Argentiniens Weg zurück. Javier Mileis stabilisierende Geldpolitik
23. August 2024 – von Stephan Ring
Javier Milei hat nach eigenen Aussagen die erste Phase seiner Politik zur Sanierung des Staates im Juli 2024 erfolgreich beendet. Vorliegend soll daher das Schicksal der Zentralbank Argentiniens, ihre Rettung und ihre Geldpolitik im Mittelpunkt stehen.
Ausgangslage. Drei wesentliche Probleme
In der Ausgangslage bei Amtsübernahme im Dezember 2023 hatte die Zentralbank drei wesentliche Probleme. Zunächst die Dollarschulden des Staates im Ausland, die größtenteils beim Internationalen Währungsfonds (IWF) liegen. Wegen der historischen Zahlungsverweigerungen hat Argentinien sämtliches Vertrauen des Weltkapitalmarktes verspielt. Das sogenannte Länderrisiko Argentiniens, also der Zinsaufschlag auf argentinische USD-Anleihen, ist derart angestiegen, dass über 20 %-Punkte höhere Zinsen gezahlt werden müssten. Verzinsliche USD-Bonds notieren nur noch mit rund 20 % ihres Nominalwertes. Argentinien ist vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Man kann das auch als Glück bezeichnen, weil so eine noch höhere Verschuldung durch die Vorgängerregierungen nicht möglich war. Zudem hat die Vorgängerregierung praktisch alle Auflagen des IWF missachtet, so dass dieser die weitere Auszahlung aus laufenden Programmen gestoppt hat.
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Zweitens hatte die Zentralbank eine Netto-Unterdeckung in ihren liquiden Fremdwährungsreserven von über 11 Mrd. USD, die durch Export- und Importregulierungen und die damit verbundenen Stützungskäufe am Währungsmarkt verursacht worden war. Ihre in Peso lautenden Forderungen gegen den Staat, verursacht durch die mit der Gelddruckmaschine finanzierten Staatsausgaben, waren faktisch wertlos. Sie war überschuldet.
Drittens stand die eigene Währung kurz vor dem Kollaps. Die Inflation betrug – je nach Berechnungsart – zwischen 3.000 % und 17.000 % pro Jahr. Die Preise in den Supermärkten wurden teilweise mehrmals täglich erhöht. Die Bevölkerung hat ihre Pesos sofort wieder für das ausgegeben, was gerade relativ preiswert verfügbar war, unabhängig davon, ob es dem tatsächlichen aktuellen Bedarf entsprach.
Mileis Kampf gegen die Inflation
Milei hat zunächst die Inflation, von ihm als Besteuerung der sozial Schwächsten gebrandmarkt, massiv in Angriff genommen. Ganz Libertärer im Sinne der Österreichischen Schule hat er die Geldmengenausweitung als einzige Ursache und Feind erkannt und vier Quellen definiert, die es auszutrocknen gilt: Erstens das Haushaltsdefizit des Staates. Zweitens die Zinszahlungen der Zentralbank für ihre eigenen Peso-Schulden und für die Sichteinlagen der Finanzinstitute. Drittens spezielle Peso-Bonds des Staates für die ein jederzeitiges Einlieferungsrecht durch die Zentralbank garantiert wurde (sogenannte Puts). Ein Bilanzierungstrick, der allein dem Zweck diente, die wahre Geldmenge zu verschleiern. Und viertens der Ankauf von Fremdwährungsreserven gegen neu zu druckende Pesos.
Die ersten beiden Problembereiche haben er und seine Regierungsmannschaft, zu der auch der Chef der Zentralbank gehört, die insoweit nicht wirklich unabhängig ist, im einfacheren Zugriff. Der Staatshaushalt wurde in einer radikalen Maßnahme bereits wenige Wochen nach Amtsantritt durch Absenken der Ausgaben um 5 %-Punkte des Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf Überschüsse umgestellt und ist seit Januar 2024 jeden Monat positiv.
Die Zentralbank hat die Einlagenzinsen entgegen aller Lehrbuchmeinungen, die bei Inflation ja Zinserhöhungen fordern, drastisch gesenkt. Dies war möglich, weil die private Kreditvergabe in Argentinien praktisch nicht existent war und damit als Transmissionsriemen für Inflationsbekämpfung ohnehin unbrauchbar war. In sechs Monaten ist es gelungen, die zinstragenden Verbindlichkeiten der Zentralbank komplett abzubauen. Was verblieb, wurde im Juni 2024 vom Staat übernommen, um der Zentralbank ihren fiskalpolitischen Spielraum bei der Zinsfestsetzung wieder zurückzugeben.
Die Peso-Bonds im Gegenwert von rund 20 Mrd. USD, die mit jederzeitigem Einlieferungsrecht versehen waren (Puts), konnten Mitte Juli 2024 zu fast 80 % entschärft werden, indem die Zentralbank dieses Einlieferungsrecht vom Bond abgetrennt und den Banken für Pesos im Wert von rund 90 Mio. USD abgekauft hat. Der Rest ist kein echtes Risiko mehr, da die bei der Zentralbank hinterlegten Überschüsse des Staates zur Begleichung ausreichen sollten, so dass keine neuen Pesos mehr gedruckt werden müssen.
Es blieb der Dollarankauf zur Stärkung der Zentralbankreserven. Wie alle sozialistischen Länder mit hoher Inflation hatte Argentinien die freie Konvertierbarkeit des Pesos gesetzlich verboten beziehungsweise stark reguliert, da dies die durch die ungedeckten Staatsausgaben ohnehin angeheizte Inflation durch ständig teurere Einfuhren nur weiter beschleunigt hätte. Zudem hätte jeder Exporteur seine Fremdwährungseinnahmen weitestmöglich nicht in wertlose Pesos getauscht. Die Vorgängerregierungen haben daher Importe durch künstlich niedrige Wechselkurse verbilligt und damit die Fremdwährungsreserven komplett vernichtet. Die Exporteure wurden zwar gezwungen, zu günstigeren Kursen USD in Peso zu tauschen; wie in solchen Szenarien nicht unerwartet, musste aber mehr bezahlt werden, um den Export nicht ganz zum Erliegen zu bringen. Der Umtausch muss ja mindestens das einbringen, was zur Bezahlung der inländischen Kosten, die ihrerseits durch die Inflation ständig steigen, in Peso erforderlich ist. Solche Länder zeichnen sich daher meist auch durch eine negative Handelsbilanz aus, weil sich Export in manchen Bereichen wegen des künstlich gedrückten Wechselkurses nicht mehr lohnt. Zum Gesamtszenario gehört meist auch, dass Importe nur mit Verzögerungen von bis zu 3 Monaten bezahlt werden. So hatte die Zentralbank rund 60 Mrd. USD Importe noch abzudecken.
Milei hat den Peso gleich im Dezember massiv von 300 Peso pro Dollar auf erst 800 und dann 900 Peso pro Dollar abgewertet. Seit Januar beträgt die Abwertung konstant 2 % pro Monat. Unter Berücksichtigung einer Finanztransaktionssteuer beim Umtausch von Peso in USD von 17,5 % war der Wechselkurs damit ungefähr auf dem tatsächlichen Niveau des Schwarzmarkt-Dollars, der in Argentinien blauer Dollar genannt wird.
Die Zentralbank konnte ihre liquiden Fremdwährungsreserven teilweise auch durch Umschuldung auf längerfristige Bonds von minus 11 Mrd. bis auf 0 aufbauen. Der Importrückstau konnte von im tiefsten Punkt, an dem nur 17 % der Importe eines Monats auch in diesem Monat bezahlt wurden, auf fast 80 % Bezahlung reduziert werden. Insgesamt hat die Zentralbank trotzdem knapp 20 Mrd. USD erworben und aktuell Fremdwährungsreserven von knapp 30 Mrd. USD.
Dieser Erwerb musste natürlich mit frisch gedruckten Pesos bezahlt werden, was vorsichtig so gemacht wurde, dass die Geldmenge zwar nominal gestiegen, aber real immer noch geschrumpft ist und damit nicht kontraproduktiv zur fallenden Inflation wirkte. Tatsächlich waren die neuen Pesos natürlich trotzdem inflationstreibend, nur dass eben die Kräfte der Inflationsbekämpfung größer waren.
Mit dem Absinken der monatlichen Inflationsraten auf unter 5 % und der gelungenen Stabilisierung der Zentralbankbilanz war es an der Zeit, auch diese Quelle der Inflation zu schließen. Zwischenzeitlich hatte sich der blaue Dollar wieder vom offiziellen Wechselkurs entfernt. Der Wechselkurs des blauen Dollars betrug im Maximum rund 1.500 Pesos pro Dollar. Eine weitere Abwertung des Pesos kommt für Milei nicht in Frage. Dies würde erneut Inflation importieren und vor allem das sich langsam einpendelnde Gleichgewicht der realwirtschaftlichen Preise wieder stören. Zudem ist das mittelfristige Ziel ohnehin die völlige Freigabe der Wechselkurse und es erscheint ihm bis dahin, dass Planbarkeit für die Marktteilnehmer besser ist als ‚Schein‘-Genauigkeit und ständig hektische Reaktionen auf einen ohnehin immer noch manipulierten ‚Marktpreis‘.
Die Regierung hat zum Verschließen der letzten Quelle beschlossen, jeden Ankauf von Dollar gegen Peso, zu dem die Zentralbank ja verpflichtet ist, um überhaupt Exporte zu ermöglichen, sofort wieder am freien Markt zu neutralisieren und die Dollar wieder zu verkaufen. Der Exporteur braucht eine bestimmte Menge an Peso, um seine inländischen Kosten zu decken. Die Zentralbank muss also zwingend US-Dollar oder andere Fremdwährungen vom Exporteur ankaufen. Anders als die Vorgängerregierungen, die teuer eingekauft und billig verkauft haben, macht die Zentralbank jetzt einen hübschen Gewinn, da sie zum niedrigen offiziellen Kurs einkauft und zum teureren freien Kurs verkauft. In der Spitze hat sie so von jedem angekauften Dollar nur 60 Cent wieder verkaufen müssen, um die gleiche Menge Pesos wieder aus dem Markt zu nehmen, die sie für den Dollareinkauf gedruckt hat. Gleichzeitig führt diese Nachfrage nach Peso zu einer Annäherung des blauen Dollars an den offiziellen Wechselkurs, was das ultimative Ziel Mileis, die Wechselkurse final freizugeben, näher rückt. Hierzu ist schon beschlossen, die Finanztransaktionssteuer in zwei Schritten bis Ende Dezember 2024 vollständig zu beseitigen.
Mit dieser letzten Maßnahme wird die von der Zentralbank emittierte Geldmenge quasi eingefroren. Angeblich in etwa der Höhe der jährlichen Steuereinnahmen. Nach Meinung des Wirtschaftsministers, der in Argentinien auch Finanzminister ist, wird dies zu einem starken Peso führen, da Steuern nur in Peso gezahlt werden können, was die Nachfrage stabilisieren wird. Geld sei eben auch nur eine Ware.
Ganz so eindeutig ist das aber nicht, weil nach wie vor das im Rahmen der wirtschaftlichen Erholung erfreulicherweise ansteigende Privatkreditvolumen Kreditgeld schafft und die Zentralbank Einlagezinsen bezahlt, wenn auch unterhalb der Inflationsrate, so dass die Geldmenge real hierdurch nicht erhöht wird. Insgesamt kann man aber festhalten, dass die Sanierung des Geldwesens damit erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Auslandsschulden
So weit so gut. Allerdings entsteht wie so häufig jetzt ein neues Problem. Woher sollen die Dollar kommen, mit denen die hohen Auslandsschulden bedient werden müssen. Die Zentralbank wird zudem in der zweiten Jahreshälfte saisonal bedingt noch rund 3 Mrd. USD von ihren Reserven verbrauchen. Zwar zeigt der Außenhandel konstant hohe Überschüsse, diese fließen aber nur in Höhe des Zwangsumtausches von 20 % direkt an die Zentralbank, und wie oben geschildert wird hiervon ein großer Teil wieder eingesetzt, um die Geldmenge konstant zu halten.
Das Länderrisiko ist daher wieder deutlich auf rund 1.500 Basispunkte bzw. 15 % p.a. Zinsaufschlag angestiegen. Um dies zu entschärfen, hat Milei die im Januar 2025 fälligen Zinszahlungen für Dollarbonds bereits in New York hinterlegt. Das löst das Problem aber nicht. Es braucht dazu zunächst einen akzeptablen Tilgungsplan mit dem IWF, der gerade verhandelt wird, und schlicht mehr Dollar.
Mit der Freigabe der Wechselkurse bleibt hierfür eigentlich nur noch der Staatsüberschuss, den Milei aber auch für die versprochenen und zum Teil schon fest geplanten Steuersenkungen benötigt, sowie die Überschüsse der Zentralbank aus der Geldpolitik. Die geplanten Privatisierungen dürften nur wenig einbringen, da es sich fast ausschließlich um marode Staatsbetriebe handelt. Lizenzeinnahmen aus Schürfrechten stehen den Provinzen zu.
Es bleibt also spannend, wie und ob es gelingt, auch diesen letzten Baustein zu realisieren und Argentinien wieder Zugang zum Weltkapitalmarkt zu verschaffen, ohne den eine geordnete Abwicklung der aufgehäuften Schulden einschließlich der auflaufenden Zinsen in Höhe von rund 200 Mrd. USD nicht realistisch ist. Es wird ohnehin eine Generation dauern, bis dieses Thema final erledigt werden kann.
Positiv ist allerdings, dass der Verschuldungsgrad Argentiniens Ende 2024 bei nur rund 85 % des BIP liegt. Es sollte also machbar sein, wenn Milei, seine Politik und seine Veränderung der innenpolitischen Kultur in den nächsten Jahren so viel Vertrauen in das argentinische Volk in der Welt erzeugen können, dass Argentinien den Zugang zum Weltkapitalmarkt zurückerhält und langfristig behalten kann.
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Für weitere Informationen zu von Mileis Weg in Argentinien siehe die Beiträge:
Javier Milei: 100 Tage libertäre Revolution
Javier Milei, die ersten 6 Monate | #1
Javier Milei, die ersten 6 Monate | #2
Javier Milei, die ersten 6 Monate | #3
Für tagesaktuelle Informationen in deutscher Sprache sei auf X (vormals Twitter) @JavierMileiDE verwiesen.
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Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
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