Lügen über den Kapitalismus
25.9.2015 – von Roland Baader.
In Politik und Medien erwecken viele – wenn nicht sogar alle – Prominenzen den Eindruck, als würde eine nationalökonomische Bildung zugleich mit dem Amtseid oder mit der Einladung zur nächsten Talkshow als Begrüßungsgeschenk vom Himmel fallen.
Von solchen Zeitgenossen stammt auch der Einwand, die dramatische Verbesserung unseres Lebensstandard entstamme weniger dem vermehrten Kapitaleinsatz als vielmehr dem Erfindergeist der Ingenieure, Mediziner und Wissenschaftler aller Art. Besonders die Verlängerung der Lebenszeit um 30 Jahre im Verlauf des 20. Jahrhunderts, die um 90 % gesunkene Kindersterblichkeit, das Fast-Verschwinden schwerer Infektionskrankheiten und Seuchen sei nicht der Kapitalakkumulation und dem Kapitalismus zu verdanken, sondern den genialischen Erfindungen und Entdeckungen von Forschern auf dem Sektor der Medizin, der Biologie, Biochemie usw. Ähnlich, so geht die Kunde, sei das auch bei den Fortschritten der Elektronik, der Telekommunikation und der Klein- und Großtechnik aller Art.
Die Wirklichkeit sah und sieht ganz anders aus. Es waren zu allen Zeiten – und so auch heute und in Zukunft – stets mehr Erfindungen in den Köpfen und Schubladen vorhanden, als durch Investitionen in die Alltagsverwendung umgesetzt und eingeführt werden können. Schon die alten Griechen hatten Gerätschaften, die mit Dampf betrieben wurden. Aber erst die Kapitalakkumulation im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts machte es möglich, dass die von James Watt um 1760 erfundene Dampfmaschine im großen Stil in die produktive Praxis eingesetzt und weiterentwickelt werden konnte. Und war erst einmal die Dampfmaschine im Einsatz, dann fiel es auch leichter, sie zu Dampfschiffen und Dampflokomotiven weiterzuentwickeln und dafür das notwendige Kapital und findige Unternehmer anzulocken.
Dass es nach wie vor unterentwickelte Länder zuhauf auf dem Globus gibt, ist ein weltweit schlagender Beweis für die Tatsache, dass Kapital und Kapitalismus der Motor des Fortschritts sind. Die Regierungen und Eliten dieser Länder haben alle technischen und medizinischen Neuerungen und Erfindungen der Industrieländer vor ihren Augen. Sie können auf alles diesbezügliche Wissen zugreifen und jedes Gerät nachbauen oder Anwendungsmethoden nachahmen. Aber in die Tat umsetzen können Sie das nicht, weil es ihnen am notwendigen Kapital – und meistens auch an Unternehmern und freien Märkten (also an kapitalistischer Ordnung und Freiheit) mangelt. Wissen kann sehr wohl auch dann existieren, wenn das notwendige Kapital zur Umsetzung fehlt, aber damit technologisches know how praktische Wirklichkeit werden kann, muss es immer einen Prozess der Kapitalinvestition durchlaufen.
Oft muss sogar das Kapital zeitlich vor dem Wissen bereitstehen, nämlich bei allen Arten der Forschung. So kostet beispielsweise die Entwicklung eines neuen Medikaments – besonders in der Krebsforschung – im Durchschnitt mindestens fünfzig Millionen Dollar, und weil die Medikamente sich als untauglich erweisen, belaufen sich die wahren Kosten eines schließlich marktfähigen Medikaments auf rund fünfhundert Millionen Dollar.
Auch beim gesellschaftlichen „Großexperiment“ auf deutschem Boden, nämlich bei der vormaligen DDR, konnte man das geradezu modelltypisch beobachten. An mangelnden Ingenieurstalenten und an technischem Wissensrückstand lag es gewiss nicht, dass die gut ausgebildeten Technik-Eliten in fünfzig Jahren volksdemokratischer Ingenieurskunst nichts anderes hervorgebracht haben als die stinkende Trabi-Schaukel. Sie hätten auch jedes der vielen hundert Automodelle des Westens einfach kaufen und „nachkupfern“ können. Aber ohne Kapital und Kapitalismus ist es eben Essig mit allem Erfinder-, Entdecker- und Bastelgeist.
Dasselbe gilt für das fast einem Labortest entsprechende Experiment Korea: Ein Volk, eine Geschichte, ein geographischer Standort, eine Sprache, eine Kultur. Und dann die Teilung in Nord und Süd. Im Süden Marktwirtschaft, im Norden Sozialismus. Das Ergebnis nach wenigen Jahren: Südkorea eines der reichsten Länder Asiens, Nordkorea eine Armutshölle, in der die Menschen zu Hunderttausenden an Unterernährung sterben. Wer diese einfache Wahrheit einmal begriffen hat, kann nicht mehr verstehen, warum Kapital und Kapitalismus die Feindbilder Nummer eins der Menschheit darstellen.
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Aus „Das Kapital am Pranger“, S. 20 – 23, Resch-Verlag, 2005.
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“Roland Baader war nicht nur ein profunder Kenner der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, sondern seine Schriften tragen vor allem auch unmissverständlich Mises’ intellektuelles Erbe in sich. Eindringlich, beindruckend, wortgewaltig und immer gut verständlich sind seine Wortbeiträge, in denen er die Österreichische Schule auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme und Missstände anwednet. Roland Baader klärte seine Leser über den schleichenden Weg in den Sozialimus-Totalitarismus auf, der notwendigerweise im Ausbreiten des Wohlfahrts- und Umverteilungsstaats angelegt ist, und der aus einem schwindenden öffentlichen Verständnis für die Bedeutung des freien Marktsystems rührt.” (Thorsten Polleit – aus “Freiheitsfunken II” – Lichtschlag Buchverlag)