ist und erst Freiheit unserer Gesellschaft Kultur, Substanz und Inhalt verleiht.“ Schließlich verwässern in seiner Freiburger Rede zahlreiche Bezüge zur Chancengerechtigkeit, zu wohlgestaltetem Wettbewerb durch den Staat, Kritik an globalen Konzernen und deren (potenziellen) Exzessen, aber nicht an global agierenden Staatsführungen eine konsequente Parteinahme für die Freiheit. Folglich bleiben sowohl der Staatsbegriff als auch das Freiheitsverständnis zu vage, vielleicht auch zu sehr durch die persönlichen Erfahrungen im Sinne einer gesellschaftlichen Teilhabe geprägt.

Eine „Ruck-Rede“ für die Freiheit erfordert hingegen Verve und kräftige Bilder, mehr Klarheit als Differenzierung, mehr Orientierung und Wegweisen sowie Kritik und Ansporn. Schließlich kommt die Rede 10 Monate nach Amtsantritt recht spät, zumal sich frühzeitig Erwartungen auf den Bundespräsidenten richteten, er möge als Korrektur des tagespolitisch verhafteten, etatistischen Establishments dienen. Dennoch bleibt die Freiburger Rede des Bundespräsidenten zum 60. Jubiläum des Walter Eucken Instituts eine bemerkenswerte und zeitgemäße Fürsprache für Freiheit, Marktwirtschaft und persönliches Engagement – für eine Ordnung der Freiheit und wider den paternalistischen Mainstream.

Dr. Michael von Prollius ist Referent auf der Konferenz des ‘Ludwig von Mises Institut Deutschland’ am 10. Mai 2014 in München.

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Dr. phil. Michael von Prollius ist Publizist und Gründer der Internetplattform Forum Ordnungspolitik, die für eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens und eine freie Gesellschaft wirbt. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Geldsystem. Seine finanzwissenschaftlichen Beiträge und Rezensionen erscheinen zumeist in wissenschaftlichen Zeitschriften, aber auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Fuldaer Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung sowie in der Internetzeitung Die Freie Welt. Michael von Prollius ist Senior Experte beim Freiheitswerk, er verantwortet dort den Themenbereich Geld und Geldpolitik.

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