Staatsanleihen sind keine ethischen Investments

5.3.2018 – von Thorsten Polleit.

Thorsten Polleit

Viele Investoren denken darüber nach, wie man ethisch investiert: in was man investiert, damit die daraus er-wachsenden Erträge nicht zum Schaden von Menschen und Umwelt sind („vermeidende ethische Anlagen“) und eine politisch-sozial akzeptierte Wirtschaftsweise fördern („fördernde ethische Anlagen“). Professionelle Investoren erarbeiten nicht selten umfangreiche Anforderungslisten, die Investments erfüllen müssen, damit sie als ethisch vertretbar eingestuft werden können.

Als ethisch nicht vertretbar gelten häufig Investitionen in Unternehmen, die zum Beispiel mit Gen- und Waffentechnik Geld verdienen, oder die ihre Gewinne mit Alkohol, Zigaretten und Computerspielen erwirtschaften. Was jedoch erstaunlicherweise in den Listen der ethischen Investments regelmäßig auftaucht sind: Staatsanleihen. Wer genauer nachdenkt, der wird jedoch erkennen, dass Staatsanleihen keine ethischen-moralischen Investments sind. Dazu nachstehend die (streitbare) Erklärung.

Die Ethik, ein Teilbereich der Philosophie, beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung des menschlichen Handelns. Ethisches Handeln ist, kurz gesprochen, gutes, ist richtiges Handeln, ist moralisch. Der preußische Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) hat das grundlegende Prinzip des ethischen Handelns formuliert: den Kategorischen Imperativ. Der Volksmund kennt ihn im Ausspruch: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu.“

Ethisches Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass die handlungsleitenden Regeln für alle überall und jederzeit gelten (und dass das Befolgen der Regeln auch das Überleben der Handelnden sichert). Kann ich beispielsweise wollen, dass das Stehlen erlaubt ist? Stehlen macht jedes Eigentum, das auch der Stehlende anstrebt, unmöglich. Wer stiehlt, nimmt für sich etwas in Anspruch, das er anderen verwehrt. Stehlen kann folglich nicht ethisch sein.

Doch was qualifiziert sich als ethische Handlungsnorm? Eine Antwort lautet: Ethisch ist das Handeln, das das Eigentum respektiert – Eigentum verstanden als das Selbsteigentum eines jeden an seinem Körper und an den Dingen, die er rechtmäßig, ohne Aggression gegen andere, erwirbt. (Das ist übrigens ein logisch nicht hintergehbares Prinzip: Man kann ihm nicht widersprechen, ohne sich dadurch in einen Selbstwiderspruch zu verstricken.)

Hat man das erkannt, dann wird übrigens auch klar, wie geradezu wunderbar die Idee des freien Marktes aus ethischer Sicht ist. Unverrückbares Kernstück des freien Marktes – oder, um einen „Kampfbegriff“ zu verwenden: des Kapitalismus – ist der unbedingte Respekt vor dem Eigentum: Ein jeder gehört sich selbst, ist Eigentümer seines Körpers und der Früchte der eigenen Hände Arbeit.

Die Grenzen des richtigen Handelns sind damit klar und eindeutig gesetzt: Ich darf mit meinem Handeln nicht Deine körperliche Unversehrtheit und Dein Eigentum schädigen. Gleiches gilt für Dich. Unter dieser Handlungsnorm hat jeder die Freiheit, mit anderen zu handeln, zu kooperieren, und zwar stets auf Basis der wechselseitigen Freiwilligkeit. Das schließt natürlich auch das Recht ein, auf Wunsch in Ruhe gelassen zu werden.

Wer die Handlungsnorm „unbedingter Respekt vor dem Eigentum“ als ethisch akzeptiert, der erkennt weiterhin, dass der Staat (wie wir ihn heute kennen) ein großes Problem ist. Dazu führe man sich zunächst das Wesen des Staates vor Augen. Der US-amerikanische Ökonom, Historiker und Gesellschaftsphilosoph Murray N. Rothbard (1926 – 1995) bietet die folgende (positive, das heißt erklärende) Definition an: Der Staat ist der territoriale Zwangsmonopolist mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte, die zwischen seinen Bürgern und die zwischen ihm und seinen Bürger auftreten. Und er hat die Macht zur Besteuerung.

Ein solcher Staat macht etwas, was allen anderen verwehrt ist: Er nimmt den Bürgern ohne ihr Einverständnis Geld weg, und die Geschröpften haben noch nicht einmal Anspruch auf eine individuelle Gegenleistung. Dass der Staat das erbeutete Geld – nachdem er davon sich und die von ihm Begünstigten bezahlt hat – Bürgern und Unternehmern (direkt oder indirekt) wieder zuschanzt, macht es nicht besser. Er verstößt gegen die ethische Handlungsnorm, das Eigentum zu respektieren.

Es ist absehbar, dass solch ein Staat eine immer größer werdende Zahl von „Fans“ und Günstlingen um sich versammelt. Zusammen entwickeln sie ein Verlangen nach dem Geld derjenigen, die nicht zum Staat gehören. Die Steuern, die die produktiven Bürger und Unternehmer zähneknirschend bereit sind zu zahlen, reichen ihnen nicht aus. Daher weicht der Staat auf eine für ihn besonders attraktive Form der Geldbeschaffung aus: die Verschuldung.

Seine Schuldpapiere stoßen meist auf rege Nachfrage: Viele Anleger sehen in den Anleihen des Staates eine einfache und sichere Möglichkeit, um eine angemessene Rendite zu verdienen. Sie geben daher – anders als bei der Steuereintreibung – dem Staat ihr Geld freiwillig. Sie machen gemeinsame Sache mit dem – wie ihn Martin Walser treffend nennt – Raubstaat. Das besonders Tückische daran: Kaum jemand fühlt sich geprellt, und deshalb kommt der Staat per Kreditaufnahme auch so leicht an das Geld seiner Untertanen.

Wer in einem freien Markt eine Unternehmensanleihe erwirbt, der setzt darauf, dass das Unternehmen Gewinne erzielen wird. Denn nur dann wird es seinen Schuldendienst leisten können. Gewinne entstehen aber nur dann – und die Unternehmensanleihe wird nur dann zur erfolgreichen Investition –, wenn das Unternehmen Produkte erzeugt, die freiwillig von den Kunden gekauft werden.

Wie bezahlt der Staat die Zinsen und Tilgungen auf seine Schulden? In der Regel ist er ein Dauerschuldner, er ersetzt fortlaufend fällige Kredite mit neuen Krediten. Das funktioniert so lange problemlos, wie es Anleger gibt, die erwarten, dass künftig, wenn die Staatsschulden fällig werden, andere Anleger bereit sein werden, die neuen Schuldpapiere zu kaufen. Und diese künftigen Anleger haben die gleiche Erwartungshaltung.

Sind Staatschulden also etwa ein Schneeballsystem, ein „Ponzi-Spiel“? Dieser beunruhigende Verdacht ließe sich vielleicht entkräften, wenn die kreditfinanzierten Staatsausgaben gesamtwirtschaftlich produktiv, wenn sie „netto-nützlich“ wären. Doch das sind sie nicht. Wären sie es, gäbe es eine große Zahl von überzeugenden Studien, die aufzeigen würden, dass kreditfinanzierte Staatsausgaben den Wohlstand erhöhen. Doch die gibt es nicht.

Das ist nicht überraschend. Solides ökonomisches Nachdenken zeigt, dass Staatsschulden die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft schmälern. Der Grund: Der Staat zieht per Kreditaufnahme knappe Ressourcen an sich, die anderen Verwendungen entzogen werden. Er verausgabt sie gemäß politisch-ideologischer, nicht rational-wirtschaftlicher Ziele. Geld wird vielfach in Verwendungen gesteckt, die nur eine geringe oder gar keine produktive Wirkung entfalten.

Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, der kann leicht einsehen, dass die Staatsschulden von heute die (erdrückende) Steuerlast von morgen sind: Das, was der Staat heute auf Pump finanziert, muss schließlich irgendwann bezahlt werden. Die Aussicht auf künftige Besteuerung schmälert schon heute, in der Gegenwart, den Anreiz zu sparen und zu investieren. Die Folge: weniger Wohlstandszuwachs.

Man mag nun einwenden: Die Volkswirtschaften sind doch in den letzten Jahrzehnten gewachsen, obwohl die Staatsverschuldung immer weiter zugenommen hat. Das wäre vorschnell geurteilt. Die Volkswirtschaften wären stärker gewachsen, wenn es keine Staatsverschuldung gegeben hätte. Es gab Wohlstandszuwachs trotz, nicht wegen steigender Staatsschulden.

Vielen Menschen ginge es heute besser, gäbe es keine Staatsverschuldung. Beispielsweise wären die Produktivität der Volkswirtschaft und das allgemeine Lohnniveau höher, als sie es heute sind. Die Altersvorsorge stünde auf solideren Füßen – bedenkt man, dass heutzutage viele Menschen ihre Pensionen in Staatsschulden angelegt haben, also in Anleihen, mit deren ehrlicher Rückzahlung nicht zu rechnen ist.

Die ernüchternde Einsicht lautet: Wer in Staatsanleihen investiert, macht nichts Gutes, er handelt unethisch, unmoralisch. Er spielt vielmehr einer Institution in die Hände, die auf vielfältige Weise das Eigentum der Menschen unterwandert, aushebelt, es scheibchenweise aufhebt; die Menschen so behandelt, wie man selbst nicht behandelt werden möchte. Und das ist – wie bereits aufgezeigt – unvereinbar mit einer ethischen Handlungsnorm.

Die Treue zu den Staatsanleihen, die viele Investoren gerade auch hierzulande immer noch haben, erklärt sich vermutlich durch die Renditen, die man in der Vergangenheit erzielen konnte. Wer beispielsweise seit Beginn der 1980er Jahre bis Januar 2018 in deutsche Staatspapiere angelegt hat, konnte eine jahresdurchschnittliche Rendite von immerhin 6 Prozent (vor Steuern und Inflation) erzielen – während deutsche Aktien allerdings 9,4 Prozent und US-amerikanische 12,2 Prozent einbrachten.

Die Aussichten, mit Staatsanleihen auch künftig verdienen zu können, haben sich verdüstert. Die Staatsschulden sind vielerorts so groß geworden, dass die Zentralbanken die Zinsen auf extreme Niedrigstände geschleust haben. Das Ziel: Kredite sollen die Staaten nichts mehr kosten. Wer dem Staat Geld leiht, soll nichts mehr verdienen. Am besten soll er noch drauflegen. Der Zins, den der Staat zahlt, abzüglich der Inflation soll negativ gemacht wird.

Der Staat hat begonnen, seine Kreditgeber zur Ader zu lassen. Die Strategie, dem Staat Geld zu leihen und dafür eine einträgliche Belohnung kassieren zu können, geht nicht mehr auf. Doch das ist – auch wenn es für den einen oder anderen Anleger schmerzlich ist – eine Wendung zum Besseren: Anleger werden quasi mit der Nase auf die Erkenntnis gestoßen, dass man sein Geld besser nicht dem Staat leiht.

Ein letzter Gedanke: Der Investor, der über die Ethik seiner Investments nachdenkt, sollte zwischen persönlichen Wertungen und ethischen Handlungsnormen genau unterscheiden. Es könnte beispielsweise sein, dass ich nicht in Unternehmen investieren möchte, die Computerspiele herstellen (weil ich der Meinung bin, Computerspiele schaden den Kindern). Es steht mir natürlich frei, das zu meinen und entsprechend zu handeln. Aber das heißt noch nicht, dass mein Handeln damit ethisch ist.

Das, was in meiner Entscheidung als „bloße Form eines allgemeinen Gesetzes“ (wie Immanuel Kant es sagen würde) enthalten ist, lautet: „Was mir nicht gefällt, das muss auch anderen nicht gefallen“. Das aber kann keine ethische Handlungsnorm sein. Denn es würde das, was ich anstrebe („Was mir nicht gefällt, muss auch den anderen nicht gefallen“), verunmöglichen (denn das zugrundeliegende allgemeine Handlungsgesetz hieße: „Was den anderen gefällt, das muss auch mir gefallen“).

Will man als Investor ethische von unethischen Investments abgrenzen, sollte man folglich genau prüfen, welche Entscheidungskriterien man zugrundelegt – ob sie einer rein persönlichen Wertung entstammen, oder ob sie einen verallgemeinerungsfähigen Leitsatz des eigenes Handelns darstellen. Ansonsten besteht die Gefahr, zu falschen Entscheidungen zu gelangen. Bei Staatsanleihen ist der Fall offenkundig: Sie sind keine ethischen Investments.

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Thorsten Polleit, 50, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungspartner und volkswirtschaftlicher Berater der Polleit & Riechert Investment Management LLP. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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