Vernunft versus Emotion: Aus einer Zeit jenseits der Ratio

13. Januar 2020 – Wie aus der Realpolitik über den Wertewandel ein moralischer Imperativ wurde

von Ralph Malisch

[Dieser Beitrag ist der Smart Investor-Sonderbeilage „Schöne neue Welt. Über Geldsozialismus und Kulturmarxismus“ entnommen, die zusammen mit der Dezember-Ausgabe des Magazins erschienen ist. Bestellen können Sie die Sonderbeilage zum Preis von 5 Euro zzgl. Versandkosten unter info@smartinvestor.de]

Lange gepflegte Abneigung

Ralph Malisch

Strömungen, die vor wenigen Jahrzehnten noch vergleichsweise hilflos als Wertewandel eingeordnet worden waren, haben in den letzten Jahren auf atemberaubende, ja unheimliche Weise an Fahrt aufgenommen. Hatte früher die Realpolitik als Scharnier zwischen dem Wünschenswerten und dem Möglichen dominiert, wurde diese Bastion der Vernunft längst geschleift. Am deutlichsten war dieser Wertewandel wohl in der wachsenden Abneigung gegenüber Wirtschaft, wirtschaftlichen Themen und der Funktionsweise des Marktes zu beobachten. Geldvermehren oder gar Spekulation gelten inzwischen als das ultimativ Böse. Allerdings hatten selbst gewöhnliche Marktprozesse und das Unternehmertum an sich beim sogenannten Bildungsbürgertum schon immer einen schweren Stand im Lande. Manch einer konnte die Zusammenhänge nicht verstehen, aber es wurde zunehmend schick, sie gar nicht erst verstehen zu wollen. Der sogenannte Wertewandel war daher nicht ganz die ergebnisoffene Grass-Roots-Bewegung von Sinnsuchern, als die er gerne beschrieben wurde. Besonders in der Rückschau werden die starken kulturmarxistischen Einflüsse deutlich. Wer die Köpfe gewinnen will, aber die schlechteren Ideen hat, der muss fast zwangsläufig im Gefühligen und Unbestimmten bleiben. Mit dem sichtbaren Rückzug der Bildungsbürger ist die Marktfeindlichkeit sogar noch aggressiver und diffuser geworden. Die Geister, die die Champagner-Sozialisten einst riefen, sind längst in noch groteskeren Erscheinungsformen angekommen – etwa als Big-Mac-fressende Globalisierungsgegner.

Psychohygiene der Erfolglosen

Die Abneigung gegen den Kapitalismus dürfte sich im Wesentlichen aus zwei Quellen speisen: Zum einen war und ist der Neid ein Meister in Deutschland. Wer erfolgreich wirtschaftet – und das sind beileibe nicht alle, die sich als Unternehmer versuchen und dabei ein hohes persönliches Risiko des Scheiterns auf sich nehmen –, ist den weniger Erfolgreichen schon ganz grundsätzlich suspekt. Daneben ist es höchst praktisch für das eigene Versagen, andere oder „das System“ verantwortlich zu machen – Neid und Projektion als Psychohygiene der Erfolglosen. Schon Ludwig von Mises widmete vor über 60 Jahren in seiner noch immer brandaktuellen Schrift „Die Wurzeln des Antikapitalismus“ dem „enttäuschten Ehrgeiz als Ursache des Ressentiments“ einen eigenen Abschnitt. Bereits damals waren die meisten Einwendungen gegen den Kapitalismus nicht sachlicher Natur, sondern entsprangen Gefühlslagen. Neu ist lediglich, dass sich das antikapitalistische Ressentiment nun auf allen Ebenen und in einer kaum noch zu unterbietenden Substanzlosigkeit Bahn bricht.

Kein Wunder, aber ein Glück

Wie tief die Unkenntnis über marktgesteuerte Wirtschaftssysteme sitzt, zeigte sich schon an dem Begriff „Wirtschaftswunder“, der für die bundesdeutsche Nachkriegswirtschaft so prägend wurde. Von Ludwig Erhard ist bekannt, dass er diesen ablehnte, denn mit einem „Wunder“ hatten die Ergebnisse seiner Reformen herzlich wenig zu tun. Dennoch war seine Person ein Glücksfall der deutschen Geschichte – freilich ein Glück, das schon damals nicht jeder annehmen konnte. Marion Gräfin Dönhoff, Mitherausgeberin der Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“, ereiferte sich regelrecht: „Wenn Deutschland nicht schon eh ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem vollkommen absurden Plan, alle Bewirtschaftungen in Deutschland aufzuheben, würde das ganz gewiss fertigbringen. Gott schütze uns davor, dass der einmal Wirtschaftsminister wird. Das wäre nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands die dritte Katastrophe.“ Gewaltige Worte, gewaltig falsch.

Demontieren und verschweigen

Wie weit wir uns inzwischen von Erhard entfernt haben, zeigt die Art des Umgangs, sofern sein Vermächtnis überhaupt noch ein Thema ist. Aktuellere Literatur erklärt den Menschen nicht etwa das „Wirtschaftswunder“, nein, sie reibt sich an dessen Initiator. Das kommt nicht von ungefähr, denn der heutige, allzuständige Nanny-Staat, eine Art Vorhölle des Sozialismus, steht im diametralen Gegensatz zu den Werten von Freiheit und Selbstverantwortung. Der „Weg zur Knechtschaft“, so der Titel eines der bekanntesten Bücher Friedrich August von Hayeks, ist eine Autobahn geworden. Tatsächlich waren Erhards Weichenstellungen derart erfolgreich, dass die Ergebnisse heute geradezu märchenhaft erscheinen: Trotz zweier verlorener Weltkriege und zweier Währungsreformen konnten sich die Menschen eines stetig wachsenden Wohlstands erfreuen und schafften es sogar mit nur einem Haushaltseinkommen vergleichsweise oft in die eigenen vier Wände. Spätestens da wird klar, warum die nüchternen Zahlen und Fakten der Erhard-Ära aus der Diskussion verschwunden sind und wir stattdessen heute lieber mit kulturmarxistischen Orchideenthemen traktiert und abgelenkt werden. Eine besondere Form der Ablenkung stellt übrigens die Behauptung dar, wir lebten im Raubtierkapitalismus – was angesichts absurd hoher Staatsquoten ein schlichtes Ding der Unmöglichkeit ist. Wenn hier jemand die Krallen nach den Bürgern ausstreckt, dann ist es der Turbogeldsozialismus.

Höchst relevantes Metathema

Dass wir uns inzwischen von einer Realpolitik auf Basis einer Verantwortungsethik – also im Zweifel etwas, das tragfähig ist und nachhaltig funktioniert – zugunsten einer Gesinnungsethik auf Basis eines moralischen Imperativs – also etwas, das weder tragfähig ist noch funktioniert – verabschiedet haben, ist aktuell auf vielen Politikfeldern zu beobachten. Insofern hat das Ludwig von Mises Institut Deutschland mit seiner diesjährigen Jahreskonferenz unter der Überschrift „Logik versus Emotion“ ein höchst relevantes Metathema ausgesucht. Selbst Gesetze sind immer seltener logisch nachvollziehbare Maßnahmen zur Behebung eines tatsächlichen Missstands als vielmehr eine Art Schaufensterpolitik auf der Grundlage nicht hinterfragbarer Glaubenssätze. Im Ergebnis beobachten wir das, was Dr. Thorsten Polleit auf der Konferenz als einen „immer aggressiveren Frontalangriff auf die Freiheit unserer Gesellschaft“ charakterisierte.

Befehlswirtschaft ahoi!

Mit Beiträgen und Interviews von/mit Thorsten Polleit, Gunther Schnabl, Natalie Vein, Antony P. Mueller, Gerd Habermann, Raymond Unger, Martin Rhonheimer, Andreas Marquart, Carlos A. Gebauer, Markus Krall, Robert Vitye und Gunnar Kaiser

Damit hatte Polleit (vgl. Beitrag auf S. 10) schon ein wesentliches Stichwort geliefert – das Verdrängen der Ratio nämlich ist eben kein spontanes oder zufälliges Ereignis, sondern hat Methode. Spätestens dann, wenn einem nun allerorten der Sozialismus – also allen Ernstes der Sozialismus – als ultimativer Problemlöser verkauft wird, sollten die Alarmglocken schrillen. Denn diese Ideologie ist ganz grundsätzlich eine schlechte Idee (siehe Interview mit Dr. Markus Krall ab S. 28), und das hat sie in der Geschichte auch zur Genüge bewiesen. Es ist daher nur konsequent, dass jene, die jetzt – unter welchem Vorwand auch immer – den Systemwechsel fordern, die Auseinandersetzung auf der Ebene von Sachargumenten und Empirie scheuen und sich stattdessen über die Emotion in die Herzen der Menschen manipulieren. Wie konnte es passieren, dass die Politik und – was fast noch schlimmer ist – auch die meisten Medien zunehmend den gesunden Menschenverstand ausgeschaltet haben, fragte sich der Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland, Andreas Marquart. Dabei gehe es nicht um „Peanuts“, sondern um Themenfelder von elementarer Bedeutung: Geld- und Europolitik, Migration, Klima – allesamt Themen, bei denen wir auf der Basis eines nur angemaßten Wissens mit großen Schritten in Richtung Befehlswirtschaft marschieren.

Gier nach dem guten Gefühl

Gerade die Deutschen scheinen besonders anfällig für irrationale Lösungen zu sein, die sich aber irgendwie gut anfühlen. Dieser regelrechten Gier nach dem Gefühl, ein guter Mensch zu sein, spürte der Berliner Autor und Künstler Raimund Unger (siehe Interview auf S. 20) nach. Er zeichnete ein hoch spannendes Psychogramm der deutschen Gesellschaft, wobei er ein transgenerationales Kriegstrauma identifizierte, das sich heute in der Generation der Babyboomer Bahn bricht. Der Mechanismus wurde von Sigmund Freud noch als „Gefühlserbschaft“ bezeichnet, ist aber auch mit den aktuellen Erkenntnissen der Epigenetik kompatibel: Stressmarker werden demnach „angeschaltet“, um Folgegenerationen zu warnen. Wie diese dann damit umgingen, sei eine Frage ihrer Resilienz. Die internalisierte „toxische Scham“ sitze aber sehr viel tiefer als ein Schuldgefühl und eröffne den Betroffenen keine Handlungsoptionen; sie müsse daher ein Leben lang kompensiert werden. Im Ergebnis seien in der Kriegsenkelgeneration daher massenhaft bedürftige, narzisstische Persönlichkeiten anzutreffen, die sich durch ihre Hypermoral selbst stabilisierten – ein neuer und origineller Erklärungsansatz für die zu beobachtende Emotionalisierung und Infantilisierung der deutschen Gesellschaft.

Die gescheiterte Idee, die nie stirbt

Unabhängig von den deutschen Befindlichkeiten ist der Sozialismus im Windschatten einer kräftig geschürten Klimahysterie aktuell aber auch weltweit auf dem Vormarsch. Das laufe nach dem immer gleichen Muster in drei Phasen ab, wie Professor Philipp Bagus mit Bezug auf das Buch „Socialism: The Failed Idea That Never Dies“ von Kristian Niemietz ausführte. Nach den Flitterwochen – die Zeit, in der haufenweise westliche „Intellektuelle“ in frisch entstandene sozialistische Paradiese pilgern – kommt es unweigerlich zur Ernüchterung, die mit Durchhalteparolen überspielt wird: Man könne eben kein Omelett backen, ohne Eier zu zerschlagen. Nach dem unausweichlichen endgültigen Scheitern werde dann von den gleichen Intellektuellen festgestellt, dass es sich gar nicht um echten Sozialismus gehandelt habe. Beim nächsten Versuch in dieser Endlosschleife ist dann natürlich wieder einmal alles ganz anders.

Samtpfoten-Marxismus

Was diesmal tatsächlich anders ist? Dass der Marxismus seinen Herrschaftsanspruch nicht durch blutige Umstürze einfordert – zumindest noch nicht. Vielmehr komme er in Form des Kulturmarxismus auf „Samtpfoten“ daher, wie Dr. Antony P. Mueller aus Brasilien auf der Konferenz ausführte (siehe S. 16). Der Kulturmarxismus ist dabei die Umkehrung von Marxens Diktum „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ in „Das Bewusstsein bestimmt das Sein“. Die Revolution beginnt, böse gesagt, nicht mehr mit dem leeren Teller, sondern mit dem leeren bzw. einem mit kulturmarxistischer Theorie vollgestopften Kopf, was aber in der Praxis auf dasselbe hinausläuft. Und noch ein Unterschied lässt sich ausmachen: Der Vormarsch des freiheitsfeindlichen Kollektivismus ist aktuell nicht auf einzelne Länder wie Venezuela beschränkt, sondern es handelt sich um ein globales Phänomen. Besonders aufgegangen scheint die Saat bei Kindern und Jugendlichen zu sein, die über Jahre durch die Mühlen staatlicher Bildungseinrichtungen gedreht wurden. Damit wächst nun eine vom kapitalistischen Wohlstand verwöhnte Generation heran, die – und das ist eine echte Premiere – erstmals selbst den Staat um mehr Bevormundung und eine höhere Besteuerung regelrecht bekniet – ein Meisterwerk der Manipulation!

Fazit

Die Themen Kulturmarxismus, Geldsozialismus, Ratio und Emotion haben im Westen eine bedrückende Aktualität erlangt. Dass eine „gemeingefährliche Ideologie“ (Polleit) wie der Sozialismus erneut solchen Zulauf findet, obwohl sie noch jedes Mal in der Praxis gescheiterte, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass wir uns nicht länger in einem Wettstreit der Ideen befinden, sondern die besseren Ideen (Ludwig von Mises) nun gegen diffuse Gefühle antreten müssen – eigentlich ein aussichtsloser Kampf.

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Hier können Sie alle Vorträge der Konferenz „Logik versus Emotion. Warum die Welt so ist, wie sie ist“ sehen:

 

Schon als Jugendlicher wurde das Interesse von Ralph Malisch (geb. 1965) für die Börse geweckt, als der damals 17-Jährige André Kostolanys “Wunderland von Geld und Börse” unter dem Weihnachtsbaum fand. Nach Abschluss seines BWL-Studiums (die Abneigung gegen die Mainstream-VWL hatte er von Kostolany) führten ihn seine beruflichen Stationen über die Kapitalanlagestrategie einer Versicherung, die kaufmännische Leitung eines Mittelständlers und die Vermögensverwaltung eines Family Offices zu Smart Investor. Er ist von Anfang an dabei und ein “Österreicher” mit Leib und Seele.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Fotos: Smart Investor

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