Unternehmertum ist großartig

15.6.2016 – von Llewellyn H. Rockwell Jr.

Llewellyn H. Rockwell Jr.

Ludwig von Mises mochte es nicht, vom „Wunder“ des Marktes oder vom „Zauber“ der Produktion zu sprechen. Diese Begriffe implizieren, dass wirtschaftliche Systeme von irgendeiner Macht abhängen, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft agiert. Mises meinte, es sei von Vorteil, ein rationales Verständnis darüber zu erlangen, warum Märkte eine solch unglaubliche Produktivität ermöglichen, die trotz einem exponentiellen Bevölkerungswachstum immer höhere Lebensstandards erzeugt.

Mises sagte oft, dass es nach dem 2. Weltkrieg kein Wirtschaftswunder in Deutschland gegeben habe: Der glorreiche Wiederaufbau war das Ergebnis von angewandter wirtschaftlicher Logik. Sobald wir die Beziehung zwischen Eigentumsrechten, Marktpreisen, der Zeitkomponente in der Produktionsstruktur und der Arbeitsteilung verstehen, sei das Wunder verschwunden und wir können über die Lehre vom menschlichen Handeln erkennen, welch fantastische Ergebnisse eben dieses Handeln ermöglicht.

Er lag richtig, dass zum Verständnis der Volkswirtschaftslehre kein Glauben notwendig ist. Es gibt aber Handlungen von Marktteilnehmern, die einen Glauben verlangen (und Mises würde dem zustimmen) – einen immensen Glauben; einen Glauben, der Berge versetzt und Zivilisationen entstehen lässt. Wenn wir die interessante Glaubensdefinition des Apostel Paulus („ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht“) akzeptieren, können wir das Unternehmertum und das kapitalistische Investieren als Glaubensakte betrachten.

Jeder Geschäftsmann versteht das. Täglich muss man tausend Mal die ungesehene Zukunft vor Augen haben, um Geschäfte zu machen. Im Markt gilt, dass die konsumierende Öffentlichkeit von heute auf morgen eine Geschäftsaufgabe erzwingen kann. Alles, was die Menschen dafür tun müssen, ist, nicht im Geschäft aufzutauchen bzw. nichts zu kaufen.

Das gilt für sowohl für das kleinste als auch für das größte Unternehmen. Es gibt im Geschäftsleben keine Sicherheit; nichts ist sicher. Jedes Unternehmen in einer Marktwirtschaft ist nur einen winzigen Schritt von der Insolvenz entfernt. Kein Unternehmen hat die Macht, andere Menschen dazu zu bringen, Dinge zu kaufen, die sie nicht haben möchten. Jeder Erfolg ist vergänglich.

Erfolg führt selbstverständlich zu Profit, aber nicht in eine Komfortzone. Jeder kleine Profit, den der Unternehmer sich selbst zukommen lässt, hätte er alternativ auch als Investition im Unternehmen belassen können. Aber diese Investition ist trotzdem keine sichere Sache. Der heutige Verkaufsschlager könnte morgen schon Schnee von gestern sein. Was Sie heute als todsichere Geschäftsidee betrachten, könnte nur eine kurzfristige Hysterie sein. Falls Sie etwas aufgrund von vergangenen Verkaufszahlen als massentaugliches Produkt bewerten, könnte es auch ein Marktsegment sein, das sehr schnell gesättigt ist.

Ein Kaiser kann auf seinen Lorbeeren ruhen, Kapitalisten können das nie.

Verkaufszahlen sind nur im Nachhinein zu erkennen. Die Zukunft sieht man nie klar, sondern höchstens verschwommen. Vergangene Performance ist kein Garant für zukünftigen Erfolg. Solche Dinge sind nicht mehr und nicht weniger als eine historische Datensammlung, die nichts über die Zukunft sagen kann. Wenn die Zukunft so aussieht wie die Vergangenheit, dann haben sich die Wahrscheinlichkeiten immer noch nicht geändert – vergleichbar mit der Wahrscheinlichkeit, eine Münze zu werfen und auf Zahl zu landen, nur weil es davor fünf Mal in Folge geschah.

Obwohl alles ungewiss ist, muss der Unternehmer-Investor so handeln, als wäre die Zukunft bereits kartographiert. Er oder sie muss Arbeitnehmer beschäftigen und sie eine lange Zeit bezahlen, noch bevor die Produkte ihrer Arbeit am Markt angeboten werden, und es dauert noch länger, bis diese marktfähigen Produkte verkauft werden und einen Profit erwirtschaften. Ausstattung und Maschinen müssen gekauft, modernisiert, gewartet und ersetzt werden. Somit muss der Unternehmer über die heutigen Kosten und die morgigen Kosten und die Kosten des nachfolgenden Tages saecula saeculorum nachdenken.

Insbesondere heute können die Kosten umwerfend sein. Ein Einzelhändler muss aus einer unzähligen Menge an Optionen entscheiden, was mögliche Lieferanten und Internetdienste angeht. Darüber hinaus muss es ein Mittel geben, um die Welt auf die eigene Existenz aufmerksam zu machen – und obwohl man ein Jahrhundert lang versuchte, herauszufinden, was die Menschen antreibt, ist Werbung weiterhin eine hohe Kunst und nicht einfach Wissenschaft. Und sie ist eine sehr teure Kunst. Wirft man Geld zum Fenster raus oder verbreitet man seine Botschaft effektiv? Es ist unmöglich, das im Voraus zu wissen.

Und es wird noch schlimmer: Man kann Erfolgsgeheimnisse nicht durch Tests isolieren, weil es unmöglich ist, alle wichtigen Faktoren perfekt zu kontrollieren. Manchmal weiß nicht einmal das erfolgreichste Unternehmen, warum es so erfolgreich ist, bzw. warum seine Produkte sich besser als die der Konkurrenz verkaufen. Ist es der Preis, die Qualität, die Marktstellung, der Standort, sind es die Werbemaßnahmen oder die psychologischen Assoziationen, die das Produkt bei den Menschen auslöst? Oder noch andere Faktoren?

In den 80er Jahren hat beispielsweise Coca-Cola versucht, die Rezeptur zu ändern und als New Coke zu vermarkten. Das Ergebnis war eine Katastrophe, obwohl Geschmackstests belegten, dass die Leute das neue mehr mochten als das alte.

Wenn die historischen Daten schon so schwer zu interpretieren sind, dann denken Sie mal darüber nach, wie viel schwieriger es ist, wahrscheinliche Ergebnisse in der Zukunft vorauszusehen. Sie können selbstverständlich Buchhalter, Werbeagenturen, Finanzgenies und Designer einstellen. Diese Leute sind zwar Fachleute, aber es gibt keine zuverlässigen Experten im Überwinden der Unsicherheit. Stellen Sie sich einen Mann in einem pechschwarzen Raum vor, der Menschen anheuert, um ihm dabei zu helfen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Seine Schritte mögen bestimmt und fest sein, aber weder er noch seine Helfer wissen, was vor ihm steht.

„Was den Unternehmer von den übrigen Wirten unterscheidet“, schreibt Mises, „ist gerade, dass er sich in seinem Handeln nicht durch das bestimmen lässt, was war und ist, sondern allein durch das, was seiner Meinung nach sein wird. Er sieht, wie alle übrigen Menschen, die Vergangenheit und die Gegenwart; doch er sieht die Zukunft anders als sie.“

Genau aus diesem Grund kann man eine unternehmerische Sichtweise nicht durch Training oder durch ein Studium erwerben. Unternehmertum ist etwas, das nur ein Individuum sein eigen nennen und von ihm gepflegt werden kann. Es gibt keine unternehmerischen Komitees und es gibt definitiv keine unternehmerischen Planbehörden.

Dass Staaten und Regierungen nicht in der Lage sind, wie Unternehmer vom Zukunftsglauben gelenkt zu handeln, ist einer der vielen Gründe, warum der Sozialismus nicht funktionieren kann. Selbst wenn heute ein Bürokrat auf die Geschichte blickt und behauptet, dass seine Behörde ein Automobil, eine Trockenmauer oder einen Mikrochip hätte produzieren können, weiß er überhaupt nicht, wie zukünftige Innovationen aussehen. Sein einziger Wegweiser ist die Technologie: Er kann darüber spekulieren, was möglicherweise besser als die momentan verfügbaren Mittel funktionieren könnte. Aber das ist nicht das Problem. Die wahre Aufgabe ist es, herauszufinden, was in Anbetracht aller alternativen Nutzungsmöglichkeiten von Ressourcen das beste Mittel zur Befriedigung der dringendsten von unzähligen Konsumentenwünschen ist.

Für einen Staat und eine Regierung ist solch eine Aufgabe unmöglich.

Es gibt Tausende Gründe, warum Unternehmertum eigentlich nicht funktionieren dürfte, aber nur einen guten Grund, warum es doch funktioniert: Unternehmer haben eine bessere spekulative Urteilsfähigkeit und sind bereit, im Vertrauen darauf alles aufs Spiel zu setzen, um ihre Spekulation in  einer unsicheren Zukunft zu testen. Und dennoch ist es dieser Vertrauensvorschuss, der unseren Lebensstandard nach vorne bringt und das Leben von Millionen und Milliarden Menschen verbessert. Überall findet sich dieser Glaube. Wachsende Wirtschaften sind von ihm durchtränkt.

Mises, bitte vergib mir: Es ist doch ein Wunder.

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Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel The Miracle of Entrepreneurship ist am 31.5.2016 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

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Llewellyn H. Rockwell Jr. ist Gründer und Chairman des Ludwig von Mises Institute in Auburn, US Alabama.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto-Startseite: © Olivier Le Moal – Fotolia.com

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