EZB ermöglicht ausgeglichenen Haushalt auf Kosten der Sparer

26. November 2018 – Die Politik rühmt sich des Schuldenabbaus – doch die offiziellen Zahlen zur Staatsverschuldung sind nur der Teilaspekt eines ernüchternden Ganzen

von Philipp Bagus

Philipp Bagus

Die Steuereinnahmen des Staates kennen seit Jahren nur eine Richtung – nach oben. Nach der Steuerschätzung vom 25. Oktober 2018 dürfen sich die verantwortlichen Politiker in Bund und Ländern dieses Jahr über 775,3 Milliarden Euro freuen. Damit ist auch die Haushaltpolitik der „Schwarzen Null“ nicht in Gefahr. Die Schuldenbremse verpflichtet die Bundespolitiker seit 2011, grundsätzlich keine neuen Schulden im Namen der Steuerzahler aufzunehmen. Denn schließlich haften nicht die regierenden Politiker für die von ihnen verursachten Schulden, sondern die Steuerzahler – ob sie die für die entsprechenden Entscheidungen verantwortlichen Politiker gewählt haben oder nicht.

Die Politik jedenfalls zeigt sich stolz darüber, dass sie den Steuerzahlern seit 2013 keine neuen Schulden aufbürdete, sondern im Gegenteil die bereits bestehenden Staatsschulden verringerte. Tatsächlich hat das Bundesfinanzministerium im Jahr 2017 den Betrag von 15,1 Milliarden Euro Schulden getilgt.

Doch das ist kein Anlass zur Entwarnung oder zum Schulterklopfen. Denn die deutschen Steuerzahler haften immer noch für 1989 Milliarden Euro. Das sind etwa 48 000 Euro auf jeden Erwerbstätigen. Und selbst diese Zahl beschönigt. Denn letztlich tragen effektiv nicht alle Erwerbstätigen die Schuldenlast, sondern nur die Nettosteuerzahler. Das sind jene, die mehr an den Staat zahlen, als sie von ihm bekommen. Das Gehalt von Nettosteuerempfängern wie Politikern müssen die Nettosteuerzahler erst erwirtschaften. Nettosteuerempfänger, also alle Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, hätten ohne Nettosteuerzahler gar kein Einkommen, von dem Schulden bedient werden könnten. Sprich: Die Last auf den Schultern der Nettosteuerzahler, der Arbeiter und Angestellten in der freien Wirtschaft, ist erdrückend.

Zudem fehlt in den offiziellen Zahlen zur Staatsverschuldung die Schattenverschuldung. Sie erst berücksichtigt die impliziten Verpflichtungen, die der Staat beispielsweise mit Rentenversprechungen laufend eingeht. Die Schattenverschuldung wird auf bis zu 5000 Milliarden Euro geschätzt und ist in den letzten Jahren durch „Politikgeschenke“ wie die abschlagsfreie Rente mit 63 angestiegen – was sich nicht in der offiziellen Staatsverschuldung widerspiegelt.

Kein Grund also, sich wegen eines Schuldenabbaus um 15,1 Milliarden Euro zu rühmen. Wäre er auf eine Enthaltsamkeit der Politik zurückzuführen, wäre es für sich genommen immerhin erfreulich. Aber man hat sich dort weder direkt in Form von Diätenkürzungen zurückgenommen noch indirekt durch eine Verringerung der Ausgaben – im Gegenteil. Die Ausgaben des Bundes sind von 296 Milliarden Euro im Jahr 2014 sprunghaft auf 343 Milliarden Euro für 2018 angestiegen. Und je mehr der Staat ausgibt, desto weniger können die Bürger ausgeben.

Die „Schwarze Null“ und der Schuldenabbau waren möglich, weil die Bürger steuerlich deutlich härter angegangen wurden. Die Steuereinnahmen des Bundes, die 2014 noch bei 270 Milliarden Euro lagen, wuchsen im Jahr 2017 auf 309 Milliarden Euro – ein Anstieg der steuerlichen Belastung von 39 Milliarden Euro in nur vier Jahren.

Und es gibt einen weiteren Aspekt, der den bescheidenen Schuldenabbau relativiert: die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Geldsystem wird seit Menschengedenken von der Politik manipuliert. Einstmals begrenzte der Goldstandard als Währungsordnung die Möglichkeit, neues Geld zur Finanzierung der Staatsausgaben herzustellen. Seit dem Ende des Goldstandards im Jahr 1971 aber ist unsere Währung ein ungedecktes und billig vermehrbares Papiergeld. Das eröffnet neue Möglichkeiten zur Manipulation zugunsten des Staates und zuungunsten der Bürger. Indem neues Geld von der Zentralbank und dem Bankenapparat aus dem Nichts geschaffen wird, werden die Staatsschulden entwertet. Der Bürger bezahlt die Teuerung. Diese „monetäre Besteuerung“ ist besonders tückisch, da die meisten Bürger sich ihrer nicht bewusst sind.

Die aktuelle Nullzinspolitik der EZB begünstigt die Euroschuldnerländer auf Kosten der Sparer. Betrugen die jährlichen Aufwendungen für die Bundesschuld vor 10 Jahren noch 43 Milliarden Euro, sind diese Kosten dank der Niedrigzinsen auf 26,7 Milliarden Euro im Jahr 2018 abgeschmolzen. Gleichzeitig sind die Realzinsen negativ – die Zinsen für Sparguthaben also minus Inflation. Damit entwerten sich die Ersparnisse der Bürger kontinuierlich. Der deutsche 3-Monatszins (nominal -0,78 Prozent) unter Einrechnung der Inflation der Konsumgüterpreise (real 2,0 Prozent) liegt derzeit bei minus 2,78 Prozent. Das ist Rekord.

Nach Berechnungen der Comdirect Bank und des Finanzdienstleisters Barkow Consulting haben deutsche Sparer allein im ersten Halbjahr 2018 aufgrund der Nullzinspolitik 17 Milliarden Euro verloren – mehr, als der Bund 2017 Schulden abgebaut hat. Während sich die Politiker im Erfolg ihrer „Schwarzen Null“ sonnen, stehen die Bürger auf der Verliererseite. Sie befinden sich in der Gläubiger-Position, sofern sie Ersparnisse besitzen. Ihre Sparkonten, Rentenfonds und Lebensversicherungen werfen immer weniger ab.

Dazu kommt, dass die Nullzinspolitik die Ersparnisse der Bürger nicht nur langsam aufzehrt, sondern sie auch ungeniert für die größte Wette der Weltgeschichte aufs Spiel setzt: die „Eurorettung“. Besinnen sich die Eurosüdländer inklusive Frankreich nicht, indem sie ihre Staatsfinanzen sanieren und überfällige Strukturreformen antreiben, bleiben nur die Optionen der Errichtung einer gigantischen Transferunion von Nord nach Süd oder das Auseinanderbrechen des Eurosystems. Beim Eurozerfall werden die deutschen Sparer Milliardenverluste realisieren. Die Euro-Risiko-Uhr steht derzeit bei 1,6 Billionen Euro. Allein die deutschen Target-2-Salden, also die Forderungen der Bundesbank an die EZB, belaufen sich auf 956 Milliarden Euro.

Steuerzahler und Sparer werden also nicht nur im wahrsten Sinne von vorn bis hinten ausgeweidet – von vorn durch ungebrochen hohe Steuern, von hinten durch Entwertung ihrer Ersparnisse –, sondern sie finanzieren auch wider Willen die größte Spekulationswette der Geschichte. Sollte diese von der Bundesregierung eingegangene Wette verloren gehen, ist nicht nur die „Schwarze Null“ Geschichte, sondern auch ein Großteil der Ersparnisse der Bürger.

Warum aber lassen die Bürger als Steuerzahler und Sparer das mit sich machen, obwohl sie sich als Wähler der schleichenden Enteignung von Staats wegen mit dem Stimmzettel entgegenstemmen könnten?

Zunächst einmal werden viele gar nicht verstehen, wie sie über das Geldsystem benachteiligt werden. Schließlich sind die Mechanismen der monetären Umverteilung nicht unmittelbar einsichtig – was sie für Politiker umso attraktiver macht. Zudem verbreitet die Bundesregierung die Behauptung, die von ihr eingegangene Eurowette sei alternativlos. Tatsächlich würde ein Glattstellen der Wette eine beträchtliche Anpassungskrise auslösen. Wer will das schon in einer Zeit, in der es den meisten Bürgern finanziell noch recht gut geht.

Aber die nächste Rezession kommt früher oder später, ausgelöst entweder durch eine globale Wirtschaftskrise oder eine Euroschuldenkrise – letztere dadurch befördert, dass spendierfreudige Regierungen wie derzeit in Italien darauf bauen, dass die EZB sie schon unterstützen wird. Ist die Rezession eines Tages da, werden auch die deutschen Steuereinnahmen wieder fallen, und mit ihrem Fall endet die „Schwarze Null“. Für ein Gegensteuern durch die Wähler wird es dann zu spät sein.

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Zuerst veröffentlicht im HAUPTSTADTBRIEF am Sonntag in der Berliner Morgenpost vom 18. November 2018 – www.derhauptstadtbrief.de

Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai 2014 ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen. Zuletzt erschienen, ebenfalls gemeinsam mit Andreas Marquart: Wir schaffen das – alleine!

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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