Sozialdemokratischer Sozialismus (Teil 1)

12.10.2015 – von Hans-Hermann Hoppe.

[Teil 2 wird am 14.10.2015 veröffentlicht.]

Hans-Hermann Hoppe

Was sind die zentralen Merkmale eines Sozialismus der sozialdemokratischen Ausformung? Es gibt prinzipiell zwei Charakteristika. Zuerst und in positivem Gegensatz zum traditionellen Sozialismus der marxistischen Art erklärt der sozialdemokratische Sozialismus private Eigentümerschaft an den Produktionsmitteln nicht für ungesetzlich und akzeptiert sogar die Idee, dass sich alle Produktionsmittel in privatem Eigentum befinden – mit Ausnahme allerdings der Erziehung, des Verkehrswesens, des Kommunikationssektors, der Zentralbank sowie der Polizei und der Gerichtshöfe.

Im Prinzip hat jedermann das Recht, sich privat Produktionsmittel anzueignen und zu besitzen, sie zu verkaufen, zu kaufen oder sie neu herzustellen, sie zu verschenken oder sie an jemand anderen in einem vertraglichen Arrangement zu vermieten. Aber, zweitens, besitzt kein Eigentümer eines Produktionsmittels rechtens das gesamte Einkommen, das aus dem Einsatz seines Produktionsmittels abgeleitet werden kann und es bliebt keinem Eigentümer überlassen, zu entscheiden, wieviel des gesamten Einkommens aus der Produktion dem Konsum und der Geldanlage zugeteilt werden soll.

Stattdessen gehört ein Teil des Produktionseinkommens rechtens der Gesellschaft, muss ihr übergeben werden, und wird dann, gemäß den Ideen des Egalitarismus oder der Verteilungsgerechtigkeit, an ihre individuellen Mitglieder wieder umverteilt. Außerdem ist, obwohl die in Betracht kommenden Einkommensanteile, die an die Produzenten und an die Gesellschaft gehen, zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt werden mögen, der Anteil, der rechtens dem Produzenten gehört, prinzipiell flexibel und die Bestimmung seiner Größe, genauso wie die Größe des Anteils der Gesellschaft, ist nicht dem Produzenten überlassen, sondern gehört zum Recht der Gesellschaft.

Vom Standpunkt der natürlichen Eigentumstheorie aus betrachtet – der dem Kapitalismus zugrundeliegenden Theorie -, impliziert die Anwendung dieser Regeln, dass die Rechte des natürlichen Eigentümers in aggressiver Art und Weise angegriffen werden. Man sollte sich erinnern, dass gemäß dieser Theorie der Benutzer-Eigentümer der Produktionsmittel mit ihnen tun kann, was immer er will; und was immer aus diesem Gebrauch resultiert, es ist sein eigenes, privates Einkommen, welches er wieder einsetzen kann, wie immer er will, solange er nicht die physische Integrität des Eigentums von jemand anderem verändert und sich ausschließlich auf vertragliche Austauschhandlungen bezieht.

Vom Standpunkt der natürlichen Eigentumstheorie aus gibt es keine zwei getrennten Prozesse – die Produktion von Einkommen und, wenn das Einkommen produziert worden ist, die anschließende Verteilung. Es gibt nur einen Prozess: Wenn Einkommen produziert wird, ist es automatisch verteilt; der Produzent ist der Eigentümer. Im Gegensatz dazu befürwortet der Sozialismus sozialdemokratischer Art die teilweise Enteignung der natürlichen Eigentümer durch die Umverteilung eines Teils des Einkommens von den Produzenten weg hin zu Personen, die, was immer ihre sonstigen Verdienste sein mögen, jedenfalls definitiv nicht das in Frage stehende Einkommen produziert haben und die definitiv keinen wie immer gearteten vertraglichen Anspruch darauf haben, und die zusätzlich das Recht haben, einseitig, d.h. ohne auf das Einverständnis des betroffenen Produzenten warten zu müssen, zu bestimmen, wie weit diese Enteignung gehen darf.

Es sollte aufgrund dieser Beschreibung deutlich geworden sein, dass, im Gegensatz zu dem Eindruck, den der Sozialismus sozialdemokratischer Art in der Öffentlichkeit zu erzeugen beabsichtigt, der Unterschied zwischen den beiden Typen des Sozialismus nicht von grundlegender Natur ist. Es handelt sich vielmehr um eine Frage des Grades. Sicherlich scheint die erste oben erwähnte Regel einen fundamentalen Unterschied zum Sozialismus russischer Art dadurch einzuführen, dass sie private Eigentümerschaft zulässt. Aber dann erlaubt die zweite Regel prinzipiell die Enteignung des gesamten aus der Produktion gewonnenen Einkommens des Produzenten und reduziert so die private Eigentümerschaft zu einer rein nominellen.

Natürlich muss der sozialdemokratische Sozialismus nicht so weit gehen, die private Eigentümerschaft zu einer nur dem Namen nach bestehenden zu reduzieren. Und zugegebenermaßen kann das, da der Einkommensanteil, den der Produzent gezwungen ist, an die Gesellschaft abzugeben, tatsächlich ziemlich gemäßigt sein kann, in der Praxis einen gewaltigen Unterschied in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistung bedeuten.

Aber dennoch muss man erkennen, dass vom Standpunkt der nicht produzierenden Mitmenschen aus, das Ausmaß der Enteignung des privaten Eigentümers von seinem Einkommen nur eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, was genügt, den Unterschied zwischen den beiden Typen des Sozialismus – russischer und sozialdemokratischer Art – ein für alle Mal auf einen nur graduellen zu reduzieren. Und es sollte offensichtlich sein, was dieses wichtige Faktum für einen Produzenten impliziert. Es bedeutet nämlich, dass, wie auch immer das gegenwärtig festgelegte Ausmaß an Enteignung liegen mag, seine produktiven Anstrengungen unter der immer präsenten Bedrohung stattfinden, dass in Zukunft der Einkommensanteil, der an die Gesellschaft abzuliefern ist, einseitig angehoben wird. Es bedarf keines großartigen Kommentars, um zu sehen, wie das das Risiko oder die Kosten zu produzieren, anhebt und infolgedessen die Investitionsrate verringert.

„Sozialdemokratischer Sozialismus (Teil 2)“ finden Sie hier.

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Aus „Sozialismus oder Kapitalismus. Gestaltung und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft” (1986) von Hans-Hermann Hoppe, Verlag Schernhammer, 2005, S. 64 – 66.

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Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Philosoph und Volkswirt, ist einer der führenden Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie und zählt zu den bedeutendsten Sozialwissenschaftlern der Gegenwart. Er lehrte von 1986 bis zu seiner Emeritierung 2008 an der University of Nevada, Las Vegas, USA. Er ist Distinguished Fellow des Ludwig von Mises Institute in Auburn, Alabama, USA, und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Hoppe lehrt und hält Vorträge weltweit. Seine Schriften sind in 30 Sprachen übersetzt worden. Er ist Gründer und Präsident der Property and Freedom Society und lebt heute als Privatgelehrter in Istanbul. Zu seinen Büchern gehören u.a. „Die Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung“, „Eigentum, Anarchie und Staat“, „A Theory of Socialism and Capitalism“, „The Economics and Ethics of Private Property“, „The Myth of National Defense“, „Demokratie. Der Gott, der keiner ist.“, „Der Wettbewerb der Gauner“, „The Great Fiction: Property, Economy, Society, and the Politics of Decline“, „From Aristocracy to Monarchy to Democracy“ und „A Short History of Man: Progress and Decline“.
Weitere Informationen auf www.hanshoppe.com und www.propertyandfreedom.org.

 

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