Javier Milei, die ersten 6 Monate | #3

15. Juli 2024 – von Stephan Ring

Dies ist der dritte und letzte Teil dieser dreiteiligen Artikelserie. Den zweiten Teil finden Sie hier, den ersten hier.

8. Der Kulturkampf

Neben all diesen Aufgaben widmet sich Milei dem Kulturkampf. In nur wenigen Jahren ist es ihm gelungen, in Argentinien das 100 Jahre gültige Narrativ vom “guten Staat” beinahe vollkommen zu widerlegen. Er nutzt jede Gelegenheit, den Argentiniern wirtschaftliche Zusammenhänge auf verständliche Art zu erläutern. Er geht temperamentvoll und wortgewaltig gegen die unschlüssigen Begründungen der keynesianschen Staatenlenker vor und bringt diese damit auch in der öffentlichen Meinung in die Defensive. Es ist sehenswert, wenn Reporter auf der Straße im Interview versuchen, offensichtlich arme Rentner gegen Milei zu instrumentalisieren, und sich dann von diesen anhören müssen, wie falsch, verlogen und erfolglos die bisherigen Konzepte sind.

Milei zitiert bewusst in jeder Rede und jedem Interview wo immer möglich Bücher und Schriften libertärer Vordenker, wie von Ludwig von Mises (1881 – 1973), Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) oder Murray N. Rothbard (1926 – 1995) und nennt immer auch die jeweilige Fundstelle, um die Argentinier aufzufordern, selbst dort zu lesen.

Dass Inflation eine Besteuerung der Armen ist, gehört in Argentinien mittlerweile zum Allgemeingut. Dass daran allein das Staatsdefizit schuld ist, ebenfalls. Aktuell fängt Milei an, zu erläutern, warum Deflation nicht schlecht sein muss. Was ist schon schlecht daran, wenn die Nahrungsmittel im Supermarkt billiger werden?

In seiner Funktion als “Lehrer der Nation” wird er meines Erachtens seine langfristigste Wirkung erzeugen. Selbst wenn seine Regierung nur von kurzer Dauer sein sollte und seine Nachfolger in die alten Strukturen zurückfallen, Inflation und damit Staatsverschuldung wird in Argentinien nie wieder politisch einfach umsetzbar sein. Er hat eine “populistische Schuldenbremse” geschaffen. Sollte er Erfolg haben, wird dieses Wissen sozusagen in die Genetik der Argentinier eingehen, wie die Angst vor Inflation in die Genetik der Deutschen.

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Sein extremer Fleiß und seine Begabung, im öffentlichen Auftritt die Menschen mitzunehmen, sind herausragend. Als Anekdote zur Verdeutlichung kann die kürzlich erfolgte Veröffentlichung seines Buches zur Volkswirtschaft dienen, in dem er alle Gedanken und Grundlagen seines Handelns zusammenfasst. Nachdem die extrem linkslastige, vom Staat subventionierte jährliche Buchmesse in Buenos Aires seine Buchvorstellung sabotiert hatte, hat Milei kurzerhand eine 11.000 Menschen fassende Konzerthalle gebucht. Die Schlangen für die kostenlosen Tickets waren sehr, sehr lang. Die Halle war komplett mit mehrheitlich jungen Menschen gefüllt, die komplett ausrasteten, als Milei im schwarzen Ledermantel auf die Bühne trat. Nach dem live gesungenen, selbst verfassten Rocksong folgten sie seiner volkswirtschaftlichen Vorlesung, nicht ohne ihn immer wieder mit Applaus und Jubel zu unterbrechen. Ein Professor als Rockstar. Hier kommt es Milei zugute, dass er tatsächlich Frontsänger einer Rolling Stones Cover-Band war, bevor er als Professor Volkswirtschaft unterrichtete.

Wenn sein Konvoi von einer Gruppe Jugendlicher gesichtet wird, kommt es durchaus auch zu tumultartigen Szenen, die in der Art des Jubels an die Beatles erinnern. Man möchte nicht Teil seines Sicherheitsteams sein, wenn er dem Konvoi befiehlt, anzuhalten, um mit der kreischenden Menge Selfies zu machen. Dass fast täglich Grundschüler vor seinem Amtssitz warten, ob Milei ihnen zuwinkt, gehört fast schon zur Folklore.

Ein von ihm eingebrachtes Gesetz zur Abschaffung seiner Rente und der Rentenansprüche aller zukünftiger Präsidenten wurde im Kongress von der linken Opposition abgelehnt. Daraufhin hat er rechtlich unwiderruflich auf seine Ansprüche verzichtet. Er legt alle Bezüge der Politiker aggressiv offen, was zu einem ungewöhnlichen, bisher nicht gekannten Rechtfertigungsdruck führte.

Eine Erhöhung der Bezüge von Senatoren und Abgeordneten um 80 % konnte er zwar nicht verhindern, diejenigen, die dieser Erhöhung zugestimmt haben, sind allerdings massivem Spott der Bevölkerung ausgesetzt, die seit Milei immer weniger Verständnis dafür hat, wenn sich die “Kaste”, wie Milei die Politiker nennt, auf Kosten des Steuerzahlers selbst bedient. Einer der Senatoren hat daraufhin sogar behauptet, er habe nicht mitbekommen, um was es ging, er habe nur versehentlich dafür gestimmt. Ein anderer wurde zur Vorlage diverser Witzbilder, weil er sich bei der offenen Abstimmung weggedreht hat und sein zustimmendes Handzeichen nur etwas mehr als halb über sein Pult hinausreichte.

Das Ansinnen der WHO, als supranationale, demokratisch nicht legitimierte Einheit auf Basis einer selbstdeklarierten Notlage in die Rechte und Freiheiten der Argentinier eingreifen zu dürfen, hat er öffentlichkeitswirksam abgelehnt. Er ist damit nicht ganz unschuldig am Scheitern dieses Versuches der WHO.

In Südamerika, insbesondere im Spanisch sprechenden Teil, ist Milei mit seinen Botschaften Tagesgespräch. Aber er trägt den Kulturkampf auch nach Europa. Dabei lässt er es nicht bei seiner Davoser Rede bewenden. Mit dem spanischen Präsidenten Sánchez liegt er im Klinsch, weil er bei einer Veranstaltung des politischen Gegners, der VOX, als Gastredner ohne Namensnennung auf die Korruptionsermittlungen gegen Sánchez‘ Ehefrau hingewiesen hat. Dazu muss man wissen, dass Sánchez sich vorher massiv in den argentinischen Wahlkampf eingemischt hat und seine Regierungsmitglieder Milei unter Namensnennung als drogensüchtigen Nazi beschimpft haben, was alles ohne Konsequenzen blieb. Während dies an Milei abgetropft ist, ganz in der psychischen Verfassung eines Fußballtorwarts, der er in Argentiniens 4ter Liga war, kann man das von Sánchez nicht sagen. Er hat die “Beleidigung” seiner Frau, gegen die die spanische Justiz tatsächlich ermittelt und die keinerlei Amt in der Regierung oder im Staat innehat, dazu benutzt, den spanischen Botschafter aus Argentinien abzuziehen. Der Schuss ging allerdings nach hinten los, weil Mileis Bekanntheitsgrad und damit auch die Bekanntheit seiner Botschaften in Spanien gestiegen sind, während Sánchez Beliebtheitswerte nach diesem Missbrauch staatlicher Macht für persönliche Zwecke einen weiteren Dämpfer erhielten. Als Sánchez versuchte, die EU in Stellung zu bringen, ist er abgeblitzt.

Auch in Deutschland war Milei schon. Allerdings aus Anlass der Verleihung der Hayek-Medaille an ihn in Hamburg. Der Arbeitsbesuch beim Bundeskanzler war dagegen nur eingeschoben. Wer seine herausragende Rede zu seinem intellektuellen Werdegang anlässlich der Preisverleihung mit Deutscher Simultanübersetzung sehen möchte, kann dies hier tun.

9. Fazit

Das Fazit ist, Milei hat enormen Erfolg. Er ist ein Kämpfer an allen Fronten, und es bleibt zu hoffen, dass ihm die Energie und Gesundheit erhalten bleiben. Mit dem Ley Bases hat er die nächste große Hürde genommen, und in 6 Monaten nach eigener Aussage fünfmal mehr Strukturveränderung umgesetzt oder ermöglicht als jeder Präsident vor ihm. Und er ist noch lange nicht am Ende.

Für Argentinien beginnt nun die zweite Phase seiner Präsidentschaft. Die Wirtschaft muss sich erholen, sonst wird Milei politisch scheitern. Es muss ihm gelingen, nicht nur die Ärmsten der Gesellschaft, sondern vor allem auch den stark gebeutelten und ohnehin nach westlichem Standard nicht wirklich vermögenden Mittelstand mitzunehmen. Solange diese Gruppe an eine stetige Verbesserung glaubt, könnte das Modell Milei eine Wirkung erzeugen, die zeitlich wie räumlich weit über das Argentinien Mileis hinausgeht, vergleichbar dem “Deutschen Wirtschaftswunder” der Nachkriegszeit.

Die Zeichen stehen gut. Die Wirtschaft scheint im April 2024 den Boden erreicht zu haben und sich in Teilen schon wieder zu erholen. Insbesondere die Produktion von Erzen, Öl und Erdgas sowie die Landwirtschaft zeigen Aufwärtsbewegungen. Die Inflation im Lebensmittelbereich hat im Juni 0 % erreicht. Im Energiebereich sind nur noch wenige Subventionen inflationswirksam aufzulösen.

Die zum großen Teil linke Presse und Kommentatoren entwickeln in ihrer Ratlosigkeit mit dem Phänomen Milei aktuell das Narrativ, dass ein Gesetz noch lange keine Umsetzung bedeutet. Diese werde schwer und brauche zu lange, um politisch verwertbare Wirkungen zu entfalten. Milei würde zudem in der Umsetzung auf die Bürokratie angewiesen sein, die zum ganz überwiegenden Teil aus seinen politischen Gegnern bestünde.

Hier könnte jedoch ein doppelter Irrtum vorliegen. Zum einen ist nicht jeder Staatsangestellte der unteren Ebenen gegen Milei. Das zeigen schon die Sicherheitskräfte und das Militär. Zum anderen ist Milei rechtstreu und akzeptiert existierende Verträge. Das Risiko eines Staatsangestellten erhöht sich also vor allem dann, wenn er als Blockierer wahrgenommen werden sollte.

Viel wichtiger erscheint mir allerdings, dass unterschätzt wird, wie wenig Bürokratie für das schlichte Beseitigen derselben erforderlich ist. Es braucht kein neues Formular, für eine abgeschaffte Regelung. Und Milei will nicht anpassen oder nachjustieren, sondern radikal beseitigen. Man muss davon ausgehen, dass von den über 140 Steuern 130 schlicht abgeschafft werden, zumindest soweit es sich um Abgaben an den Zentralstaat handelt. Das “bürokratische” Problem bleibt dann keines der Umsetzung, sondern nur mehr eines des internen Personalabbaus. Die politischen Kommentatoren haben schlicht keinen Erfahrungswert, um beurteilen zu können, wie schnell das Ley Bases umgesetzt werden kann, wenn man einmal von so offensichtlichen Fällen wie der Privatisierung von Staatsbetrieben absieht.

Es bleibt spannend und ich bleibe bei der ursprünglichen Einschätzung. Wir werden eine “Orgie der Deregulierung” und Abschaffung von Bürokratie und Steuern in Argentinien erleben, wie sie es in einer Demokratie wahrscheinlich noch nie gegeben hat. Wann war jemals eine ganze Regierung nur mit der Verkleinerung ihrer Macht beschäftigt? Auch in der Abschaffungsgeschwindigkeit sollte man Milei nicht unterschätzen. Für seine erste Verordnung (DNU) hat er nur 3 Tage gebraucht. Es würde mich nicht wundern, wenn wir noch im Juli ein deutlich größeres Deregulierungspakt zu sehen bekommen.

Er hat auch nicht viel Zeit. Die in- und ausländischen Unternehmer müssen darauf vertrauen, dass es passiert, um zu investieren. Auch liegt in einer Verzögerung der Entschlackung für Milei kein Mehrwert. Der maximale Mehrwert liegt in der Geschwindigkeit. Entweder die Besserung wird bis zu den Zwischenwahlen im September 2025 spürbar, dann wird er an politischer Kraft gewinnen, oder er scheitert in den Zwischenwahlen, dann wird die Umsetzung in seinem Koalitionskabinett möglicherweise schwieriger und jede bereits erfolgte Umsetzung ist ein langfristiger Gewinn.

Wer sich für die laufende Entwicklung in Argentinien interessiert, sei auf den Account  @JavierMileiDE bei X (vormals Twitter) verwiesen, der seit einigen Wochen auf Deutsch nahezu täglich quasi in der Form eines Tagebuchs über aktuelle Entwicklungen der Regierung Milei informiert.

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Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

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Titel-Foto: Quelle: Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft e.V., YouTube @HayekSociety, Hamburger Rede von Javier Milei am 22. Juni 2024 (Deutsche Übersetzung); bearbeitet

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