„Nach uns die Sintflut“ ist eine alte Regierungsmaxime

7.10.2015 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Die Kapitalgüter, die in die Produktion eingehen, werden in ihr schneller oder langsamer aufgebraucht. Das gilt nicht nur von jenen Gütern, aus denen das umlaufende Kapital zusammengesetzt ist, sondern auch von jenen, aus denen das stehende Kapital besteht; auch sie werden früher oder später durch die Produktion aufgezehrt. Damit das Kapital in der gleichen Größe erhalten oder gemehrt wird, bedarf es immer erneuter Handlungen jener, die der Produktion die Richtung weisen. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß die in der Produktion aufgebrauchten Kapitalgüter wieder hergestellt werden, und daß darüber hinaus neues Kapital geschaffen wird; von selbst reproduziert sich das Kapital nicht.

In einer vollkommen statischen Wirtschaft bedarf es zur Vornahme dieser Operationen keiner besonderen gedanklichen Vorarbeit. Wo alles in der Wirtschaft unverändert beharrt, da ist es nicht besonders schwer, das, was aufgebraucht wurde, zu ermitteln und danach festzustellen, was zum Ersatz vorgekehrt werden muß.

In der dynamischen Wirtschaft ist das ganz anders. Die Richtung der Produktion und die dabei eingeschlagenen Verfahrensarten werden hier immer wieder geändert. Hier werden nicht einfach die abgenützten Anlagen und die verbrauchten Halbfabrikate durch gleichartige ersetzt; hier treten an deren Stelle andere – bessere oder zumindest der neuen Richtung des Bedarfes besser entsprechende – oder es wird der Ersatz der in einem Produktionszweig, der eingeschränkt werden soll, verbrauchten Kapitalgüter durch Einstellung von neuen Kapitalgütern in anderen zu erweiternden oder neu zu begründenden Produktionszweigen vorgenommen. Um solche verwickelte Operationen vorzunehmen, muß man rechnen. Ohne Wirtschaftsrechnung ist Kapitalrechnung nicht durchführbar. Die sozialistische Wirtschaft, die keine Wirtschaftsrechnung führen kann, muß hier ganz hilflos einem der großen Grundprobleme der Wirtschaft gegenüberstehen. Es wird ihr beim besten Willen nicht möglich sein, die Gedankenoperationen vorzunehmen, um Produktion und Konsum in einen solchen Einklang zu bringen, daß die Wertsumme des Kapitals zumindest erhalten wird, und daß nur die darüber hinaus erzielten Überschüsse zum Verbrauch gelangen.

Aber ganz abgesehen von diesen allein schon ganz unüberwindbaren Schwierigkeiten stehen einer rationellen Kapitalwirtschaft im sozialistischen Gemeinwesen noch ganz andere Schwierigkeiten entgegen.

Alle Kapitalerhaltung und alle Kapitalmehrung bereiten Kosten. Sie legen den Verzicht auf Gegenwartsgenüsse auf, wogegen reichlichere Genüsse in der Zukunft eingetauscht werden. Das Opfer, das hier zu bringen ist, bringen in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaft die Besitzer der Produktionsmittel und jene, die durch Beschränkung des eigenen Verbrauchs auf dem Wege dazu sind, Besitzer von Produktionsmitteln zu werden. Der Vorteil, der damit für die Zukunft erkauft wird, fließt nicht zur Gänze ihnen zu. Sie müssen ihn mit den Arbeitern teilen, da durch die Vermehrung des Kapitals caeteris paribus die Grenzproduktivität der Arbeit und damit der Lohn steigt. (Gesetz vom abnehmenden Ertrag.) Doch schon der Umstand, daß das Nichtverschwinden (das ist: Nichtaufzehren des Kapitals) und das Sparen (das ist: Mehren des Kapitals) sich überhaupt für sie bezahlt macht, ist ausreichend, sie zum Erhalten und zur Erweiterung des Kapitals anzuspornen, wenn für ihre gegenwärtigen Bedürfnisse einigermaßen auskömmlich gesorgt ist. Der Antrieb dazu ist um so stärker, je reichlicher ihre augenblicklichen Bedürfnisse befriedigt sind. Denn je weniger dringlich die gegenwärtigen Bedürfnisse erscheinen, die nicht zur Befriedigung gelangen, wenn für die Zukunft Sorge getragen wird, desto leichter fällt die Entscheidung zugunsten der künftigen Befriedigung. Das Erhalten und Neuansammeln des Kapitals ist in der kapitalistischen Gesellschaft eine Funktion der Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung.

In der sozialistischen Wirtschaft sind Erhaltung und Mehrung des Kapitals Aufgaben der organisierten Gesamtheit, des Staates. Der Nutzen rationeller Kapitalwirtschaft ist hier derselbe wie in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Der Vorteil der Kapitalerhaltung und der Kapitalneubildung kommt allen Gliedern der Gemeinschaft in gleichem Maße zugute; auch die Kosten werden von allen in gleicher Weise getragen. Die Entscheidung über die Kapitalwirtschaft wird in die Hand des Gemeinwesens gelegt sein, zunächst in die der Wirtschaftsleitung, mittelbar in die aller Genossen. Die werden darüber zu entscheiden haben, ob mehr Genußgüter oder Produktivgüter zu erzeugen sind, ob Produktionsumwege gewählt werden sollen, die kürzer sind, aber dafür auch geringeren Ertrag abwerfen, oder solche, die länger währen, aber dann auch größeren Ertrag abwerfen. Wie solche Mehrheitsentscheidungen ausfallen werden, kann man nicht wissen. Es hätte keinen Sinn, darüber Vermutungen anzustellen. Die Voraussetzungen für die Entscheidungen sind hier andere als in der kapitalistischen Wirtschaft; in dieser ist das Sparen Sache der Wirtschaftlicheren und der Wohlhabenderen, in der sozialistischen Gemeinwirtschaft wird die Entscheidung darüber, ob gespart werden soll, allen ohne Unterschied zufallen, also auch den Fauleren und den Leichtlebigeren.

Überdies ist zu bedenken, daß hier jener Antrieb, den höherer Wohlstand für das Sparen gibt, wegfallen wird. Dann ist zu beachten, daß der Demagogie der Führer und jener, die es werden wollen, Tür und Tor geöffnet sein wird. Die Opposition wird immer gerne bereit sein, zu beweisen, daß man mehr für den augenblicklichen Bedarf zur Verfügung stellen könnte als ihm tatsächlich gerade zugewiesen wird, und die Regierung wird nicht abgeneigt sein, sich durch Verschwendung etwas länger am Ruder zu erhalten. Après nous le déluge [Nach uns die Sintflut] ist eine alte Regierungsmaxime.

Die Erfahrungen, die man bisher mit der Kapitalwirtschaft öffentlicher Körperschaften gemacht hat, lassen von der Spartätigkeit künftiger sozialistischer Regierungen nicht allzu viel erwarten. Im allgemeinen sind aus öffentlichen Mitteln Neuanlagen nur dann geschaffen worden, wenn man die dazu erforderlichen Summen durch Anleihen, also durch die Spartätigkeit der einzelnen Bürger, aufgebracht hat. Aus Steuergeldern oder sonstigen öffentlichen Einkünften ist nur sehr selten Kapital akkumuliert worden. Dagegen können zahlreiche Beispiele dafür beigebracht werden, daß die im Eigentum der öffentlichen Körperschaften stehenden Produktionsmittel dadurch in der Wertsumme vermindert wurden, daß man, um den gegenwärtigen Ausgabenetat möglichst zu entlasten, für ihre Instandhaltung nicht entsprechend Sorge getragen hat.

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Aus „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus” von Ludwig von Mises, Verlag Lucius und Lucius, S. 178 – 180.

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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