Freiheit und Recht. Die politische Philosophie Anthony de Jasays

19. Juli 2024 – von Burkhard Sievert

Dieser Artikel beruht auf dem Vorwort des Autors zu dem von ihm ins Deutsche übersetzten Buch „Politische Philosophie. Essays über Freiheit und Fairness, Eigentum und Gleichheit, klar und präzise“ (*) und wurde für die Veröffentlichung als Artikel geringfügig redaktionell bearbeitet.

Der gesetzgebende, subjektive Rechte schaffende und durchsetzende Staat ist eine historisch bedingte Institution, nicht eine logische Notwendigkeit. Es lohnt sich immer, den Ursachen und Gründen für seinen Fortbestand nachzugehen.
Anthony de Jasay[1]

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Anthony de Jasay wurde am 15. Oktober 1925 in Ungarn geboren und musste 1948 aus seiner Heimat fliehen. Die Umstände seiner Flucht warfen in ihm viele für die politische Philosophie grundlegende Fragen auf: Was rechtfertigt Zwang? Wann, wenn überhaupt, ist der Einsatz von Staatsgewalt legitim? Was, wenn überhaupt, begrenzt die Ausweitung und den Missbrauch staatlicher Macht? Ausgebildet zum Wirtschaftswissenschaftler in Australien erhielt Anthony de Jasay ein Stipendium an der Universität Oxford, bevor er in Paris im Finanzwesen arbeitete. Im Ruhestand widmete er sich als Privatgelehrter Fragen der politischen Ökonomie und der politischen Philosophie. Anthony de Jasay verstarb am 23. Januar 2019.

Abbildung: Die politische Philosophie gründet auf Freiheit und Recht

Die politische Philosophie Anthony de Jasays gründet auf Freiheit und Konventionen. Freiheit wird logisch-epistemologisch durch die Freiheitsvermutung gestützt, Konventionen sind freiwillig in der Gesellschaft angenommene Verhaltensregeln und eine aus Gewohnheiten gewachsene Kultur. Ein Vertrag ist eine solche Konvention und führt bei beiden Vertragspartnern jeweils ein Recht und eine Verpflichtung herbei. Eine Freiheit drückt eine Beziehung zwischen einer Person und einer Handlung aus. Ein Recht dagegen stellt eine Beziehung zwischen zwei Personen und einer Handlung dar (dem Gläubiger und dem Schuldner eines Rechts). Diese beiden Explikationen präzisiert Anthony de Jasay über die Freiheitsvermutung. Begrenzt wird die Freiheit sowohl durch die Verfügbarkeit wie durch die Zulässigkeit von Optionen.

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Die Freiheit geht dem Recht logisch voran, es entsteht aus dem Verzicht einer Person auf einen Teil ihrer Freiheit und ist ihre Zustimmung zum Recht des Gläubigers auf eine Handlung. Jedes echte Recht ist das Ergebnis einer echten Verpflichtung. Darauf gründet seine moralische Kraft, denn ihm liegt die Idee der Freiheit zugrunde. Nur der Freie ist souverän in seinen Entscheidungen und kann moralisch handeln. Moral ist in Freiheit daheim.

Eine solche von der Freiheit ausgehende politische Philosophie nennt Anthony de Jasay strikten Liberalismus. Eine solche Ordnung beruht auf Freiheit und Konventionen. Ginge das Recht der Freiheit voran, dann müsste das Recht irgendwo seinen Ursprung haben. Eine Autorität – sei es eine diktatorische, eine monarchische oder eine sozialdemokratische – müsste das Recht setzen, es als Erlaubnis gewähren. Die Autorität könnte dieses „Recht“ daher auch jederzeit wieder entziehen. Da der Mensch in diese autoritäre Ordnung hineingeboren wird, hinterfragt Anthony de Jasay ihre Legitimität.

Unterwerfung ist unmoralisch und nicht legitim. Eine solche von Rechten ausgehende politische Philosophie nennt Anthony de Jasay rightsism. Die „Rechtsanspruchsideologie“ erfordert gesetztes Recht. Der Rechtspositivismus, also die Behauptung der Legitimität des einseitigen, willkürlichen Setzens (Lateinisch „positus“: „gesetzt“) von „Rechten“ und „Pflichten“ durch die „Obrigkeit“ unter Androhung von Zwang, ist daher die wichtigste Stütze der unbeschränkten Demokratie. Eine beschränkte Regierung ist in dieser Ordnung unmöglich, zumal durch kollektive Wahlen in der Sozialdemokratie ein „Umrührprozess“ in Gang gesetzt wird. Anders als bei einem Vertrag, bei dem die Partner selbstbestimmt darüber entscheiden, wer was bekommt und wer was bezahlt, ist bei kollektiven Wahlen diese Verteilungsentscheidung fremdbestimmt. Jasay nennt das, was dabei entsteht, die churning society („Umrührgesellschaft“). Diese führt in den Staatskapitalismus:

Der Staatskapitalismus ist die Fusion von politischer und wirtschaftlicher Macht. Er setzt dem Sonderfall, in dem die Waffengewalt im Staat zentriert ist, während das Kapital über die gesamte Gesellschaft verstreut ist, ein Ende.[2]

Kernstück der politischen Philosophie von Anthony de Jasay ist die Freiheitsvermutung. Er leitet sie logisch-epistemologisch her und nutzt dabei die Asymmetrie zwischen der Überprüfbarkeit (Verifikation) und der Widerlegbarkeit (Falsifikation) empirisch gehaltvoller strikter Allsätze. Widerlegt werden Theorien durch Tatsachen. Eine Theorie ist dann wissenschaftlich, wenn ein Falschheitsnachweis möglich ist. Nicht widerlegbare, Tatsachen betreffende Theorien sind unwissenschaftlich. Die Beweislast trägt derjenige, der die etablierte Theorie bestreitet.

Ein Beispiel möge dies verdeutlichen: Ein Wissenschaftler bereiste die ganze Welt und konnte nur weiße Schwäne entdecken. Er stellt daher die Theorie auf: „Alle Schwäne sind weiß.“ Von Einzelfällen auf eine allgemeine Regel zu schließen, ist jedoch logisch unzulässig, denn es könnte nichtweiße Schwäne geben. Doch wer trägt die Beweislast für die Falschheit einer etablierten Theorie? Die Frage der Beweislast ist eine Frage der Effizienz, um einen einzigen widerlegenden Beweis zu finden: Sollen impliziert Können. Nur der Widersprechende kann die Beweislast tragen. Derjenige, der behauptet, es gäbe nichtweiße Schwäne, muss einen solchen Schwan als Beweis vorzeigen können. Dem anderen die Beweislast aufzuerlegen, hieße, etwas Unmögliches von ihm zu verlangen. Etwas Unmögliches kann nicht bewiesen werden. Mit der Freiheitsvermutung verhält es sich entsprechend.

Demnach muss der gegen eine Handlung Einspruch Erhebende einen Beweis dafür zeigen, dass der Handelnde die Freiheit zu einer Handlung nicht besitzt. Wenn eine Person A eine Handlung ausführen möchte, kann es unendlich viele Gründe unendlich vieler Einspruch Erhebender geben, die gegen die Handlung sprechen. Das Argument funktioniert nach der Regel Sollen-impliziert-Können. A könnte niemals beweisen, dass es keine weiteren Gründe gegen die Handlung gibt, da die Widerlegung einer unendlichen Anzahl von Gründen logisch unmöglich ist. Deswegen kann A die Beweislast für die Legitimität der geplanten Handlung nicht tragen. Im Gegensatz dazu ist jeder konkrete Grund prinzipiell beweisbar, den Einspruch Erhebende gegen die gegenständliche Handlung vorbringen können. Ihre Anzahl von Gründen ist abzählbar endlich. Wenn Einspruch Erhebende solche Gründe haben, tragen sie die Beweislast. Sie können zeigen, ob zumindest einer dieser Gründe tatsächlich hinreichend für einen gerechtfertigten Eingriff in die Handlung ist.

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Die auf Logik beruhende Freiheitsvermutung ermöglicht eine tatsachen-basierte Legitimitätsüberprüfung einer Handlung. Das Argument ist unwiderlegbar. Denken und Logik sind nicht ohne Selbstwiderspruch bestreitbar. Das Argument greift auf kein Werturteil als Begründung zurück, dann wäre es subjektiv. Es setzt keine Freiheitspräferenz voraus, dann wäre es voreingenommen. Das Argument wird nicht aus Tatsachen abgeleitet, denn ein Übergang von Fakten zu einem Wert, also die Ableitung eines Sollens aus einem Sein, wäre logisch nicht gültig. Es benötigt keinen Rückgriff auf das „Naturrecht“, denn der Mensch wird von Natur aus frei geboren. Es greift auf keine Verfassung zurück, denn die kann durch Politik jederzeit geändert werden. Es ist nicht utilitaristisch, denn es würde an der logischen Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche scheitern. Es beurteilt weder das Handlungsmotiv, das wäre gesinnungsethisch, noch die Handlungsfolgen, das wäre konsequentialistisch. Es ist deontologisch (von Griechisch „deon“: „das Gesollte“ und „ontologia“: „Lehre des Seins“) und beurteilt die Handlung.

Jede Handlung ist frei, außer es gibt eine entgegenstehende Konvention. Das Argument fragt nach der Vereinbarkeit mit den Konventionen, der Legitimation der Handlung. Von der Freiheitsvermutung ausgehend, ergeben sich die Begriffe Freiheit und Recht, denn wer ein Recht zu haben behauptet, muss es beweisen können. Dadurch wird die liberale Theorie „klar und präzise“ und kann nicht nur kollektiven Angriffen trotzen, sondern ihrerseits bereits verloren geglaubten Boden wieder gewinnen. Da alle anderen Begriffe, z. B. das Eigentum und die Gerechtigkeit, auf den beiden Begriffen Freiheit und Recht aufbauen, ist deren „klare und präzise“ Definition unerlässlich.

Eigentum entsteht durch Übereinkunft und ist eine Freiheit. Eigentümerschaft ist eine Eigenschaft in Bezug auf die Handlungsfreiheit des Eigentümers. Satellitenregeln unterstützen die dezentrale Vertragsdurchsetzung. Der Gerechtigkeitsbegriff ist dann angebracht, wenn durch einen Regelverstoß ein Unrechtsstatus entsteht und mittels verschiedener rechtlicher Verfahren Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. Ein Vertragsbruch ist ein solcher Regelverstoß und Unrecht.

Political Philosophy. Clearly – Essays on Freedom and Fairness, Property and Equalities (Politische Philosophie. Essays über Freiheit und Fairness, Eigentum und Gleichheit, klar und präzise”) (*) wurde 2010 vom Liberty Fund herausgegeben. Anthony de Jasay ist ein herausragender libertärer Denker, ihn zu lesen bedeutet auch immer wieder die Auseinandersetzung mit Differenzierung und Klarheit. Wer Freiheit will, muss sich wehren können gegen jene, die sich über ihn erheben.

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Dabei ist Angriff[3] die beste Verteidigung, denn wer sich verteidigt, der klagt sich an. Der Angriff beginnt mit der Freiheitsvermutung, agiert dadurch offensiv, indem er dem Feind der Freiheit die Beweislast auferlegt und diesen seinerseits in Bedrängnis bringt. Niemals darf der Mensch vergessen, dass er frei geboren wird und dass derjenige, der seine Freiheit einschränken will, einen Beweis dafür vorzeigen muss. Nicht einmal in der Theorie sollte der Mensch etwas als legitim anerkennen, was gemäß seiner Natur die Anwendung grundlegender kollektiver Zwangsgewalt impliziert – d. h. eine Macht, der die Subjekte nicht in vorherigen expliziten oder impliziten Akten der freien Zustimmung zugestimmt haben. Diese zentrale Aussage der politischen Philosophie von Anthony de Jasay fasst das folgende Zitat zusammen:

Der gesetzgebende, subjektive Rechte schaffende und durchsetzende Staat ist eine historisch bedingte Institution, nicht eine logische Notwendigkeit. Es lohnt sich immer, den Ursachen und Gründen für seinen Fortbestand nachzugehen.

¡Viva la libertad carajo! Für Freiheit!

Burkhard Sievert

Soest, im Juli 2024

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[1] Jasay (2021b), S. 117 f.

[2] Jasay (2018), S. 257.

[3] Über den Angriff handelt der folgende Artikel über den Etatismus der Sozialdemokratie.

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Referenzen

Jasay, Anthony de (2024): Politische Philosophie, Hamburg.

Ders. (2021b): Liberalismus neu gefasst, Hamburg.

Ders. (2018): Der Staat, Berlin.

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Burkhard Sievert engagiert sich als Sektionsleiter in der Atlas Initiative. Von Anthony de Jasay übersetzte er die Bücher Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer (*), Gegen Politik (*), Der Indische Seiltrick (*) sowie Politische Philosophie (*) und legte das Buch Liberalismus neu gefasst (*) wieder auf. Von Ludwig von Mises brachte er das Buch Allmächtiger Staat (*) als deutsche Übersetzung von Omnipotent Government (*) heraus.

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