Die Begegnung mit der Österreichischen Schule befreit mehr als nur das Denken

30.3.2015 – Eine psychoanalytische Betrachtung der Dialektik

von Mathias Steinmann.

Mathias Steinmann

Irgendwann in der späten Mittelstufe ist es für jeden Schüler so weit. Hegel und die Dialektik stehen auf dem Lehrplan. Vielen der mathematisch und naturwissenschaftlich begabten Schüler wird der Ansatz „These-Antithese-Synthese“ suspekt sein. Wie verträgt er sich mit den elementaren Grundsätzen der Logik? Die sprachlich hochtrabenden Formulierungen, mit denen dieses Denkmodell beschrieben wird, können diesen Eindruck nicht beseitigen. Doch die wenigsten werden im Laufe ihres Lebens auf Denker stoßen, die das aussprechen, was das Unbehagen an der Dialektik ausmacht: Dass es einen Kompromiss zwischen dem objektiv Richtigen und dem objektiv Unrichtigen nicht geben kann.

Stattdessen bestimmt das Denken in vermeintlichen Gegensätzen unser Leben. Die ständige Unsicherheit mit dem, was man selbst als richtig erkannt hat, auf der falschen Seite zu stehen, besonders wenn die überwältigende Mehrheit etwas anderes als richtig ansieht, führt zu einer falschen Bereitschaft, faule Kompromisse und inakzeptable Zustände zu ertragen. Die Tragweite dieses Denkens in – vermeintlichen – Gegensätzen wird deutlich, wenn man grundlegende Überlegungen der Psychoanalyse nach Sigmund Freud in die Betrachtung mit einbezieht.

Folgt man einer solchen Vorgehensweise, lässt sich folgende pschoanalytische Betrachtung anstellen. Es gibt ein unterbewusstes „Es“ in uns, das die These darstellt. Dieses „Es“ handelt gemäß des gesunden Menschenverstandes, will seine Lebensumstände verbessern, hat damit den Anreiz, mit anderen Menschen zu kooperieren, mit ihnen zu tauschen und Märkte entstehen zu lassen. Dem steht als Antithese das „Über-Ich“ entgegen. Das „Über-Ich“ folgt akzeptierten Autoritäten – Religion, Staat, öffentliche Meinung und ‚political correctness’. Wenn diese akzeptierten Autoritäten für Widersprüchliches, für falsche Lehren stehen, wird das Individuum zu Handlungsweisen gedrängt, die im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand, zum wohlverstandenen Eigeninteresse des Individuums stehen. Das „Ich“ entspricht der Synthese: Das „Ich“ will These und Antithese miteinander verbinden. Das „Ich“ leidet psychoanalytisch betrachtet unter einem zumindest latenten inneren Konflikt, der sich bis zur Neurose auswachsen kann, wenn das „Über-Ich“ falschen Lehren folgt.

Das dialektische Denken ist in der modernen Volkswirtschaftslehre, der „Mainstream-Ökonomik“ heutzutage weit verbreitet – das schafft innere Konflikte bei den Menschen und fördert ein Verhalten wider Vernunft und Moral.

Durch Einbeziehung psychoanalytischer Betrachtungen lassen sich irrationale Handlungsweisen erklären. Auf diesem Wege lässt sich zeigen, warum die breite Mehrheit der Menschheit für staatsinterventionistische Lösungen und ‘dritte Wege’ so empfänglich ist; warum es möglich ist, dass der Staat und sein Handeln moralisch gutgeheißen werden, Freiheit und Marktwirtschaft hingegen moralisch verurteilt werden; oder warum die Behauptung, es gebe einen Widerspruch zwischen den Interessen des Einzelnen und denen des Kollektivs, zwischen Ökonomie und Ökologie, auf so fruchtbaren Boden fällt.

Die Rolle der Mainstream-Ökonomie

Die „Mainstream-Ökonomie“ leistet widersprüchlichem Denken Vorschub. Das liegt an ihrer methodologischen Unzulänglichkeit. Sie kann zudem ihre Existenz als Wissenschaft nur aus den vermeintlichen Widersprüchen angeblich noch nicht richtig abschließend beantworteter Fragestellungen rechtfertigen. Die Vertreter der Mainstream-Ökonomie haben daher kein Interesse daran, Widersprüche zu lösen, sondern sie sind im Gegenteil daran interessiert, neue Widersprüche aufzuwerfen.

Widersprüche werden bei grundlegenden ökonomischen Annahmen unterstellt. So sei zum Beispiel die Annahme der Eigennutzmaximierung des Handelnden fragwürdig, behaupten die Mainstream-Ökonomen, denn es gebe ja auch altruistische Handlungen. Dieser Überlegung kann man entgegnen: Auch der altruistische Mensch handelt so, dass er sich durch sein Handeln besser fühlt. Diese logisch vollkommen naheliegende Erklärung scheint aber Ökonomen abseits der Österreichischen Schule nicht in den Sinn zu kommen.

Die Zersplitterung in viele Partialbetrachtungen ist eine weitere, mit Sicherheit sogar wichtigere methodologische Schwäche der Mainstream-Ökonomie, die zur Entstehung von Widersprüchen führt. Sie entlehnt ihr Vorgehen der Physik und versucht, das menschliche Handeln mit mathematischen Modellen zu beschreiben. Das verschafft den Ökonomen bei Laien, die mehrheitlich mit höherer Mathematik eher auf Kriegsfuß stehen, aber auch bei kundigen Studenten Respekt. Wer mit Differentialrechnung und Wahrscheinlichkeitsrechnung umgehen kann, muss eine Kapazität auf seinem Gebiet sein! Nicht überraschend tut sich die Mainstream-Ökonomie aber schwer mit einer konsistenten Sicht auf Makroökonomik, Mikroökonomik und der Institutionen bzw. Politischen Ökonomik – genauso wie es in der Physik der Fall ist, in der bislang keine Vereinheitlichung von Quantenphysik und Relativitätstheorie gelungen ist.

Da wird beispielsweise erklärt, die (neo-)klassische angebotsorientierte Sicht auf perfekte Märkte gelte langfristig, während die keynesianische nachfrageorientierte Sicht gut zur Modellierung der kurzfristigen Zusammenhänge tauge. Jeder politisch gewünschte Erklärungsbeitrag kann durch Anwendung der Neoklassik oder des Keynesianismus herbeigezaubert werden. Gleichzeitig führt die methodologische Orientierung an der Physik zu dem fatalen Irrtum, alles sei messbar, und das verleitet zu meinen, es sei auch steuerbar. Wer aber meint, steuern zu können, wird als konsequenten Folgeschritt erwünschte Ergebnisse herbeiführen wollen. Mit diesem Denken, erwünschte Ergebnisse herbeiführen zu wollen, die scheinbar der „allgemeinen Wohlfahrt“ dienen, legitimiert die Mainstream-Ökonomie Herrschaft und Macht.

Unter diesem Irrtum ist es nur konsequent, auch den Markt als geschaffene, vom Staat geduldete Institution zu betrachten, und nicht als eine stets vorhandene Erscheinungsform des menschlichen Handelns zu begreifen. Auch viele liberale Mainstream-Ökonomen unterliegen diesem Denkfehler und bewegen sich damit (wohl ungewollt) auf den Kollektivismus zu. Der Machbarkeitswahn, der daraus folgt, hat zum Beispiel das weltweite Fiat-Geldsystem auf den Weg gebracht, das größte Schneeballsystem der Menschheitsgeschichte. Und Menschen, die das für den höchsten Entwicklungsstand der Währungsgeschichte halten, dürfen sich als wissenschaftliche Koryphäen feiern lassen. Tatsächlich ist vielen dieser „Wirtschaftswissenschaftler“ nicht bewusst, dass es sich um ein Schneeballsystem handelt. Es ist die Vermischung von dialektischer Verwirrung und scheinbarer naturwissenschaftlicher Präzision, die die Mainstream-Ökonomie zu einer gefährlichen Disziplin macht.

Die Begegnung mit der Österreichischen Schule löst die Widersprüche

Ganz anders dagegen die Österreichische Schule der Nationalökonomie, die in der Tradition von Ludwig von Mises (1881 – 1973) steht. Ihr axiomatischer Ansatz sorgt für ein in sich schlüssiges, widerspruchsfreies Theoriegebäude, das – in der Terminologie der Mainstream-Ökonomie – mikro- und makroökonomische sowie institutionelle Aspekte integriert. Die Vertreter der Österreichischen Schule geben Antworten auf die angeblich noch ungelösten Fragestellungen und decken die Widersprüche in den Wirtschaftswissenschaften auf.

Ausgehend von den grundlegenden Verhaltensweisen des Menschen und grundsätzlichen Regeln des konfliktfreien Zusammenlebens, gelingt es der Österreichischen Schule darzulegen, dass Markt und Freiheit nicht nur effizient sind, sondern auch im Einklang mit moralischen Werten stehen. Sie zeigt auf, dass Märkte nicht zu „sozialer Ungerechtigkeit“ führen, sondern dass das staatliche Eingreifen in die Märkte ungerecht ist, weil durch sie die Unproduktiven zu Lasten derer profitieren, die etwas schaffen. Die Österreichische Schule kann auch zeigen, dass der freie Markt nicht im Widerspruch zur Ökologie steht, sondern dass das Gegenteil wahr ist: Denn die Preisbildung am Markt ist der effizienteste Anzeiger für die Knappheit von Ressourcen und führt damit zu einem schonenden Verbrauch.

In der Mainstream-Ökonomik und in der politischen Diskussion wird die Österreichische Schule jedoch bislang weitgehend ignoriert. Ein Grund mag sein, dass sie schlichtweg nicht mehr präsent ist bei vielen Wirtschaftswissenschaftlern. Ein weiterer Grund könnte sein, dass sie die Diskussion zwischen den Befürwortern des Kollektivismus und denen der Freiheit nicht nur argumentativ, sondern auch moralisch gewinnt – und daher ausgeblendet wird. Die Lehre der Österreichischen Schule kann nicht durch gesinnungsethische Argumente erfolgreich angegriffen werden – anders als liberale Strömungen der Mainstreamökonomik, die sich in eine verantwortungsethische Rechtfertigungsargumentation ‚flüchten’.

Die Erkenntnisse, die die Österreichische Schule der Nationalökonomie vorlegt, sind nicht nur wissenschaftlich solide, sie stehen auch im Einklang mit dem, was der gesunde Menschenverstand als richtig anerkennt. Indem sie die von der Mainstream-Ökonomie vorgegebenen Widersprüche aufdeckt und beseitigt, bringt die Beschäftigung mit der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie einen wichtigen Gewinn: Sie balanciert und festigt die eigene Persönlichkeit, weil sie den Menschen von der Dialektik befreit.

Wer den freien Markt, in dem der Einzelne seine eigenen Interessen verfolgt, als moralisch und sozial legitimiert versteht, wird keinen Konflikt zwischen dem eigenen Handeln und dem gesellschaftlich Wünschenswerten verspüren. Die vom „Über-Ich“ künstlich geschaffenen Schuldgefühle werden ihm genommen. Der wegfallende innere Konflikt macht den Menschen konstruktiver, wehrhafter und ausgeglichener. Das Befassen mit der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie befreit mehr als nur das Denken.

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Mathias Steinmann, Jahrgang 1975, ist studierter Ökonom und als Berater für Risikomanagement tätig. Über die Ökonomie hinaus gelten seine Interessen besonders der Geschichte und den Naturwissenschaften. Er ist überzeugter Anhänger individueller Selbstbestimmung und der Österreichischen Schule.

 

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