Von der Kriegswirtschaft in den Kriegssozialismus
Ludwig von Mises` Betrachtungen zum Ersten Weltkrieg und ihre Relevanz für heute
4. April 2025 – von Antony P. Mueller
Ludwig von Mises veröffentlichte sein Buch „Nation, Staat und Wirtschaft“ im Jahre 1919, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Es ist ein Werk, in dem Mises möglichst objektiv den Gründen nachspüren will, welche Faktoren zum Krieg antrieben und welche Ergebnisse mit ihm verbunden waren. Es ist stets ein Leichtes, nachträglich zu zeigen, wie man es hätte anders machen können. Aber der Punkt ist, dass es zum Krieg kam und dass dieser einen bestimmten Verlauf nahm. Dies bedeutet, dass die Kräfte, die den Krieg herbeiführten, wirksamer waren als jene, die den Ersten Weltkrieg zu verhindern suchten.
Mises macht deutlich, dass die Militaristen die Lage Deutschlands von Anfang an völlig verkannten. Sie missachtete die Tatsache, dass der Wohlstand, den Deutschland in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Krieges 1914 erreicht hatten, auf seine Einbindung in die Weltwirtschaft beruhte. Ohne intensive internationale Wirtschaftsbeziehungen hätte die Industrialisierung nicht stattfinden können und damit wäre der Weg aus der Armut nicht gelungen. Die Militaristen in Deutschland verstanden Weltpolitik aber nicht, wie es im Interesse des Volkswohlstands richtig gewesen wäre, als Friedenspolitik, sondern betrieben Kriegspolitik.
Hätte man in Deutschland mehr wirtschaftlich als militärisch gedacht, wäre man zur Erkenntnis gelangt,
daß ein derartiger Krieg weder geführt werden könne noch geführt werden dürfe, und daß man, wenn schon eine unsagbar schlechte Politik ihn hat entstehen lassen, so schnell als möglich, selbst um den Preis hoher Opfer, trachten müßte, Frieden zu schließen. (S. 113)
In Verkennung der wirklichen Lage wurde Deutschland von den Militaristen in den Krieg getrieben und selbstmörderisch wurde an der Fortführung des Krieges festgehalten. Militärische Fehlkalkulation in Verbindung mit „wirtschaftspolitischen Wahnideen“ bildeten die Grundlage für die Niederlage und was dann folgen sollte.
Mises erinnert daran, dass gleich zu Beginn des Krieges das Schlagwort von der „Kriegswirtschaft“ auftauchte.
Mit diesem Worte schlug man alle Erwägungen nieder, die zu einem Ergebnisse führen konnten, das der Fortsetzung des Krieges widerraten hätte. Mit diesem einen Worte wurden alle nationalökonomischen Gedankengänge abgetan; was von der ‚Friedenswirtschaft‘ hergeholt sei, stimme nicht für die anderen Gesetzen gehorchende ‚Kriegswirtschaft‘. (S. 113)
Mit Hilfe dieses ‚Wortfetisches‘ von der Kriegswirtschaft rückten Staatsbürokratie und Militärs zur Lenkung der Wirtschaft an die höchsten Staatsstellen und verdrängten, was von einer freien Wirtschaft noch übriggeblieben war. Mit dem Hinweis auf die Kriegswirtschaft wurde auch aufkommende Unzufriedenheit mit der Versorgung der Bevölkerung in die Schranken gewiesen. Die Technokraten aus Staat und Militär übernahmen die Steuerung und verkündeten hochmütig, man müsse die Wirtschaft „organisieren“, um sie kriegseffizient zu machen, und merkten dabei aber nicht, „daß das, was man tat, die Organisation der Niederlage war.“ (S. 114)
Der Übergang von der Kriegswirtschaft zum Kriegssozialismus wurde mit dem durch den Krieg geschaffenen Notstand begründet und gerechtfertigt. Das Argument lautete:
Im Kriege könne man die unzulängliche freie Wirtschaft nicht länger fortbestehen lassen; da müsse an ihre Stelle etwas Vollkommeneres, die Verwaltungswirtschaft, treten. (S. 115)
Behindert durch die Einschränkung der freien Meinungsäußerung kamen die Stimmen nicht zu Gehör, die einen Beweis dafür einforderten, weshalb eine staatlich organisierte Wirtschaft leistungsfähiger sein solle als die Privatwirtschaft. Sozialisten und Militaristen waren sich einig, dass die Vergesellschaftung der Produktionsmittel der bessere Weg sei, Deutschlands Kriegstauglichkeit zu erhöhen.
Aber gegen wen überhaupt soll eine Kriegstauglichkeit gerichtet sein? Kriegssozialismus führt weder zum Sieg noch zum Frieden, sondern treibt von sich aus zum permanenten Krieg. In der arbeitsteiligen Weltwirtschaft gibt es keine sicheren Kriegsgewinne mehr. Die Militarisierung bringt nicht den Frieden, sondern einen
Zustand ewiger Kämpfe, die den Wohlstand so sehr zerrütten, daß schließlich auch der Sieger weniger erhält als er im pazifistischen Zustande zu ernten hätte. (S. 125)
Auch über das Wesen der konjunkturellen Effekte der Kriegsvorbereitungen und der kriegerischen Handlungen täuschte man sich grundlegend. Man begrüßte den kurzfristigen Boom, der durch die kreditfinanzierte Staatsnachfrage ausgelöst wurde. Indem die Aufrüstung mit einem wirtschaftlichen Aufschwung einherging, fand der Krieg auch in Teilen der Geschäftswelt zunehmend Zustimmung.
(D)ie Geschäftsleute, die vor dem Kriege durchaus friedlich gesinnt waren und wegen der Ängstlichkeit, die sie bei jedem Aufflackern von Kriegsgerüchten stets bekundet hatten, von den Kriegsfreunden stets gescholten wurden, fingen an, sich mit dem Krieg auszusöhnen. Die ganze Volkswirtschaft bot das Bild eines erfreulichen Aufschwunges. (S. 125)
Die Geschäftsleute verkannten auch den Effekt der Inflation. An Jahrzehnte der Geldwertstabilität gewohnt, durchschaute man nicht das Wesen der Kriegskonjunktur, die die einen um den Betrag bereichert, den sie anderen entzieht. Kriegskonjunktur bedeutet nicht steigender Reichtum, „sondern Vermögens- und Einkommensverschiebung.“ (S. 129)
Ebenso verkannte man auch das Wesen der Schuldenfinanzierung.
Durch die Papiergeldausgabe ist nicht eine Kanone, nicht eine Granate mehr erzeugt worden als man auch ohne Inbetriebsetzung der Notenpresse hätte erzeugen können. Der Krieg wird ja nicht mit ‚Geld‘ geführt, sondern mit den Gütern, die man für das Geld erwirbt. Für die Erzeugung der Kriegsgüter war es gleichgültig, ob die Geldmenge, mit der man sie kaufte, größer oder kleiner war. (S. 127)
Die Schuldenpolitik der Regierung hat die Privatunternehmer ebenso geblendet wie die hohen Militärs und leitenden Politiker. Die wahren Folgen des Kriegsfinanzierung waren ihren Blicken entzogen. Die Wirtschaft boomte, durch die Inflation entstanden Scheingewinne, während tatsächlich Kapital verzehrt wurde.
Man kann ohne Übertreibung sagen, daß die Inflation ein unentbehrliches geistiges Mittel des Militarismus ist. Ohne sie würde die Rückwirkung des Krieges auf den Wohlstand viel schneller und eindringlicher offenbar werden, würde die Kriegsmüdigkeit viel früher eintreten. (S. 133)
Durch die Staatsverschuldung werden die Lasten nicht einfach auf die Zukunft verlagert. Schon in der Gegenwart fallen die Kosten an. Der aktuelle Verbrauch muss stets aus der gegenwärtigen Produktion kommen. Die staatliche Kreditaufnahme kann den Abtausch zwischen privaten Konsumgütern und Militärgütern nicht außer Kraft setzen.
Vom volkswirtschaftlichen Standpunkte betrachtet, führt die gegenwärtige Generation den Krieg, und sie muß auch alle sachlichen Kriegskosten tragen. Die künftigen Geschlechter sind nur insofern mitbetroffen, als sie unsere Erben sind und wir ihnen weniger hinterlassen werden, als wir ihnen ohne Dazutreten des Krieges hätten hinterlassen können. Ob der Staat nun den Krieg durch Schulden oder anders finanziert, kann an dieser Tatsache nichts ändern. Daß der größte Teil der Kriegskosten durch Staatsanleihen finanziert wurde, bedeutet keineswegs eine Überwälzung der Kriegslasten auf die Zukunft, sondern nur ein bestimmtes Verteilungsprinzip der Kriegskosten. (S. 137)
Je mehr die Menschen kriegsunwillig sind, desto weniger ist es möglich, die Militärausgaben durch Steuern zu finanzieren und um so mehr wird die Regierung zur staatlichen Kreditaufnahme greifen. Hätte man entsprechend der Staatsausgaben die Steuern erhöht, wäre dem Volk aufgegangen, wie teuer Kriegsführung ist. Wenn im Volk eine sozialistische Gesinnung herrscht, wird die Regierung allerdings auch erwägen, einen Teil der Kriegskosten durch Sondersteuern auf das Privateigentum des wohlhabenderen Teils der Bevölkerung zu decken. So kam es, dass im Verlauf des Krieges der Ruf nach einer Vermögensabgabe in Deutschland so laut wurde, dass kein Einspruch dagegen mehr hörbar war.
Die Popularität, die das Schlagwort von der einmaligen Vermögensabgabe genießt, eine Popularität, die so groß ist, daß sie überhaupt jede ernstliche Diskussion über ihre Zweckmäßigkeit unmöglich macht, ist nur durch die dem Sondereigentum abgeneigte Stimmung der gesamten Bevölkerung zu erklären. (S. 139)
Kriegswirtschaft führt zum Kriegssozialismus. Die Produktionsmittel werden in die Hände des Staates überführt. Im Sozialismus wird die Verfügbarkeit über das Sachkapital den Privatpersonen entzogen und Staatsbeamten übergeben. Für die Sozialisten aller Prägungen ist so die Kriegswirtschaft ein willkommenes Etappenziel zum vollen Sozialismus. Die Transformation, das Sondereigentum in gemeinwirtschaftliches Eigentum zu überführen, geht mit der Verlagerung der Allokationsentscheidung vom unternehmerischen Handeln auf das bürokratische einher. So fanden denn auch die Sozialisten mit dem Begriff „Übergangswirtschaft“ ein Synonym für Kriegswirtschaft und Kriegssozialismus. Krieg war dann nicht nur militaristisch gerechtfertigt, sondern auch aus sozialistischer Sicht, denn er würde den Marsch in den vollen Sozialismus beschleunigen.
Fazit
Lässt man die Ausführungen von Ludwig von Mises aus heutiger Sicht Revue passieren, kommt man nicht umhin, von den Parallelen verblüfft zu sein. Obwohl mehr als hundert Jahre vergangen sind und die gegenwärtige politische Konstellation ganz anders gelagert ist, überrascht die Ähnlichkeit der Geisteshaltung der damaligen Zeit mit derjenigen von heute. So wie damals spricht man auch heute leichtfertig von Kriegswirtschaft. So wie damals tut man es leichtfertig ab, wovon der Wohlstand abhängt, und setzt die internationale Arbeitsteilung leichtfertig durch Sanktionen und Autarkiebestrebungen aufs Spiel. Durch die Lektüre von Mises wird auch deutlich, weshalb die Sozialisten, ebenso wie die zeitgenössische ‚öko-sozialistische‘ Variante, sich eher für Krieg als für den Frieden einsetzen. Sie erkennen, dass die Kriegswirtschaft und der Kriegssozialismus den Übergang zum umfassenden Sozialismus vorbereiten. Zu welchen Konsequenzen es aber führt, wenn die Kriegsbereitschaft über den Friedenswillen siegt, hat die Geschichte deutlich genug gezeigt.
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Ebenfalls zum Theme Kriegswirtschaft kürzlich erschienen: „Ludwig von Mises über Kriegswirtschaft“, von Antony P. Mueller
Antony Peter Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Versicherungswissenschaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Fulbright Scholar und Associate Professor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Austauschprogramms als Gastprofessor nach Brasilien.
Bis 2023 war Dr. Mueller Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie und Internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS. Nach seiner Pensionierung ist Dr. Mueller weiterhin als Dozent an der Mises Academy in São Paulo tätig und als Mitarbeiter beim globalen Netzwerk der Misesinstitute aktiv. Darüber hinaus ist er wissenschaftlicher Beirat der Partei „Die Libertären“.
In deutscher Sprache erschien 2024 sein Buch „Antipolitik“ (*), 2023 erschien „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit und Wohlstand“(*). 2021 veröffentlichte Antony P. Mueller das Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“(*). 2018 erschien sein Buch „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“(*).
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