Die politischen Ursachen der Krise.

5.3.2012 – von Michael von Prollius, Forum Ordnungspolitik, Rede zu den politischen Ursachen der Euro-Krise auf der LI-Konferenz: “Welche Zukunft für Europa?”

Michael von Prollius

Europa, wohin wirst Du entführt?

In Ovids Metarmophosen wird Europa von Jupiter in Gestalt eines friedlichen, kräftigen Stiers entführt. Erst auf Kreta offenbart sich Europa die Wahrheit. Im 21. Jahrhundert wird Europa erneut entführt. Allerdings ist nicht abzusehen, dass die vermeintlichen Retter die Wahrheit offenbaren werden. Das gilt für das kleine Griechenland und noch viel mehr für die große Transformation Europas.

Freie Gesellschaft oder Wohlfahrtsstaat?

Europa steht vor einer unausweichlichen politischen Entscheidung, die Wilhelm Röpke 1958 in seinem Text „Gefahren des Wohlfahrtsstaates“ benannt hat: „Eines von beiden wird früher oder später weichen müssen: das freie Gesellschafts- und Wirtschaftssystem oder der heutige Wohlfahrtsstaat.“

Sieben Jahre später schrieb er in: „Der moderne Fiskalstaat“: „Die ins Riesenhafte anschwellenden Ziffern des Staatshaushalts … geben uns ja das genaue Maß, in dem sich der Schwerpunkt der Entscheidungen vom einzelnen und von der Familie zum Staate hin verschiebt. Dieser anschwellende Fiskalismus ist ein getreues Spiegelbild der politischen Zentralisation, die man den eigentlichen Krankheitsprozess des Staates und der Gesellschaft der Gegenwart bezeichnen kann.“ und an späterer Stelle sprach er vom „alles umschlingenden und aussaugenden Fiskalismus und Bürokratismus“, die bereits zum Untergang des Römischen Reiches geführt haben.

Krise der Staatspolitik und des Neosozialismus

Wir leben in bewegenden Zeiten. Wir erleben die größte staatspolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Derartige Verwerfungen können nicht durch Menschen auf Märkten verursacht werden. Ohne einen Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols könnte niemals ein solches Unglück geschehen. Was wir erleben ist eine zweite Krise des Sozialismus – 20 Jahre nach dem Ende des roten Wegs zur Knechtschaft und über 60 Jahre nach dem Ende des braunen Wegs zur Knechtschaft, um den Begriff von Friedrich August von Hayek zu verwenden. Die Rede ist vom sogenannten Samtpfotensozialismus, von den in die Sackgasse geratenen Hybridsystemen, die sich mit Wilhelm Röpke als Fiskalsozialismus bezeichnen lassen.

Politische Ursachen der Euro Krise

1. Fiskalsozialismus

Fiskalsozialismus ist das Ergebnis eines permanenten Primats der Finanzierung vor strukturellen Reformen und Anpassungen bei Vermeidung von Wettbewerb und freien marktwirtschaftlichen Prozessen. Zu den Kennzeichen gehören eine permanente Ausgabensteigerung des Staates, die sich am Budget ablesen lässt, eine progressive Sozialisierung der Einkommensverwendung und eine progressive Zuständigkeit für alltägliche Lebensbereiche der Menschen, vom Wohnen über Unterhaltung, Erziehung, Bildung, Wachstum und die üblichen Lebensrisiken – von der Babyanfangsnahrung bis zu Friedhöfen.

Der leider vor sechs Wochen verstorbene Freiheitsdenker Roland Baader formulierte es so: “Betrachten wir Deutschland doch einmal mit “kapitalistischen Augen”. Wir erkennen ein Land mit einem staatlichen (dh. sozialistischen) Rentensystem, einem staatlichen Gesundheitswesen, einem staatlichen Bildungswesen, mit staatlich und gewerkschaftlich gefesselten Arbeitsmärkten, einem konfiskatorischen Steuersystem, einer Staatsquote von über 50%, mit einem erheblich regulierten Wohnungsmarkt, einem massiv subventionierten und regulierten Agrarsektor und einer in einem kompliziertes Geflecht zwischen Markt und Staat eingebundenen Energiewirtschaft, mit mindestens Hunderttausend Betrieben in “kommunalem Eigentum” (d.h. Staatseigentum) und einem staatlichen Papiergeldmonopol, ja sogar mit einem Staatsfernsehen samt Zwangs-gebühren. Wir erkennen ein Land, in dem fast 40% der Bevölkerung ganz oder überwiegend von Staatsleistungen lebt und in welchem das gesamte Leben der Bürger von staatlichen Regelungen überwuchert ist. Wer diesen 80%-Sozialismus als Kapitalismus bezeichnet, muss mit ideologischer Blindheit geschlagen sein. Und wer gar von Turbo- oder Raubtierkapitalismus redet, den muss der Verstand ganz verlassen haben (oder die panische Angst vor dem Machtverlust zu verbalen Veitstänzen getrieben haben).”

Inzwischen werden rund Dreiviertel aller Gesetze in Brüssel erlassen. Jeder Deutsche muss täglich über 80.000 Gesetze und Vorschriften beachten. Welch ein „Paragraphenrausch“! Zwar wurde das Subsidiaritätsprinzip in Maastricht verankert, aber die politische Realität unterscheidet sich grundlegend von den propagierten Institutionen, Verfahren und Begrenzungen. Die Regelungsausmaße reichen von Glühbirnen bis zur Gurkenkrümmung, umfassen entscheidende Bereiche der Wirtschafts-, Gesundheits-, Industrie, Regional-, Bildungs-, Renten- und Jugendpolitik. Außerdem werden die Bereiche Umwelt, Klima, Energie, Forschung, Technologie, Verbraucherschutz und Einwanderung, ferner Asyl, Zivilprozessrecht, Strafrecht, Innere Sicherheit von Brüssel als Zuständigkeit reklamiert. Eine totale Harmonisierung der Steuer-, Sozial- und allgemeinen Lebens- und Denkstandards ist das proklamierte Ziel der EU-Adepten.

Fiskalsozialismus, das ist ein anderes Wort für demokratischer Sozialismus oder demokratischer Wohlfahrtsstaat. Der Fiskalsozialismus ist längst nicht mehr finanzierbar – latenter und offener Staatsbankrott aller Orten. Zugleich haben Interventionismus, Regulierung, Privilegierung und Nepotismus erst eine Pervertierung der Marktwirtschaft und dann eine Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise ausgelöst, die von einer Krise des politischen Systems flankiert wird. Der Kern des Ganzen ist die innere Widersprüchlichkeit des herrschenden Marktsozialismus, der ein „offener begrifflicher Widerspruch wie heißer Schnee, jungfräuliche Prostituierte, fettes Skelett, rundes Quadrat“ ist, wie Anthony de Jasay so treffend bemerkte.

Fiskalsozialismus bedeutet also dauerhaft über die Verhältnisse leben – überregulieren – durch innere Widersprüche Krisen hervorrufen.

2. Geldsozialismus

Der Euro war von Beginn an ein politisches Projekt, das auch gegen die ökonomische Realität die politische Einigung Europas forcieren sollte – die Währungsunion als Symbol und Triebkraft eines zentralistischen Europa.

Europa-Realisten und viel geschmähte Kritiker haben Recht behalten. Selbst Lord Dahrendorf urteilte bekanntlich: „Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet.“ Und über 60 deutsche Ökonomieprofessoren wandten sich anlässlich der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags im Juni 1992 in einem Manifest gegen die Europäische Währungsunion (1998 waren es sogar mehr als 160): „Die überhastete Einführung einer Europäischen Währungsunion wird Westeuropa starken ökonomischen Spannungen aussetzen, die in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen können und damit das Integrationsziel gefährden.“

Das Problem ist das staatliche Geldsystem mit einer einzigen gesetzlich zugelassenen Währung, einer Behörde, die versucht die Geldnachfrage mit einem Behördenangebot über den Transmissionsriemen der Geschäftsbanken zu bedienen und damit permanent strukturell scheitern muss. Ihre Politisierung ist dabei nur eine historisch normale Erscheinung, die derzeit die Verschuldungs- und Umverteilungsspirale nur schneller drehen lässt.

Es gibt eine Reihe schlagender Argumente gegen Zentralbanken, nur zwei seien hier erwähnt:

1. Eine Behörde kann unmöglich Angebot und Nachfrage nach Geld in Einklang bringen. Dazu mangelt es ihr im Gegensatz zur dezentralen Koordination von Millionen Menschen auf Märkten an Wissen. Das ist das „Hayek-Argument“, der klassische Fall der „Anmaßung von Wissen“.

2. Eine Wirtschaft lässt sich nicht wie eine Armee kommandieren. Nach einer begrenzten Zeit, kommt zwangsläufig der Zusammenbruch. Das ist das „Mises-Argument“: die Unmöglichkeit sozialistischer Wirtschaftssteuerung. Der real existierende Geldsozialismus – staatliches Geld, Zentralbanken mit von Experten zentral festgelegtem Zins, umfassende regulierte und privilegierte Finanzinstitute – erlaubt keine reinen Markt-, sondern nur administrativ manipulierte Preise.

Die Systematik des geldpolitisch bedingten Scheinbooms und seiner krisenhaften Bereinigung als Rückkehr zur Normalität muss an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt werden.

Der Euro lässt sich als Triumph der Sozialisten gegen ein nach der Freiheitsrevolution von 1989/90 zunehmend liberales Europa charakterisieren, als Sieg über die ungeliebte Bundesbank, als Vehikel für einen Zentralstaat, als Meilenstein zu einer Planification und griechisch-italienischer Verhältnisse beim Haushaltsgebaren und der Geldpolitik.

 3. Aushöhlung der Demokratie

Das Kernproblem lautet: Die „rule of law“ wird rapide zunehmend durch eine „rule of men“ ersetzt. Zu den langfristigen Trends zählt der Niedergang der nationalen Parlamente, an deren Stelle nichts gleichwertiges tritt. Politik gerät immer mehr zu einer autoritären Praxis von Kleingruppen, die ihre Parteisoldaten antreten lassen und Andersdenkende diffamieren.

Demokratie braucht einen politischen Raum, nicht zu groß und nicht zu klein, außerdem kulturellen Zusammenhalt. Den gibt es in der EU nicht.

Die EU gleicht einem politischen Kartell, in dem politisch und wirtschaftlich Einflussreiche mit Transferzahlungen Kleinere und Schwächere bei Laune halten und den Wettbewerb der Systeme sukzessive ausschalten.

Anthony de Jasay spricht von „Toys for the boys“ der gut ausgebildeten EU-Bürokraten, die mit immer neuen Plänen zur Verbesserung der Welt im Namen des Guten ihren Einfluss und ihre Karrieren fördern. „Brüssel“ hat ein Eigeninteresse und Anreize, Kompetenzen immer weiter auszudehnen. Sie bilden die neue Klasse, die Europa regieren wird – nach dem Model „étatisme, centralisme, dirigsime“

Das Ergebnis ist “Inflationäre Gesetzgebung“ wie es der italienische Rechtsphilosoph Bruno Leoni in „Freedom and the law“ nannte. Und die Rechtsetzung der EU ist nicht parlamentarisch, sondern exekutiv.

Offenkundig stellt die EU ein veraltetes, strukturkonservatives Projekt dar, das mit ihrer Zentralbürokratie zukunftsuntauglich ist, zumindest für die gedeihliche Entwicklung der ihr anvertrauten und zuweilen ausgelieferten Menschen. Hier wird das Scheitern von Montan- und Agrarunion zum Erfolgsmodell erklärt.

Schließlich sind unsere Erwartungen unrealistisch. In weiten Kreisen von Regierung und Bevölkerung ist eine Auffassung verbreitet, die der französische Publizist Fréderik Bastiat Mitte des 19. Jahrhunderts wie folgt kritisierte: „Der Staat ist die große Fiktion, nach der jedermann glaubt, auf Kosten jedermanns leben zu können.“ Das gilt im Großen wie im Kleinen, deshalb haben ist die Politik heute allzuständig. Die Wähler goutieren oder tolerieren zumindest die Eingriffe in ihr Leben, sie lassen sich von der Ideologie politischer Korrektheit einschüchtern.

Die Public Choice Theorie zeigt, dass die Politik regelmäßig nicht die Lösung ist und Politiker nicht Wohlfahrt fördernde Menschen sind. Zugleich gibt es einen Mythos des rationalen Wählers wie Bryan Caplan in seinem gleichnamigen Buch „The Myth of the Rational Voter“ aufzeigt. Die Menschen haben vielfach falsche Vorstellungen darüber, welche Mittel sich zum Erreichen ihrer Ziele eignen. Menschen verhalten sich auf Märkten vernünftiger als in der Politik, wo sie sich von Gefühlen leiten lassen.

Wir sollten nicht auf bessere Politiker warten, sondern weniger Top down Politik zulassen und Freiheit leben.

Was braucht Europa heute?

Ein prosperierendes Europa fusst auf einem anderen Denken als dem heute vorherrschenden. Wir müssen noch einmal den sozialistischen Holzweg verlassen, das Hordendenken aufgeben wie es sich im schrillen Betroffenheitsjournalismus täglich offenbart, wegkommen von großen zentralistischen Strukturen, von Denken in Aggregaten, für die großen Fragen wie die Globalisierung kleine Antworten finden. Kleinräumigkeit, „Small is beautifull!“, der Einzelne zählt, nicht das Kollektiv, nicht der Euro-Nationalismus.

Mit dem großen Europäer Wilhelm von Humboldt ist der liberale Gedanke der Toleranz, der Persönlichkeit, der Freiheit und des Rechts verknüpft. Sollten wir uns nicht stärker seine Forderung zu eigen machen? Sie lautet die „proportionierlichste Bildung der Kräfte zu einem Ganzen. Die Freiheit ist die erste und unerläßliche Bedingung.“ Das ist das Bild des mündigen Bürger – Freiheit und Selbstverantwortung! Es sollte zum gelebten Leitbild der Politik werden. Das müssen wir einfordern, bei jeder Gelegenheit. Zumal Europa von seinen Gründervätern als Hort der Freiheit gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Planwirtschaft erträumt worden war. Selbst Adenauer sprach im Juni 1961 davon, dass wir ein „Haus der Freiheit“ bauen müssen und Ludwig Erhard brachte die politische Integration Europas auf die Formel: „Verwirklichung der Freiheit in allen Lebensbereichen“. Und „Freiheit ist dort gewährleistet, wo unabhängige Menchen regieren, die nach Überzeugungen, nicht nach Interessen handeln.“ so Felix Somary, der vor 56 Jahren im Jahr 1956 hier in Zürich gestorben ist. Das liberale Programm ist der Weg zur Einheit Europas. All das, was die Schweiz auszeichnet, ist auch im Sinne Röpkes ein Vorbild für ein prosperierendes, friedliches Europa.

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