Der Sozialstaat als Ursache sozialen Übels

13.11.2015 – von Hendrik Hagedorn.

Hendrik Hagedorn

Kapitalismuskritik ist nach wie vor en vogue. Im Grunde gibt es kaum einen gesellschaftlichen Missstand, der nicht regelmäßig auf das kapitalistische System als solches zurückgeführt würde. Vor allem wird im öffentlichen Diskurs immer wieder geäußert, das kapitalistische System führe zu einer immer größeren Ungleichheit der Einkommen. Auch die meisten Politiker sehen das so und sie agieren daher stets im Zeichen der Gerechtigkeit, genauer gesagt der Verteilungsgerechtigkeit. Von Zwangsanleihen über Finanztransaktionssteuern bis hin zur Deckelung von Managergehältern werden viele Vorschläge angeboten, um dem Problem der Ungleichheit abzuhelfen.

Die populistische Strahlkraft solcher Erwägungen ist groß und so manche Interessengruppe greift sie dankbar auf. Doch auch bei den differenzierteren Berichterstattern ist nicht überall eine klare Ablehnung derartiger Maßnahmen auszumachen. In den vergangenen Jahren sind bis tief hinein ins bürgerliche Lager Zweifel entstanden, ob es angesichts der immensen materiellen Ungleichheit in der Gesellschaft nicht doch zu rechtfertigen ist, den Kapitalismus weiter zu beschneiden und von den wohlhabenden Teilen der Bevölkerung einen größeren Beitrag zur Staatsfinanzierung zu fordern.

Nicht ganz zu Unrecht wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage gestellt, ob die Bezahlung eines Angestellten im Finanzsektor in einem angemessenen Verhältnis zur Bezahlung eines Facharbeiters steht. Das Gefühl sagt den Bürgern, dass hier etwas nicht stimmt. Ob tatsächlich ein Missverhältnis besteht, lässt sich allerdings nicht beantworten, wenn man nicht nach den Ursachen der Phänomene fragt. Woher kommt also die materielle Ungleichheit, die die stark überdurchschnittliche Besteuerung einiger weniger überhaupt zulässt?

Ein Blick auf den Bundeshaushalt macht deutlich, dass der Etat des Bundes primär durch die Sozialausgaben bestimmt wird. Dies ist die Folge der stetigen Ausweitung staatlicher Kompetenzen, welche seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik platzgreift. Immer wieder werden von Bürgern und Parteien neue Bedürfnisse formuliert, denen dann durch eine entsprechende Sozialgesetzgebung entsprochen wird. All dies geschieht unter dem Siegel der Gerechtigkeit und dient vorgeblich der Abfederung sozialer Härten. Hinzu kommen bei den staatlichen Aktivitäten die Bereitstellung von öffentlichen Gütern oder solchen, die von Politikern als öffentlich erachtet werden, sowie allerlei Subventionen. Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen ist ebenfalls stets der Schutz von sozial schwächeren Gruppen. Außerdem werden die Erfordernisse der Globalsteuerung zu ihrer Rechtfertigung herangezogen.

Für seine vielfältigen Aktivitäten benötigt der Staat jedoch Geld, das er entweder als Steuer erheben oder am Kreditmarkt beschaffen muss. Da letzteres politisch einfacher ist und die Steuereinnahmen zur Finanzierung der Sozialprogramme nicht annähernd ausreichen, besteht eine grundlegende Tendenz zur Staatsverschuldung. In immer neuen Schüben werden also Staatsanleihen begeben und in immer neuen Spielarten wird Geld unters Volk gebracht. Da eine Netto-Tilgung der Staatsschuld ausbleibt, entsteht mit der Zeit eine Situation, in der der Staat aufgrund seiner umfangreichen Zahlungsverpflichtungen zwingend auf Wachstum angewiesen ist. Denn nur so entstehen die Steuereinnahmen, die die Zahlungsfähigkeit des Staates gewährleisten.

Eine der wichtigsten Institutionen, die Wachstum und Steueraufkommen fördert, ist die Zentralbank. Selbst wenn sie sich gemäß ihres Mandats lediglich an der Teuerungsrate der Konsumentenpreise orientiert, so arbeitet sie doch auf eine Stabilisierung des Wachstums hin. Sobald die Wirtschaft in einen Abschwung gerät, wird umgehend das Zinsniveau gesenkt, um den Preisverfall zu stoppen. Gleichzeitig werden so aber auch Wachstum und Steueraufkommen stimuliert.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass mit dem Absenken des Zinsniveaus immer eine Geldmengenausweitung einhergeht. Wenn die Zinsen niedrig sind, erscheinen viele Investitionsprojekte profitabel und es entsteht die entsprechende privatwirtschaftliche Geldnachfrage. Umgekehrt geht die Geldmenge bei einer Anhebung des Zinssatzes jedoch nicht zurück. Es wird dann nur weniger neues Geld in Umlauf gebracht. Dies lässt sich empirisch eindeutig belegen. Verteilungsökonomisch entscheidend ist dabei, dass Geldmengenausweitung niemals ein gleichförmiges Phänomen ist. Geld tritt stets punktuell in den Geldkreislauf ein. Es fließt bestimmten Personen oder Gesellschaften zu und diese nutzen es für bestimmte Zwecke. Geschöpftes Geld verteilt sich also erst allmählich in der Volkswirtschaft.

Aus diesem Ausbreitungsprozess gehen zwei Gruppen als Gewinner hervor. Zum einen profitieren diejenigen Akteure, die relativ früh an Kredite gelangen, denn sie können sich mit dem geschöpften Geld Güter kaufen, bevor sich das Preisniveau an die neue Geldmenge angepasst hat (Cantillon-Effekt). Der kreditwürdigste Teil der Bevölkerung ist im Allgemeinen der Teil, der die meisten Sicherheiten stellen kann. So gesehen bringt die Geldmengenausweitung bereits eine Umverteilung von unten nach oben mit sich.

Vor allem aber profitiert bei einer Geldmengenausweitung der Finanzsektor. Denn fast jede Transaktion, die zur Ausbreitung des Geldes beiträgt, wird von einem Akteur des Finanzsektors begleitet. Wenn beispielsweise ein Unternehmen einen Kredit nutzt, um ein anderes Unternehmen zu kaufen, dann fließt das geschöpfte Geld einerseits zu den Eigentümern des zu kaufenden Unternehmens und andererseits zu der Investmentbank, den Brokern und den Anwälten, die diese Transaktion begleiten. Die ehemaligen Eigner des nun verkauften Unternehmens nutzen ihre Einkünfte in der Regel, um wiederum selbst zu investieren. Dabei gehen sie erneut über den Finanzsektor.

Während das Geld also allmählich in die Volkswirtschaft einsickert, sitzen immer wieder die gleichen Drittparteien mit am Tisch. Bis sich dann eine annähernde Gleichverteilung eingestellt hat, haben Hunderte, ja Tausende Transaktionen stattgefunden. Und bei jeder dieser Transaktionen wurde ein Teil der ursprünglich zur Verfügung gestellten Geldmenge abgezweigt. Auf diese Weise entstehen die Überschüsse in Bankhäusern und Anwaltskanzleien, welche zu den hohen Bonuszahlungen führen, die allseits zu beobachten sind.

Wenn also in einer Volkswirtschaft die Geldmenge wächst, so werden ständig bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt. Der Staat schafft somit durch seine Eingriffe ins Finanzsystem erst die Ungleichheiten, die er vorgeblich auf dem Wege von Sozialleistungen zu bekämpfen sucht. Jeder Versuch, soziale Ungleichheit zu beseitigen, der auf Geldmengenausweitung beruht oder eine solche hervorruft, ist langfristig kontraproduktiv. Er konterkariert sich selbst und potenziert die materielle Ungleichheit, die den Zusammenhalt der Gesellschaft immer wieder auf eine harte Probe stellt.

Die Diskussionen um Reichensteuern und Zwangsanleihen gehen somit am Kern der Problematik vorbei. Voraussetzung für Verteilungsgerechtigkeit wäre vielmehr eine konstante Geldmenge und mithin ein ausgeglichener Staatshaushalt. Auch die Zentralbank könnte mit der Einhaltung eines Geldmengenziels ein solches Umfeld schaffen. Unter derartigen Bedingungen würden die Verteilungskämpfe in der Gesellschaft automatisch an Schärfe verlieren und sowohl der Grund als auch die Möglichkeit für die Besteuerung von Reichen würden mittelfristig entfallen.

Letztlich könnte sich eine solche Gesellschaft auch zunehmend der fatalen Anreiz- und Allokationswirkungen entledigen, die ein steuerfinanziertes Sozialsystem mit sich bringt. Die Politik jedoch beschreitet ohne Unterlass den gegenteiligen Weg. Auf zunehmende Ungleichheit wird mit einer Ausweitung von Sozialprogrammen und somit weiteren Steuern und Schulden reagiert.

Ob den jeweiligen Regierungen die Sinnlosigkeit ihrer Unterfangen bewusst ist, ist unbekannt.

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Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form am 19.5.2014 auf der Internetseite der WirtschaftsWoche.

Sehen Sie hier ein Interview mit Hendrik Hagedorn und Stefan Kooths zum neuen Studiengang „Entrepreneurial Economics & Management (M.Sc.), Business and Austrian economics“:

 

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Hendrik Hagedorn ist Physiker und promovierter Ökonom. Er lehrt Volkswirtschaftslehre an der Business and Information Technology School in Berlin.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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