Ein ganz normaler Tag in der überregulierten EU

1.7.2016 – von Louis Rouanet.

Louis Rouanet

Es war eine friedliche Nacht in Europa, dort, wo alle Frauen stark, die Männer schön, und die Kinder überdurchschnittlich sind. Martin wachte in seinem EU-regulierten Bett auf und blickte durch sein EU-reguliertes Fenster. Er hatte geschlafen wie ein Baby – dank der 109 EU-Regulierungen für Kopfkissen, den 5 EU-Regulierungen für Kissenbezüge, und den 50 EU-Gesetzen, die Bettdecken und Deckenbezüge regulieren. Martin stand auf und putzte seine Zähne mit seiner Zahnbürste, die von 31 EU-Gesetzen reguliert wird.

Danach ging der EU-regulierte Mann in seine EU-regulierte Küche, um sich einen EU-Klasse-I-Apfel zu holen. Zugunsten des Allgemeinwohls definierte die EU, was „Klasse I“-Obst tatsächlich ist: Damit ein Apfel der „Roten Sorte“ der „Klasse I“ angehört, müssen 50% seiner Oberfläche rot sein. Damit ein Apfel der Sorte „gemischt-roter Färbung“ ein „Klasse I“-Apfel ist, müssen 33% seiner Oberfläche rot sein, und so geht es weiter für die 3 Qualitätsklassen und 287 einzeln definierten und bezeichneten Apfelsorten. Martin aß Obst und Gemüse, weil der Staat ihm sagte, dass es für ihn gut sei. Er schaltete den Fernseher an und verfolgte aufmerksam die staatliche „iss fünf Stücke Obst und Gemüse“-Werbung. Martins Apfel war nicht besonders lecker, aber dafür wurde er von einer zentralen europäischen Autorität kontrolliert. „Ist das nicht toll“, dachte sich Martin. „Die EU kümmert sich um unsere Lebensmittel. Wir können jetzt ausschließlich tolle und sichere Produkte essen!“ Martin bezahlt aufgrund der sehr protektionistischen Agrarpolitik der EU 40% mehr für seine Lebensmittel, aber das ist der Preis, der für Zivilisation zu zahlen ist.

Martin konnte die störenden Kritiker des europäisch-regulatorischen Superstaates nicht verstehen. Regulierungen sind notwendig – sie sind die Spielregeln. Wie könnten Menschen ohne sie überhaupt miteinander kooperieren? Wie sonst ließen sich Straßen bauen, Schulen errichten oder Bananen produzieren? Wer würde die Menschen außerhalb der EU vor profitorientierten Kapitalisten, die kleine Kiwis verkaufen, beschützen? Wer würde bankrotte Länder und ihre korrupten Regierungen von den Schulden befreien? Natürlich mögen einige wenige Leute sagen, dass Individuen frei kooperieren und handeln würden, aber für Martin schien das eine weit hergeholte Utopie zu sein. Die Gesellschaft, die die Marktwirtschaftsfundamentalisten im Auge haben, ist zweifellos zum Scheitern verurteilt.

Als stolzer Europäer war Martin davon überzeugt, dass die weisen EU-Bürokraten in Europa für Frieden und Wohlstand sorgen, indem sie jeden Aspekt des menschlichen Lebens mit Liebe zum Detail regulieren. Weil Martin verstand, wie wichtig es ist, freie Vertragsbeziehungen zwischen Einzelpersonen durch Regulierungen zu begrenzen, hörte er auch 2009 damit auf, Gurken zu essen, als die EU aufhörte, zu beschränken, inwieweit eine Gurke gekrümmt sein durfte, damit sie als „Klasse I“ oder „Extra“ verkauft werden konnte. Die danach folgende Anarchie in der Gurkenproduktion war unerträglich und zerstörte den ganzen Gurkenmarkt ein für alle Mal.

Lange Zeit arbeitete Martin in Brüssel als Direktor der „Subkommission von Türen, Fenstern, und anderen zu regulierenden Dingen“ der Europäischen Union. Er wusste, wie all die Bürokratie funktioniert – er wusste, diese Bürokratie zu entfernen wäre eine gesellschaftliche und menschliche Katastrophe. Was würden diese EU-Bürokraten denn auch ohne die EU tun? Sie haben nie in der Privatwirtschaft gearbeitet! Sie haben keine Ahnung, wie sie funktioniert! Ihr komparativer Vorteil liegt im Dirigieren, Regulieren, Diktieren, Modellieren und es ihren Vorgesetzten recht zu machen – die Menschen sollten das respektieren!

Martin wollte seine Wohnung mit dem neuen ökologisch kompatiblen, stromsparenden, EU-regulierten Staubsauger saugen. Aber diese regulierte Schönheit konnte nichts saugen, da die Saugkraft vom Zentrum europäischer Vitalität – Brüssel – begrenzt wurde. Wahrscheinlich war das auch gut so, da Martin in diesem Monat knapp bei Kasse war und Strom in Europa sehr teuer ist, um Rücksicht auf die Bedürfnisse des Planeten zu nehmen. Gegenwärtig boomen grüne Energien in Europa. Die Europäische Union stellte sicher, dass die grünen Energien im Stromnetz Priorität haben. Aber das setzt voraus, dass man ein flexibles Stromkraftwerk mit Solar- und Windkraft hat. Um also mit den Bedürfnissen des Planeten im Einklang zu sein, werden in ganz Europa Kernkraftwerke dichtgemacht und durch die höchst ökologischen Kohlekraftwerke ersetzt. Martin fand es immer seltsam, warum die Menschen nichts vom ästhetischen Wert eines gigantischen Windrades in der französischen Landschaft hielten. Offensichtlich haben die Bürokraten in Brüssel einen besseren Geschmack.

Trotz seiner von der EU regulierten Armbanduhr verspätete sich Martin zum Mittagessen mit seinem Bruder Daniel. Daniel war ein junger Idealist, der versuchte, ein Start-up zu gründen, das Logistikdienstleistungen an Kleinunternehmen verkauft. Martin dachte immer, sein Bruder sei intellektuell limitiert. Beide setzten sich und bestellten einen Salat mit Oliven und Sardellen. Daniel hätte gerne noch etwas Olivenöl in den Salat gegeben, aber wegen der neuesten Einmischung aus Brüssel in die Gastronomie wurden mit Olivenöl gefüllte Krüge und Schälchen in Restaurants verboten. Daniel wusste, dass sein Bruder über sein Lieblingsthema reden wollte: die Europäische Union. Er konnte der Versuchung, seinen Bruder ein wenig auf den Arm zu nehmen, nicht widerstehen.

„Ich habe im Internet einen Artikel gelesen, der sich über die Verschwendung durch die EU-Institutionen beschwert“, meinte Daniel und verbarg sein Lächeln.

„Keine Angst, die EU geht gut mit deinem Geld um“, meinte Martin genervt.

„Wie kannst du das wissen?“

„Na ja, wir haben eine Kommission gegründet, um die mögliche Verschwendung von Steuergeldern zu prüfen.“

„Und wie sind die Ergebnisse?“

„Wir müssen das Budget der EU um 25 Prozent erweitern.“

„25 Prozent!? Wieso das? Wofür wird das Geld verwendet?“

„Ich sagte bereits, mit deinem Geld wird verantwortungsvoll umgegangen. Im Grunde genommen ist es überhaupt nicht wichtig, es gibt ja nur 30.000 europäische Beamte.“

„Das lässt sich sehr einfach sagen, wenn die EU die Gesetze schreibt und die Länder alle Ausgaben tätigen.“

„Eine bürokratische Tradition, die schon Jahrhunderte überlebt hat!“

„Ich glaube trotzdem nicht, dass die EU all das Geld braucht.“

„Bei öffentlichen Ausgaben geht es nicht darum, wer was braucht.“

„Worum geht es dann?“

„Daniel, wenn du im öffentlichen Sektor arbeitest und damit anfängst, Geld zurückzugeben, werden sie dir das nächste Mal weniger geben und du kannst nicht mehr all die tollen und notwendigen Dinge finanzieren, die wir jetzt finanzieren.“

„Was für tolle und notwendige Dinge?“

„Wie kannst du nur so etwas fragen?!“, meinte Martin voller Wut.

„Wie wäre es mit Beispielen?“

„ERASMUS! Man gibt Studenten die Möglichkeit, im Ausland zu studieren.“

„Oh ja! Ein Freund von mir war ERASMUS-Student. Ich weiß nicht, ob sein Studium finanziert war, aber das Saufen und die Feiern, die waren definitiv finanziert.“

„Wie zynisch! Es gibt auch FEDER zur Finanzierung von unterentwickelten Regionen in Europa.“

„Also zur Subventionierung der korrupten regionalen und nationalen Regierungen wie in Griechenland?“

„Aber wir können nicht einfach rumsitzen und nichts tun!“

„Ja, das weiß ich.“

„Die EU tätigt auch Ausgaben zur Rettung unserer Landwirtschaft!“

„Wie mir einst jemand sagte: ‚Erst regulierst du es. Dann besteuerst du es. Dann subventionierst du es.‘ Von den hohen Kosten für Kunden ganz zu schweigen.“

„Wenn nur die EU Steuern auf…“

„Welche anderen nützlichen Dinge bietet die EU?“

„Ausgaben für Infrastruktur, Kultur, und so weiter.“

„Aber warum ist die EU die beste politische Kraft, um sich um diese Dinge zu kümmern? Steht das nicht im Konflikt mit dem Subsidiaritätsprinzip?“

„Die EU kennt keine Konflikte!“

„Du hast meine erste Frage immer noch nicht beantwortet.“

„Die EU muss diese Dinge finanzieren, weil sie Menschen dazu zwingt, zusammenzuleben.“

„Du meinst, sie zwingt Menschen dazu, für Dinge zu bezahlen, die ihnen nichts Gutes tun. Ihr zwingt die Menschen nicht dazu, zusammenzuleben; sie leben zusammen, weil es in ihrem gemeinsamen Interesse ist.“

„Aber, Daniel, wenn wir für diese Dinge nicht bezahlen würden, dann würden wir ja das Fundament unserer Zivilisation untergraben!“

„Aber mit den zur Verfügung stehenden Mitteln soll doch so gut wie möglich gewirtschaftet werden, oder?“

„Du verstehst einfach nicht, wie der öffentliche Sektor funktioniert! In der Privatwirtschaft misst man seinen Erfolg am Profit; im öffentlichen Sektor misst man seinen Erfolg am Budget. Es ist wie mit der Arbeitsteilung: Die Privatwirtschaft geht mit Ressourcen sparsam um und der öffentliche Sektor gibt sie aus.“

„Ich weiß nicht so recht, Martin. Was ist mit Brexit? Denkst du, dass es richtig ist, dass die Briten aus der EU aussteigen?“

Martin war zwar ein Demokrat, aber in erster Linie ein EU-Befürworter. Seines Erachtens ist die Demokratie gut, solange sie der EU nicht im Wege steht. Martin war nicht naiv. Er wusste, dass Menschen größtenteils unglaublich dumm sind und in ihren Entscheidungen geführt werden sollten. Er stimmte Jean-Claude Juncker, dem Präsident der Europäischen Kommission, zu, als er sagte: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“, und als er sagte: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Wie Juncker ist Martin für „Geheimtreffen“, da Leute wie sein Bruder unmöglich die Problemstellungen verstehen könnten. Kritiker, die die EU als undemokratisch erachten, sind irrelevant, da Juncker einst sagte: „Es kann keine demokratischen Abstimmungen gegen die europäischen Abkommen geben.“

„Ganz und gar nicht!“ meinte Martin voller Leidenschaft. Wie es George Osborne kürzlich sehr klar sagte, würde ein Austritt aus der EU bedeuten, dass die britische Regierung ihr Defizit um 30 Milliarden Pfund reduzieren müsste.

„Ist das nicht etwas Gutes?“

„Natürlich nicht! Wenn das passiert, dann können wir nicht so viel ausgeben!“

„Du meinst, dass die Politiker auf nationaler Ebene ohne die EU dann nicht so verantwortungslos sein können, wie sie es heute sind?“

„Gott sei Dank setzt die EU dem unfairen und illoyalen fiskalischen und regulatorischen Wettbewerb Grenzen!“

„Du meinst, die EU ist ein Instrument der fiskalischen Kartellierung und verhindert, dass Steuerzahler vor feindseligen fiskalischen und regulatorischen Umgebungen fliehen könnten?“

„Du bist doch kein Denker, Daniel! Überlass diese Fragen den Experten. Deine Skepsis ist vollkommen unbegründet. Ohne die EU gäbe es keine freie Mobilität von Kapital, Arbeit, und Personen!“

„Aber je größer eine politische Einheit ist, desto geringer sind die Kosten von protektionistischen Maßnahmen. Die Schweiz könnte sich keinen Protektionismus leisten, da für die Schweizer wirtschaftlicher Erfolg nur durch Kooperation mit Ausländern möglich ist. Aber die EU kann sich Protektionismus leisten. Der Beweis liegt in der Existenz eines gemeinsamen Schutzzolles.“

„Das ist kein Protektionismus. Wir befinden uns im Handelskrieg mit China und den USA! In einem globalisierten Kontext brauchen wir ein starkes Europa“, sagte Martin. „Sieh dir zum Beispiel den Terrorismus an. Wir brauchen Koordination. Guy Verhofstadt meinte, wir bräuchten ein europäisches FBI.“

Daniel war skeptisch. Er hielt nichts von der Idee, dass ein Überwachungsstaat die Privatsphäre der Bürger verletzt. Er wusste: Nach dem 11. September war im vergangenen Jahrzehnt keine Organisation für mehr Terroranschläge verantwortlich als das FBI.

Dann musste Daniel gehen. Es war spät und er musste noch arbeiten. Nach einem anstrengenden Tag, müde von dem ganzen Anti-EU-Unsinn, nutzte Martin die Treppe, um in den 6. Stock zu gelangen, wo sich seine Wohnung befand. Er hätte lieber den Aufzug benutzt, aber der musste ersetzt werden, um den neuen EU-Regulierungen zu entsprechen, die laut der Fahrstuhllobby für Sicherheit und Profite sorgen. Nachdem er einer sehr enthusiastischen Rede von Guy Verhofstadt über das neue Banken-Bailout-Programm zugehört hatte, wollte sich Martin unbedingt schlafen legen. Er schluckte eine von der EU regulierte Schlaftablette und legte sich in sein EU-reguliertes Bett. In Europa, wo alle Männer erschöpft, die Frauen größtenteils arbeitslos und die Kinder nicht immer so glücklich sind, war es für Martin ein toller Tag. Martin hatte die Lösung parat: Geben Sie der EU mehr Geld und jemand anders wird Ihre Probleme für Sie lösen.

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Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel Just Another Day in Regulated Europe ist am 21.6.2016 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

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Louis Rouanet ist Student am Institute of Political Studies in Paris und studiert dort Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften.

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