Kryptowährungen: Die Zentralbanker scheinen allmählich nervös zu werden

13.9.2017 – Interview mit Aaron Koenig zu seinem neuen Buch „Cryptocoins: Investieren in digitale Währungen“, das diese Woche im FinanzBuch Verlag erschienen ist – mit einem Vorwort von Thorsten Polleit.

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Aaron Koenig

Herr Koenig, am Ende Ihres neuen Buches weisen Sie darauf hin, dass die Kursrallye der Kryptowährungen möglicherweise zu Ende sei, wenn der Leser das Buch in Händen hält, beispielsweise weil die chinesische Zentralbank eine neue Richtlinie herausgibt. Genau das ist dieser Tage geschehen, ICO’s (Initial Coin Offering) wurden in China verboten und Bitcoin & Co. haben scharfe Einbrüche hinnehmen müssen. Beginnt jetzt die Korrektur?

Nein, das Verbot von ICOs in China hat nur zu einer geringen Kurskorrektur geführt, die Kurse der meisten Cryptocoins haben sich schnell wieder erholt. ICOs und zur Zahlung gedachte Kryptowährungen wie Bitcoin haben ja nur wenig miteinander zu tun. Höchstens Ethereum, das die Basis fast aller ICO-Tokens ist, könnte unter dem Verbot leiden. Natürlich ist auch eine deutliche Kurskorrektur möglich. Es gibt keine Garantie, dass die Kurse der Cryptocoins weiter so steigen werden wie im letzten Jahr. Im Fall von Bitcoin kann man ein schon mehrfach aufgetretenes Muster erkennen: erst ein rapider Anstieg, dann ein drastischer Abfall – bei dem der Kurs dennoch deutlich höher liegt als vor dem Anstieg – dann eine längere Zeit des Dahindümpelns, bis der Kurs erneut steil nach oben geht. Wo wir uns zur Zeit gerade auf dieser Kurve befinden, ist schwer zu sagen. Langfristig ging es jedoch bisher immer aufwärts.

Warum glauben Sie, hat China dieses Verbot erlassen?

Da müssen Sie die chinesische Zentralbanker fragen. Ich habe gehört, dass das Verbot nur vorübergehend ist, damit die chinesische Regierung an neuen Regularien für ICOs arbeiten kann. Der Markt für ICOs ist zur Zeit sehr überhitzt, eine Korrektur halte ich für überfällig, die wäre auch ohne die chinesische Zentralbank gekommen. Es ist ja nicht besonders sinnvoll, dass Start-Ups, die nichts weiter haben als eine unerprobte Geschäftsidee, aber kein fertiges Produkt und keine Kunden, schon viele Millionen Dollar von Investoren einsammeln, wie das bei vielen ICOs der letzten Zeit der Fall war. Zu viel Geld macht ein Start-up satt und träge. ICOs sind zweifellos ein gutes Instrument zur Finanzierung von Projekten, daran wird die chinesische Zentralbank nichts ändern. Die chinesischen Anleger werden auch sicher einen Weg finden, Verbote zu umgehen. Ich denke, wir werden jetzt eine Reifung des ICO-Marktes erleben, etwa in der Art, dass die investierten Summen in mehreren Tranchen vergeben werden, die sich an der Erfüllung klar definierter Meilensteine orientieren. Das ließe sich ja über sogenannte ‘Smart Contracts’ regeln.

Derzeit hat man den Eindruck, mit Bitcoin & Co. würde vor allem spekuliert und es ginge weniger um ein alternatives Zahlungsmittel zum staatlichen Fiatgeld. „Geld“ ist doch zuallererst Tauschmittel und kein Spekulationsobjekt …

Zur Zeit sind Kryptowährungen tatsächlich in erster Linie Spekulationsobjekte. Sie sind eine Wette auf die Zukunft. Die Investoren setzen darauf, dass sich ein Coin langfristig als Zahlungsmittel durchsetzt, oder dass sich die Software-Anwendung, für deren Nutzung man einen sogenannten AppCoin benötigt, als Erfolg entpuppt. Ich denke, dass nur einige wenige Bezahl-Cryptocoins diesen harten Wettbewerb überleben werden. Auch bei den AppCoins werden sich nur wenige Geschäftsmodelle langfristig durchsetzen. Aber das ist bei Innovationen ja völlig normal. Zur Zeit des Eisenbahn-Booms im 19. Jahrhundert gab es hunderte von börsenfinanzierten Eisenbahnprojekten und Anfang des 20. Jahrhunderts viele tausend Autohersteller, von denen heute nur einige wenige noch existieren. Man kann in solchen Boom-Zeiten viel Geld verdienen, aber auch viel Geld verlieren.

Sind die Kryptowährungen schon soweit, dass Sie vielleicht bald die Notenbanken in Bedrängnis bringen könnten?

Sie sind auf jeden Fall auf dem besten Weg dorthin. Es ist interessant, wie vehement Mario Draghi die Pläne der estnischen Regierung, einen eigenen Cryptocoin zu starten, kritisiert hat. Die Zentralbanker scheinen allmählich nervös zu werden – kein Wunder, wer wird schon gerne überflüssig! Dabei finde ich, dass die Regierungen sich aus der Geldschöpfung besser total zurückziehen, also auch keine eigenen Kryptowährungen herausbringen sollten. Alle Projekte auf nationaler Basis, wie der isländische Auroracoin, der SpainCoin oder der GreeceCoin sind bisher gescheitert. Nationalstaat und Kryptowährungen passen einfach nicht zusammen. Cryptocoins funktionieren entweder global oder innerhalb einer klar definierten Interessengemeinschaft. Der Nationalstaat ist eine überholte Konstruktion, die bald wieder verschwinden wird.

Können Sie das etwas näher erläutern?

Je größer ein Staat, desto schlechter ist es für die individuelle Freiheit der Menschen. Kleine Einheiten, die miteinander im Wettbewerb stehen, sind für das menschliche Zusammenleben sehr viel besser geeignet als Nationalstaaten. Und um die individuelle Freiheit geht es ja bei Cryptocoins. Mir gefällt das Modell von freien, privat verwalteten Städten, wie sie zum Beispiel Titus Gebel plant. Man kombiniert das Beste aus erfolgreichen Stadtstaaten wie Singapur oder Hong Kong, aber mit maximaler Freiheit. Ich würde jedenfalls gern in so einer Stadt leben, in der ich als Bürger Vertragspartner auf Augenhöhe bin und kein Untertan.

Sprechen wir über die Blockchain … und vielleicht bringen wir zunächst alle Leser auf den aktuellsten Stand. Wurde das Problem der Geschwindigkeit gelöst?

Zum Hintergrund: dadurch, dass ein Block der Bitcoin-Blockchain bisher nur maximal ein Megabyte groß sein konnte, kann die Bitcoin-Blockchain nur ca. fünf bis sieben Transaktionen pro Sekunde verarbeiten. Das hat bisher ausgereicht, aber mit zunehmender Bitcoin-Nutzung wird es eng. Und verglichen mit den vielen Tausend Transaktionen pro Sekunde, die Visa oder Mastercard beherrschen, ist es viel zu wenig.

Die einen wollen daher die Blockgröße erhöhen, andere sehen darin die Gefahr, dass weniger Leute am Bitcoin-Netzwerk teilnehmen können und es daher zu stark zentralisiert wird. Sie bevorzugen eine Lösung namens Segregated Witness, die einerseits die Datenmenge pro Überweisung um etwa die Hälfte reduziert, so dass doppelt so viele Transaktionen in einen Block passen. Andererseits ermöglicht SegWit, dass eine zweite Ebene auf die Bitcoin-Blockchain gesetzt wird, das so genannte Lighting Network. Es würde viele Tausend Transaktionen pro Sekunde ermöglichen.

Zwischen beiden Parteien ist im Mai in New York ein Kompromiss ausgehandelt worden. Er besagt, dass zunächst SegWit eingeführt und dann die Größe der Blöcke auf zwei Megabyte erhöht wird. Seit Ende Juli läuft SegWit, die Umstellung auf die 2MB-Blockgröße folgt im November. Damit kann die Bitcoin-Blockchain dann ungefähr viermal so viele Transaktionen verarbeiten wie bisher. Das ist zwar auf Dauer immer noch zu wenig, bringt aber erst einmal Zeit, um Lösungen wie das Lightning Network zur Marktreife zu bringen.

Welche Reaktionen beobachten Sie denn bei den Banken? Bei der Commerzbank gibt es ja wohl bereits „Blockchain-Labors“…

Alle großen Banken haben mittlerweile Blockchain-Labors eingerichtet, weil sie sich von dieser Technologie Kosteneinsparungen erhoffen. Doch sie gehen den falschen Weg, wenn sie auf “private” Blockchains setzen, bei denen nur mitwirken kann, wer eine Erlaubnis besitzt. Die große Stärke von Blockchains ist es ja gerade, dass sie öffentlich und transparent sind, und dass man eben keine Erlaubnis von einer Zentralstelle benötigt, um neue Blöcke zu schaffen. Accenture hat sogar angekündigt, an einer Blockchain zu arbeiten, die man im Nachhinein verändern kann. Das ist natürlich absurd, denn die fehlende Möglichkeit der Manipulation ist ja genau das, worum es bei Blockchains geht. Insofern ist es zwar durchaus erfreulich, dass jetzt  viele Arbeitsplätze in den Blockchain-Labors der Banken entstehen; sie könnten das Geld dafür aber genauso gut aus dem Hubschrauber abwerfen.

Es wird zwar immer von der Möglichkeit gesprochen, vieles zu dezentralisieren. Wie muss ich mir aber als Laie vorstellen, wenn die Blockchain-Technologie beispielsweise für Grundbucheintragungen genutzt wird? Gibt es da eine Software-Oberfläche? Wer trägt Veränderungen ein?

Die Grundidee ist simpel: alles, was öffentlich einsehbar sein soll, aber nur von denjenigen verändert werden darf, die das Recht dazu haben, kann man sehr gut über die Blockchain-Technologie abbilden, denn genau dafür wurde sie erfunden. Sehr viele Dinge, für die man bisher eine zentrale Institution wie ein Standes- oder Grundbuchamt brauchte, können also durch diese Technologie vereinfacht und verbessert werden. Einige wollen dabei den Staat komplett ersetzen, wie z.B. Bitnation. Andere, wie z.B. die Unternehmen Factom oder Bitfury arbeiten mit Regierungen zusammen, um deren Grundbücher zuverlässiger und weniger anfällig für Korruption zu machen. Ich weiß von Projekten in Georgien, Schweden und Honduras. Diese Projekte befinden sich alle noch in Entwicklung. Ich nehme an, dass diese Firmen an nutzerfreundlichen Interfaces arbeiten, habe aber selbst noch keines gesehen. Ich schätze, dass es im Prinzip ähnlich abläuft wie bei einer Bitcoin-Transaktion: man erhält einen digitalen Schlüssel, mit dem man sein Eigentum an einem Haus oder Grundstück nachweisen oder auf jemand anderes übertragen kann. Eine Zentralstelle, die die Eintragung vornimmt und überprüft, ist dann nicht mehr notwendig.

Wo stehen wir Ihrer Einschätzung nach bei der Entwicklungsstufe von Kryptowährungen und Blockchain, verglichen damit, als das Internet „aufkam“?

Wir stehen ungefähr da, wo das Internet 1994 stand. Also noch bevor 1995 durch die Öffnung von AOL ein großer Schwung neuer Nutzer das freie Internet für sich entdeckte. Lustigerweise trifft man heute auf genau die gleichen Vorurteile über Cryptocoins, die damals viele über das Internet hatten. Etwa, dass es nur von Kriminellen und für den Drogenhandel genutzt werde, und dass es für normale Menschen viel zu kompliziert sei. Heute lachen wir darüber. Ich denke, in ein paar Jahren werden wir über viele Artikel lachen, die heute über Bitcoins und die anderen Kryptowährungen erscheinen. Vielleicht auch über dieses Interview!

Vielen Dank, Herr Koenig.

Das Interview wurde im September 2017 per e-mail geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

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„Bitcoin und Blockchain – eine technologische Revolution“ – der Vortrag von Aaron Koenig auf der Konferenz 2016 „Besseres Geld für die Welt“.

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Aaron Koenig ist seit 2011 in der Bitcoin-Wirtschaft engagiert. Er hat mit seiner Firma Bitfilm zahlreiche Filme für Bitcoin-Start-ups produziert. Er organisiert ein Bitcoin-Filmfestival sowie eine monatliche Bitcoin-Tauschbörse in Berlin. Er ist Diplom-Kommunikationswirt und seit 1994 in der kreativen Internetbranche tätig. Im Mai 2015 erschien im FinanzBuchVerlag sein Buch „Bitcoin – Geld ohne Staat“.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Jan Meyer

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