Ludwig von Mises über Kriegswirtschaft
12. März 2025 – von Antony P. Mueller
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Nach Fall der Sowjetunion ist es nicht gelungen, eine globale Friedensordnung zu schaffen. Neue Großmachtrivalitäten sind entstanden. Auch in Europa ist man dabei, massiv Aufrüstung zu betreiben. Die globale Arbeitsteilung ist am Zerbrechen. Militärpolitische Interessen gewinnen an Bedeutung. Die Betrachtungen über die Kriegswirtschaft, die Ludwig von Mises (1881 – 1973) 1940 veröffentlichte, gewinnen so neue Relevanz.
In seinem 1940 erschienenen Werk „Nationalökonomie“ findet sich ein Abschlusskapitel zur Kriegswirtschaft, das Ludwig von Mises unter dem Eindruck des beginnenden Weltkrieges geschrieben hat. Dieser Abschnitt wurde in der englischsprachigen Ausgabe von „Human Action“ nicht aufgenommen. Den deutschsprachigen Lesern ist das zentrale Werk von Ludwig von Mises meistens entweder in der englischen Fassung oder in der Übersetzung aus dem Englischen bekannt, wie sie unter dem Titel „Menschliches Handeln. Eine Grundlegung ökonomischer Theorie” 2019 in drei Bänden vom Ludwig von Mises Institut Österreich (mises.at) veröffentlicht wurde. Entsprechend der englischsprachigen Ausgabe von „Human Action“ von 1949 und der darauf beruhenden Scholar’s Edition von 1998 fehlt dort aber das Kapitel über die Kriegswirtschaft, das sich im 1940 erschienen Werk „Nationalökonomie“ findet.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Niederschlagung des deutschen und japanischen Militarismus erschien diese Auslassung gerechtfertigt. Man konnte darauf bauen, dass die von Mises in seiner Nationalökonomie von 1940 geforderte Weltfriedensordnung geschaffen würde. Der Kalte Krieg wurde nicht totalitär, weil sich zwei Atommächte gegenüberstanden, was die gegenseitige Auslöschung bedeutet hätte. Aber mit dem Ende der Sowjetunion hat sich eine neue Konstellation herausgebildet. Der Status der Vereinigten Staaten von Amerika als die superiore Ordnungsmacht währte nicht lange. Mit China ist ein Rivale herangewachsen und in Europa hat die russische Invasion der Ukraine eine neue Konstellation geschaffen. Es gibt keine globale Friedensordnung. Die Kriegsvorbereitungen nehmen zu. Ein neuer Weltkrieg ist möglich geworden. Die Umgestaltung der Marktwirtschaft in eine Kriegswirtschaft nimmt Gestalt an und es geschieht das erneut, wovor Ludwig von Mises vor 85 Jahren gewarnt hat.
Ludwig von Mises beginnt sein Kapitel über die Kriegswirtschaft (Nationalökonomie, S. 723-739) mit dem Satz:
Die Marktwirtschaft ist friedliches Zusammenwirken von Menschen. Sie wird gesprengt, wenn die Bürger zu Kriegern werden und, statt Waren und Dienste zu tauschen, einander bekriegen. (S. 723)
Die Erwartung der Aufklärung eines „ewigen Friedens“ hat sich nicht erfüllt. Das Ende des Feudalismus und der Fürstenherrschaft hatte die Liberalen glauben gemacht, nun würde eine Welt des Friedens anbrechen. Krieg kann nicht im Interesse der Bürger sein, so die Grundthese. Diese können durch Krieg nur verlieren. Die Kosten des Aufwands übersteigen die Erträge – selbst für den Gewinner des Krieges. Die Erwartung war, dass mit der Demokratie eine friedliche Weltordnung einhergehen und der Wohlstand durch die globale Arbeitsteilung sich überall ausbreiten würde.
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Aber die Geschichte hat anderes gezeigt. Obwohl die Menschenverluste in den modernen Kriegen höher sind als die Vergangenheit, halten die Befürworter des Krieges daran fest, dass Kriege der Nation nützen, ja sogar ein Weg zur Mehrung des Reichtums seien. Für diese Kriegstreiber zählen die Toten und Verstümmelten nicht. Die Militaristen lehnen den Frieden ab. Für sie zählt, dass es Krieg immer schon gegeben hat. Für die internationalen Beziehungen gilt nach wie vor, dass Macht auf Gewalt beruht und wer die Macht hat, hat Recht. In den äußeren Beziehungen der Staaten zueinander gelten Verträge nur insoweit, wie sie in Machtstrukturen eingebettet sind. Der moderne Militarismus will, dass die Kriege total werden. Nicht mehr nur Heere kämpfen, sondern ganze Völker.
Der ‚totale Krieg‘ unterscheidet sich grundsätzlich vom herkömmlichen Heereskrieg. Der totale Krieg ist wie der Aufbruch einer Horde zum Raubzug. Die Mobilmachung dafür ist total. Frieden ist nur insofern nützlich, wie er der Vorbereitung des Krieges dient. Die Friedenswirtschaft soll der Bereitstellung der Mittel für den Krieg dienen. Die Wirtschaft muss deshalb schon im Frieden Kriegswirtschaft sein. Sie verlangt die Unterordnung alles Handelns unter die Zwecke der Kriegführung. Der im totalen Krieg stehende totale Staat verlangt Kriegssozialismus.
Der totale Krieg des totalen Staates ist Krieg ohne Gnade und wird durch den totalen Sieg beendet. (S.725)
Das ganze Volk muss mobilisiert werden und das erfordert ausgiebige Propaganda. Die Einführung des Militärzwanges, beschönigend als „allgemeine Wehrpflicht“ bezeichnet, ist der erste Schritt, der vom Heereskrieg wieder in Richtung zum totalen Krieg hinführt. Damit wird die Unterscheidung zwischen Soldaten und Bürgern aufgehoben. Das Militär ist nicht länger nur eine Angelegenheit von Söldnern. Mit der ‚allgemeinen Wehrpflicht‘ wird jeder, der kriegs- oder diensttauglich ist, zum potentiellen Krieger. Die allgemeine Wehrpflicht beinhaltet die allgemeine Dienstpflicht aller arbeitsfähigen Staatsangehörigen. Damit verfügt der Oberbefehlshaber über die Arbeitskräfte. Er entscheidet, wer von den Wehrfähigen Dienst tut und im Kriegsfall wer an der Front und wer für die heimische Produktion unabkömmlich ist.
Der Oberbefehlshaber entscheidet damit, was und in welcher Weise produziert werden soll. Er muss dann auch darüber entscheiden, in welcher Weise die Produkte verwendet werden sollen. Die Mobilmachung ist total geworden; Volk und Staat sind in der Armee aufgegangen; der Kriegssozialismus hat die Marktwirtschaft ersetzt. (S. 728)
Im Kriegssozialismus sind die Unternehmer nicht mehr Unternehmer, sondern Beauftragte,
denen befohlen wird, was und wie sie zu erzeugen haben, wo und zu welchem Preise sie Produktionsmittel zu erwerben haben, an wen und zu welchem Preis sie die Produkte zu verkaufen haben. (S. 728)
Unternehmerische Marktwirtschaft und militärisch gelenkte Kriegswirtschaft stehen im Gegensatz zueinander. Um zu gedeihen, braucht die Marktwirtschaft Frieden. Krieg und Marktwirtschaft sind unverträglich.
Der liberale Gedanken, der die Marktwirtschaft werden ließ, verlangt in folgerichtiger Weiterführung die Herstellung des ewigen Friedens. (S. 730)
Der Kriegssozialismus beginnt schon in Friedenszeiten. Für die Militaristen ist Frieden nur ein Zwischenstadium zu neuen Kriegen. Der nächste Krieg ist unvermeidlich und diese Phasen müssen zur Vorbereitung auf den nächsten Krieg genutzt werden. Der einzige Unterschied zwischen Krieg und Frieden besteht darin, dass die ‚Wehrpflichtigen‘ noch nicht kämpfen. Der Übergang vom Friedenszustand zum Kriegszustand geschieht durch den Befehl der ‚Einberufung‘ der ‚Wehrpflichtigen‘ zum Dienst in der Armee.
Je mehr sich der Militarismus durchsetzt, desto mehr wird die Marktwirtschaft ausgehöhlt.
Der Krieg zerreißt die weltwirtschaftliche Verflechtung der marktwirtschaftlichen Beziehungen und verlangt Autarkie. Aber der Gedanke, der der kriegswirtschaftlichen Rechtfertigung der Autarkiewirtschaft zugrunde liegt, ist widerspruchsvoll. Man will ausländische Produktion durch heimische ersetzen. Ersatz heißt aber, dass diese Stoffe teurer oder weniger brauchbar sind – und meist sowohl teurer als auch weniger brauchbar. Aber für die Kriegswirtschaftler ist dieser Aspekt unbedeutend. Die Erzeugungskosten spielen im kriegswirtschaftlichen Denken eine untergeordnete Rolle. Ihre These lautet:
Das liberalistische Rentabilitätsprinzip verlange niedrige Erzeugungskosten; das heldische Denken kümmere sich nicht um solche mammonistische Ideen. Nur eines gelte: die Unabhängigkeit in der Versorgung mit Kriegsmaterial. (S.734)
Damit ist jedoch ein zweifacher Irrtum verbunden. Erstens ist es nicht richtig, dass es auf die Qualität des Beschaffungsmaterials nicht ankomme und zweitens ist es falsch, dass die Kosten keine Rolle spielen würden. Die Produktion von Ersatzstoffen absorbiert mehr Ressourcen und verschlechtert so die Versorgungslage. Je länger sich ein Konflikt hinzieht, desto schwerer werden sich die Nachteile der Ersatzwirtschaft bemerkbar machen. Selbst vom militärpolitischen Standpunkt aus betrachtet ist Autarkie schädlich, denn sie mindert die industrielle Leistungsfähigkeit des Landes. Wirtschaftliche Abschottung führt zu Teuerungen, und wenn dann noch Preiskontrollen hinzutreten, wird ein weiterer Schritt hin auf die Totalität der Kriegsführung unternommen. Der Kriegssozialismus verdrängt die Marktwirtschaft.
Der totale Krieg drängt … zum Sozialismus. Er nimmt den einzelnen Eingriffen in das Getriebe der Marktwirtschaft nicht ihre Zweckwidrigkeit. Gerade weil diese Eingriffe sich vom Standpunkt der militärischen Befehlshaber, die sie unmittelbar oder mittelbar anordnen, als sinnwidrig erweisen, muss man ihnen weitere folgen lassen, bis man schließlich den Kriegssozialismus erreicht. Der totale Krieg ist mit der ungehemmten Marktwirtschaft unverträglich, die gehemmte Marktwirtschaft ist sinn- und zweckwidrig, so bleibt nur die Planwirtschaft des Sozialismus übrig. Doch auch der totale Krieg vermag dem sozialistischen Wirtschaftssystem nicht Wirkungsmöglichkeit zugeben; jeder Schritt, der zu ihm hinführt, schwächt das Kriegspotential. (S. 737)
Totaler Krieg und totaler Staat gehen Hand in Hand. Kriegswirtschaft zerstört die internationale Arbeitsteilung und das bürgerliche Leben. Das Volk steht unter Waffen und steht so im Widerspruch zur Kultur des Bürgertums. Die Armee wird zum herrschenden Faktor.
Die Epoche der Heereskriege ist vorbei, die des totalen Krieges hat begonnen.
Der totale Krieg ist durch seinen Charakter als Volkskrieg bestimmt. (S. 738/9)
Die Heereskriege waren eine Angelegenheit der Staatsmänner und der Soldaten. Aber die Rückkehr zur totalen Kriegführung hat dem Kriegsproblem eine neue Gestalt gegeben. Da man die Voraussetzungen des begrenzten Heereskrieges der Vergangenheit nicht wiederherstellen kann, gibt es nur noch die Alternative „ewiger Frieden oder totaler Krieg“. (S. 739) Allein die Schaffung einer Weltfriedensordnung, deren Grundlage wirtschaftliche Freiheit ist, kann die menschliche Kultur retten.
Ludwig von Mises Aufruf zu einer weltweiten Friedensordnung ist die eine Schlussfolgerung aus seinen Überlegungen. Es geht darum, den Militarismus aus der Welt zu verbannen, also um den Aspekt der Aggression. Die andere Schlussfolgerung bezieht sich auf die Verteidigung. Hier lautet die Einsicht, dass es gerade im Interesse der wirksamen militärischen Abwehr eines Angriffs liegt, die unternehmerische Marktwirtschaft zu erhalten. Gewinnt die Militärpolitik die Überhand und meint, man müsse auch die Wirtschaft militärisch organisieren, unterliegt sie dem Widerspruch, dass damit die militärische Leistungsfähigkeit selbst geschwächt wird. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf den Krieg, auch in einer bedrohlichen Verteidigungslage, darf nicht die Marktwirtschaft aushebeln. Tut die Politik das, schwächt sie die Kapazität des Landes, sich erfolgreich gegen einen Aggressor zur Wehr zu setzen.
Die Einführung der ‚allgemein Wehrpflicht‘, staatlicher Interventionismus und das Streben nach Autarkie sind nicht nur die ersten Schritte auf dem Weg zum totalen Krieg, sie sind auch insofern widersprüchlich, als sie die Verteidigungsfähigkeit nicht stärken, sondern schwächen.
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Ebenfalls zu diesem Thema kürzlich erschienen: „Zur Ökonomik der Kriegswirtschaft und ihrer Inflation“, von Thorsten Polleit
Antony Peter Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Versicherungswissenschaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Fulbright Scholar und Associate Professor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Austauschprogramms als Gastprofessor nach Brasilien.
Bis 2023 war Dr. Mueller Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie und Internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS. Nach seiner Pensionierung ist Dr. Mueller weiterhin als Dozent an der Mises Academy in São Paulo tätig und als Mitarbeiter beim globalen Netzwerk der Misesinstitute aktiv. Darüber hinaus ist er wissenschaftlicher Beirat der Partei „Die Libertären“.
In deutscher Sprache erschien 2023 sein Buch „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit und Wohlstand“(*). 2021 veröffentlichte Antony P. Mueller das Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“(*). 2018 erschien sein Buch „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“(*).
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