Legitimation des Staates durch Wahlteilnahme?

27.12.2013 – [Ein Kommentar zum Beitrag von Ferdinand A. Hoischen vom 20.11.2013]

von Karl-Friedrich Israel.

Karl-Friedrich Israel

Am 20.11.2013 wurde ein Artikel unter dem Titel Legitimation des Staates durch Wahlteilnahme? von Ferdinand A. Hoischen auf www.misesde.org veröffentlicht. Nach einer ausführlichen „Begutachtung aus rechtlicher Sicht“ schlussfolgert der Autor, dass Wahlteilnahme den Staat sehr wohl legitimiere:

„ … Wahlteilnahme ist in einem ganz umfassenden Sinne Legitimation des Staates im Sinne von Anerkennung, Rechtfertigung und Übertragung von Befugnissen, so dass demgegenüber die rechtlich nicht mögliche Übertragung von Gewaltausübungs- und Besteuerungsrechten nicht mehr ins Gewicht fällt.“

Hiermit möchte ich einen Einwand zu dieser in libertären Kreisen relativ weit verbreiteten These hervorbringen. Dabei geht es mir nicht darum, überzeugte Nichtwähler zum Wählen zu animieren. Ein solcher Entschluss ist bei den verfügbaren Wahloptionen durchaus nachvollziehbar. Es soll lediglich der irrigen Unterstellung Abhilfe geschafft werden, dass jemand, der wählen geht, gar kein „aufrichtiger“ Libertärer sein könne, weil er ja den Staat, den politischen Prozess und politisches Handeln durch Abgabe seiner Stimme legitimiere.

Ferdinand A. Hoischen kommt mit seiner Argumentation auf das gleiche Ergebnis wie eine Reihe von libertären Kommentatoren. So hat zum Beispiel David Kramer in einem Beitrag auf Lewrockwell.com am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2012 erklärt, dass sich eigentlich nur der Nichtwähler über das Ergebnis einer Wahl beschweren dürfe. Der Wähler habe ja schon mit der bloßen Teilnahme sein Einverständnis zum politischen Wahlprozess und zum Mehrheitsprinzip gegeben und legitimiere damit auch das Ergebnis der Wahl – wie auch immer sie ausfallen möge. In anderen Worten, er legitimiere den Staat. Eine Reihe von Argumenten für das Nichtwählen werden im Beitrag The Fundamentals of Nonvoting von Skyler Collins vorgestellt. Und in der Tat gibt es gute Gründe nicht wählen zu gehen. Allerdings zu behaupten, dass jemand, der wählen geht, den Staat legitimiere, ist absurd.

Das größte Problem, das sich aus einer rechtlichen Betrachtung dieser Frage ergibt, ist, dass man leicht in eine rechtspositivistische Argumentation verfällt. Dabei stützt man sich dann auf die Definitionen, die von den Agenten des Staates selbst entworfen wurden – wie etwa den Verfassern unseres Grundgesetzes. Wenn wir uns aber in der Argumentation auf die Worte der Staatsdiener verlassen, ist nicht verwunderlich, dass wir zu dem Ergebnis gelangen, dass der Staat oder die Regierung (und das, was sie tut) durch Wahlen legitimiert werden. Genau das möchte ein Staat oder eine Regierung nämlich sein – legitimiert.

Warum ist nun aber genau diese Behauptung absurd? Das Sklavenbeispiel, das heute oft von Walter Block bemüht wird und sich aus Lysander Spooners No Treason ableitet, liefert eine schlagkräftige Reductio ad absurdum. Stellen wir uns vor, dass ein Sklavenhalter seinen Sklaven zwei Aufseher zur Wahl stellt. Der nette Aufseher, verprügelt die Sklaven nur einmal pro Woche. Der böse Aufseher verprügelt sie jeden Tag – und sonntags zweimal! Wenn die Sklaven den netten Aufseher wählen, würde man Ihnen dann vorwerfen, dass sie die Institution der Sklaverei legitimieren? Natürlich nicht!

Wenn ein Räuber Ihnen die Wahl lässt und Sie auffordert einen 5 €- oder 10 €-Schein herauszurücken, und sie ihm einen 5 €-Schein geben, legitimieren Sie damit ebenso wenig den Raub, wie der Wähler den Staat.[1] Warum? Weil man mit einer Wahl nur dann tatsächlich etwas legitimieren kann, wenn die Wahl aus freien Stücken getroffen wird – also etwa die Wahl des Vorsitzenden eines Sportvereins. Niemand wird gezwungen Mitglied im Sportverein zu sein. Jedes Mitglied nimmt freiwillig Teil und gibt damit sein Einverständnis zu den jeweiligen Statuten. Diese werden erst durch die Freiwilligkeit tatsächlich legitimiert.

Unser Staat ist aber kein Sportverein, der auf freiwilliger Teilnahme basiert. Wir sind, ob wir wollen oder nicht, Teil des Systems.[2] So wie der Sklave, der – ob er nun will oder nicht – Sklave bleibt, entweder unter dem einen oder dem anderen Aufseher. Der Vergleich mag übertrieben anmuten, aber er trifft genau den Kern des Problems. Es ist so, wie Lysander Spooner schrieb:

“A man is none the less a slave because he is allowed to choose a new master once in a term of years.”[3]
[Ein Mensch ist nicht weniger ein Sklave, nur weil er alle paar Jahre einen neuen Herrn sich wählen darf.]

[1] Dieses Beispiel stammt ebenfalls von Walter Block.

[2] Der Einwand, dass man doch auswandern könne, ist nicht berechtigt, denn überall auf der Welt wäre man Opfer eines mehr oder weniger drakonischen Staates.

[3] Lysander Spooner, The Constitution of No Authority (Boston: 1870), S. 28

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Karl-Friedrich Israel, 25, hat Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Statistik an der Humboldt-Universität in Berlin, der ENSAE ParisTech und der Universität Oxford studiert. Zur Zeit absolviert er an der Humboldt-Universität sein Masterstudium in Volkswirtschaftslehre.

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