Tohuwabohu beim Zins (Teil 1)

28.9.2015 – von Frank Hollenbeck.

Frank Hollenbeck

Seit 2008 arbeiten die Zentralbanken fleißig daran, die Zinssätze nach unten zu drücken, um Wachstum voranzutreiben. Dies führte zu Fehlinvestitionen in fast allen Anlageklassen. Ein Beispiel: Jetzt, wo die Ölpreise unter 50 US-Dollar liegen (Tendenz sinkend), ist die Schieferöl-Industrie – genau wie die Bankenindustrie, die ihr mehr als eine Billion US-Dollar geliehen hat – in ernsthaften Schwierigkeiten.

Natürlich sind Ökonomen und eine fehlerhafte Wirtschaftstheorie für das, was noch passieren wird, zu einhundert Prozent verantwortlich. Der Berufsökonom heute gleicht dem Arzt in der Vergangenheit, bei dem die Heilmethode des Aderlasses als angesehene Medizin galt; das Heilmittel ist aber offensichtlich sehr viel schlimmer als die Krankheit.

In diesem Jahrhundert haben wir bereits zwei verheerende Finanzkrisen erlebt; die dritte ist am Horizont zu erkennen. Wenn die Historiker über diese Ära berichten werden, werden sie zum Schluss kommen, dass diese Booms und Busts hätten vermieden werden können, wären die Politiker nicht so sehr von wirtschaftlichen Fehldeutungen bezüglich der wahren Rolle der Zinssätze in einer kapitalistischen Wirtschaft in die Irre geführt worden.

Die Geschichte der Zinsen ist faszinierend. Sie begann mit Aristoteles, der das Erheben von Zinsen stark verurteilte. Zinssätze stünden im Widerspruch zur Natur, da Geld ein Tauschmittel sei und daher per se nicht produktiv oder wohlstandsmehrend sei. Geld sei steril, könne keine Früchte tragen, und daher könne man rechtlich gesehen keine Zinsen erheben. Diese Perspektive hat sich bei den meisten Theologen noch bis in die modernen Zeiten durchgesetzt.

Und obwohl Zinswucher (das Verlangen von Zinsen an sich, nicht die moderne Definition von ausbeuterischen Zinssätzen) durchaus mit schlechten Dingen in Verbindung gebracht worden war, war er bis zum ersten Kirchenrat in 325 nach Christus nicht verboten. Dieses Zinswucherverbot bezog sich zunächst meist auf Geschäfte der Kirche.

Viele damalige Theologen waren der Meinung, Zinswucher sei Diebstahl – ein schlimmeres Verbrechen als Ehebruch oder Mord, da die Sünde des Zinswuchers durch Erbschaft von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden kann. Im Jahr 1139 beschloss die Kirche, das Verbot auf alle Menschen auszuweiten.

Der Pariser Theologe William de Auxerre (1150 – 1231) fügte der Anti-Zinswucher-Kampagne eine neue Dimension hinzu, indem er behauptete, dass der Zinssatz der Preis der Zeit sei – und da die Zeit kostenlos sei, solle niemand für etwas, was nichts kostet, Geld verlangen. Ein weiterer Anti-Zinswucher-Befürworter war der Theologe Thomas Aquinas (1225-1274). Er war der Ansicht, Geld habe einen festen Wert. Das Erheben von Zinsen auf etwas mit festem Wert ginge gegen das Wesen des Geldes, sei somit eine Sünde und müsse verboten werden.

Aquinas und andere Theologen haben das Wesen des Geldes eindeutig nicht verstanden. Wir arbeiten nicht für einen festgelegten Geldwert, sondern für die Güter und Dienstleistungen, die mit diesem Wert gekauft werden können – anders gesagt, die Kaufkraft. Der Konsumwert dieser Kaufkraft variiert allerdings mit der Zeit. Mit anderen Worten, selbst wenn man mit einem Euro heute und morgen je einen Apfel kaufen kann, sollte das nicht bedeuten, dass wir einem Apfel heute die gleiche Wertschätzung wie einem Apfel in der Zukunft zubilligen, genauso wie dem Geld, das für den Kauf verwendet wird. Der Konsum von Äpfeln oder Geld in unterschiedlichen Zeitperioden kann als Konsum unterschiedlicher Produkte gesehen werden. Es waren u.a. der Franzose Turgot (1727-1784) und der österreichische Ökonom Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914), die erkannten, dass der jetzige Konsum dem zukünftigen Konsum vorgezogen wird, sodass der natürliche Zins das Aufgeld widerspiegelt, das vom Markt auferlegt wird, um den Konsumtauschwert von Gütern in unterschiedlichen Zeitperioden auszugleichen. Der natürliche Zins kann als Wechselkurs zwischen jetzigem und zukünftigem Konsum gesehen werden.

Der Gleichgewichtszinssatz in einer funktionierenden Marktwirtschaft hat einen Bezug zu Angebot und Nachfrage von kreditfähigen Ersparnissen. Das Angebot entsteht aus der Zeitpräferenz des Konsums; die Nachfrage entsteht aus den Unternehmen, die entsprechend dem Grenznutzen des Kapitals in Anlagen und Maschinen investieren. Man könnte den Eindruck bekommen, der Gleichgewichtszins werde daher von einer Kombination aus Zeitpräferenzen und Produktionsüberlegungen bestimmt. Das ist allerdings eine Täuschung. Der Wert dieses Kapitals wird ebenfalls von Zeitpräferenzen bestimmt, da es sich um den Wert der Produktivität in einer Zeitspanne handelt,  diskontiert durch die Zinssätze, die die Zeitpräferenzen widerspiegeln. Der Grenznutzen des Kapitals ist also abgeleitet aus dem Wert des Kapitals, welcher wiederum von den Zeitpräferenzen abgeleitet wird. Es ist der Zinssatz, der die Position der Angebots- und Nachfragekurven bestimmt.

Gabriel Biel (1420 bis 1425-1495) und Conrad Summerhart (1465-1511) linderten das Verbot gegen Zinswucher, indem sie behaupteten, der Zins sei die Bezahlung für die Opportunitätskosten des Geldes. Ein Händler sollte für das Aufgeben der Nutzung seines Geldes bezahlt werden, genauso wie der Bauer für das Opfer der Nutzung seines Landes bezahlt werden sollte. Auch hätte der Kreditnehmer die Möglichkeit, mit dem Kredit einen Profit zu erwirtschaften, der größer als der zu zahlende Zinssatz sei. Warum solle man solche beidseitig günstigen Transaktionen verbieten?

Summerhart ging noch weiter und machte darauf aufmerksam, dass es sich bei heutigem Geld und zukünftigem Geld um zwei unterschiedliche Güter handelt – dass der Wert des Rechtes, heute Geld zu verwenden, ungleich dem Wert von morgigen Geld sei. Murray Rothbard merkte einst an:

„Summerhart kam dem Verständnis der Zeitpräferenz, der Bevorzugung jetzigen Geldes gegenüber zukünftigem Geld, sehr nah.“[1]

Summerhart zeigte ebenfalls, dass die Kreditvergabe nicht risikolos ist und die zu entrichtenden Zinsen eine Bezahlung für das Zahlungsausfallrisiko des Kreditnehmers sind. Daher gibt es das Konzept der Risikoprämie als Rechtfertigung für Zinssätze. Der Franziskaner Juan de Medina (1490-1546) war der erste Autor in der Geschichte, der die Ansicht, Zinssätze für einen Kredit zu verlangen sei legitim, wenn diese als Ausgleich für das Zahlungsausfallrisiko gelten, unmissverständlich unterstützte.

Kardinal Thomas Cajetan (1468-1534) legalisierte Unternehmenskredite, und bis zur Jesuitenkongregation von 1581 waren alle Hindernisse praktisch beseitigt.

Islamisches Banking oder das „Sharia-konforme Finanzwesen“ verurteilen ebenfalls den Zinswucher (Riba genannt). Konsumkredite sollten wohltätig sein; Unternehmenskredite sollten keinen fixierten Zinssatz haben. Der Ertrag des geliehenen Geldes ist anfangs immer unbekannt, da die Zukunft ungewiss ist. Wenn der Zinssatz beispielsweise bei 5 Prozent und der Ertrag des geliehenen Geldes bei 2 Prozent liegt, wird ein Teil der vom Kreditnehmer zu leistenden Zahlung (3 Prozent) im Sharia-Banking als unverdient angesehen. Sollte der Ertrag stattdessen bei 10 Prozent liegen, hat der Kreditnehmer unberechtigterweise 5 Prozent an Einkünften gewonnen. Nach Islamischem Banking sollten die Risiken bei einer Kreditvergabe geteilt sein. Diese Kluft zwischen dem fixierten Zins und dem Ertrag des Geldes wird ebenfalls für das Schaffen von Einkommensungleichheiten verantwortlich gemacht. Natürlich ignoriert diese Perspektive Zahlungsausfallrisiken und unterschiedliche Risikopräferenzen. Die freiwillige Entscheidung, den Zinssatz zu fixieren, spiegelt einen Unterschied in den Risikopräferenzen wider, was Kreditnehmer und Kreditgeber zu Gute kommt. Des weiteren können Konsumkredite einfach nur die Unterschiede in der Konsum-Zeitpräferenz widerspiegeln.

Wenn der natürliche Zinssatz die Zeitpräferenzen widerspiegelt, dann spiegelt er ebenfalls die Konsumentscheidungen (Nachfrage) über die Zeit wider. In einer Marktwirtschaft bestimmen diese Konsumentscheidungen dann die optimalen zwischenzeitlichen Produktionsentscheidungen, um diese Nachfrage am besten zu bedienen. Eine Einmischung in diesen Schritt führt zu einer Diskrepanz zwischen dem, was die Gesellschaft über die Zeit hinweg produziert sehen will und dem, was tatsächlich produziert wird. Rezessionen oder Depressionen sind nie ein Problem der Nachfrage (hier eine Erklärung), sondern Folgen von Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage.

Im Gegensatz zu dem, was in fast allen Wirtschafts-Studiengängen gelehrt wird, ist keine Geldpolitik die beste Geldpolitik.

[1] Rothbard, M: „Economic Thought Before Adam Smith: An Austrian Perspective on the History of Economic Thought“, Band 1.

*****

„Tohuwabohu beim Zins (Teil 2)“ erscheint am 30.9.2015.

Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel Confusion About Interest Rates Part 1 ist am 9.9.2015 auf der website des Mises-Institute Canada erschienen.

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Dr. Frank Hollenbeck lehrt Volkswirtschaft an der “International University” in Genf, Schweiz.

 

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