„Das ist ein Sprengsatz für die Währungsunion“

24.2.2016 – Interview mit Dirk Meyer.

Sehr geehrter Herr Professor Meyer, Sie sind ausgewiesener Experte der Zentralbankpolitik im Euroraum. In Ihrem jüngsten Beitrag in der Wirtschaftswoche (12.2.2016) schreiben Sie, ich darf Sie zitieren: „Das von den Zentralbanken der Euro-Staaten geschaffene zusätzliche Geld ist ein Sprengsatz für die Währungsunion.“ Was meinen Sie damit, was passiert da?

Dirk Meyer

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion (EWU) kennzeichnet einen Automatismus. Dabei übertragen die Mitgliedstaaten ihre Währungssouveränität auf die Europäische Union (EU). Für die EWU besteht eine zentrale geld- und währungspolitische Zuständigkeit in Form des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), das durch das Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank (EZB) für die einheitliche Geldpolitik zuständig ist. Dies unterscheidet die EWU von historischen Währungsunionen wie der Lateinischen Münzunion (1865), der Skandinavischen Münzunion (1872) und der Kronenzone (1918). Diese kennzeichneten nationale Notenbanken, deren geldpolitische Zuständigkeit entweder hinsichtlich einer eigenen Geldschöpfung unklar blieb und/oder nicht zugunsten einer einheitlichen Geldpolitik abgetreten war. Dieser institutionelle Mangel war die wesentliche Ursache für inflationäre Geldschöpfungen zulasten der anderen Mitgliedstaaten. Letztendlich führten diese Bedingungen zum Zerfall bzw. zur ungeregelten Beendigung dieser Währungsunionen. Das kürzlich in die Diskussion gekommene so genannte ANFA-Geheimabkommen hat gezeigt, das genau diese Strukturmängel auch die Währungsunion kennzeichnen: Es besteht eine Geldannahmegemeinschaft als Euro-Monopolwährung, aber keine vollständigen Emissionsgemeinschaft – der klassische Sprengsatz für Währungsunionen.

Was ist dieses ANFA-Abkommen eigentlich? Wieso kommt es jetzt zutage?

Das ist eine recht dubiose Geschichte. Auf einer Pressekonferenz Anfang Dezember des letzten Jahres wurde EZB-Präsident Draghi auf das ANFA-Abkommen (Agreement of 19. November 2014 on net financial assets) und die damit im Zusammenhang stehenden Wertpapierkäufe nationaler Notenbanken angesprochen. Seine Reaktion war merklich gereizt: Auch für ihn seien die Kaufstrategien der nationalen Notenbanken „schwer zu verstehen“. Zu dem Abkommen scheinen bis zur Veröffentlichung am 5. Februar 2016 nur wenige hochrangige Personen des ESZB-Systems Zugang gehabt zu haben. Ich wandte mich am 4. Januar 2016 an die Bundesbank, um auf der Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Einblick in dieses Dokument der EZB zu bekommen. Mit Ablauf der gesetzlichen Antwortfrist am 3. Februar hat die EZB den Wortlaut des Protokolls nach einstimmigem Beschluss am 5. Februar veröffentlicht. Nach mündlicher Auskunft der Bundesbank waren wohl auch einige Medienvertreter auf die Idee mit dem IFG gekommen.

Können Sie uns – wie wir ja alle einfache Gemüter sind – mit einfachen Worten erklären, was das Abkommen konkret beinhaltet?

Das ANFA-Protokoll ist eine Vereinbarung über Netto-Finanzanlagen zwischen den 19 NZBen und der EZB. Es beinhaltet Regeln und Obergrenzen von Wertpapierbeständen, die die NZBen eigenständig erwerben können. Die Rechtsgrundlage besteht in Art. 14.4 EZB-Satzung. Zu den ‚anderen Aufgaben‘, die die NZBen in eigener Verantwortung, auf eigene Kosten und eigenes Risiko im Rahmen von ANFA-Wertpapierkäufen wahrnehmen können, zählen Anlagen, die im Zusammenhang mit Währungsreserven, Pensionsfonds bzw. Pensionsrückstellungen der NZBen für ihre Mitarbeiter, der Gegenposition zum Grundkapital und zu Rücklagen stehen sowie ,allgemeinen Anlagezwecken‘ dienen. Dazu ist wichtig zu wissen, dass im Gegenzug Banknoten ausgegeben werden oder ein Guthaben bei der jeweiligen nationalen Zentralbank entsteht – also die nationale Notenpresse bedient wird. Die EZB rechtfertigt ANFA mit dem Subsidiaritätsprinzip, nach dem die NZBen weiterhin alle nicht der einheitlichen Geldpolitik dienenden, sondern nationale Aufgaben erfüllenden Transaktionen selbständig ausführen können.

Aha. Nun drängt sich aber die Frage auf: Wo liegen die Gefahren dieser Wertpapierankäufe durch die nationalen Notenbanken?

Zwar unterliegt die Bilanzsumme des Eurosystems durch Festlegung der ANFA-Obergrenze der Kontrolle des EZB-Rates. Der Höchstbetrag ergibt sich als Restgröße aus den geldpolitisch relevanten Steuerungsgrößen wie dem Bargeldumlauf, dem Umfang der geldpolitischen Outright-Geschäfte und anderen Parametern. Satzungsgemäß übt der EZB-Rat auch die Kontrolle darüber aus, dass keine monetäre Staatsfinanzierung vorliegt. Allerdings werden die ANFA-Geschäfte als Transaktionen der NZBen auf eigene Rechnung vorgenommen. Um nur eine Zahl zu nennen: Gemäß den Bilanzen 2014 haben die nationalen Zentralbanken etwa 50 % der gesamten Liquidität des Eurosystems auf eigen Rechnung geschaffen – quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. Eine Eingriffsmöglichkeit der EZB besteht somit nur ex post, was diese Kontrolle im Einzelfall zu einer pro forma-Aufsicht mit fragwürdiger Wirkung werden lässt. Der Fall Irland 2013 hat klar gezeigt, dass die EZB trotz eindeutiger monetärer Staatsfinanzierung nichts unternimmt. Zudem besteht bislang bei den meisten Zentralbanken gegenüber der Öffentlichkeit Intransparenz, da keinerlei Hinweise über die Hintergründe und die Art der Wertpapierkäufe gegeben werden. Ob diesbezüglich hinreichende Kenntnisse der NZBen untereinander bestehen, kann nur spekuliert werden, da offiziell nur der EZB-Rat Informationsrechte besitzt.

Die Aufteilung der ANFA-Obergrenze auf die einzelnen NZBen soll gemäß dem Grundsatz der Kapitalanteile an der EZB erfolgen. In der Praxis sind allerdings Abweichungen und Ausnahmeregelungen (waiver clause) der Regelfall zu sein. Nimmt man den Kapitalanteil an der EZB als Bezugsgröße, so hat die Bundesbank nur etwa 8 % der ihr hiernach zustehenden Kapazität in Anspruch genommen. Demgegenüber zeigen meine Berechnungen, dass andere Mitgliedstaaten stark übergewichtig tätig waren: Irland 376 %; Griechenland 136 %; Italien 140 %; Spanien 116 %.

Kritiker der ANFA-Geschäfte sehen die Gefahr einer versteckten monetären Staatsfinanzierung gegeben. Sehen Sie das auch so?

Das ist mit Sicherheit ein Thema. Leider geben die Bilanzen – wohl auch aus interessegeleiteten Gründen – keine direkten belastungsfähigen Aussagen her. Daniel Hoffmann (2015) gibt für den Zeitraum 2010 bis 2012 bezüglich der Notenbanken in Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, den Niederlanden sowie Belgien Anteile von Staatsschuldpapieren in den entsprechenden Bilanzpositionen zwischen 70 % und 97 % an. Darüber hinaus kann jede Notenbank Sondervorteile durch den mit den Eigengeschäften erzielten Seigniorage verbuchen. Sie sind eine zusätzliche Einnahmequelle nationaler Notenbanken, die mit eigener Geldschöpfung Wertpapiererträge generieren. Die entstehenden Gewinne unterliegen nicht den zwischen den NZBen des Eurosystems zu verteilenden monetären Einkünften. Der jeweilige Staat wird durch eine entsprechende Gewinnüberweisung bevorteilt. Darüber hinaus bewirken Ankäufe von Staatschuldpapieren tendenziell eine Zinssenkung. Eine Marktkontrolle für Staatskredit findet deshalb nur eingeschränkt statt. Da die Zentralbank die Zinserträge an den Staatshaushalt abführt, erlangt der Fiskus quasi eine Nullzins-Finanzierung. Aus nationalem Interesse wird die Geldpolitik zunehmend mit der Fiskalpolitik verschmolzen, ohne dass die EZB eingreift. Den ELA-Notkrediten gleich, haftet letztendlich bei einem Staatskonkurs das gesamte ESZB-System anteilig.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Ist nicht das ganze EZB-Eurosystem-Gedöns, mit ANFA, Target-Salden, LTRO, ELA, Negativzinsen und was sonst noch ein gigantisches, schon jetzt völlig außer Kontrolle geratenes Betrugs- und unparlamentarisches Zwangsumverteilungssystem, dass man schnellstmöglich beenden sollte?

Ja, diese Schlussfolgerung liegt nahe. Aber es sprechen mindestens drei (noch) fehlende Antworten auf folgende Fragen dagegen. Erstens: Wer sollte die Initiative ergreifen? Deutschland – stände als europäischer Buhmann da. Das muss man aushalten können. Wer in Deutschland? Bei der regierungsseitigen Alternativlosigkeit bleibt nur die außerparlamentarische Opposition. Und für den Bürger ist die Währungskrise noch zu wenig spürbar – im Gegensatz zur Flüchtlingskrise. Zweitens: Wenn man die Währungsunion beenden will, dann gibt es einen Tag danach. Welche neue Währung wollen wir, was für ein Geld- und Bankensystem soll den Euro ersetzen. Drittens: Dann ist da noch das Wie, also der Prozess der Umstellung, zu bedenken. Ohne die Klärung dieser drei Fragen ist ein spontaner, chaotischer Zusammenbruch meine Prognose. Um dafür vorbereitet zu sein, sollten möglichst ein paar Denkzirkel die Fragen zwei und drei im Auge haben, um Alternativen für diesen Tag X bereitzuhaben. Das unterscheidet die Situation der privaten Think Tank zurzeit des Zweiten Weltkrieges um eine neue politische und wirtschaftliche Ordnung in keiner Weise.

Vielen Dank, Herr Meyer.

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Das Interview wurde im Februar 2016 per e-mail geführt. Die Fragen stellte Thorsten Polleit.

Links zum ANFA-Abkommen:

1. Das Agreement:http://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_anfa_agreement_19nov2014_f_sign.pdf?208a41defab3909e542d83d497da43d2

2. die Pressenotiz:
http://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2016/html/pr160205.en.html

3.) Fragen und Antworten:
http://www.ecb.europa.eu/explainers/tell-me-more/html/anfa_qa.en.html

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Dirk Meyer ist seit 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Lehrstuhl für Ordnungsökonomik. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Ordnungspolitik, Wettbewerbspolitik, Europäische Währungsunion, Technischer Fortschritt, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Gesundheitsökonomie, Non-Profit-Organisationen, Soziale Dienste. Dirk Meyer zählt mit Veröffentlichungen ab 1999 zu den Kritikern der Euro-Währung; Beteiligung an Verfassungsklagen zur Griechenlandhilfe und zum Rettungsschirm.

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