Was „Laissez-faire“ ist

22.3.2017 – von Jeffrey Tucker.

Jeffrey Tucker

Die englische Aussprache lautet „lay-say-fair“. Seine französischen Ursprünge gehen auf die Spätrenaissance zurück. Erstmals verwendet wurde der Begriff im Jahre 1680, eine Zeit, als der Nationalstaat in ganz Europa auf dem Vormarsch war. Der französische Finanzminister Jean-Baptiste Colbert fragte einen Kaufmann namens M. Le Gendre, was der Staat zur Förderung der Industrie tun sollte.

Der Legende zufolge war seine Antwort: „Laissez-nous faire“ bzw. „lass es sein“. Dieser Vorfall wurde 1751 in der Zeitschrift Oeconomique vom Freihandels-Befürworter Rene de Voyer, Marquis d’Argenson, beschrieben. Der Spruch wurde schließlich in den Worten von Vincent de Gournay festgehalten: „Laissez-faire und laissez-passer, le monde va de lui même!“ Die lose Übersetzung: „Lass es sein und überlass es sich selbst; die Welt dreht sich weiter.“

Oder frei übersetzt: „Lass die Welt allein, sie verwaltet sich selbst.“

Alle diese Darstellungen drückten nicht nur die Idee des Freihandels aus – ein Hauptthema des Diskurses in der europäischen Politik des 18. Jahrhunderts -, sondern auch eine größere und schönere Vision, wie die Gesellschaft funktionieren könnte.

Ein einfaches, wunderbares Ideal

Diese Idee lässt sich in der Phrase „Laissez-faire“, oder in der Lehre von dem, was einst als einfacher Liberalismus bezeichnet wurde, zusammenfassen, der heute sogenannte klassische Liberalismus. Die Idee ist: Die Gesellschaft hat die Fähigkeit, ihren eigenen Entwicklungspfad zu gehen und zu verwalten. Daraus folgt, dass die Menschen die Freiheit genießen sollten, ihr eigenes Leben zu führen, sich zu assoziieren, wie sie wollen, mit jedem zu handeln, Eigentum zu besitzen und zu mehren und unbelastet von staatlichen Eingriffen zu leben.

In den Jahrhunderten, die folgten, haben Millionen von großen Denkern und Schriftstellern diesen Kerngedanken in allen Disziplinen der Sozialwissenschaft ausgearbeitet. Heute wie damals gibt es zwei breite Denkschulen: diejenigen, die an die staatliche Kontrolle über einen oder viele Aspekte der gesellschaftlichen Ordnung glauben und diejenigen, die glauben, dass solche Kontrollversuche kontraproduktiv im Sinne des Wohlstands, der Gerechtigkeit und des Friedens sind.

Diese beiden Denkweisen unterscheiden sich von dem, was heute „die Rechte“ und „die Linke“ genannt wird. „Die Linke“ ist geneigt zu denken, dass, wenn wir der Wirtschaft freien Lauf lassen, die Welt zusammenbrechen würde. Ohne die Kontrolle der Regierung würden wir in eine Katastrophe gleiten.

„Die Rechte“ ist in ähnlicher Weise davon überzeugt, dass die staatliche Kontrolle notwendig ist, damit die Welt nicht durch gewalttätige, kriegsführende, kulturzerstörende Banden zusammenbricht.

Die Laissez-faire Ansicht verweigert sich beiden Ansichten zugunsten dessen, was Claude Frédéric Bastiat „die Harmonie der Interessen“ nannte, die die Gesellschaftsordnung ausmachen. Es ist die Ansicht, dass die Künstler, Kaufleute, Philanthropen, Unternehmer und Besitzer – und nicht Staatsdiener – den Lauf der Geschichte prägen.

Dieser Ansicht sind heute Millionen von Denkern auf der ganzen Welt. Es ist die aufregendste, intellektuelle Bewegung und das an Orten, wo wir es am wenigsten erwarten würden. Das Wachstum der Idee des Laissez-faire in unserer Zeit wird von der digitalen Energie getrieben. Soziale Netzwerke bringen die Idee auf ein neues Level: Jeder und gleichzeitig niemand hat die Kontrolle, es gibt keinen Punkt des Scheiterns.

Die Idee selbst ist allerdings nichts Neues.

Tiefe Wurzeln

Obwohl sie meist mit den britischen Idealen des 18. Jahrhunderts in Verbindung gebracht wird, ist ein Blick auf die Gesellschaft des christlichen Mittelalters und des frühen jüdischen Denkens sinnvoll. Der Gedanke des Laissez-faire als rein westliche Idee ist darüber hinaus falsch. Die tiefsten Wurzeln des Laissez-faire liegen tatsächlich im alten China und auch heute noch bieten die Gedanken der Meister eine hervorragende Zusammenfassung.

Hier dazu einige Beispiele:

Lao Tzu (6. Jh. V.Chr.):

„Je mehr künstliche Tabus und Beschränkungen existieren, desto mehr verarmen die Menschen (…) Je mehr Gesetze und Vorschriften vorgebracht werden, desto mehr Diebe und Räuber wird es geben.“

„Der Weise sagt: ‚Ich nehme keine Handlung vor und trotzdem verwandelt sich das Volk, ich bevorzuge die Ruhe und die Leute richten es selbst, ich nehme keine Handlung vor und die Leute machen sich selbst reich …“

Chuang Tzu (369-286 v. Chr.):

„Ich würde lieber zu meinem eigenen Vergnügen in einem schlammigen Graben herumlaufen als unter den Regeln von Herrschern zu leben. Ich werde niemals für den Staat arbeiten und frei sein, meine Bedürfnisse zu befriedigen. Die Welt braucht keine Regierung; es sollte nicht regiert werden.“

Pao Ching-Yen (4. Jh. A.D.):

„Wo keine Ritter und Heerscharen versammelt werden konnten, gab es keine Kriegsführung … die Ideen, Macht zum eigenen Vorteil zu nutzen, gab es nicht. Katastrophen und Unordnung traten nicht auf … Menschen kochten ihr Essen und versorgten sich; sie waren unbeschwert und zufrieden.“

Ssu-ma Ch’ien (145-90 v.Chr.):

„Jeder Mensch muss die Chance haben, seine eigenen Fähigkeiten zu nutzen und seine Kraft auszuüben, um zu erhalten, was er wünscht … Wenn jeder Mensch zu seinem eigenen Vorteil und seiner eigenen Freude arbeitet, wird Ware unaufhörlich Tag und Nacht fließen, ohne beschränkt zu werden, und die Leute werden Rohstoffe produzieren, ohne gefragt zu werden.“

Diese frühen Anfänge der Idee lagen hier, und können durch Denker des antiken Griechenland und Rom und durch das Mittelalter verfolgt werden, bis die Vorstellung die Welt im 18. und 19. Jahrhundert für immer verändert hat, was zu Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle führte. Im 18. Jahrhundert wurde Laissez-faire in großen Teilen der Welt (außer der englischsprachigen Welt) als Liberalismus oder klassischer Liberalismus bezeichnet, eine Lehre der sozialen Organisation, oder in den Worten von Lord Acton: „Freiheit ist die höchste politische Stufe der Menschheit.“

Korruption des 20. Jahrhunderts

Bereits im 20. Jahrhundert war der Begriff des Liberalismus verfälscht. Ludwig von Mises schrieb in seinem Buch „Liberalismus“ (1929):

„Die Welt will heute vom Liberalismus nichts mehr wissen. Außerhalb Englands ist die Bezeichnung „Liberalismus” geradezu geächtet; in England gibt es zwar noch „Liberale”, doch ein großer Teil von ihnen sind es nur dem Namen nach, in Wahrheit sind sie eher gemäßigte Sozialisten. Die Regierungsgewalt liegt heute allenthalben in den Händen der antiliberalen Parteien.“

Das gilt heute noch. Und die Revolte dagegen wird oft als „libertär“ bezeichnet, ein Wort, das seit langem mit der primären Sorge um die menschliche Freiheit verbunden ist. Es war ein Neologismus für die Nachkriegsgeneration, der gleichbedeutend mit dem Liberalismus war. Im gegenwärtigen Verständnis bezieht sie sich auf eine Verschärfung und Radikalisierung der alten liberalen Sichtweise. Sie behauptet die Unantastbarkeit der Eigentumsrechte, den Primat des Friedens in den Weltangelegenheiten und die Zentralität der freien Assoziation und den Handel mit dem Verhalten der menschlichen Angelegenheiten.

Liberalismus kann existieren

Eine solche Gesellschaft ist nicht historisch beispiellos. Murray Rothbard nannte das Amerika der Kolonialzeit als Beispiel für ein wildes und erfolgreiches Experiment der Gesellschaft ohne zentrales Staatsmanagement. Das mittelalterliche Europa machte die erste große, ökonomische Revolution ohne die Macht des Nationalstaates. David Friedman dokumentierte im mittelalterlichen Island konkurrenzfähige Rechtsordnungen. Andere Schriftsteller gehen sogar weit zu sagen, dass, wenn wir unser Leben Tag für Tag führen und uns auf die Produktivität der privaten Institutionen und Verbände verlassen, nie wirklich den Zustand der praktischen Anarchie verlassen.

Wie Mises sagt, ist der Liberalismus / Libertarismus / Laissez-faire keine abgeschlossene Lehre. Es gibt so viele Bereiche und so viele Anwendungen, die es heute noch zu erforschen gilt. Die aufregendsten Bücher unserer Zeit werden für die menschliche Freiheit geschrieben. Der Staat ist auf dem Vormarsch, aber der Widerstand wächst.

Es ist einerseits frustrierend, zu sehen, wie der Staat mehr und mehr Macht gewinnt, sei es unter der Flagge von Gleichheit, Größe, Sicherheit oder Fairness, aber es ist eine Quelle der Freude zu wissen, dass Ideen stärker sind als alle Armeen der Welt. Argumente, Klarheit, Innovation und unerbittliche Arbeit für das Richtige und Wahre wird schließlich die Idee des Laissez-faire zum Sieg führen.

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Aus dem Englischen übersetzt von Martin Ziegner. Der Originalbeitrag mit dem Titel What Is Laissez-Faire? ist am 26.2.2017 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.

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Jeffrey Tucker ist verantwortlicher Director of Content für the Foundation for Economic Education and CLO des Startups Liberty.me. Er ist Autor von fünf Büchern und tausender Artikel. Er spricht regelmäßig beim FEE Sommer Seminar. Sein neustes Buch ist Bit by Bit: How P2P Is Freeing the World.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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