Einen stabilen Geldwert kann es nicht geben

10. Oktober 2018 – Heute vor 45 Jahren ist Ludwig von Mises (1881 – 1973) gestorben. Zur Erinnerung veröffentlichen wir nachfolgend einen Auszug aus seinem Werk Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens (1940). In diesem Kapitel beschäftigt sich Mises mit der Notenbankpolitik der Geldwertstabilität. Unter den Ökonomen heute herrscht fast völlige Einigkeit darüber, Preisstabilität würde das Wirtschaftswachstum fördern, indem die Effizienz der Marktmechanismen erhöht wird. Mises dagegen kritisiert die Stabilisierungsidee, zeigt ihre Widersprüchlichkeit zum menschlichen Handeln auf, entlarvt sie als großen Irrtum.

Andreas Marquart

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Unzulänglichkeiten in der technischen Ausgestaltung des Geldwesens und Kritik der Wirtschaftspolitik, die durch Kreditausweitung den Zins senken und die Produktionstätigkeit anregen will, damit aber notwendigerweise zur Fehlleitung von Kapital, zur Krise und zur Depression gelangt, haben den Anstoß zu den Überlegungen gegeben, die schließlich zum Schlagwort Stabilisierung geführt haben.

Man kann es verstehen, wie man diesen Gedanken fassen konnte, man kann es aus der Geschichte des Geldwesens und der Umlaufsmittelbanken der letzten hundertfünfzig Jahre erklären, man kann gewissermaßen mildernde Umstände zu Gunsten der Irrlehre ins Treffen führen. Doch ein Irrtum wird dadurch noch nicht zur Wahrheit, dass man sein Werden menschlich zu erfassen versteht.

Die Vorstellungen, die der Forderung nach Stabilisierung zugrunde liegen, sind vom Anfang bis zum Ende unhaltbar und widerspruchsvoll. Die Stabilität, die die Stabilisierung sich zum Ziele setzt, ist ein leerer Begriff. Im Fließenden und Sichewigverändernden sucht man ein Festes und Unveränderliches; das Unmessbare soll gemessen, das Flüchtige soll festgehalten werden.

Der Mensch, der wird und vergeht, der in jedem Augenblicke ein anderer ist und dessen Wertungen, Wollungen und Handlungen sich mit dem Wandel seines Seins ändern, wird als ein ewig Unwandelbarer gedacht. Oder man sucht Werten und Handeln von dem handelnden Menschen und seiner Wandelbarkeit loszulösen, man nimmt das Bestehen ewiger unveränderlicher Werte an, die vom Menschen und seiner Wertung unabhängig im Kosmos für sich sind und an denen Werten und Handeln des Menschen gemessen werden können.

Allen Überlegungen, die ein Verfahren zur Messung der Geldwertveränderungen finden wollen, liegt in letzter Linie die Vorstellung zugrunde, dass ein ewiges und unwandelbares Wesen an unwandelbaren Maßstäben die Befriedigung ermittelt, die ihm durch die Verfügung über die Geldeinheit erreichbar wird. Man verhüllt diese abstruse Vorstellung nur unzulänglich, wenn man vorgibt, man wolle nur errechnen, wie sich die Kaufkraft der Geldeinheit geändert habe. Die Problematik des Stabilitätsbegriffs liegt doch gerade in diesem Begriff der Kaufkraft.

Die naive Theorie des Laien sieht, befangen in den Maßvorstellungen der Physik, im Gelde zuerst ein Unwandelbares, einen Maßstab, und glaubt, dass Schwankungen der Austauschverhältnisse nur im Verhältnis der verschiedenen Güter und Dienstleistungen untereinander und nicht auch im Verhältnis des Geldes zu den als Gesamtheit betrachteten Gütern und Dienstleistungen vor sich gehen.

Doch auch dann, als man die Erkenntnis, dass auch das Geld keinen festen Punkt abgibt und dass nicht nur die Geldpreise der Waren, sondern auch die Kaufkraft des Geldes wandelbar ist, einmal gewonnen hatte, wollte man die liebgewordene Vorstellung, es müsse doch einen festen Maßstab des Tauschwertes geben, nicht preisgeben. Man kehrt nur den Sachverhalt um: nicht das Geld erscheint hinfort als das Unwandelbare, sondern die Gesamtheit aller Güter und Leistungen, die für Geld gekauft werden können. Man sucht die Kaufgüter rechnerisch zusammenzufassen, um sie als Einheit dem Gelde gegenüberzustellen. Man ist bereit, sich über alle Bedenken hinwegzusetzen, um die Indexzahlen zu ermitteln. Man ist bereit davon abzusehen, dass alle Einzeldaten, die man für diese Zusammenfassung benötigt, anzweifelbar sind, und dass die Wahl der Methoden, mit denen man aus den Preisangaben zur Indexzahl gelangen will, willkürlich ist.

Irving Fisher, der geistige Führer der zeitgenössischen amerikanischen Bewegung für Stabilisierung, stellt dem Gelde den Inhalt eines Korbes gegenüber, in den die Hausfrau die Waren tut, die sie auf dem Markte für den täglichen Bedarf ihres Haushalts einkauft. In dem Maße, in dem der Geldbetrag, der für die Erwerbung dieser Auswahl von Gütern aufgewendet werden muss, sich verändert hat, habe sich die Kaufkraft des Geldes verändert; das Ziel der Stabilisierungspolitik wird darin erblickt, die Unveränderlichkeit dieses Geldaufwandes zu gewährleisten.

Das Verfahren, das hier zur Messung der Geldwertveränderungen vorgeschlagen wird, wäre vortrefflich, wenn die Hausfrau und ihr Haushalt als unveränderliche Wesenheiten angesehen werden könnten, wenn der Einkaufskorb der Hausfrau immer die gleichen Waren und von jeder einzelnen Ware die gleiche Menge enthalten würde, und wenn die Bedeutung, die die Hausfrau dem Inhalt dieses Korbes beilegt, stets unverändert bliebe. Doch wir haben eine Welt vor uns, in der diese Bedingungen nicht erfüllt sind.

Da ist zunächst der Umstand, dass die Beschaffenheit der Waren, die erzeugt und verbraucht werden, sich beständig ändert, so dass es verfehlt wäre, etwa einfach Weizen und Weizen oder gar Schuhe und Schuhe gleichzusetzen. Die große Preisspanne, die zu gleicher Zeit an demselben Orte bei Umsätzen von Waren, die der Sprachgebrauch des Alltags und die Statistik einer Gattung zurechnen, festzustellen ist, beweist diese, übrigens jedermann bekannte und von niemand bestrittene Tatsache. Wenn auch eine landläufige Redensart ein Ei dem andern gleichen lässt, so unterscheiden Verkäufer und Käufer die Eier in der Preisbildung doch sehr beträchtlich.

Ein Vergleich von Preisen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten für Waren gezahlt wurden, die die Technologie oder die Preisstatistik mit demselben Wort zu bezeichnen pflegen, ist nichtssagend, wenn nicht feststeht, dass es sich um Waren derselben Beschaffenheit handelt, wobei unter Beschaffenheit alle jene Eigenschaften zu verstehen sind, die von Kauflustigen bei der Erstellung des Preisangebots berücksichtigt werden. Da die Beschaffenheit aller Waren des unmittelbaren Verbrauchs sich im Verlauf der Zeiten ändert, erweisen sich die Gedankengänge, die zur Messung der Kaufkraftverschiebungen führen wollen, schon in dieser Hinsicht als verfehlt.

Der Umstand, dass eine beschränkte Anzahl von Produktionsmitteln – vor allem die Metalle und eine Reihe von anderen Stoffen, die eine chemische Formel eindeutig bestimmt, – technologisch so genau bezeichnet werden können, dass auch Unterschiede der Beschaffenheit exakt festgestellt werden können, spielt dabei keine Rolle. Eine Messung der Kaufkraft müsste auf den Preisen der Genussgüter, und zwar aller Genussgüter, aufgebaut werden. Sie kann nicht auf den Preisen der Produktionsmittel und nicht auf der Berücksichtigung einer Auswahl von Güterpreisen aufgebaut werden. Die Produktionsmittelpreise sind dafür unbrauchbar, weil man bei ihrer Verwendung nicht vermeiden kann, die verschiedenen Stufen der Produktion der einzelnen Endprodukte verschieden oft in die Rechnung eingehen zu lassen, woraus sich eine Ungleichmäßigkeit ergibt, die das Ergebnis empfindlich stört. Ganz unzulässig wäre die Beschränkung auf eine Auswahl von Gütern, da dann der Willkür Tür und Tor geöffnet wäre.

Doch auch wenn man von allen diesen unüberwindlichen Schwierigkeiten absehen wollte, bliebe die Aufgabe unlösbar. Denn nicht nur die Beschaffenheit der Waren ändert sich beständig; auch die Bedeutung, die den Waren von den wirtschaftenden Subjekten beigelegt wird, ist dem Wandel unterworfen. Neue Waren werden erzeugt, alte verschwinden. Die Ansichten über das, was zum Beheben des Unbefriedigtsein geeignet ist, wechseln und damit wechseln Nachfrage und Erzeugung.

Die Voraussetzungen der Messungstheorie wären nur dann erfüllbar, wenn es zulässig wäre anzunehmen, dass die Beschaffenheit der begehrten und angebotenen Güter und der relative Umfang der Nachfrage nach ihnen und des Angebots im Verlaufe der Zeiten unverändert bleiben. Dann allein könnte man Reihen der Güterpreise aufstellen, deren Vergleich Verschiebungen des Austauschverhältnisses zwischen dem Geld und den Kaufgütern erkennen ließe.

Weil man nicht imstande ist, die Preissummen für die Gesamtheit aller in den Zeitabschnitten, deren Preisgestaltung verglichen werden soll, umgesetzten Genussgüter zu ermitteln, muss man von den Preisen der einzelnen Güter ausgehen. Da ergeben sich sofort zwei weitere Probleme, für die es wieder keine Lösung gibt, die frei von Willkür und Ermessen wäre. Man muss den einzelnen Preisangaben, die man verwenden will, Wichtigkeitskoeffizienten zuordnen, um zu verhindern, dass die Preise der Waren ohne Rücksicht auf den Umfang, den die Umsätze dieser Waren haben, und ohne Rücksicht auf die Bedeutung, die ihnen für die Versorgung zukommt, in die Rechnung eingehen.

Schließlich aber muss man aus den einzelnen so bestimmten Elementen den Durchschnitt ermitteln, und da taucht die Frage auf, welches Verfahren von den verschiedenen, die die Arithmetik für die Errechnung von Mittelwerten kennt, verwendet werden soll. Jedes dieser Verfahren empfiehlt sich in mancher Hinsicht, und gegen jedes können wieder in anderer Hinsicht Einwendungen geltend gemacht werden; jedes Verfahren führt zu anderen Ergebnissen, und keines von ihnen kann als allein angemessen in der Weise bezeichnet werden, in der man logisch etwa ein Multiplikationsverfahren als das allein richtige gegenüber allen übrigen denkbaren Möglichkeiten auszeichnet.

Die grundsätzliche Unzulänglichkeit aller Verfahren, die zur Messung der Veränderung der Kaufkraft des Geldes vorgeschlagen wurden, beruht auf der Unklarheit der dem Gedanken solcher Messung zugrundeliegenden Ideengänge. Wenn alle menschlichen Verhältnisse ewig unwandelbar wären, wenn alle Menschen stets dieselben Handlungen setzen würden, weil ihr Unbefriedigtsein, ihre Auffassungen über seine Behebung und die ihnen zu seiner Behebung zu Gebote stehenden Mittel stets gleich wären, oder wenn wir zumindest annehmen dürften, dass alle Veränderungen, die sich in dieser Hinsicht bei einzelnen Menschen oder Menschengruppen ereignen, durch entsprechende Veränderungen bei anderen Einzelnen oder Gruppen in ihrer Wirkung auf den Markt, auf die Preise und das Handeln der Unternehmer aufgehoben werden, dann würden wir in einer Welt der Stabilität leben.

Widerspruchsvoll bliebe aber dann die Vorstellung, es könnte in einer im Übrigen starren Welt das Geld allein seine Kaufkraft verändern. Wie immer man sich die Veränderungen der Kaufkraft ausgelöst denken will, sie müssen auch Verschiebungen der Verhältnisse zwischen den Einzelnen hervorrufen, sie müssen notwendigerweise die Gestaltung der Eigentums- und Reichtumsverhältnisse berühren, und sie müssen auch die Austauschverhältnisse der Kaufgüter untereinander und damit die Produktion verändern. Die im Ausdruck «Preisniveau» liegende Vorstellung, als ob caeteris paribus sämtliche Geldpreise in gleichem Masse gehoben oder gesenkt werden könnten, ist unhaltbar. Veränderungen der Preise, die von Seite des Geldes ausgehen, müssen die Preise der einzelnen Güter und Dienstleistungen in ungleichem Masse verändern.

In der praxeologischen Sphäre kann man mit dem Begriff der Messung keinen Sinn verbinden. Im gedachten Zustand der Starrheit gibt es keine Veränderungen, die zu messen wären, und im gegebenen Zustand steter Veränderung gibt es keinen festen Punkt und keine feste Beziehung, in Bezug auf welche Veränderungen gemessen werden könnten. Die Begriffe Stabilität und Stabilisierung sind leer, außer wenn damit die Vorstellung eines Zustands der Starre und der Erhaltung dieses Zustands verbunden wird. Doch der Zustand der Starre der Wirtschaft kann widerspruchsfrei nicht einmal gedacht werden, geschweige denn verwirklicht werden. Sowohl die äußeren Bedingungen der Umwelt, in der die Menschen leben, als auch die inneren Bedingungen ihres Daseins, ihre Ideen und ihre Einsicht in die für das Handeln entscheidenden Dinge, sind jeder Stabilisierungspolitik unzugänglich. Gehandelt wird, weil es Veränderung gibt, und Handeln ist selbst immer Veränderung.

Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene „Die Gemeinwirtschaft“ gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die „Unmöglichkeit des Sozialismus“. Sein Werk „Human Action“ (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen „Bibel“. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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Foto: © Andrey Popov – Fotolia.com

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