Unternehmer im Treibsand aus Bürokratie und Politik
21. Oktober 2020 – von Rainer Fassnacht
Unternehmer sind einerseits Entdecker und andererseits Risikoträger. Ihnen kommt eine wichtige ökonomische Funktion zu.
Unternehmer sind nur erfolgreich, wenn sie ihr Tun an den Kundenwünschen ausrichten. Daher ist ihr Wirken – auch ohne Corporate Social Responsibiliy (CSR) Aktivitäten – ‚sozial‘ im wahrsten Sinne des Wortes.
Unternehmer dienen so per se dem Gemeinwohl. Doch trotz ihrer wichtigen ökonomischen und sozialen Funktion leiden Unternehmer unter einem schlechten Image. Dies ist ein Indiz, dass die wahren Aufgaben und die Rolle der Unternehmer in einer Marktwirtschaft oft nicht bekannt sind oder missverstanden werden.
Auf den ersten Blick hat dieses Imageproblem „nur“ psychologischen Charakter. Doch es trägt – neben anderen Faktoren – zu weiteren Problemfeldern bei, die erfolgreiches Unternehmertum konkret erschweren oder gar verunmöglichen: Unternehmer versinken im Treibsand aus Bürokratie und Politik – und sie sind teilweise selbst schuld daran.
Indizien für einen gefährlichen Trend
Der Versuch, alle Indizien für den gefährlichen Trend aufzuzählen, würde den Rahmen eines Artikels sprengen. Die nachfolgende Auswahl ist daher notwendigerweise subjektiv und unvollständig bzw. zeigt nur die Spitze eines Eisbergs.
Dabei können wir zwei Bereiche betrachten: Einerseits jene Stolpersteine, die Unternehmer bei Aktivitäten im Unternehmen und andererseits jene, die sie außerhalb des Unternehmens überwinden müssen. Zu den „internen Stolpersteinen“ gehören z.B. Regelungen, welche die Suche, Beschäftigung und Entlassung von Mitarbeitern erschweren.
Stellenausschreibungen zu schreiben, ist schon beinahe eine Kunst. Der kurze und verständliche Text „Wir suchen einen erfahrenen Maurer“ kann bereits zu einer Diskriminierungsklage führen. „Maurer“ durch Maurer*in, MaurerIn oder Maurer/in zu ersetzen oder um „m/w/d“ zu ergänzen macht den Text zwar weniger gut lesbar (und führt dazu das dieser nicht mehr normal ausgesprochen werden kann), erhöht aber die Rechtssicherheit.
Ohne den Treibsand aus Bürokratie und Politik würde der Unternehmer anschließend mit dem ausgewählten neuen Mitarbeiter sprechen und Arbeitszeiten, Urlaub und Lohn mit ihm frei vereinbaren – und zwar so, dass beide Vertragspartner damit einverstanden sind. Leider ist dies ein Traum. In der Realität gibt es zahlreiche rechtliche Regelungen, welche die Vertragsfreiheit in Bezug auf Arbeitszeiten, Urlaub und Lohn einschränken – am bekanntesten dürfte der Mindestlohn sein.
Kommt das Unternehmen in Schwierigkeiten und der Unternehmer ist gezwungen, einen Mitarbeiter zu entlassen, greifen erneut zahlreiche rechtliche Beschränkungen. Ein Beispiel ist die Notwendigkeit, unter bestimmten Bedingungen einen aufwändigen Sozialplan erstellen zu müssen.
Wie bereits erwähnt sind diese „internen“ Beispiele nur einige wenige Körner des Treibsands, in welchem Unternehmer zu versinken drohen. Die „externen“ Stolpersteine umfassen beispielsweise Regelungen, welche Nachweise und Zertifizierungen für bestimmte Produkte, deren Hersteller oder Vertriebsstellen vorschreiben. Auch Regelungen, welche die Ausstattung und Öffnungszeiten von Geschäften oder die Kennzeichnung der Produkte im Geschäft betreffen, gehören zu diesen Stolpersteinen.
Ein Praxisbeispiel zur Verdeutlichung: Ein Teegeschäft hat bei der Angabe des Preises pro Gewichtseinheit die Einheit Gramm mit „gr“ abgekürzt. Weil nicht die Abkürzung „g“ verwendet wurde führte dies zu einer beachtlichen Strafzahlung. Kein Kunde hatte einen Nachteil und keiner wäre auf die Idee gekommen, es könnte vielleicht „Grenze“ gemeint sein (wofür die Abkürzung „gr“ laut einem bekannten Onlinelexikon steht). Ein anderes Beispiel finden Sie hier.
Die Formulierung einer Unternehmerin in meinem Bekanntenkreis bringt es auf den Punkt: „Früher garantierte ich dem Kunden mit Handschlag für die Qualität meines Produktes und stand persönlich dafür ein. Heute wiegt der rechtlich vorgeschriebene Papierstapel, den ich für das Produkt ausfüllen muss, genauso viel wie das Produkt selbst.“
Inzwischen ist ein beachtlicher Anteil der Mitarbeiter von Unternehmen nicht im produktiven Bereich tätig, sondern notwendig, um die Fülle rechtlicher Auflagen erfüllen zu können.
Welche „Treibsand-Gewinner“ gibt es?
Wenn der Treibsand aus Bürokratie und Politik die Unternehmer immer stärker bedroht, stellt sich die Frage: Cui bono? Wem nützt diese Entwicklung? Es muss Gewinner einer solchen Entwicklung geben, sonst wäre nicht zu erklären, warum Unternehmer bei ihrem wichtigen Beitrag für das Gemeinwohl behindert werden.
Gewinner der geschilderten Entwicklung sind beispielsweise jene Mitarbeiter, die nur deswegen einen Arbeitsplatz haben, weil ihre Arbeit notwendig ist, um die Fülle rechtlicher Auflagen zu erfüllen. Teilweise sind ganze Abteilungen eines Unternehmens ausschließlich für solche Zwecke notwendig – Geldwäscheabteilungen in Banken sind ein Beispiel.
Ein anderes Beispiel sind Unternehmen die es als Ganzes nur aufgrund staatlicher Vorgaben gibt. Beispielsweise solche, welche anderen Unternehmen bei der Beantragung von A1-Bescheinigung bei Geschäftsreisen von Arbeitnehmern aus Deutschland helfen (diese sind als Nachweis erforderlich, dass der Arbeitnehmer weiterhin in der deutschen Sozialversicherung versichert ist).
Weitere Gewinner sind Dienstleister, die sich auf das „Erklären“ teilweise unverständlicher, missverständlicher oder nicht eindeutiger rechtlicher Vorgaben spezialisiert haben. Ein Beispiel hierfür sind Berater für die Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung.
Mitarbeiter im öffentlichen Dienst – seien es nun Arbeiter, Angestellte oder Beamte – gehören zweifellos zu den Treibsand-Gewinnern. Eine fünfstellige Strafzahlung für das Teegeschäft kann (insbesondere in der derzeitigen Situation) den Todesstoß für das Geschäft und für die Mitarbeiter den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Der Mitarbeiterin des Ordnungsamts kann das egal sein, es gibt mehr als genug zu kontrollieren.
Die größten Gewinner dürften in der Politik zu finden sein. Jene Regelungen, welche den Unternehmern das Leben schwer machen, wurden nicht selten als Reaktion auf einen Einzelfall geschaffen. Die Politik vermittelt den Eindruck: Schaut her – es gab ein Problem und wir haben es gelöst.
Dass die Nebenwirkungen um ein Vielfaches schlimmer sein können – und oft sogar genau das Gegenteil des gewünschten bewirken – ändert nichts daran, dass Politiker mit solchem Tun ihr Macher-Image stärken können und somit die Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl erhöhen.
Hier wirkt zusätzlich das negative Image der Unternehmer. Den Unternehmen das Leben schwer zu machen, wird von den Wählerinnen und Wählern häufig nicht kritisch gesehen, weil deren Rolle für das Gemeinwohl unverstanden bleibt.
Ebenfalls zu den Gewinnern zählen diverse Interessenvertretungen. Durch Einflussnahme auf die Politik kann es gelingen, dass eigene Ziele Gesetzeskraft erlangen. Die Regelungen müssen anschließend von Unternehmern – zum eigenen Schaden und zu Lasten des Gemeinwohls – umgesetzt werden. Sofern später Nachteile offensichtlich werden, lässt sich der ursprüngliche Verursacher nicht erkennen.
Welche Verantwortung für die Entwicklung tragen die Unternehmer selbst und andere Beteiligte?
Sind die Unternehmer nur Opfer der geschilderten Entwicklung oder tragen Sie selbst eine Mitschuld? Und welche Verantwortung kommt anderen Mitspielern dabei zu?
Offensichtlich haben die zuvor genannten Gewinner keinen Anreiz, darauf hinzuwirken, dass die bürokratischen und politischen Lasten für die Unternehmer verringert werden – das Gegenteil ist der Fall. Nur wenn den Menschen klar wäre, dass Stolpersteine für die Unternehmer dem Gemeinwohl schaden, würde sich daran etwas ändern.
Bleibt die Frage, warum die Unternehmer und in deren Namen agierende Verbände dem Treiben nicht stärker entgegentreten. Wo bleiben die Bemühungen, den Beitrag der Unternehmer für das Gemeinwohl bekannter zu machen und vor allem; wo bleiben die klaren Statements gegen eine weitere Bürokratisierung und Politisierung? Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage:
Eine Antwort lautet: Es gibt auch Unternehmer, die von mehr Bürokratie und stärkerer Politisierung profitieren. Beispiele wurden weiter oben bereits genannt. Mit der Zunahme der belastenden Regelungen nimmt auch die Anzahl solcher „Unternehmer“ zu, die im Treibsand versinken und zugleich selbst ein Teil des Treibsands sind.
Andere Unternehmen profitieren beispielsweise von der politisch gewollten Umstellung auf regenerative Energie oder Elektrofahrzeuge. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Unternehmen der Politisierung nichts entgegensetzen, solange sie davon ausgehen, dass ihr Einfluss auf die Politik Regelungen im eigenen Interesse ermöglicht. Im Extremfall bringen Vertreter von Unternehmen sogar Gesetzesvorlagen ein.
Andererseits ist es erstaunlich, dass die großen etablierten Automobilunternehmen nicht interveniert haben, als rechtliche Vorgaben diskutiert wurden, deren Umsetzung mit der bestehenden Technik und/oder Kundenwünschen kollidiert.
War es Angst, das Wohlwollen der Politik zu verlieren? Jedenfalls wurde getarnt und getäuscht, statt Widerstand zu leisten. Die Hoffnung auf Staatshilfe oder -beteiligungen mögen ein weiteres Argument sein, warum Unternehmer nicht versuchen, dem Treiben Einhalt zu gebieten.
Dass die Industrie- und Handelskammern als „Vertreter der Wirtschaft“ mehr als zurückhaltend agieren, überrascht weniger. Einerseits werden diese mit Zwangsbeiträgen der Unternehmen finanziert und verdanken ihre Existenz der Politik. Andererseits sind Unternehmen mit teilweise gegensätzlichen Interessen unter einem Dach zwangsvereint – diese neutralisieren sich gegenseitig.
Die Unternehmer tragen durch ihre ausbleibende Reaktion eindeutig eine Mitschuld an der Entwicklung. In „Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens“ schreibt Ludwig von Mises (1881-1973) passend dazu:
Kein äußerer Feind wird die kapitalistische Kultur zerstören, wenn sie sich nicht selbst zerstört.
Unternehmer sollten daher im eigenen Interesse ihre „Zurückhaltung“ gegenüber dem Treibsand aus Bürokratie und Politik dringend überdenken.
Die Hauptschuld für die gefährliche Entwicklung liegt jedoch zweifelsfrei auf Seiten der Politik. Hierzu noch einmal Ludwig von Mises (aus Kritik des Interventionismus):
Die heute herrschende etatistische und interventionistische Politik war es, die die großen Unternehmungen genötigt hat, sich in immer steigendem Maße zu bureaukratisieren.
Heute treffen die Bürokratisierung und Politisierung große und kleine Unternehmen gleichermaßen. Der Trend zur kontinuierlichen Ausweitung staatlicher Vorgaben ist ungebrochen, ein Silberstreif am Horizont leider nicht in Sicht.
Rainer Fassnacht ist gelernter Kaufmann, Diplom-Ökonom und Wirtschaftspraktiker. Er lebt in Berlin und ist familiengeschichtlich mit Österreich verbunden, genau wie als Vertreter der von Carl Menger begründeten Österreichischen Schule. Mit seinem Buch „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“ möchte er, auch Social-Media-geprägten Lesern, die Ideen der österreichischen Schule näherbringen. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten Texten, setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
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