Javier Milei, die ersten 6 Monate | #1

4. Juli 2024 – von Stephan Ring

Javier Milei ist ein Präsident, der öffentlich auf die großen Ökonomen und Sozialphilosophen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie verweist, insbesondere auf ihren herausragenden Vertreter Ludwig von Mises (1881 – 1973) und den Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek (1899 – 1992), und seine Politiken an deren ökonomischen Erkenntnissen ausrichtet. Es ist nun gut 6 Monate her, seit der libertäre Ökonom Milei als Quereinsteiger in der Politik überraschend Präsident Argentiniens geworden ist. Ein guter Zeitpunkt darzustellen, was bisher geschah, also wie sich Argentiniens Präsident in seiner Regierungspraxis an der Österreichischen Schule orientiert, und eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Die Beitragsserie „Javier Milei, die ersten 6 Monate“ ist in drei Teile aufgeteilt. Im Folgenden lesen Sie den ersten Teil.

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1. Ausgangslage beim Amtsantritt Anfang Dezember 2023

Bei Amtsantritt im Dezember hatte die sozialistische Vorgängerregierung eine überschuldete Zentralbank mit netto Fremdwährungsverbindlichkeiten von ca. 12 Mrd. USD hinterlassen und die Inflationserwartung lag je nach Berechnungsmethode bei 30 % bis 50 % pro Monat oder bis zu 17.000 % im Jahr. Das jährliche Haushaltsdefizit des Staatshaushaltes betrug 5 % des Bruttosozialprodukts und unter Berücksichtigung der Zentralbank sogar bis zu 17 %. Das staatliche Rentensystem ist durch die massenweise Aufnahme von Menschen, die nie eingezahlt haben, praktisch nicht zukunftsfähig.

50 % der Argentinier leben unter der Armutsgrenze und bekommen in irgendeiner Form staatliche Zuschüsse. Geschätzte 10 % sind wohnungslos, und obwohl Argentinien Nahrungsmittel für über 400 Millionen Menschen produziert, hungern 5 Millionen Argentinier. 50 % der Arbeitsplätze sind im verschämt “informell” genannten Bereich. Der Sozialist spricht eben nicht gerne von Schwarzmarkt, wenn er selbst die Verantwortung trägt.

Energie ist bis zu 80 % staatlich subventioniert. Ex- und Import sind mit Bürokratie und sogar Exportzöllen belegt. Letztere sind eine interessante sozialistische Erfindung in Fortentwicklung der Wegzugsbesteuerung. Die Bürokratie ist korrupt.

Gewerkschaften organisieren Massenstreiks, wie sich herausstellt, indem sie die Empfänger von staatlichen Essensgutscheinen unter Androhung von Essensentzug zur Teilnahme an den Demonstrationen zwingen. Politische Streiks mit Totalblockaden von Straßen und Fabriken sind an der Tagesordnung. Es hat sich eine quasi-militärische Streikkultur entwickelt, die die Herrschaft nicht gewählter Gewerkschaftsführer über den Staat sicherstellt. NGOs erhalten ungeprüft immense Gelder aus Steuermitteln, um die Macht und den Luxus der “Sozialoligarchen” zu sichern.

Kurz gesagt: nach 100 Jahren Sozialismus ist das einst zu den wohlhabendsten Ländern der Erde zählende Land ganz unten angekommen. Argentinien hatte nach Aufstellung der Weltbank seit 1950 die meisten Rezessionen aller Länder der Erde. Die Gehälter sind zwischen 2001 und 2023 real um 80 % gesunken.

2. Die ersten Maßnahmen

Für die unmittelbar nach Amtsantritt im Dezember 2023 getroffenen Maßnahmen sei auf den Aufsatz “Javier Milei: 100 Tage libertäre Revolution” verwiesen, der auch als Podcast abrufbar ist. Informativ ist hierzu auch seine Rede an die Nation mit deutschen Untertiteln .

3. “Ley Bases”, der Weg zum ersten Gesetz

Vorliegend soll es aber vor allem auch um das Verständnis des politischen Raums und der verfassungsrechtlichen Grundlagen in Argentinien gehen. Hier sind einige Besonderheiten erwähnenswert, die das Projekt für einen deutschen Beobachter so spannend machen und deren Kenntnis meines Erachtens zwingend erforderlich ist, um die Bedeutung legislativer Schritte beurteilen zu können. Es sei an dieser Stelle die Anmerkung erlaubt, dass die deutsche Presse, sofern sie überhaupt berichtet, entweder vorsätzlich um des kurzlebigen Effekts willen, oder, was ich eher glaube, aufgrund ungenügender Recherche die lokalen verfassungsrechtlichen Besonderheiten unerwähnt lässt und so den aus dem deutschen Verfassungsverständnis kommenden Leser unvollständig bzw. meist sogar völlig falsch informiert.

Argentinien hat seine, nach diversen Putschen in den letzten 100 Jahren mehrfach überarbeitete, Verfassung ursprünglich von den USA übernommen und diese Grundstruktur beibehalten. Das große Land besteht aus 24 Provinzen, die den Staaten der USA strukturell gleichen und von Gouverneuren geführt werden. Der Zentralstaat wird von einem direkt auf 4 Jahre gewählten Präsidenten mit der Möglichkeit einmaliger Wiederwahl geführt.

Die Legislative des Zentralstaates besteht aus einem Parlament, dem Kongress, und einer zweiten Kammer, dem Senat. Die Abgeordneten des Kongresses werden von der Bevölkerung nach dem Grundsatz “one man, one vote” gewählt. Der Senat besteht aus jeweils 3 Senatoren für jede Provinz, wobei 2 Senatoren von der siegreichen Partei und ein Senator von der Partei mit den zweitmeisten Stimmen entsandt wird. Insoweit ist die Abhängigkeit der Senatoren vom jeweiligen Gouverneur größer als in den USA aber nicht ganz so groß wie im Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland.

Die jeweiligen Wahlen finden im selben Rhythmus wie in den USA statt, also mit 2-järigen Zwischenwahlen zu Kongress und Senat, in denen immer ein Teil der Abgeordneten und Senatoren neu gewählt wird.

Die Macht des Präsidenten ist außergewöhnlich groß. Er kann in vielen Bereichen durch Notverordnungen regieren, die Gesetzescharakter haben und aktiv von beiden Kammern außer Kraft gesetzt werden müssen. Solange also nicht beide Kammern dagegen gestimmt haben, bleibt die Verordnung wirksam. Dieser verfassungsrechtlichen Mechanik verdankt Argentinien seine „schnelle Wende“, da Milei mit nur 7 von 72 Senatoren und nur 17 % der Abgeordneten im Kongress faktisch keine legislative Machtbasis hat.

Milei hat wenige Tage nach Amtsantritt eine umfassende Verordnung (die sogenannte „DNU“), die in nahezu alle Lebensbereiche eingreift, vorgelegt, die mit Ausnahme einiger vor allem arbeitsrechtlicher Vorschriften, die von Gerichten gestoppt wurden, immer noch in Kraft ist und die durch das kürzlich ergangene Gesetz “Ley Bases” (“Grundlagengesetz”) nachträglich legitimiert wurde.

Die Gewerkschaften haben in Argentinien eine enorme politische Bedeutung, da ihre umfassenden Mitwirkungsrechte in der Verfassung grundrechtsgleich geschützt sind. Die damit verbundene außerparlamentarische und demokratisch nicht legitimierte Macht ist eine der großen Hürden, die Milei überwinden muss. Ihm hilft dabei, dass ein überwiegender Teil der Bevölkerung vom Machtmissbrauch dieser Gruppe genug hat, und dass er gewillt ist, den Geldhahn an allen unmittelbaren und vor allem mittelbaren Quellen konsequent zuzudrehen und den Kampf an allen Fronten, auch der strafrechtlichen, anzunehmen.

Milei hat im Dezember 2023 versucht, seine Notverordnung als Gesetz bestätigen zu lassen. Damit ist er jedoch in den Verfahrenshürden und von der Opposition für ihn ausgelegten verfahrenstechnischen Fallen schon im Kongress hängen geblieben. Anstelle ein durch viele Änderungen faktisch nicht mehr erkennbares Gesetz zu akzeptieren, hat die Regierung diesen ersten Entwurf wieder zurückgezogen und einen neuen, entschlackten Gesetzentwurf vorgelegt, das sogenannte “Ley Bases” mit immer noch 10 Abschnitten, die in 41 Kapiteln auf 339 Seiten 279 Artikel enthalten.

Ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist die zeitlich, regelmäßig auf ein Jahr, beschränke Abgabe legislativer Macht an den Präsidenten, was, von außen betrachtet, schon vergleichbar einem “Diktator” nach der Struktur des alten Rom ist. Dieses Vorgehen ist in Argentinien aber absolut üblich. Faktisch ist es der erste Akt nach der Wahl eines neuen Präsidenten, dem damit für dessen Regierungsprogramm, das durch seine direkte Wahl ja demokratisch legitimiert ist, diese Macht gegeben wird. Bei Milei hat man allerdings versucht, diese Kompetenzfülle zunächst ganz zu versagen und dann im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses nur stark eingeschränkt zu gewähren.

Der wesentliche Grund, warum Milei überhaupt hoffen konnte, sein Gesetz gegen alle Widerstände und ohne legislative Macht durchzusetzen, ist die Bevölkerung. Milei hat es geschafft durch die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation, die im Mai nurmehr 4,2 % pro Monat beträgt, bei gleichzeitiger sozialer Abfederung und Bekämpfung der sozialistischen Missbrauchsstrukturen eine Zustimmungsquote zu erreichen, die für Präsidenten, die derart harte Maßnahmen durchsetzen, extrem unerwartete ist. Da im Herbst 2025 Zwischenwahlen anstehen, haben alle, die rein politisch motivierte Fundamentalopposition betreiben, ein existenzielles Problem, sollten die hohen Beliebtheitswerte Mileis und seiner Kernmannschaft von zuletzt fast 60 % bestehen bleiben.

Milei schreckt nicht davor zurück, jeden Gegner zu benennen und frontal anzugehen. Durch die sozialen Medien hat er den sozialistisch kontrollierten Medien- und Meinungsapparat umgangen und kann sich direkt an die Bevölkerung wenden. Zudem hat sich die Opposition nahezu aufgelöst. Nur der harte sozialistische Kern von etwa 30 % kann noch als organisiert gelten. Gegen einige Oppositionsführer laufen strafrechtliche Ermittlungen wegen Veruntreuung und Korruption, andere sind bei der Bevölkerung aktuell so unbeliebt, dass ein Comeback unwahrscheinlich erscheint.

Das Gesetzgebungsverfahren in Argentinien geht zunächst von einer Kammer, regelmäßig dem Kongress aus. Da der Präsident ein Veto-Recht hat, ist in der politischen Praxis immer auch ein Gesetzentwurf der Regierung Basis der Entscheidung des Kongresses. Im Rahmen langwieriger Verhandlungen mit den grundsätzlich positiv für Veränderung eingestellten politischen Kräften im Kongress ist es der Regierung gelungen, gegen alle Widerstände der sozialistischen Opposition, das Ley Bases durch die erste Kammer, den Kongress, zu bekommen. Dabei war es eine Taktik der Fundamentalopposition durch Verschleppung und Verfahrensanträge Zeit zu gewinnen, immer in der Hoffnung, dass die Zustimmung der Bevölkerung angesichts der harten Maßnahmen der Regierung doch endlich zurückgehen müsse.

Zudem ist es der Opposition gelungen, die Universitäten, und dort vor allem Teile der Studentenschaft, gegen Milei in Stellung zu bringen. Aufgrund einer bewusst geschürten, irrealen Angst, die kostenlose Bildung werde von der Regierung in Frage gestellt, waren auch Teile der Bevölkerung verunsichert und seine Beliebtheitswerte sanken zwischenzeitlich auf leicht unter 50 %. Man muss konstatieren, dass die Regierung hier zunächst unglücklich agiert hat. Allerdings hat sie schnell umgesteuert und die Gefahr mit aggressiver Öffentlichkeitsarbeit einschließlich schneller Zahlungen im Keim erstickt.

Anders als von der Opposition erhofft, steigen seit Ende der Studentenproteste im März die Beliebtheitswerte der Regierung wieder mit jedem Monat, in dem die Inflation schneller sinkt als erwartet, und mit jeder Aufdeckung eines Bestechungs- und Veruntreuungsskandals der Vorgängerregierungen. Die Verschleppungstaktik der Opposition hatte somit letztlich nur den Erfolg, dass Milei nun das Ranking aller Präsidenten anführt, dessen erstes Gesetz am längsten auf eine Zustimmung des Parlaments wartete.

Begleitend zu den Widerständen im Gesetzgebungsverfahren wurde der außerparlamentarische Widerstand aktiviert. In den ersten Monaten der Amtszeit, beginnend noch im Dezember, wurden insgesamt 3 Generalstreiks ausgerufen. Der letzte vom 8. Mai 2024 war jedoch eine herbe Niederlage für die Gewerkschaften.

Indem die Regierung kurz nach Amtsantritt die Zahlungen an die Bedürftigen nicht mehr über die außerstaatlichen Suppenküchen, sondern direkt an die Bedürftigen und ohne Nachweispflichten geleistet hat, wurden 3 Dinge erreicht. Erstens wurden die “sozialen Mittler” und NGOs, die diese Gelder eingesetzt haben, um die Bedürftigen zu unentgeltlichen Arbeiten, Teilnahmen an Demonstrationen bis hin zur Prostitution zu zwingen, trockengelegt.

Zweitens kommt seitdem ohne Aufstockung der Mittel geschätzt das Doppelte bei den Bedürftigen an.

Und drittens gingen bei der extra neu eingerichteten Beschwerdehotline über 100.000 Beschwerden ein, von denen bislang mehr als 10.000 in strafrechtlichen Ermittlungen gegen die angeblich so “sozialen Helfer” mündeten.

Neben dem Austrocknen des Geschäftsmodells und der drastischen Erhöhung des strafrechtlichen Risikos der Organisatoren hat Milei das Demonstrationsrecht kanalisiert und das Sperren von Straßen mit Streikposten oder die gewaltsame Schließung von Fabriken verboten. Bei diesem letzten Versuch eines Generalstreiks hatten die Argentinier daher bereits so viel Vertrauen in das Funktionieren der polizeilichen Maßnahmen, dass die nicht Streikwilligen sich auch auf den Weg zur Arbeit machten, die sie ja jetzt wieder gefahrlos – trotz Demonstrationen – erreichen konnten.

Darüber hinaus wurde, anders als früher, jedem Staatsbediensteten, der unerlaubt nicht zur Arbeit erscheint, eine Gehaltskürzung in Aussicht gestellt, und die vielen Busunternehmen, die staatliche Zuschüsse zum Betrieb bestimmter Linien bekommen, darauf hingewiesen, dass diese Zahlungen nur bei ordnungsgemäßer Durchführung, die auch kontrolliert wird, erbracht werden.

Als Ergebnis all dieser Maßnahmen war dieser letzte Generalstreik weitgehend wirkungslos. 48 % der öffentlichen Verkehrsmittel funktionierten. 76,6 % der kleinen und mittleren Industriebetriebe arbeiteten und 90,43 % der Einzelhandelsgeschäfte, einschließlich der großen Supermärkte, hatten geöffnet. Die Zustimmungswerte für Milei stiegen auf über 60 %. Über 70 % der Bevölkerung befürworteten seine Maßnahmen.

Die Regierung blieb auch weiterhin nicht untätig. Eine Überprüfung der Armenspeisungen ergab, dass 52,3 % schon nicht ordnungsgemäß geprüft werden konnten. 32 % waren überhaupt nicht vorhanden. Bei fast 25 % stimmten die Angaben nicht mit der Realität überein. So wurde beispielsweise für 500 Personen Essen angefordert, aber es erschienen bei der Kontrolle nur 50 und es konnten auch keine weiteren Bedürftigen nachgewiesen werden. Eine “Armenspeisung” war sogar in einer abgelegenen, ländlichen, abgesperrten Siedlung, zu der es keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, registriert.

Nachdem diese erste Hürde im Gesetzgebungsverfahren genommen war, musste nun der Senat zustimmen. Hier hat Milei ein Druckmittel gegen die Gouverneure, indem er die zentralstaatlichen aber grundsätzlich freiwilligen Zuweisungen noch im Dezember durch schlichte Einstellung der Zahlung, Verrechnung mit Schulden oder fehlendem Ausgleich für die hohe Inflation um real 87 % gekürzt hat. Dabei hat er jede rechtliche Verpflichtung erfüllt. Da das bisherige sozialistische System zum Machterhalt auf diese Zahlungen der Zentralregierung angewiesen war, haben sich die verfassungsrechtlich eigentlich unabhängigen Provinzen mit ihren Ausgaben davon abhängig gemacht. In einem “Pacto de Mayo” (“Mai-Pakt”) hat Milei den Gouverneuren nun vorgeschlagen, die Zusammenarbeit auf eine neue Basis zu stellen. Voraussetzung dafür war allerdings die Zustimmung zum Ley Bases im Senat. Ein neuer Termin für diesen Pakt ist nun für Anfang Juli geplant.

Zusätzlich zur Verschleppungstaktik im Senat wurde auch die Straße wieder aktiv. Interessant ist dabei, dass die gewerkschaftliche Dachorganisation CGT, vergleichbar dem deutschen DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), einen offenen Demonstrationsaufruf für alle Gewerkschaften verweigert hat. Zu der “Niederlage” beim letzten Generalstreik gesellte sich die Angst, das Gesetz könne beschlossen werden und sie damit erneut als Verlierer dastehen, was auch den letzten Schein ihrer formalen, aber tatsächlich nicht gegebenen politischen Neutralität zerstören könnte.

Die zunehmend unter tatsächlichen und strafrechtlichen Druck geratenen Führer der außerparlamentarischen Opposition und die militantesten Gewerkschaften haben dagegen drastische Maßnahmen für den Tag der Abstimmung im Senat angekündigt. Ziel war offenbar, eine Situation wie schon einmal 2017 mit Angriffen auf das Senatsgebäude zu erzeugen, um den verbündeten Senatoren im Senat die Möglichkeit zu geben, die Sitzung wegen der Gefahr eines Sturms des Gebäudes zu vertagen. Der anschließende Vertrauensverlust in die Regierbarkeit Argentiniens sollte zu einem organisierten Bank Run und letztlich zum Sturz der Regierung führen.

Aber die Regierung war vorbereitet. Das Gebiet wurde in den frühen Morgenstunden des Sitzungstages komplett, teilweise mit 3 Meter hohen Metallwänden abgeriegelt. Das Polizeiaufgebot war enorm. Als gegen Abend die ersten Pflastersteine und Molotowcocktails flogen, antwortete die schwer bewaffnete und gepanzerte Polizei mit Tränengas und Wasserwerfer. Es kam zu Verletzten. Eine Polizeieinheit wurde regelecht gesteinigt, bevor sie sich zurückziehen konnte. Das Auto eines Pressevertreters wurde in Flammen gesetzt.

Wie befürchtet wollten die Senatoren der Opposition die Lage “begutachten” und dazu die Sitzung unterbrechen, was ihnen aber nicht gelang.

Laut der Innenministerin Bullrich wurden bei den gewaltsamen Ausschreitungen 29 Personen festgenommen und die Justiz prüft nun den Tatbestand des gewaltsamen Umsturzversuchs. Der angerichtete Schaden beläuft sich auf rund 10 Mio. USD. Es ist angedacht, auch diesen Schaden von den Tätern einzufordern. Teile der Opposition fühlten sich derart sicher, dass sie sich bei Begehung der Straftaten filmten und die Filme ins Netz einstellten. Auf diese Weise konnten einige der Täter identifiziert werden.

Zusätzlich war es im Senat besonders spannend, weil der Fundamentalopposition nur 5 von 72 Senatoren zur Mehrheit fehlten. In einer dramatischen 13-stündigen Marathonsitzung des Senates wurde am Donnerstag, den 13. Juni 2024 um 23:16 die Zustimmung mit vielen von der Regierung zugestandenen Änderungen erteilt. Dabei ergab die Abstimmung ein Patt mit 36:36, das durch die Vizepräsidentin zu Gunsten von Milei aufgelöst wurde. Dieser entscheidende Moment kann hier auf X (vormals Twitter) noch einmal verfolgt werden.

Ganz ohne Blessuren ging es jedoch nicht. So tauschte Milei seinen Stabschef im Laufe der Verhandlungen über das Gesetz aus und ersetzte ihn durch einen politikerfahrenen und gut vernetzten Minister, wobei unklar geblieben ist, ob der Grund dafür nicht regierungsinterne Abhörvorwürfe gewesen sind. Eine Vielzahl von leitenden Beamten haben die Regierung verlassen. Je nach Blickwinkel kann man dies auch positiv sehen, da freiwerdende Stellen mit Personen besetzt werden können, die helfen, Mileis Agenda umzusetzen.

Allerdings ist es der Regierung auch gelungen, durch den Gesetzgebungsprozess die Opposition zu lähmen. Nach der finalen Zustimmung sind innerhalb der Peronisten, die als eine sehr linke Volkspartei mit diversen Flügeln eingeordnet werden kann, welche vor allem der Zugang zur Macht geeint hat, wechselseitige Schuldzuweisungen und Beschimpfungen als Verräter an der Tagesordnung. In der linksgerichteten Presse ist von einer Spaltung des linken Lagers die Rede. Viele Abgeordnete und Senatoren, die 2025 zur Wahl stehen, glauben offenbar nicht mehr daran, mit Cristina de Kirchner oder ihrem Schützling Alberto Fernández eine Wahl gewinnen zu können.

Nachdem der Senat dem Gesetz nur mit Änderungen zugestimmt hat, musste es noch einmal in den Kongress. Dabei sieht die Verfassung Argentiniens zur Vermeidung eines Gesetzgebungspingpongs folgendes Verfahren vor. Ein Vermittlungsausschuss wie in Deutschland existiert nicht. Je nachdem, ob der Senat die einzelne Änderung mit einfacher oder 2/3-Mehrheit beschlossen hat, kann der Kongress sie mit gleicher Mehrheit zurückweisen. Weist er sie nicht oder nicht mit der ausreichenden Mehrheit zurück, gilt die Änderung als beschlossen. Anschließend wird das Gesetz dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt. Eine erneute Behandlung durch den Senat ist ebenso wenig vorgesehen, wie die Möglichkeit des Kongresses, das Gesetz ganz zurückzuziehen.

Diese Abstimmung ist Ende Juni erfolgt. Mit der grundsätzlichen Zustimmung des Senats und der finalen Abstimmung im Kongress ist das Gesetz somit insgesamt ausschließlich vom Präsidenten abhängig. Im Kongress ging es ohnehin nur noch um die konkreten Änderungen des Senates. Faktisch hatte Milei es mit der Zustimmung des Senates geschafft, sein erstes wichtiges Gesetzespaket durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Die kurze, offizielle, etwas pathetische Verlautbarung hierzu kann mit Deutscher Übersetzung auf X (vormals Twitter) hier eingesehen werden.

Zusammen mit der jetzt bestandskräftigen Notverordnung (DNU) vom Dezember 2023 sind mit dem Ley Bases insgesamt 800 Strukturveränderungen, sprich Verschlankungsmaßnahmen des Staates, umgesetzt oder umsetzbar, wobei über 100 dieser Maßnahmen die Abschaffung ganzer Gesetze sein werden, zu der Milei mit dem Ley Bases nun ermächtigt wurde.

Auf dem Index für wirtschaftliche Freiheit wird Argentinien nach Aussage Mileis damit um 90 Plätze steigen und die Gegend von Deutschland erreichen. Für Milei nur ein erster Zwischenschritt auf dem Weg in Richtung Schweiz und Irland und zum finalen Ziel, Argentinien zum freisten Land der Erde zu machen, weil die freisten Länder auch die reichsten mit dem höchsten absoluten Wohlstand für alle sind. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen in der 2ten Phase seiner Regierung hat Milei ein neues Ministerium geschaffen, dass allein diesem Ziel verpflichtet ist. Es soll keine Ablenkung durch andere Aufgaben geben.

Ende des 1. Teils der 3-teiligen Artikelserie. Der zweite Teil erscheint am Freitag, den 12. Juli 2024.

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Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

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Titel-Foto: Quelle: Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft e.V., YouTube @HayekSociety, Hamburger Rede von Javier Milei am 22. Juni 2024 (Deutsche Übersetzung); bearbeitet

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